Das Universum, das andere die Bibliothek nennen, setzt
sich aus einer undefinierten, womöglich unendlichen Zahl ineinander
verschachtelter Bildschirme zusammen, auf denen die verschiedenen Medienströme
zusammenlaufen:
Ein Fernseher implodiert in einer nicht enden wollenden Schleife (lief
eben nicht noch der Showdown einer Direktübertragung: ein Fadenkreuz
legt sich über ein Gebäude - die Bibliothek von Sarajewo [1]?
- die Bombe trifft ihr Ziel mit programmierter Selbst-Sicherheit) - ein
Mausklick startet die Metamorphose eines Fernseh-Schirms in einen Standard-Computer-Screen,
eine Weltkugel dreht sich, unendlich lange Ladezeiten für ein kleines
Icon, das ein sich permanent aufblätterndes Buch darstellt. Schreibmaschinen
oder Maschinengewehrsalven dröhnen im Hintergrund. Nichts weiter?
Ich klicke auf das Buch ... die Weltkugel dreht sich wieder - jetzt ist
es noch deutlicher zu erkennen, es sind Netze
[2] , die
sich um die Welt legen - ein Text erscheint:
"Das Computernetz befreit den Autor von seinem Verleger. Ungehindert [...]
kann ein schreiblustiger Autor Buch nach Buch direkt ins Netz werfen.
[...] Die Sätze wollen nicht länger eine Verbindung mit Vorgängern
und Nachfolgern eingehen. Nach jedem Satz kann im Prinzip jeder andere
folgen [...] Virtuelles Schreiben bedeutet: Sprache produzieren, die nur
im Arbeitsspeicher existiert. [...] Der real existierende Cyberspace ist
ein
Text-based Environment, nicht als Folge einer kulturellen Entscheidung,
sondern einer technischen Begrenzung [...] Der flüchtige Computext
ist die ironische Rückkehr der Schrift, nachdem das Wort im Zusammenhang
der Bildkultur für tot erklärt worden war [...] Virtuelles Schreiben
ist die Antwort der Schrift auf die Designermedien, weil es keine Form
sucht, um sich zu materialisieren [...] sondern um sich stattdessen im
elektronischen Universum einen neuen Raum zu schaffen, um überallhin
gelangen zu können."
[3]
Auf der Oberfläche dieses Textes sind einige Worte blau markiert
[4], andere rot. Im neuzeitlichen Informationsdesign
der "Softmoderne", des Infotainments scheinen die Worte ihre alte Unschuld
verloren zu haben - sie blitzen am Bildschirm als aktive Programmelemente
des Hypertextes auf, als
hotspots,
keywords, Absprung-Marken
saugen sie den Leser nicht mehr in den Text hinein, sondern stoßen
ihn vielmehr ab und schleudern ihn in das weite Feld digitaler Kommunikationsstrukturen
hinaus.
Medienwechsel: Druckkultur - digitale Medienwelten
Versammelten, speicherten und bewahrten die Texte der Druckkultur noch
Informationen und poetische Energie in einem geschlossenem Korpus, so
sind die Dokumente des Netzwerk-Kultur eher exzentrisch, verweisen auf
andere Texte, Archive, Medien, Server ...
Leser und Schreiber sind jetzt mit denselben Maschinen und
tools
angeschlossen, schreiben und lesen gleichzeitig an einer über die
ganze Welt verteilten und zerstückelten Textur
[5]: Copy/Paste ... Send/Receive ...
Die Wissensarchitekturen von Bibliotheken
[6], Universitäten, Konferenzen, persönlichen Bücherregalen,
Schreibtischen, Buchhandlungen, Zeitschriften ... lassen sich - mehr oder
weniger komfortabel - direkt auf dem Bildschirm realisieren.
Während sich die Gedankenbilder der Moderne noch hauptsächlich
auf den Oberflächen von Buchseiten
[7] vollzogen,
spielen sich postmoderne Denk-, Forschungs- und Einbildungsprozesse direkt
auf oder vor Monitoren ab - und die 'Literatur' des Informationszeitalters
wird zu einem Netzwerk untereinander verknüpfter Dateien.
In der Druckkultur blieben die produktiven Momente der Entstehung von
neuen Text-Kompilaten, Versionen und Konstellationen ein Privileg der
Schreiber - die virtuell '
online'
[8] mit der
Literatur, der Wissenschaft, dem kollektiven Gedächtnis waren. Der
universelle User hat jetzt alle Operationsmöglichkeiten der Recherche,
der Verknüpfung und der Re- Kompilation von Texten und Dokumenten
ganz konkret auf seinem Terminal zu Verfügung - die Frage ist nur,
ob er diese auch aktiv als Kulturtechnik nutzen kann.
Während das Ziel des 'reinen' (
offline) Text-Editings
[9]
am Computer in der Visualisierung und Gestaltung von Ideen/Gedankenbildern
liegt, öffnet sich im
online-Schreiben [10]
der Schreib-Raum in ein kommunikatives und soziales Netz-Werk und verläßt
somit vollständig die Darstellungs- und Vermittlungsparadigmen der
Schriftkultur.
Der privilegierte geschützte (von den Experimenten der literarischen
Moderne destruierte und von der Postmoderne unendlich ausgeweitete) 'innere
Schreibraum' des einzelnen 'Users' öffnet sich in eine vernetzte
Wissens- Architektur hinein. Hier entstehen Zonen
[11] , in denen die bürgerlichen Trennungen von privaten und
öffentlichen Räumen aufgelöst werden.
