Netz/Werk/Erzählweisen
Zur Entstehung von Gedanken und Geschichten beim Netz-Werken
von Heiko Idensen Inhalt:
Kanal 0: Rauschen der Allgemeinplätzehype Netz/Werk/Kultur
Störung 1: (stoßen-ziehen-interagieren)Wir (unterbrechen dieses Magazin für eine wichtige Durchsage: Als erstes lieferte www.pointcast.com
Nachrichten direkt auf die Screen-Oberfläche - auf Wunsch: sogar
locker als Bildschirmschoner konfigurierbar! Aus ist es mit den Utopien der Partizipation und basisdemokratischer Netzwerkkonzepte: der Benutzer bestimmt jetzt nicht mehr selbst, was er wie und wann lesen, hören oder sehen will - er holt sich (pull!) die von ihm gewünschten Inhalte nicht mehr, sondern die Informationen suchen sich vielmehr umgekehrt ihren Weg zu dem Nutzer - wie die Trans-Missile Raketengeschosse ihr einprogrammiertes Ziel. Das herkömmliche Seiteninterface, das eine Mischung aus Text-
und Bilddaten mit anklickbaren Links auf der zweidimensionalen Oberfläche
des Bildschirms anzeigte und den User zu den bekannten Navigations-
und Klickorgien animierte, wird zunehmend unterlaufen durch hybride
Medienmischungen, die gar nicht mehr auf den auslösenden Klick
des Users warten, sondern - durch programmierte und personaliserte Filter
vorbereitet - sich sozuagen 'selbstständig' in vielfältiger
Form direkt materialisieren: Audiodaten erklingen in Lautsprechern,
Nachrichten tickern über Bildschirmfenster, Bewegungsabläufe,
Animationen und dreidimensionale Simulationen erscheinen in verschiedenen
Rahmen des Bildschirms - Kommunikationsverbindungen werden aufgebaut,
Geld- und Warentransfers werden in Gang gesetzt. Endlich wieder Fern-Sehen:
Milionen-Internet-Terminals zeigen dasselbe Bild! neue Narrationen: gegen WWW-Konsumterror Jetzt scheint wirklich alles mit allem mischbar, kombinierbar -transformierbar zu sein in einem vernetzen Medienverbund. Leider werden diese neuen Interaktionsmöglichkeiten, diese Mischungen aus push- und pull-Aktionen und Interfaces von der online-Industrie derzeit vorschnell wieder mit der altbekannten Benutzermetapher des Web-TVs zugeschüttet und den vielfältigen Kommunikationsformen im Netz wird wieder das klassisches Sender-Empfänger-Modell aufgepfropft - anstatt mit den jetzt möglichen Mischformen von programmierter Unterhaltung, gezielter Navigation und vor allem den sozialen Konversations-Erfahrungen der virtuellen Gemeinschaften (Chatting, Konferenzen, Rollenspiele, Mailingslists) zu experimentieren. Deshalb ist es an der Zeit, die subjektiven und subversiven Methoden einer aktiven Nutzung von Hypermedia im Netz wieder auszugraben, neu zu beleben, neue Interfaces, Benutzermodelle und Narrationsweisen zu erfinden - gegen den Strom eines konsumorientierten Internet-Hypes. Kanal 1: Afternoon
Die im Vordergrund des Leseprozesses stehende Interaktivität macht
Afternoonn zu einer Mischform zwischen Adventure-Game und literarischem
Experiment: Der Leser kann entweder direkt im Fenster Worte auswählen,
die zu einer anderen Episode verzweigen, oder die - am unteren Bildschirmrand
plazierten - kleinen Navigations-Werkzeuge benutzen: Auswahlanzeige,
Zurückgehen und eine Eingabezeile zum Beantworten von Fragen oder
eigenen kleinen Texteingaben, die entsprechnede Sprünge im der
'Geometrie der Geschichte' bewirken. In neueren Arbeiten untersucht Michael Joyce , wie zeitliche narrarive Funktionen im WWW sichtbar gemacht und als ästhetisches Mittel benutzt und wie Wiederholungen, Schleifen und Variationen im Hypertext produktiv gemacht werden können. Twelve Blue" benutzt Frames, um narrative Linien zu visualisieren, die in - an John Cage erinnernde - formale Strukturen (12 Linien, 12 Monate, 12 Geschichten) eingebunden sind. Twelve Blue auf der CD-ROM "Twilight, a Symphony" möchte der Autor gern als eine "Idioten-Version
von Proust" begreifen - die Metazählung einer Art "Oper", in der
auf 'musikalische Art' mehrmaliges Durchqueren derselben Bildschirmseiten
als konsequente Differenzerfahrung sichtbar machen will.
Störung 2: refresh: A Multi-Nodal Web-Surf-Create-Session
Von vornherein auf eine Poetik der Vernetzung, des Übergangs und des Transports setzt das Projekt "Refresh", das die Momente der Verknüpfung, das Setzen von Links und die Schnelligkeit eines Kontextwechsels durch Zapping durch eine kollaborative Koppelung verschiedenster Seiten im Netz deutlich machen will. Durch diesen fortwährenden Verknüpfungsprozeß entstehem dynamische Sequenzen aufeinader bezogener 'Einzelbilder'. Die Benutzer werden explizit aufgefordert, auch die Seiten der anderen Teilnehmer zu ändern - und die veränderten Seiten dann entweder auf dem eigenen Server abzulegen oder diese wieder an den ursprünglichen Gestalter rückzuschicken. Dieses Projekt ist eine Einübung ins Netzwerk-Denken - es versucht Schnitte zwischen verschiedensten Materialien im Netz herzustellen - und dieses Vernetzungsgeflecht in - durchaus filmisch zu sehenden - verzweigten Durchgängen und Übergängen zwischen verschiedenen Servern zu visualisieren.
