Die Metapher des Textes als Spiel

Die Metapher des Textes als Spiel, die in Strukturalismus und Dekonstruktion als Alternative zur Aristotelischen Konzeption des Textes als Mimesis (vgl. Ryan 1999 im Druck) von Realität diskutiert wurde, scheint angemessen, um experimentelle Texte zu beschreiben, die die Idee der Rekonstruktion von "Realitäten" unterlaufen. Dennoch wurde diese Metapher anders verstanden: sie wurde bei Saussure und später bei Derrida und in der postmodernen Ästhetik verwendet, um das konstruktive und das dekonstruktive Potential von Texten im Allgemeinen zu beschreiben. Derrida erläutert seine Vorstellung von Text als Spiel als Spur der Schrift. Nach Derrida verkörpert die Schrift nicht nur das "Spiel" der unbegrenzten Verweise der Zeichen aufeinander, sondern auch die Prinzipien der Arbitrarität und Konventionalität aller Zeichen, da Schrift "Inschrift und vor allem dauerhafte Vereinbarung von Zeichen" bedeutet und "Arbitrarität des Zeichens, vor der Möglichkeit der Schrift und außerhalb ihres Horizontes nicht gedacht werden [kann]" (Derrida 1967: 78). Diese Schrift, die Derrida Spur nennt, ereignet sich im Spiel der Differenzen innerhalb semiotischer Texturen.

Welche Art von Spiel ist gemeint und welches Spiel kann als angemessenstes Modell für den Text dienen? Spielen im Sport und in vielen Gesellschaftsspielen bedeutet, Regeln zu befolgen. Der frühe Strukturalismus hat diese Idee des Spiels als ein regelgeleitetes Handeln (Saussure 1916) oder als sekundäres modellierendes System (Lotman 1970, 1972) auf Sprache bzw. Texte angewendet und somit dem Text eine Autonomie in Relation zur äußeren Realität zugestanden.

Eine andere Art des Spiels, wie z.B. Spielen mit einem Baukasten oder phantasievolles Spielen im Sinne von So-Tun-Als-Ob, folgt dem Konzept des freien Spiels, das jedem Definitionsversuch ausweicht. Dieses Spielkonzept entspricht demjenigen der postmodernen Ästhetik und der Dekonstruktion. Emergente Konfigurationen von Bedeutung unterliegen endlosen Transformationen, Spielen und Gespielt-Werden (durch Zeichen) ist nicht länger zu unterscheiden. Roland Barthes spricht von der semiotischen Kraft der Texte und benennt diese als ihre Fähigkeit "die Zeichen zu spielen" (Barthes 1980: 41). Dies führt zu einer Destabilisierung und somit zu karnevalesken Strukturen und zu einem Gefühl des Verloren-Seins, erfüllt aber gleichzeitig ein Bedürfnis nach Grenzüberschreitung, Dynamik und Metamorphose. Der Text als Spiel erfordert einen aktiven Leser als gleichberechtigten Partner dieses Spiels (cf. Barthes, Landow 1992). Handeln in diesem Spiel bedeutet, alle Kombinationsmöglichkeiten auszuprobieren - also Konstruktion und Dekonstruktion der (Text-)Bausteine.

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