Online-Texte glänzen weniger durch stilistische und rhetorische
Figuren oder den Gebrauch metaphorischer Formulierungen, sondern eher
durch kontextbezogene Aktivitäten, Hin- und Herschalten zwischen
verschiedenen Ebenen, Querverbindungen, Schnelligkeit des Austausches
- sie thematisieren den Raum zwischen verschiedenen Text-Fragmenten -
inszenieren und bearbeiten intertextuelle Strukturen.
Das ist nun freilich nichts neues.
'Hoch die internationale Intertextualität!'
Jeder Text schreibt sich ein in ein intertextuelles Ensemble künstlerischer
/ kultureller / formaler / kanonischer / biographischer Konstellationen.
Jedes Wort produziert Bedeutungen erst im Kontext der umgebenden sprachlichen
Einheiten - alles Geschriebene ist 'Zitat': Entwendung gelesener Schriften.
Neu ist allein die konkrete Zusammenschaltung sämtlicher Lese- und
Schreibvorgänge im Netz - auf einer einzigen Oberfläche. Die
Intertextualität
[12] der Druckkultur ist eine
virtuelle, in literarischen Texten explizit hergestellte, produzierte.
Die Intertextualität im Netz ist konkret, flach, pragmatisch, real(istisch).
D.h. die Dokumente/Fragmente 'treffen' sich tatsächlich - ein
link[13] führt tatsächlich zu einer (oder mehreren) Referenzstelle(n)
im selben Text (vgl. die Fußnoten!) oder in anderen Texten.
Die Poetik eines
link liegt keineswegs in der bloßen Anspielung,
in einer metaphorischen oder impliziten Bezugnahme, sondern vollzieht
sich in einem wirklichen Sprung, einer tatsächlichen Koppelung -
eine Poetik des Transports. (Was nichts über die 'Qualität'
oder Literarizität aussagt - ausgedruckt sind Netzwerktexte zumeist
langweilig und 'nicht lesbar'.)
Deshalb ist das Schreiben und Lesen im Netz zwar strukturähnlich
zu literarischen Produktions- und Rezeptionsformen - aber im Netz geschieht
Lesen und Schreiben gleichzeitig auf einer Oberfläche, es gibt außerdem
keine Hierarchisierung zwischen Primärtexten und Sekundärtexten.
Darüber hinaus verschwinden die Unterschiede zwischen Produktion
und Rezeption, so daß etwa der Leser im Netz Fußnoten, Randbemerkungen
und Kommentare in die Netztexte einfügen kann, und damit Funktionen
übernimmt, die im Informations- Kreislauf der Buchkultur nur den
Autoren oder Herausgebern bzw. den Kommentatoren und Kritikern zukommen.
Home-Page
Das Abenteuer des virtuellen Schreibens und Lesens kann im Prinzip überall
anfangen. Die leere Seite gibt es nicht mehr. Der Bildschirm ist immer
schon bevölkert mit Zeichen, Menus, Icons, Platzhaltern, Demotexten,
Beispiel-Layouts, Hilfe- Buttons ...
Das Lesen und Schreiben im Netz
[14] hinterläßt endlose
history-Listen (in denen
alle bereits besuchten Orte, Seiten, Worte genaustens verzeichnet sind),
hotlists (Lesezeichen
[15], besonders markierte Stellen) und temporär auf der eigenen
Festplatte niedergelegte Text-Fragmente, die dort einer Weiterverarbeitung
harren.
Aber das A und O in diesem Dokuversum
[16] untereinander vernetzter Texte sind die
Home-Pages
[17]: Ausgangsseite/Abflugterminal der eigenen Leseabenteuer
(mit den Adressen der am häufigsten besuchten '
Locations')
auf Seiten der Leser bzw. Empfangsseite/Inhaltsverzeichnis der jeweiligen
WWW-Sites auf Seiten der Anbieter. Die Home- Page ist also einerseits
eine Erweiterung der Desktop-Oberfläche
[18], die
die Absprungorte zu verschiedenen Netzwerk- Projekten verzeichnet - vergleichbar
vielleicht mit der Ansicht eines Bücherregals, auf dem die verschiedensten
Medien zur Entnahme bereitstehen. Im Netz selbst stellen sie das Aushängeschild
der jeweiligen Projekte dar, vergleichbar mit Titelseiten von Büchern,
mit Schaufenstern von Buchhandlungen/Videoshops oder Start- und Demo-
Bildschirmen von Programmen, die eine Übersicht der hier zu lokalisierenden
Dokumente und Projekte ins Auge springen lassen.
Home-Pages fordern
entweder zum Eintreten auf oder veranlassen den umherschweifenden Leser
zum Weiterreisen.
Als ästhetisches Stilmittel finden sich solche Ausgangs- und Knotenpunkte
künstlerischer Prozesse in Werken und Genres, die im weitesten Sinne
einer Poetik des offenen Kunstwerkes
[19] zuzurechnen sind.
Als strukturelle Modelle -
interfaces - für solche Konstellationen
funktionieren bevorzugt räumliche Formationen, die asynchrone Vernetzungen
verschiedener Materialien, Medien und Handlungsprozesse zulassen: Landkarten,
wie etwa der (imaginierte) Plan einer Stadt oder eines Hauses in der klassischen
Gedächtniskunst (als kulturelle Speicherplätze), die sich in
vielfältiger Weise auch in der Literatur wiederfinden: etwa bei James
Joyce
[20], der den ganz normalen Tag des 16. Juni 1904
auf den Stadtplan von Dublin projiziert, oder der Querschnitt durch ein
Pariser Wohnhaus
[21] , das als Home-Page für einen
Roman dient, in dem die Technik des
mise en abyme - verbunden mit
vielfältigen Katalogisierungen und Indexlisten - topographisches
Lesen ermöglichen.