Bleiben Sie gerade, wo Sie sind! Refresh-Riga Refresh-Amsterdam Refresh-Moskau Kanal 2: Hypertext-Hotel(duke.cs.brown.edu:7000/) Das Haus als lebendiger sozialer Ort, in dem sich die verschiedensten 'Geschichten' kreuzen ist ein vielbenutztes räumliches Modell für eine Daten-Architektur in Literatur (1), elektronischen Texten (2) und Netzwerk-Projekten. Die Struktur eines Hauses läßt vielfältige Vernetzungen verschiedenster Materialien, Medien und Handlungsprozesse zu, erlaubt Verschachtelungen und Schichtungen und entspricht im übrigen auch dem theoretischen Modell hypertextuellen Schreibens als eines 'Schreibens an Orten'.(3) In dem von Robert Coover initiierten "Hypertext-Hotel" laufen verschiedene Hypertext-Experimente der Brown University zusammen: ca. 30 fest eingeschriebene Projekt-Mitglieder lesen, schreiben (='wohnen') mehr oder minder fest hier, während die Normaluser sich als 'Gäste' überall frei (lesend) bewegen können. Als Regel gilt: In den Räumen und Fluren kann praktisch alles Mögliche geschehen. Management und Organisationsweise des Hotels stellen Indexverzeichisse und verschiedene Zugriffsweisen auf die verschiedenen Textfragmente der unterschiedlichen 'Hotelbewohner' dar: etwa Verzeichnisse von Service-Bereichen die vielbesuchte Bar, Kapelle oder Garten) oder schlichte Auflistungen der Räume. Die einzelnen Schreib-Räume bestehen einfach aus Bildschirmseiten mit 2-5 - zumeist assoziativen- Links im Text und einem Pfad, der eine spezifische Geschichte verfolgen läßt (z.B. zu bestimten Getränken oder eine, die mit Schlüsseln (keys) zu tun hat. Die schöne Idee eines Gästebuchs oder eines Haustelefons zur internernen Kommunikation ist leider nicht konsequent umgesetzt (mit entsprechenden Programmen, die eine Einschreibung auch von Besuchern erlauben), so daß hier größtenteils der Datenbestand aus der Anfangsphase (1993) vorliegt - überhaupt macht das Hotel insgesamt einen eher ausgestorbenen Eindruck. Vielleicht ist es an der Zeit, das Hotel wieder aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken, es für alle Besucher auch bewohnbar (= beschreibbar) zu machen.
Kanal 3: mit Sehmaschinen und Eye-Agenten: Fern-Sehen im NetzPing sollte als ein experimentelles interaktives Interface im Berliner
Kommunikationslabor Art+Com (entstanden aus einer interdisziplinären
Zusammenarbeit zwischen der Regisseurin Antya Umstätter, dem Physiker
Steffen Meschkat und dem Informatiker Axel Schmidt an der HDK Berlin)
die kommunikativen Möglichkeiten des Netzes ausnutzen, um eine
produktive Schnittstelle zwischen Computernetzwerk und Fernsehen zu
erkunden. Die Wirkung auf dem Videofest 1995 in Berlin war schlagend: ab dem 3. Tag blieben alle Internet-Terminals (ebenfalls von Art+Com eingerichtet) schwarz: der anschwellende (insbesonders transatlantische) Datenverkehr hatte sämtliche Grenzwerte überschritten, so daß der Provider einfach 'abschaltete'. Experimente, die Grenzen zwischen verschieden Medien überschreiten, stoßen auch ganz schnell an die ökonomisch-politischen Grenzen der Medienverschaltungen. Niemand benutzt ungestraft das Internet als (alternatives) Fernsehen, Radio oder Telefon. "Internet killed the TV-Star" scheiterte zunächst an der Bandbreite und an einer Provider-Politik, die nach Datenvolumen abrechnet. Daten sind eben auch Geld. Dabei ist der Grundgedanke, die visuelle Struktur des Internets sichtbar zu machen und ausgehend von den partizipatorischen Strukturen des Internets quasi das Fernsehen unterwandern zu wollen sehr sympathisch: Interaktive Datenlandschaft-objektorientiertes Hypermediasystem
Die virtuelle Kamera (Eye Agent) Diese permanent sich wandelnde Datenstruktur
beeinflußt eine virtuellen Kameraspion, ein Programmodul, das
analog zu einem Regisseur oder Journalisten - nach der Funktiosweise
automatisch gesteuerter Kameras - aus de Bildertableau eine Auswahl
vornimmt. Das Internet als Pausenfüller im TV (Utopie?) Die Programmpausen des Fernsehens bieten ja bekanntlich experimentelle Frauräume für die verschiedensten Arten von Direktübertragung: Überwachungskameras, auf Zügen und U-Bahnen montierte Kameras in permanenter Bewegung ... nach diesem Modell des TV d`Ameublement (frei nach Eric Saties früher Form einer Dauerberieselung) sollen nun die Sichtweisen, Schnitte, Perspektiven der virtuellen Kamera direkt ins Fernsehen oder über Breitbandkabel übertragen werden. Beispielhafte Filme stehen auch im Netz zum Download bereit (im MPEG Format).
