Hypermedien - und zu ihnen gehören Computerspiele - erscheinen uns als
ein Programm zur Produktion einer Vielfalt von Texten. Für das Lesen
oder Spielen in ihnen bedeutet dies, eine Loslösung von einer
ausschließlich linearen Form des Lesens hin zu vielen parallelen
Möglichkeiten und immer wieder neuen Kombinationen und Assoziationen.
Diskontinuität und die plötzliche Veränderung der Position durch einen
Mausklick sind typische Erfahrungen eines Nutzers von Hypermedien. Eine
bruchlose Anwendung Spielkonzeptes Derridas auf Hypermedien, wäre
sicherlich eine Idealisierung. Selbst wenn "unbegrenzte Verweise" und
Wege denkbar wären, sind diese in jedem Fall von einem oder mehreren
Autoren fixiert und begrenzt worden. Dies geschieht natürlich schon
allein unter Gesichtspunkten der Rezeption, also der Verständlichkeit
der möglichen Texte und Spielbarkeit der Spiele.
Wie sieht es aber mit dem anderen Aspekt von Spiel, dem regelgeleiteten
und zielgerichteten Spiel aus. Ein Text hat unterschiedliche Ebenen der
Verschwiegenheit. Um diese zu interpretieren, braucht der Leser eine
Textkompetenz, die über das bloß grammatikalische Verständnis des
Textes hinausgeht. Dadurch, daß der Leser bei der Analyse eines Textes
den Produktionsprozeß nachvollziehen muß, überschneiden sich Produktion
und Rezeption. Der Lesevorgang setzt die aktive und kreative Mitarbeit
des Lesers voraus. Dessen Kooperation wird durch Spielregeln gelenkt.
Die Regeln in Myst ergeben sich aus den Büchern de
Eine weitere Regel besteht im Einlegen der Buchseiten in die Bücher, in
denen die Männer eingesperrt sind. Scheinbar lautet eine der
Spielregeln: "Befreie einen der eingesperrten Brüder, um das Spiel zu
lösen. "Diese Regel erweist sich am Ende des Spiels als Irrtum, denn
falls wir einen der Brüder befreien, finden wir uns selbst eingesperrt
wieder und können nur noch das Spiel verlassen und neu starten, was
einem Abbruch des Spiels gleich kommt. Es ergibt sich erst ganz zum
Schluß eine letzte Regel, die lautet: "Befreie unter keinen Umständen
einen der beiden Brüder, denn dann eröffnet sich Dir Myst für weitere
Erkundungen (vgl. die Parodie des Spiels unter dem Namen Pyst).
Beide Aspekte des "Spiels" - also sowohl
das freie Spiel als auch das regelgeleitete Spiel - finden sich in
Hypermedien wieder. Daß das Konzept des Baukastens oder
Konstruktionsspiels direkt auf jedes Computerspiel anwendbar ist, wurde
oben bereits am Beispiel von Myst gezeigt.
Wie sehr ein Leser auch beim Lesen eines traditionellen Textes
involviert ist, er bleibt machtlos, wie der Zuschauer eines
Fußballspiels. Er mag die Mannschaften anfeuern, über den möglichen
Ausgang des Spiels spekulieren, aber er wird dadurch nicht zum Spieler.
Er hat nicht die Möglichkeit des aktiven Eingreifens. Das Vergnügen des
Lesers vergleicht Aarseth (1997) mit dem Vergnügen eines Voyeurs. In
sicherer Distanz, dafür aber machtlos. Der Nutzer
von Hypermedien hingegen wird zum Spieler mit allem Spaß am Spiel aber
auch mit dem Risiko, das Spiel zu verlieren.
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