Was machen eigentlich die zwanzig bis dreißg Millionen Menschen,
die über zwei bis drei Millionen Computer weltweit an das Internet
angeschlossen sind oder die 'unzähligen' User, die über alternative,
teils lokale Netze (Fidonet, Z-Net u.a.) an Mailboxen
[22] angeschlossen sind?
Das, was sie immer am Computer tun:
- Sie lesen und schreiben.
- Sie senden und empfangen.
- Sie spielen Theater (innere Bühne und Desktop-Interaktion).
- Sie suchen ...
Die Kulturtechniken des Schreibens und Lesens spielen sich nicht erst
seit dem Aufkommen des Computers in sozialen, kulturellen und medialen
Netzwerken
[23] ab.
Enzyklopädie: Baum des Wissens
Als Denis Diderot und Jean Le Rond d'Alembert am Vorabend der französischen
Revolution mit dem Projekt Enzyklopädie ein universelles Wörterbuch
der schönen und mechanischen Künste zusammentragen, ist dieses
Unternehmen nur als ein kooperatives Schreibprojekt unterschiedlichster
Experten zu bewerkstelligen. Die Vernetzung der einzelnen - alphabetisch
geordneten Wissensbausteine - geschieht über die Darstellung eines
Wissensbaumes
[24]. Auf dieser 'Weltkarte des Wissens' können die verschiedenen
Wissensgebiete überblickt werden, so daß Zusammenhänge,
Verzweigungen, Hierarchien der einzelnen Wissenspartikel deutlich werden.
Im Gegensatz zum linearen Lesen arbeitet man sich durch die Enzyklopädie
mittels sachbezogener, struktureller und sprachlicher Verweise.
[25] Der Leser wird somit zum aktiven Bestandteil der Wissensorganisation.
Er kann selbst - unterstützt durch Karte und alphabetische Register
- eigene Wissenspfade abschreiten.
Gerade die Tafeln und Abbildungen
[26] der Enzyklopädie setzen neue Standards im Wissensdesign
und tragen wesentlich zur praktischen Umsetzung und Anwendung des Wissens
- vor allem in den Bereichen Handwerk, Kunst und Buchdruck bei.
Die Enzyklopädie projizierte den klassischen Baum des Wissens auf
eine Landkarte, um Verbindungslinien und Knotenpunkte zwischen den unterschiedlichen
Wissenschaften aufzuzeigen. Auf den Oberflächen informationsverarbeitender
Environments werden diese Konzepte in Verfahrensweisen zum Verknüpfen
und Prozessieren von Ideenobjekten weiterentwickelt:
Experimentelle literarische Verfahren wie
cut- up, intertextuelle
Verknüpfungen, Verschachtelungen, Labyrinthstrukturen dringen als
diskursive Methoden in den Wissensraum ein, beschleunigen die allgemeine
Zirkulation und das Zusammenfließen von Informationen aus unterschiedlichen
Bereichen, schaffen Anschlußmöglichkeiten und Schnittstellen
zu anderen Wissensgebieten. Kurzschlüsse und Interferenzen zwischen
Diskursen werden zu produktiven Feldern, in denen sich Entdeckungen, Erfindungen
und Innovationen abspielen.
Das Denken selbst ereignet sich in den Zwischenräumen, im Übergang
von einem Gebiet in ein anderes. Wissen, wissenschaftliche Forschung,
ja selbst der Akt des Lesens können nicht mehr bloße Aufnahme
gegebener Informationen sein, sondern entstehen prozessual im Anzapfen
der im Netz zirkulierenden Informationspartikel.
Die Kartographie der Computerkultur verzeichnet durchaus einige Projekte,
die vom Anspruch, vom Engagement der Beteiligten und von den sozialen
und kulturellen Vernetzungsprozessen, die sie begleiten und auslösen,
einen enzyklopädischen Charakter haben.
Projekt Gutenberg
Das Projekt Gutenberg stellt in Kooperation mit anderen Initiativen einen
öffentlichen Netz- Zugriff auf digitalisierte Bücher zur Verfügung,
deren Copyright abgelaufen ist:
"Unser Ziel ist es, bis zum Dezember 2001 eine Trillion elektronische
Texte verteilt zu haben - d.h. 10.000 Titel an hundert Millionen Leser.
Elektronische Texte, die sowohl von Menschen, als auch von Maschinen
gelesen werden können."[27]
Der Gebrauch einer solchen ungeheuren Textmasse in 'reinem' ASCII-Format
(d.h. ohne jegliche typographische Auszeichnungen - fette Überschriten,
kursive Zitate - oder hypertextuelle Verweisstrukturen wie Inhaltsverzeichnisse,
Register, Schlagworte) scheint allerdings begrenzt - diese Art von 'flachen
Texten' eignen sich höchstens als Recherche-Material, das mit Volltextsuche
nach bestimmten 'Stellen' durchforstet wird, die dann zu einem gezielt
ausgewähltem Zitatenschatz- Depot
[28] ausgebaut
werden können.