Diese dynamischen Netzfilme sollten als Grundlage für ein automatisch generierbare Fernsehprogramme dienen, die von den Aktionen im Netz immer wieder zu neuen Konstellationen und Zusammenhängen zusammengefügt werden können. Der Fernsehzuschauer sollte dann sowohl über den Netzraum mit den Datenlandschaften interagieren , als auch sich direkt über Live-Kameras einschalten können.
Aus der Projekt-Geschichte im Netz geht leider nicht hervor, ob eine solche Synergie zwischen Netz und TV im Ansatz schon verwirklicht worden ist. Abhängig von der Aufgabenstellung, unter der der Eye Agent durch die Ping-Landschaft reist, entstehen immer neue Konstellationen und Zusammenhänge der Ping - Objekte und damit immer neue Filme. (http://www.artcom.de/ping/mapper)
Kanal 4: Die Imaginäre BibliothekNoch extremer und vielschichter ist das Szenario der Bibliothek: ein
Haus in dem Bücher wohnen, in denen wiederum Texte beheimatet sind,
die voller Zeichen sind, aus denen sich alles mögliche herauslesen
läßt, während Leser und Schreiber, Bibliothekare, Wissenschaftler
und Verrückte durch die Gänge streifen, auf der Suche nach
Texten, Verzeichnissen und Referenzen.
Störung 3: jodi.orgDirk Paesmans und Joan Heemskerk arbeiten im Netz als Jodi zusammen.
Sie kommen aus den Bereichen Fotografie, Video- und Performance und
transformieren die Prozesse, die eigentlich im Hintergrund ablaufen
auf die Oberflächen seiner Web-Seiten: Abstürze, log-in files,
Software-Haftungs-Bedingungen, Ausschlüsse von Garantie-Leistungen
... zumeist in der schon fast nostalgischen Farbe der Grün-Monitore.
Kanal 5: e~lands: ein philosophisches Hypermedia-AdventureAuch dieses Projekt versucht eine Visualisierung von räumlichen Metaphern, das Anlegen von kognitiven Landschaften, Geologien von Ideen. Zu diesem Zweck werden verschiedene Essays und Artikel mit unterschiedlichen theoretischen Ausrichtungen in ein ideographisches Navigationssystem umgesetzt: Durch das "Hyper Contextual Mark Up Language Travel Support System
Interface (HCMULTSSI)" wirst du in mehr als hundertundfünfzig Königreiche
der sieben bekannten e~lands entführt: (Benutzes Quellenmaterial: Assoc. Of Autonomous Astronauts, Hakim Bey, Bob Black, Critical Art Ensemble, Doro Franck, Arthur And Marielouise Kroker, Manuel De Landa, Sadie Plant, Scanner, TechNet, Peter Lamborn Wilson, Z'ev.)(http://netbase.t0.or.at/e-land/) (transkribiert nach einem Text von Konrad Becker)
Rückkanal 1: Kollaborative ProjekteKnackpunk (und möglicher Paradigmenwechsel) für Online-Hypertexte
ist das Schreiben im öffentlichen Raum: Kontextlos gibt es hier
ganz klassiche autoren-bezogenen Veröffentlichungsformen, aber
auch spielerische im weitesten Sinnen nutzlose (4)
Formen im Netz (Walls, Guestbooks, die längste Zeile der Welt ...)
aber in den Zwischenbereichen Wissenschaft / Literatur / Unterhaltung
haben sich interessante Formen gemeinschaftlicher Textproduktion im
Netz herausgebildet. Eine wesentliche Grundfunktion solcher Prozesse
ist zunächst das Zusammentragen und Sammeln von Daten zu spezifischen
Themen, wie es durch die dialogischen Strukturen von newsgroups ohnehin
schon immer in teils chaotischer und unsystematischer Weise geschieht.
Rückkanal 2: (CU-See-Me)CU-SeeMe ist ein freies Videokonferenz-Programm, mit dem jeder PC oder
Macintosh mit Internet-Zugang und einer Video-Karte sich über sog.
Reflektor-Server an Videokonferenzen mit mehreren Teilnehmern teilnehmen
kann. http://cu-seeme.cornell.edu/
bietet das Programm an und Verzeichnisse mit Adressen, hauptsächlich
von anderen amerikanischen Medieninstituten, u.a. Experimentelle Medienkunst,
Performance, Video. (http://www.utexas.edu/depts/output/www/)
Rückkanal 3: offenes Forum Memesis(www.aec.at/meme/symp/)
Auf den WWW-Seiten zur Ars Electronica in Linz findet man neben einem
Überblick über sämtliche Kunstwerke und Projekte aus
den Jahren 1987-1995 sowie den aktuellen Ausschreibungen und Planungen
für das laufende Jahr ein offenes Diskussions-Forum , das zur Vorbereitung
und online-Unterstützung eines Symposions im Jahre 1996 zum Thema
"MEMESIS - die Zukunft der Evolution" diente - und als Prototyp und
Ausgangspunkt für weitere Debatten weiterbenutzt werden soll. Neben
den abstracts oder mehr oder minder vollständigen Papers der eingeladenen
Referenten ist hier der Diskursraum für alle Interessierten geöffnet:
verteilt über eine Mailing-List wird über das vorgegebene
Thema und angrenzende Randgebiete sehr lebendig und kontrovers 'diskutiert'.
