Interaktivität

Interaktion und Interaktivität scheinen in den 90ern zum inflationär verwendeten Leitmotiv zu werden. Aber Interaktivität bedeutet nicht nur Teilnahme, sondern Beeinflußbarkeit durch einen Rezipienten. Geht man von dem Begriff "Interaktivität" aus, so kann man ihn erst einmal aus dem lateinischen mit "Zwischenhandlung" übersetzen. Gemeint ist das "Miteinander-in-Verbindung-treten" zwischen Kommunikationspartnern. Der Begriff "Mensch-Computer Interaktion" wurde in den 80er Jahren gebildet, um die Kommunikation von Mensch und Computer zu beschreiben. In Bezug auf Computersysteme beschreibt der Begriff Interaktivität die Eigenschaften von Software, d.h. die Eingriffs- und Steuermöglichkeiten des Rezipienten. Im Idealfall findet ein wechselseitiger Dialog von Mensch und Computer statt.

Die Grundidee der Interaktivität findet sich bereits in den Happenings der 60er. Mitmachen und nicht länger Konsumieren ist das Stichwort. Was bedeutet das für die Neuen Medien? Diese machen das zappen zum Inhalt. Während zappen passives Konsumieren bedeutet und zwischen den einzelnen Programmen inhaltlich keine Verbindung besteht, ist zappen im Hypertext mit dem Versuch der Sinnstiftung, der aktiven Suche nach Sinn zwischen den einzelnen chunks verbunden. Ihre Interaktivität fordert zum Spielen heraus. Neue Medien mit ihren interaktiven Möglichkeiten erfordern einen Nutzer, der diese Möglichkeiten erkunden und neugierig ausprobieren will. "Vermutlich ist sogar der Computer selbst weniger ein Werkzeug denn ein Spielzeug, weil er nicht nur ermöglicht mittels ungewohnter Schnittstellen durch multimediale Angebote zu navigieren, sondern auch weil man auf digitaler Basis ganz unterschiedliche Welten entwerfen kann. Der Unterschied zwischen einem Textprogramm, einem Flugsimulator oder einem Programm, das explizit als Spiel angeboten wird, ist verschwindend gering" (Rötzer 1996: 76).

Die Interaktion entpuppt sich zumeist als Etikettenschwindel, denn sie ist nur im Bereich dessen möglich, was durch den Programmierer im Programm vorgegeben ist. Deshalb sprechen einige der experimentellen Schriftsteller denn auch von transactional art und nicht von interaktiver Kunst. Was hat Lesen mit dieser spielerischen Interaktivität eines Nutzers gemeinsam? Um dies zu verdeutlichen muß ein Begriff des Lesens formuliert werden, der beide Prozesse beinhaltet. Lesen wird durchaus als eine allgemeine Metapher verwendet, bis hin zur Lesbarkeit von Welt, wie sie der Spurensuche eines Detektivromans zugrunde liegt. Spurensuche bedeutet Kategorisierung und Zuordnung.

Nichts anderes ist der Leseprozeß. Lesen ist Interpretation von Differenzen und nicht nur das Entziffern eines Textes. Lesen ist ein dynamischer Prozeß der Rezeption, der eine semiotische Struktur als konstruierte "Realität" projiziert, d.h. bei der Interpretation einer Erzählung findet ein dynamischer Prozeß statt, der in der Suche nach anwendbaren Konzepten beruht, um dem Neuen und unerwarteten Bedeutung zuzuordnen. Es ist nicht nur die Darstellung oder Abbildung menschlicher Erfahrung, sondern das Erschaffen einer möglichen Welt durch die Rezeption eines Lesers oder Zuhörers. Auf das Lesen von Hypermedien übertragen bedeutet das: "daß nicht nur die einzelnen Bestandteile eines Hypertextes wie Textstücke, Bildmaterial usw. gelesen werden müssen, sondern daß vor allem die Anordnung selbst, die Struktur, 'sprechend', informativ sein muß" (Wingert 1996: 117).

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