Da ist Raymond Queneau konzeptuell schon weitergegangen, indem er dem
Leser eine Maschine zur Generierung von hundert Milliarden Sonetten abgeboten
hat:
Sonett-Maschine
Nachdem im Verlauf der Literaturgeschichte unzählige konzeptuelle
(virtuelle) Dichtungsmaschinen, Kombinatoriken und narrative Konzepte
entworfen worden sind, die einen aktiven Leser verlangen - die aber allesamt
aufgrund produktionstechnologischer Trennungen und grundlegend verschiedener
medialer Ausstattung von Autor und Leser kaum zu 'wirklicher' poetischer
Aktivität der Leser führten - stellt Raymond Queneau aus dem
Umfeld der Gruppe
OULIPO (l'Ouvroir de LittÇrature Potentielle)
1961 endlich eine verbesserte Buch-Hardware zum Gebrauch als Dichtungsmaschine
vor: zehn Sonette sind auf zehn verstärkten Seiten so gedruckt, daß
der Leser zeilenweise blättern - und somit alle Zeilen aller Seiten
miteinander kombinieren - kann: eine kombinatorische Poesie-Maschine
[29] für alle.
Expanded Books
Daß elektronisches Lesen keinesfalls heißen muß, auf
die gewohnten Funktionalitäten des Buch-
Interfaces zu verzichten,
zeigen die sogenannten
Expanded Books [30]. Sie
stellen die bisher gelungenste Umsetzung von Buch- Benutzer-Metaphern
auf den Computer dar.
Das Anwendungsgebiet dieser elektronischen Texte klingt fast nach klassischen
hermeneutischen Operationen: es sollen optimierte Operationen für
aktives Lesen und Rezensieren am Bildschirm (wie Suchen, Markieren, Anmerken,
Exportieren ... ) unterstützt werden.
Die Grenzen der
Expanded Books liegen darin, daß sie eben
doch nur 'erweiterte Bücher'
[31] sind und durch
die klare Trennung von Autor/Leser-Funktionen die revolutionären
Möglichkeiten des elektronischen Publizierens nicht voll ausnutzen.
Roman als Kartenspiel
Döblins Diktum - man könne die Erzeugnisse der Epik unbedenklich
in Stücke zerschneiden, sie würden dennoch lebensfähig
bleiben - setzt Marc Saporta 1962 in einen zum Kartenspiel umfunktionierten
Roman um. Offene Kompositionsformen der seriellen Musik, Mallarmés
Aleatorik, die
cut-up-Methode William Burroughs gehen in die Funktionalität
dieser literarischen 'Karten-Misch-Maschine' genauso ein wie narrative
Spielformen des Noveau Roman.
In Anlehnung an künstlerische Buch-Objekte wird bei diesem Experiment
nicht nur die Typographie aufgelöst, sondern der materielle Körper
des Buches selbst wird auseinandergerissen:
Öffnet der Leser die Buch-Box, so findet er darin einen Stapel von
einhundertundfünfzig unpaginierten Karten nebst einer Gebrauchsanweisung
[32].
Schwamm
Schwamm
[33] ist eine auf dem Computermonitor erscheinende
weitverzweigte Geschichte. Texte und Bilder werden in verschiedenen Genres
(Erzählung, Skizze, Spiel, Rätsel, Dokument etc.) kombiniert
- erst die aktive Mitarbeit des Lesers bahnt einen Weg durch dieses Erzählgeflecht,
öffnet die vom Autor als Möglichkeitsfelder angelegten sprachspielerischen
Gebilde, deren Realisation und Ausgestaltung von den Aktivitäten
und Entscheidungen der Benutzer abhängt.
Der Leser kann entweder direkt in bestimmte 'Kapitel' gehen oder über
einen Index zu bestimmten Stellen der Geschichte. Das Auswählen bestimmter
Verzweigungen über (versteckte) Bild- oder Textelemente verändert
'wirklich' den Lauf der geschichteten Geschichte(n).
Paperassen
Man braucht sich bloß die Manuskripte von Proust oder Joyce anzuschauen,
um den immensen Widerspruch zwischen den raumgreifenden Ausschweifungen
multidimensionaler Schreibbewegungen und der eingegrenzten Fläche
der Buchseite studieren zu können. Gerade die Proustsche Methode
der 'memoire involuntaire' arbeitet sich von außen nach innen in
letztlich unendlichen Verschachtelungen von Episoden, die immer weitere
Erinnerungsprozesse freisetzen: selbst auf den Korrekturbögen nahm
Proust immer weitere Einfügungen vor, so daß letztlich nur
ein praktischer Trick der Haushälterin die Fortbewegung der verzweigten
Textmengen sichern konnte: bis zu 1,50 m lange ausfaltbare Paperassen
werden leporelloartig am Rand der Seiten angenäht. Proust hat - die
Effekte und Wirkungen seines Schreib-Experiments ständig reflektierend
- auch schon eine aktive Rolle des Lesers entworfen, der als Benutzer
seiner 'literarischen Maschine' in den literarischen Kommunikationsprozeß
mit einbezogen ist. Er fordert den Leser immer wieder auf, den Text als
Brille, Teleskop, Mikroskop ... zu benutzen - Anschlüsse
[34],
Verbindungen zu eigenen Erinnerungs- und Wahrnehmungsprozessen herzustellen.
[35]
Julio Cortazar: Himmel+Hölle
Eine andere extreme Grenzerfahrung narrativer Struktur-Spiele bietet Julio
Cortazars Roman
Rayuela, der dem Leser in einem Wegweiser ausdrücklich
verschiedene Lese-Wege durch den Text anbietet und ihn wirklich zum Hin-
und Herblättern verführt - programmierte Endlosschleifen in
den Verweisen drängen den Leser zu eigenen Entscheidungen.