Die Texte und Argumente der anonymen Teilnehmer haben hier genausoviel
Gewicht wie die der bekannten 'Meisterdenker', die jetzt nicht mehr
im Zentrum des Diskurses stehen (etwa wie bei einer klassischen Podiumsdiskussion). Als spannende Einführung in die alte Kunst des Dialogs und der Diskussion unter den neuen Vorzeichen von Netzwerk-Technologien bietet sich die Zusammenfassung des Moderators Geert Lovink an, die auch gleichzeitig als Einleitung für den Katalog (7) fungiert, der gut 20 längere Statements als Auswahl aus der Diskussion präsentiert.
Rückkanal 4: Spoon-Mailing-List(Spoon
collective: film-theory) Auf dieser Seite findet auch der Post-Postmoderne
Theorie-Praktiker garantiert etwas nach seinem Geschmack! Mailing-List
zu den wichtigsten Theoretikern der Postmoderne und des Strukturalismus
treffen sich hier mit Diskussionrunden zu "Fiktion of Philosophy" oder
"Cybermind": Im Vergleich zu den Recherchen in Film-Datenbanken ist die Beteiligung z.B. an der film-theory mailing-list ein Abenteuer, das den User in die Abgründe von Theorie-Produktion genauso Einblick nehmen läßt wie in die Erfahrung ungeahnter geistiger Höhenflüge, die durch Austausch-Prozesse und Wissenskollisionen von Fachleuten, Fans und Verrückten möglich werden. Nachfragen an die "Gemeinde" z.B. zu Themen wie "Essen im Film" oder zu "rekursiven Strukturen" fördern intensive kollaborative Wissensstrukturen zutage, die über die reine Beantwortung von Fragen weit hinaus gehen. Subscribe: Mail to "Majordomo@jefferson.village.virginia.edu"
with the following command in the body of your email message:
Kanal 6: Ponton TV, Piazza Virtuale, Service area a.i., Worlds within
interaktives Fernsehen: der "goldene Schuß"? Die Experimente und Aktionsformen, die Sendeformate und technischen Schaltungen - aber vor allem das Klima von Zusammenarbeit, Provokation und künstlerisch-gruppendynamischer Inszenierung versuchen die Frage nach der Rolle des Zuschauers und des Produzenten auf die Spitze zu treiben: das von Ponton projektierte "interaktive Fernsehen" verwandelt den Bildschirm wirklich in eine aktive Oberfläche, auf der sich alle möglichen Medienströme abrufen, verschalten und vor allem vom Nutzer manipulieren und gestalten lassen. Das Fernsehen schaut uns nicht mehr beim Leben zu (wie es eine paradoxe Formulierung Baudrillards (http://www.ctheory.com/a24-vivisecting_90s.html) einmal sehr schön beschrieben hat), sondern:
die 'schweigende Mehrheit spricht: "Hallo, Hallo, könnt ihr mich hören. ... " Technisch wird diese Interaktion durch mehrere Rückkopplungsschleifen ermöglicht: die Zuschauer zu Hause sehen ein Vielfach aufgebrochenes Fernsehbild: Live-Kameras von den jeweiligen Medienfestivals, andere Fenster mit Archiv-Material oder Live-Kameras von anderen Orten und Bildschirmfenster mit Einspeisungen aus dem Internet (Chatlines,mails), Telefongespräche laufen über den Audiokanal ... Telefonnummern, Internet- und Faxadressen werden permanent eingeblendet. Der Zuschauer kann anrufen oder sich per Computer einwählen - und dadurch direkt in das 'laufende Programm' eingreifen: mit den Telefontasten Musik machen, Kamerabewegungen steuern oder eben über Computer oder Fax Texte und Bilder 'senden'. Die Netzmedien sind an das Fernsehen angeschlossen und erweitern dieses idealerweiser zu einem Metamedium - wobei einer tendenziell unendlichen Zahl von 'bloß' Zuschauenden durch die Kapazität von Telefonleitungen, Modemleitungen etc. zwangläufig eine weitausgeringere Zahl von 'aktiven Zuschauenden' (mit Input-Möglichkeit) gegenübersteht. Diejenigen, die dann 'durchkommen' können durchaus als Stellvertreter gelten. Sie spielen allerdings allzuoft die Rolle des Zuschauer weiter ("Hallo, Hallo, könnt ihr mich hören. ... ") oder simulieren private Telefongespräche im öffentlichen Raum ("Hier ist das Wetter mieß - wie ist es bei euch?"). Was sollten sie auch der 'schweigenden Mehrheit' zu sagen haben.? Für 'Unbeteiligte' ist es durchaus schwer, die zeitlich sehr ausgedehnten Medienmix-Sessions anzuschauen ... Pontons gigantomanische Statistiken Während Ponton in der Anfangszeit -neben technischen Experimenten - eher auf eine Qualität des Austausches hinarbeitete (mit Sternstunden wie der Direktschaltung Bremen-Riga bei "Piazza Virtuale": vor Generationen Ausgewanderte trafen hier aufeinander, tauschten Geschichten, Fotos, Lebensschicksale aus) wachsen die letzten Projekte ins Gigantomanische: 1992 Piazza virtuale - 100 Tage, insges. 700 Std. interkatives Live-Fernsehen (250 Sendungen) via ZDF/3sat üver vier Satelliten mit mehr als 100.000 Anrufen pro Stunde auf der documenta 9 in Kassel 1993 Piazza virtuale live in Japan - ... mit im Schnitt 130.000 Anrufern während der 30minütigen Sendungen 1994 Service Area a.i. - 5 Tage, 15 interaktive Live-Sendungen ... mit mehr als 600.000 Zuschauern und über 8.000 Teilnehmnern ... 1996 Olympiade in Atlanta Worlds Within - mehrere Tausend Teilnehmer ... gleichzeitig Zugang ... so daß "der olympische Gedanke der weltweiten Kommunikation in den elektronischen Raum transportiert wird ...."(Ponton-Presseinfo) Ponton hat aber durchaus nach wie vor den Anspruch, lebenswichtige
Fragen der Informationsgesellschaft aufzuwerfen - gerade auch nach den
Inhalten interaktiver Kanäle, nach dem Charakter virtueller öffentlcher
Räume und dem Eindringen in die Privatsphäre eines jeden Netzteilnehmers.