Lesemaschinen
An anderer Stelle hat Cort zar eine Maschine zum Lesen entworfen, die
RAYUEL-O-MATIC[36] - ein Liegemöbel mit einer Art Musiktruhe, in der Bar
und Lese-Mechanismus nebst Programm-Knöpfen untergebracht sind. Raymond
Roussel wollte die Verschachtelung seiner Texte, die durch endlose Aufzählreihungen,
Abschweifungen, Fußnoten und Parenthesen mit 9-fachem Verschachtelungsgrad
schwer zugänglich sind, durch mehrfarbigen Druck übersichlicher
gestalten - doch seine Verleger lehnten solch aufwendige Verfahren im
Jahre 1932 ab.
Bei einer surrealistischen Ausstellung wird dann 1937 eine "Roussel-Lesemaschine"
gezeigt, für die der Text auf Pappkarton nach der Art eines Rundregisters
montiert wird: der obere Rand ist je nach Verschachtelungsgrad mit einer
anderen Farbe versehen. Die Karten sind um die Achse einer Trommel angebracht,
die der Leser mittels einer Kurbel mit der rechten Hand dreht, während
er mit der linken die gewünschte Textkarte an einer nach oben stehenden
farbigen Marke festhält, so daß die zusammenhängenden
Textkarten (einer bestimmten Verschachtelungsebene) hintereinander aufgeblättert
werden können.
Tele-Phon-Buch
Es klingelt. Hallo. Wer spricht?
Radikal in der Anwendung medialer Diskurstechniken ist Avital Ronells
Theorie-Experiment "The Telephone Book". In Layout und Organisationsweise
strukturell an die Funktionsfähigkeit eines Telefonbuches angelehnt,
führt es die 'Dekonstruktion des Phonozentrismus' konsequent auch
in den eigenen Sprachgebrauch ein:
Das Medium Telefon arbeitet als aktive/lebende Metapher im Hintergrund
des zur Telefonzentrale umgerüsteten Buches. Die verschiedenen Diskurse
('Technology', 'Schizophrenia', 'Electric Speech') werden im Sinne telekommunikativer
Verbindungen zusammengeschaltet: weiße und gelbe Seiten,
long-distance
calls,
return calls (z.B. Derrida mit Freud),
local calls.
Die Diskurspartner heben ab, legen auf, lassen das Telefon klingeln. Ein
Spiel mit Typographie und Layout führt den Leser vom linearen Leseweg
ab und verführt ihn dazu, Querverbindungen herstellen, von einem
Strang zu einem anderen zu springen, sich zu verirren.
Das Manual
[37] für Benutzer warnt mich ausdrücklich
vor dem Gebrauch dieses Buches.
MEMEX
"This has not been a scientist's war ..." hebt der visionäre Prätext
der Hypertext-Idee an ... (Bush 1945:101) und versucht im Folgenden die
Wissenschaft von der unmittelbaren Kriegsproduktion auf (zivile) Wissensproduktion
umzuprogrammieren:
Vannevar Bush, der wissenschaftliche Berater Präsident Roosevelts
und Koordinator amerikanischer Wissenschaftler, veröffentlichte 1945
in einem Artikel "As We May Think" (Bush 1945:101-108) seine Visionen
über den Einsatz von Computern für ein wissenschaftliches Informationssystem
Memex. Im Gegensatz zu einer hierarchischen und abstrakten Indexierung
bisheriger (relationaler) Datenbanken, die nur numerische oder alphabetische
Sortierungen erlaubten, sollte
Memex ein
Online- Text- und
Retrievalsystem mit assoziativem Zugriff auf Texte, Fotos, Zeichnungen
und persönliche Notizen sein.
Die Suchwege, sogenannte "Knowledge Trails", der unterschiedlichen Benutzer
knüpfen im unstrukturierten Datenbestand Netze, die Wissenspfade
der Benutzer festhalten, indem sie ausgesuchte Textstellen mit Grafiken
oder anderen Textstellen assoziativ verketten. Randbemerkungen, Fortschreibungen,
Kommentare sind jederzeit möglich, ebenso die Weitergabe von Wissens-
Pfaden an andere Benutzer.
Europäisches Tagebuch
Ein anderes Netzwerk-Projekt setzt an der Schnittstelle Macht/Ohnmacht,
Zentrum/Peripherie, privat/öffentlich an und nutzt die neue Qualität
des offenen hybriden Informationsraumes aus, um eine alte literarische
Form im Kontext neuer Öffentlichkeiten radikal anders zu benutzen.
Die persönliche Form des Tagebuchs wird direkt ins Netz geschrieben.
Ausgehend vom 'Zagreb Diary', in dem der Holländer Wam Kat seit Frühjahr
1992 seine persönlichen Eindrücke vom Kriegsgeschehenn im ehemaligen
Jugoslawien - 'gewissermaßen wie offene Briefe an meine Freunde
oder an Menschen, die ich für Freunde halte'- über Computernetze
öffentlich macht, werden persönliche Eintragungen, subjektive
Geschichten und Erlebnisse quer durch Europa in Netzen gesammelt und zusammengetragen
- und somit der offiziellen Medien- und Nachrichtenstruktur, den immer
gleichlautenden Agenturmeldungen entgegengesetzt.
connect.
[38] Die Lektüre digitaler Text-Netzwerke
[39] fordert und ermöglicht eine aktive Beteiligung des Lesers,
dessen gezieltes Umherschweifen durch die Text-Landschaften ihn zum Mittäter
[40] macht.
Während in den frühen Manuskripten sich die Autoren für
ihre (physische) Abwesenheit entschuldigten und als einzige Rezeption
der Texte ein lautes Vorlesen infrage kam, beginnen viele (nicht digitale)
Texte über neue Schreibtechnologien oft mit der voranstehende Klage,
daß der zu lesende Text (leider) nur in gedruckter Form vorliege,
was dem Inhalt durchaus nicht adäquat sei und außerdem eine
Zumutung für den Leser darstelle, der sich den Text doch lieber gleich
als Hypertext
[41] besorgen solle.
Dieses Argument ist ebenso rhetorische Übertreibung und ein Stück
weit ideologische Verbrämung wie die schon eingangs erwähnte
Rede vom Ende der Gutenberg-Galaxis
[42].
Es überschätzt die noch wenig entwickelten Diskursformen digitaler
Textnetzwerke
[43] (Hypertexte, Hypermedia und den ganzen
Bereich der '
online-Literatur') und unterschätzt andererseits
auch die gestalterischen Möglichkeiten und rhetorischen Konzepte,
die sich im Laufe der Geschichte des Schreibens als Kulturtechniken herausgebildet
haben. Neben literarischen Experimenten quer durch die Literaturgeschichte
werden - gerade in Übergangszeiten des Medienwechsels
[44] Innovationen und Diskursexperimente hervorgebracht, die sich
geradezu als Antizipation des virtuellen Schreibens in digitalen Netzwerken
lesen lassen. Eine interdisziplinäre Sichtweise könnte eine
gleichermaßen technik- und kulturkritische - dekonstruktive Praxis
[45] im Umgang mit den neuen Medien provozieren.
Die Imaginäre Bibliothek
Nach verschiedenen Projekten auf Medienfestivals, in denen PooL-Processing
[46] versucht hatte, vor Ort einen ironischen, ästhetischen,
offenen Umgang mit Informationen und Informationsmedien in Gang zu setzen,
ist die
Imaginäre Bibliothek eine Fortsetzung des reinen "Informations-Processing"
mit anderen Mitteln:
Ein Text/Bild-Archiv wird inszeniert - hypertextuelle Navigationsprozesse
werden mit poetischen Bruchstücken der Buchkultur aufgeladen.
Der Leser als Reisender/Navigator/User wird zum neuen Helden, der gegen
die stupide Vorherrschaft designter Bild-Schirm-Medien einen aussichtslosen
einsamen Kampf führt.
Die Programmierung
[47] der Imaginären Bibliothek
setzt die Metapher einer labyrinthischen Bibliothek in Szene und folgt
damit dem postmodernen 'Sprachspiel' von der aktiven Rolle des Lesers,
die dann noch leichtfertig als 'Befreiungsideologie' des Informationsmediums
Computer ausgegeben wird.
Es wäre wirklich wunderbar, könnte man im Weben einer Hypertext-Struktur
der Entstehung von Gedanken beiwohnen - und das auch noch als gemeinschaftliches
- kooperatives -
Bild-Schirm- Denken.
Dabei ist die Bibliothek wahrscheinlich hermetischer als all unsere Beschreibungen
und Beschwörungen vom offenen (Hyper-) Text es wahrhaben wollen -
und vielleicht ist es gerade diese (relative) Abgeschlossenheit (bei unendlichen
Kombinationsmöglichkeiten), die "funktioniert" und dem Leser wirklich
die Illusion vermittelt, einen produktiven Akt auszuführen!
Das Struktur-Zitat der unendlich fragmentarisierten Bibliothek scheint
gerade den wunden Punkt der Leser (und Schreiber) im Zeitalter der technischen
(Re-) Produzierbarkeit von Texten zu treffen: alle sind jetzt angeschlossen
und schreiben und lesen gleichzeitig an einer über die ganze Welt
verteilten Textur
[48] . Da seltsamerweise keines dieser
hier erscheinenden Worte markiert ist, kann ich kein Wort anklicken. Ich
komme zunächst nicht weiter, kann von diesem Text aus nirgendwohin
[49] gelangen.
Elektronische Texte/Netzwerk- Adressen
"Beyond Cyberpunk. A do-It-Yourself Guide to the Future" (1992), (Mac,
5 Disketten zu beziehen über Eastgate oder von den Autoren: The Computer
Lab, Rt. 4 Box 54C, Louisa, VA 23093, USA für $ 35,-)
Bukowski,Charles, (1993) "Kaputt in Hollywood, Expanded Book, (Maro-Verlag)
Bolter, Jay David (1991), Writing Space. The Computer, Hypertext, and
the History of Writing, Mac, Storyspace-Dokument, Eastgate
DeskTop Bookshop (1994), engl. ASCII-Texte von tausenden Werken der Weltliteratur
(aus online- Archiven), (z.b. über DIRECTMEDIA: 0130- 857909)
"Doors of Perception 1" vom 30-31. Oktober 1994 in Amsterdam, CD-ROM-Dokumentation
in Mediamatic VOL 8#1
"Doors of Perception 2. @HOME" vom 4-6 November 1994 in Amsterdam. Dokumentation
der Vorträge:
http://mmwww.xs4all.nl/Doors/Doors.html;
auf CD-ROM in der Mediamatic I/95
Dufke, Klaus (1991), Proteus. Eine interaktive Hypertext-Installation
auf dem Apple Macintosh zur Rekonstruktion eines Romans und einer Stadt,
(Hypercard-Programm, lauffähig auf Macintosh, 8 MB - Informatinen
über Klaus Dufke Fax 040- 2369297)
Eastgate Sytems, 134 Main Street, Watertown, MA 02172, USA, Fax: 001-617-924-9051;
eastgate@world.std.com
Europäisches Tagebuch: Netz-Werk- Schreibprojekt. in: Brett T-Netz/
Tagebuch in vielen Mailbox-Netzen (z.B. //BIONIC (Bielefeld): 0521/68000
Expanded Books, ca. 100 Bücher für Mac- Powerbook und Windows-Notebooks:
Voyager
Flusser, VilÇm (1987), Die Schrift, Göttingen (Text und Diskettenedition
(DOS): Immatrix Publications)
Grassmuck, Volker R. (1995), Die Turing Galaxis. Das Universal-Medium
auf dem Weg zur Weltsimulation:
http://www.race.u-tokyo.ac.jp/RACE/TGM/tgm.html.