Es wird mit Vermittlungsfunktionen zwischen virtuellem Raum und Fernsehpublikum
experimentiert - etwa dem Poeten in Service Area a.i., der das ganze
Mediengeschehen noch einmal kommentiert und so den Zuschauern - gerade
bei der Überfülle multimedielaer Daten - Anknüpfungspunkte
gibt.
Kanal 7: TreefictionDas Format der Treefiction ist eine recht einfache, aber gut zu handhabende Oberfläche, um im WWW mit mehreren Autoren gleichzeitig (zeitversetzt) an einer beliebig verschachtelbaren Text-Struktur zu arbeiten: analog zu reply-Strukturen in newsgroups kann zu jedem Hypertext-Knoten eine Ergänzung/Annotation direkt über ein Eingabefeld online geschrieben werden. Das entspricht zwar nicht ganz einem idealen Hypertext-Environment, bei dem an jeder beliebigen Stelle ein Link eingefügt werden kann, hat aber den Vorteil, daß sich ein solches Prinzip als gegliederte Baumstruktur darstellen läßt.(8) Auf jeder Ebene der sich so immer weiter verzweigenden Geschichte hat der Leser die Möglichkeit, selbst einen eigenen Strang zu beginnen ... (9)
Rückkanal 5: Hyperknast(www.gvoon.de) Als eine Radikalisierung bisheriger Benutzermetaphern von online-Hypertexten versteht sich der Hyperknast (10): Vom Kontrollturm aus lassen sich alle Texte einsehen (11) , die sich in den verschiedenen Hypertext-Knoten (=Zellen) befinden. Zwischen dieser panoptischen Überwachungsstruktur und den in den Zellen eingesperrten Texten entsteht eine Spannung, die sich in Lese- oder Schreibprozessen entladen kann. Die Frage von Links zwischen Texten und aus Texten heraus wird geradezu essentiell in einer Gefängnisstruktur. (12) Archiv auf der CD-ROM
Rückkanal 6: Dialoge/Polyloge/MonologeEinen von vornherein unterhaltsamen und diskursiven Charakter hat das WWW-Board Interf(r)iction: exp.psychologie.uni-kassel.de/wwwboard/ Archiv 1997 auf der CD-ROM Oder auch der Trialog vom 27. May 1997 zwischen Florian Cramer, Herbert A. Meyer und Heiko Idensen zur Vorbereitung einer Diskussionsrunde "Betriebshof Internet" zur Berliner "Hartmoderne" Archiv 1997 auf der CD-ROM Kanal 8: HyperCafe: Erzählweisen und ästhetischer Ausdruck mit HypervideoYou enter the Cafe, and the voices surround you. Pick a table, make
a choice, follow the voices. You're over their shoulders looking in,
listening to what they say-you have to choose, or the story will go
on without you. Hypervideo hat seine Wurzeln sowohl im Hypertext als auch im Film:
neben den technischen Voraussetzungen (digitalisierte kleine Filmsequenzen,
die über Scripts gesteuert werden (Prototyp in Macromedia Director
- geplant ist aber eine Umsetzung in JAVA zur direkten Einbindung in
das WWW) stehen die neuen narrativen Möglichkeiten im Zentrum dieser
hybriden Mischform: nicht-lineare Erzählweisen, Sprünge, die
durch die Eingaben von Benutzern ausgelöst werden, Verzeigungen
von einer Sequenz zur nächsten ...
Kanal 9: oliana
Am 13 Jan 1997 03:03:54 ging eine seltsame Nachricht in der nettime Mailing-List herum:
Ging man zu der angegebenen Adresse, erschien eine (lebensgroße) Hand auf dem Bildschirm, die langsam immer deutlicher wird. In der Mitte der Handfläche ist eine (russische) Briefmarke aufgeklebt. Im unteren Rand des Browsers läuft immer wieder derselbe Text:
Nimmt man (endlich) die Aufforderung wörtlich, so hat man in der Tat eine sehr eigenartige "Live-Animation" auf dem Bildschirm: langsam wischt wirklich die Hand (von innen) den Bildschirm entlang - gleichzeit ist man im Universum von Olia Lialina gelandet, aus dem man so schnell nicht wieder (unbeschadet?) herauskommt. Klickt man auf die russische Briefmarke (Modell: Kolchosbäuerin mit Kopftuch und Krug) ist man schon dabei, eine unüberlegte und unvernüftige email abzuschicken:
Olia Lialina hat in den 90er Jahren experientelle Filme gemacht, den Cine Fantom Film Club aufgebaut - sie stellt Video-Programme zusammen, schreibt Medienkritiken - seit 1996 produziert sie im Web auf eine sehr spezifische, direkte Art und Weise verschiedenen Arbeiten:
"my boyfriend came back from the war" Trotzdem geht sie in ihren Arbeiten sehr stark auf strukturelle Ähnlichkeiten von Film/Hypertext ein - etwa in dem von ihr als NETFILM bezeichneten Dialog "my boyfriend came back from the war" (1996): Hier erscheint jeder neue Dialogfetzen in einem neuen Netscape-Frame - der aktiviert man ihn, wiederum den Bildschirm teilt und einen neuen Frame öffnet (wieder mit Dialogfetzen oder einem schwarz-weiß Bild) My boyfriend came back from the war. After dinner they left us alone.
... solange, bis ein Zweig der Geschichte in einem schwarzen Fenster
endet Dieser unablässige Teilungs- und Fortsetzungsprozess vollzieht
sich insgesamt solange bis sich das Nescape-Fenster in 17 verschiedene
Fenster geteilt hat und am Ende der Name Olia Lialina erscheint - als
Mail-Aufforderung! Hypertext erscheint als ein in Realzeit geschnittener "Film" - aufbereitet mit einfachen aber wirksamen HTML-Steuerungen. Durch das direkte Spiel mit HTML-CODE verläßt Olia Lialina jegliche Abbild- und Repräsentationsformen - wie sie ansonsten mit den im Internet gebräuchlichen Informationen über Filme und Filmemacher (incl. Stills, Kritiken, Annotationen, Fragmenten aus Biografien, Artikeln etc). gegeben sind und realisiert - auch jenseits von den - nur eingeschränkt über das Netz zu benutzenden - digitalen Film-Formaten eben ihre eigene - netzspezifische Art und Weise des NETFILMS:
Andere "Film-Dialoge" spannen sich zwischen den Suchläufen verschiedener Search-Engines auf - und versuchen so, die anstrengenden Liebes-Dialoge (etwa von Anna Karina) fortzusetzen - und verwickeln den Leser/Betrachter wiederum derart in "Klick-Aktivitäten" oder konfrontieren ihn mit einer Aufspaltung des Browser-Bildes in derart viele Sub-Fenster, daß er überhaupt nicht mehr weiß, wo er sich befindet (im Netz doch - oder? bei Dostojewski? oder in einem Roman? in einem Film - oder schlicht im Anzeigefeld einer Suchmachine? Epilog
Rückkanal 7: viewing distance: 24 Stunden vor dem Bildschirmviewing distance-Archiv auf CD-ROM 1909 1968 1969 1982 1996 1997 1997 1909: versucht Joyce, die vollen 24 Stunden eines ganz normalen Tages auf den Stadtplan von Dublin zu projizieren. 1968: (1. Mai 12.00 Uhr) Eine Gruppe von Situationisten betritt die Metro mit gefälschten Karten aus Berlin. Sie fahren in Außenbezirke, zerstreuen sich, um die Methode des "gezielten Umherschweifens" auszuprobieren - eine Revolutionierung des Alltagslebens. 1969: (2. Mai 24.00 Uhr) Andy Warhol kauft 24 60 min. Tapes in einer Nachttankstelle auf der Lower Eastside. Zittrig und nervös wirft er die erste Casette in seinen Recorder ein. Er nimmt sein Leben die nächsten 24 Stunden auf. Das ganze Material ergibt abgetippt seinen unleserlichen Roman "a". 1982: werden in dem Projekt "Die Welt in 24 Stunden" auf der ars electronica Künstler in 16 Städten auf drei Kontinenten 24 Stunden lang miteinander - über ein Timesharing-Netz - verbunden - von 12 Uhr mittags am 27. September bis 12 Uhr mittags am 28. September 1982. Jeweils zu deren Ortszeit, 12 Uhr mittags, oder so nahe daran wie möglich, wurden die Teilnehmer von Linz aus angewählt, um Arbeiten, Improvisationen und Informationen in den jeweils verfügbaren Medien auszutauschen. "Ziel war es, der Mittagssonne rund um die Erde zu folgen und dabei eine Art von telematischer Weltkarte zu schaffen. Das auffallendste an dieser Karte war natürlich, daß sie nur industrialisierte, kapitalistische Nationen umfaßte - Dreiviertel der Erde fehlten. Dies ist ein Problem, das in absehbarer Zeit alle Telekommunikationsprojekte verfolgen wird." (Robert Adrian X.) 1996: 1. Mai 17.48 fordert Pit Schulz dazu auf, eine große net-time Tafel zum Tag der Arbeit zu erstellen: (z.B. 12.00 = ich werde Erdnüsse essen und dies & das tun) Es geht um die Ränder des Netzes, um die schlimmen Zonen, in denen die meisten Leute unfreiwilligerweise die meiste Zeit offline sind oder andere Sachen zu tun haben. "Wo bleibt die Zeit, das Vergnügen und die Energie?" Alle Antworten werden anonymisiert, sortiert, gemixt, geschüttelt
und in einer Tabelle eingertragen, um verschiedenen Berechnungen damit
anstellen zu können. 1997: (18.03. 17.17) viewing distance: 24 Stunden vor dem Bildschirm Wir wollen mit unserem Projekt das Leben einen Schritt vor dem Computer einfangen, und damit die Beziehung von Virtualität und Realität offenlegen. In einer ersten Phase werden Screenshots über das Netz gesammelt und aufbereitet. Aus diesen Momentaufanhmen wird ein fiktiver 24-Stunden Tagesablauf konstruiert, aus 1440 verschiedenen Screenshots und Realityshots, die online aus aller Welt eintreffen - für jede Minute einen. Auf dem Festival (und bei späteren Live-Events) wird dieses Material durch aktuelle Momentaufnahmen ergänzt und zu einer Art Web-Soap-Opera ausgebaut - der Versuch, eine lebendige Dokumentation/Fiktion vom Festivalgeschehen zu erstellen - einen lebendigen Datenfluß ... 