Sammlung von Links zu MUDS:
http://ww.race.u-tokyo.ac.jp/RACE/MUD/mud.html
Gutenberg-Projekt:
http://jg.cso.uiuc.edu/welcome.html
HotWIRED:
http://www.hotwired.com
HyperKult CD-ROM (1995): Universität Lüneburg, Forschungszentrum
Karlsruhe, GI Fachgruppe "Computer als Medium": Hypertext- Anwendungen,
Experimente, Kunst- und Museums- Projekte (Informationen: Martin Schreiber:
04131- 714472)
Hypertext-Hotel (kooperatives Schreibprojekt an der Brown-University initiiert
von Robert Coover):
http://duke.cs.brown.edu:8888/
Imaginäre Bibliothek (1990-1995), (Literarische Experimente, elektronische
Essays, Dokumentationen von PooL-Processing und kommentierte Navigationshilfen
zu Literatur-, Kunst- und Theorie-Projekten im WWW):
http://www.uni-hildesheim.de/ami/pool/home.html
Internationale Stadt (Berlin):
http://www.is.in-berlin.de
Klute, Rainer (1995), Das WWW-Kompendium. Multimedialer Hypertext im Internet:
http://www.nads.de/~klute/WWW-Kompendium/Inhalt.html
Mediamatic Magazine Art & Media, Tel/Fax: +31- (0)20-638 4534
Mediamatic-online:
http://mmol.mediamatic.nl
MediaMoo (kooperativer Medienforschungs-Raum am MIT): purple-crayon.media.mit.edu
8888
Nonlocated online > Digitale territories, incorporations and the matrix
(Redaktion Knowbotic Research: kr+cf@khm.uni-koeln.de): < A HREF=" http://www.uni-koeln.de/kr+cf/">
http://www.uni-koeln.de/kr+cf/
online-books (Liste von über 600):
http://www.cs.cmu.edu/Web/books.html
Phoenix Project, Internet-Projekt zur Rekonstruktion der Bibliothek von
Sarajewo im Netz (Informationen über Ingo Günther: i-gun@Maestro.com)
"Poetry in Motion" (1992) von Ron Man: CD-ROM mit 24 Poetry-Performances,
Voyager
"Schwamm"(1988-) von Detlev Fischer (Hypercard- Stack): Detlev Fisher,
15 Central Buildings, Warcrick RA, Coventry, CV36AJ, GB und auf HyperKult-CD-ROM
Storyspace: (1990-) Hypertext-Writing-Environment für Mac (incl.
HTML-Export) und Windows: Eastgate
"The Society of Mind"(1994) von Marvin Minsky: CD- ROM, Voyager
The Sprawl-ChibaMOO (Cyber-Fiction-Welt mit Chiba- Universität).
http://sensemedia.net/sprawl/
Voyager-Company (Expanded Books, CD-ROMS): Fax. 001-212-431-5799; Voyager@applelink.aple.com
Waxweb (interkommunikativer Film / hypernarrativ / kooperativ):
http://bug.village.virginia.edu; MOO: bug.village.virginia.edu
7777
wired (Netzwerk-Magazine): Fax: 001-415-222 6204; subscriptions@wired.com
Anmerkungen
1. Das "Phoenix Project" ist ein Versuch, im Internet
eine digitale Bibliothek einzurichten: An verschiedenen dezentralisierten
Orten in der ganzen Welt sollen Archiv-Center eingerichtet werden, in
denen bosnische und kroatische Menschen die Möglichkeit haben, ihre
Lieblingbücher einzuscannen. In Kooperation mit verschiedenen Bibliotheken
(u.a. der New York Public Library), die slawische Abteilungen pflegen,
und der Brown University (an der viele Pilotprojekte zum elektronischen
Publizieren, zu literarischen Hypertexten etc. laufen) werden die Texte
nach und nach im Netz allgemein zur Verfügung gestellt, während
gleichzeitig - zunächst in Kellerräumen der ausgebrannten Bibliothek
in Sarajewo - für die Bevölkerung von Sarajewo Terminalräume
eingerichtet werden, über die sie Zugriff zu der digitalen Bibliothek
haben. Darüber hinaus funktioniert diese 'digitale Bibliothek' auch
als ein Kommunikationssystem, ähnlich den Wandzeitungen im revolutionären
China ... (Informationen über Ingo Günther: i-gun@Maestro.com
- siehe auch: Ingo Günther (1995), the phoenix project, in: Zeitschrift
MedienKunst e.V. (Hg.),
Nonlocated online > Digitale territories, incorporations
and the matrix, Innsbruck (ISSN 1019-4193), map XIIa - Eine Sondernummer
der Zeitschrift Medien.Kunst.Passagen, die verschiedene Netzwerkprojekte
-als ausklappbare Maps gebunden - vorstellt. Ein Versuch, den Texten auch
im Druckmedium eine karthographische Funktion zukommen zu lassen. Eine
geplante 'extended Version' ist zu suchen unter:
http://www.uni-koeln.de/kr+cf/)
2. Das bewegte Icon in dem Netzwerk- Browser Mosaic
(siehe Anmerkung 14) ist ein Indikator dafür, daß die Online-Verbindung
aufgebaut ist und Daten übertragen werden. Der Benutzer hat in
diesen Momenten - die je nach Leitungskapazität und übertragener
Datenmenge einige Minuten bis zu einigen Stunden dauern können
- endlich wieder Zeit, etwas anderes zu tun (zu Lesen, oder im Hintergrund
Texte zu editieren etc.). (Doch diese kleine Animation ist fast schon
wieder Nostalgie - so zeigt etwa Netscape 1.1 vollends einen Blick von
außen auf den Planeten Erde: die Informationen stürzen als
Sternschnuppen auf die dämmrige Welt. Weh dem,der Metaphern sieht!)