1997: desktop is (26.10. 11:07:03 -0500) Alexei Shulgin hat einen Wettbewerb ausgeschrieben, bei der alle Teilnehmer ein JPG ihres desktops einschicken sollen ...: http://www.easylife.org/desktop/ Die Unterschiede der beiden Projekte beschreibt eine mail ... Rückkanal 8: feedbackmailto: idensen@rz.uni-hildesheim.de Kanal 10: Hotlist-Kanal zu den Themen Hypertext/Hyperfiction/nicht-lineare Narration/Netzkultur:Internationale Kurzfilmtage Oberhausen: MENO Publications: (online Publikationen zu Narrationsforschung, Design digitaler Medien, Erzähltheorie, Hypertext und Hypermedia) http://www-iet.open.ac.uk/iet/iet/MENO/meno-pubs.html Millenium Film Journal, besonders Issue No. 28 (Spring 1995), Thema: Interactivities. Online verfügbare Artikel von Graham Weinbren, Andrew Cameron und anderen: http://www.sva.edu/MFJ Christopher Funkhouser: "proto-anthology of hypermedia poetry" http://cnsvax.albany.edu/~poetry/inside.html George P. Landow: Hypertext. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology, Baltimore, 1992: http://twine.stg.brown.edu/projects/hypertext/landow/ht/contents.html Scott Stebelman's Hypertext Bibliography: mit ausführlichen Links zu Definitionen, Magazinen und Zeitschriften, Usenet-Groups, Kursen und Lehrplänen, Aufsätzen, Essays, Rezensionen ... zum Themengebiet Hypertext mit Querverweisen zu einer Vielzahl von Nachbardisziplinen (Philosophy, Military Intelligence, Literatur ...) http://gwis2.circ.gwu.edu/~scottlib/hyperbib.htm writing lives Project Entrance: http://www.duke.edu/~mshumate/fiction/htt/mals.html Hyperizons: Hypertext Fiction: http.//www.duke.edu/~mshumate/hyperfic.html N. Kaplan: E-Literacies http://raven.ubalt.edu/staff/kaplan/lit/One_Beginning_417.html Hypertext & literary theory : http://www.aaln.org/~kmm/ Tree fiction on the World Wide Web" von Gareth Rees http://www.cl.cam.ac.uk/users/gdr11/tree-fiction.html beschreibt die Geschichte dieses Genres (von den Experimenten der Gruppe Oulipo über Julio Cortazar bis hin zu Science Fiction und Fantasie-Serien, die sich des Musters 'wähle dein eigenes Abenteuer aus' bedienen und fragt sich, warum es so wenig interessante Beispiele im Web gibt). Umfangreiche Sammlung deutschsprachiger Texte zur Geschichte und Entwicklung des Hypertext-Konzepts (vom berühmten online-Autor "Münz" (HTML-Dateien selbst erstellen): http://ourworld.compuserve.com/homepages/muenz/htxt.htm
Gerken, Heiko 1997: Hypermediales Erzählen. Praxis, Beschreibung, Theorie Inhaltsverzeichnung, Einleitung und Bibliographie auf der CD-ROM Idensen, Heiko; Krohn, Matthias 1993:Bild-Schirm-Denken. Manual für hypermediale Diskurstechniken, In: Norbert Bolz/Friedrich Kittler/Georg Christoph Tholen (Hg.): Computer als Medium. München, S.245-266. Auf der CD-ROM: /projekte/idensen/i_biblio/ibsd_514.htm Idensen, Heiko 1996a: "Die Poesie soll von allen gemacht werden! Von literarischen Hypertexten zu virtuellen Schreibräumen der Netzwerkkultur", In: Friedrich A. Kittler/Dirk Matejovski (Hg.): Literatur im Informationszeitalter. Frankfurt/M. S.143-184. Auf der CD-ROM: /projekte/idensen/poesie.htm Idensen, Heiko 1996b:Schreiben/Lesen als Netzwerk-Aktivität. Die Rache des Hyper- Textes an den Bildmedien. In: Ernst Peter Schneck/Ruth Mayer/Martin Klepper (Hg.): Hyperkultur. Zur Fiktion des Computerzeitalters. Berlin, S. 81-107. Auf der CD-ROM: /projekte/idensen/rache.htm Idensen, Heiko 1997: "Hypertext - Fröhliche Wissenschaft? Zur Kritik hypermedialer Kultur-Technik und Praxis". In: WARNKE u.a .: 1997, S.153-192. Auf der CD-ROM:/projekte/hypkult/hypkul01.htm/ Idensen, Heiko 1998a: Diskurstechniken im Netz. Anmerkungen zu "Kleinen Wissenschaften" - gegen universelle deregulierte Wissensordnungen. In: Tilman Borsche/Chridtian Strub/Hans-Friedrich Bartig, (Hg.): Begriff und Wirklichkeit der Kleinen Universität. Positionen und Reflexionen - Ein Kolloquium des Instituts für Philosophie an der Universität Hildesheim. Hildesheim, S. 175-193. Auf der CD-ROM: /projekte/idensen/diskte01.htm Idensen, Heiko 1998b: Speichern - Erinnern - Übertragen: Zur Archäolgie (hyper-) textueller Speichertechiken oder: von Heiko Idensen gerettete Archivdateien nach einem Systemabsturz. In: Archiv-X, Katalog des Offenen Kulturhauses Linz, 1998. Auf der CD-ROM: /projekte/idensen/archivx/archi001.htm 1 In Perec, Georges (1982) wird ein weitverzweigter Roman auf die Zimmer eines Mietshauses verteilt: 99 Kapitel (für alle Zimmer des Hauses inklusive Kellerräume, Treppenhaus, Eingangshalle, Hausmeisterloge), die nach Prinzipien von Schachbrettzügen durchquert werden. Aus den Strukturen des Text-Hauses werden immer wieder konstitutive Elemente für jedes Kapitel entwickelt, die die Konstellationen der Personen, das Mobiliar, biographische und geschichtliche Anspielungen, Zitate und literarische Bezüge miteinander vernetzen. Thematisch steht eine aberwitzige Geschichte um einen Puzzle-Künstler im Mittelpunkt der insgesamt wie ein Puzzle ausgelegten Geschichten. Der Querschnitt durch das Pariser Wohnhaus ist auch im Buch abgedruckt und dient als eine Art 'Home-Page' für den ganzeb Roman: eine solche Verschachtelungstechnik (mise en abyme ) macht- verbunden mit vielfältigen Katalogisierungen und Indexlisten - ein topographisches Lesen möglich . 2 In einer aus Copyright-Gründen leider nie veröffentlichten Arbeit hat Klaus Dufke das dritte Kapitel des Ulysses (Eine hochgradig verschachtelte und verräumlichte Roman-Konstruktion: ein ganz normalen Tag des 16. Juni 1904 wird in die Stadt Dublin eingezeichnet) wieder auf den Stadtplan von Dublin zurückprojiziert, so daß der Leser vom Plan aus in die entsprechenden Textstellen springen kann (als Text, teilweise animiert, und vorgelesen - in verschiedenen Versionen und Übersetzungen) sowie zu korrespondierenden Bildern - somit können verschiedene Erzähl- und Assoziationsstränge verfolgt werden. (Programmiert mit Hypercard, lauffähig auf Macintosh, 8 MB - Informationen über Klaus Duffke) (dufke@fh-potsdam.de) 3 Dem Hauptparadigma in Jay David Bolters Writing Space. The Computer, Hypertext, and the History of Writing, Hillsdale 1991. 4 "Pauls Useless Pages" (http://www.go2net.com/internet/useless/): mit so wunderbaren Unterkategorien wie "Useless Updates", "The perfect Girlfriend Search", "The Uselessness of Computers" 5 http://www.leo.org/Movies/welcome.html 6 So Gerfried Stocker in seinem Eröffnungs-Statement 7 Gerfried Stocker; Christine Schöpf (Hg.): Ars Electronica 96. Memesis. The Future of Evolution, Wien 1996 (englisch/deutsch) 8 Die Software läßt sich auch so konfigurieren, daß die vorliegenden Texte von allen Besuchern/Lesern editiert werden können. Da aber bei einer solchen Offenenheit Probleme mit der Konsistenz von Verweisen auftreten können ist die Standardeinstellung, daß bereits geschriebene Texte nicht nochmals editiert (Ändern, Löschen, beliebiges Einfügen, direktes Weiterschreiben) werden können, sondern lediglich zu jedem Textfragment ein neuer Ast, eine neue Verzweigung angelegt werden kann. 9 "Tree fiction on the World Wide Web" von Gareth Rees (http://www.cl.cam.ac.uk/users/gdr11/tree-fiction.html) beschreibt die Geschichte dieses Genres (von den Experimenten der Gruppe Oulipo über Julio Cortazar bis hin zu Science Fiction und Fantasie-Serien, die sich des Musters 'wähle dein eigenes Abenteuer aus' bedienen und fragt sich, warum es so wenig interessante Beispiele im Web gibt). 10 www.gvoon.de
Basierend auf einem von Regan King programmierten Tree-Fiction-System,
plaziert im Umfeld verschiedenster kollaborativer Systeme, erarbeitet
im Rahmen des Seminars "Schreiben im Netz" an der Universität Hildesheim
von einer 5-10 köpfigen Gruppe. 11 -> Verwaltung || Gruppenhaft || Isolationshaft || Todestrakt || Sanitäre Anlagen || Küchengebäude || Werkstätten || Hostipal || Schule || Gruppenräume || Sportanlagen || Kapelle || Personalräume || Tor in der Mauer|| Im Kontrollraum || der ausweg || Standardzelle ||Politzelle|| 12 Auch der Hyperknast ist -wie jede andere künstliche Struktur - nicht davor gefeit, vom realen Leben eingeholt bzw. überflügelt zu werden: so lassen sich mit der Zeit dort "prison related links" genauso nieder wie "Mausklicks in den Knast" (Straffälligkeit von Links auf "verbotene Seiten", wie z.b. die Radikal -www.xs4all.nl/~tank/radikal).
zuerst publiziert in: Idensen, Heiko (1997): Netz-Werk-Erzählweisen - Zur Entstehung von Gedanken und Geschichten beim Netz-Werken, in: European Media Art Festival 1997, S. 226-247 (deutsch/englisch) |