Ich will den Computer wieder ausschalten, da findet sich in der Zwischenablage
noch folgende Kopie aus einer Netzwerksession in der
Mediamatic- online (eine Erklärung dieser Steuerzeichen gibt
die Anmerkung 13) Springen Sie bitte zum Text zurück!
3. Agentur Bilwet (1995), Der Datendandy. Über
Medien, New Age und Technokultur, Mannheim, S.208-211
4. Eine mögliche Auszeichnungsmethode für
Hyperlinks in HTML (siehe Anmerkung 14)- die
rot markierten Absprungmarkierungen sind schon einmal benutzt worden.
5. siehe Anmerkung 48
6. siehe Anmerkung 7, 39
und 49
7. Die aufkommenden technischen Medien beflügelten
die Literatur seit der Jahrhunderwende und führten zu einer Reflektion
medialer Auflösungserscheinungen in der Literatur (Futurismus,
Noveau Roman, James Joyce). "Das Wort Aufschreibesystem [...] kann auch
das Netzwerk von Techniken und Institutionen bezeichnen, die einer gegebenen
Kultur die Entnahme, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben.
[...] Nun sind zwar alle Bibliotheken Aufschreibesysteme, aber nicht
alle Aufschreibesysteme Bücher. [...] Archäologien der Gegenwart
müssen auch Datenspeicherung, -übertragung und-berechnung
in technischen Medien zur Kenntnis nehmen." Kittler, Friedrich (1987),
Aufschreibesysteme 1800/1900, München, S.429
8. Die poetischen Operationen mit denen Ezra Pound,
Stephane Mallarmé, James Joyce u.a. die Verwendung der Sprache
revolutionieren, sind genau dieselben, die die Pioniere einer vernetzten
Ideenproduktion in den sechziger Jahren auf der neuen Wunschmaschine
Computer implementieren: assoziativer Zugriff auf Daten unterschiedlichster
Art, offene Texte, die an jeder Stelle verändert, ergänzt
und mit anderen Textstellen (oder Bildern) verknüpft werden können;
jedes Wort wird zu einem Knoten von Bedeutungen, zu einem möglichen
Absprungort für neue Konstellationen, Anspielungen und Verweise
...
Schreiben (als ecriture im poetischen Sinne, als Tätigkeit, als
Machen, Hervorbringung) geschieht (schon) immer on-line: eingeschaltet
in die Projektions-Apparatur (eines Aufschreibe-Systems), schaltet der
Schreibprozeß ständig hin und her zwischen Senden/Empfangen,
Erinnern/Vergessen, Fortführung/ Bruch ...
9. Michael Heim (Heim, Michael (1987), Electric
Language: A Philosophical Study of Word processing, New Haven) beschreibt
die komplexen Stadien der 'konzeptuellen' und 'psychischen' Netzwerke
des word-processing als Manipulation, Formalisierung und Verknüpfung.
Ein alphabetisches Manual dieses "on-screen- thinking" findet sich in
Idensen, Heiko/Krohn, Matthias (1994), "Bild-Schirm-Denken. Manual für
hypermediale Diskurstechniken", in Norbert Bolz/Friedrich Kittler/Christoph
Tholen (Hg.), Computer als Medium, München, S. 245- 266
10. Schreiben im Netzwerk hat nicht im klassischen
Sinne mit Literatur zu tun - als System Autor-Werk-Bedeutung-Markt -
sondern damit, Neuland im telematischen Raum zu vermessen, Textlandschaften
anzulegen, Schreiben und Lesen als einen nomadischen Akt des Umherschweifens
durch Text-Netzwerke zu begreifen. Die zusätzlichen Dimensionen
des hypertextuellen Zusammenschnitts verschiedener Textpartikel, die
durch permanentes Up- und Downloading zwischen verschiedenen Netzwerk-Knoten
zirkulieren, setzen die geistige Arbeit der Textproduktion als soziales
Netzwerk frei.
11. Zonen bezeichen nicht- hierarchisierte Vernetzungen
im Datenraum, mit Ausstrahlungen in soziale Räume. Hakim Bey sprocht
von der 'temporären autonomen Zone': "Im allgemeinen werden wir
den Ausdruck Spinnengewebe dann gebrauchen, wenn wir uns auf die alternierende
horizontale offene Struktur des Infoaustausches, das nicht-hierarchische
Netzwerk beziehen und uns den Begriff Gegen-Netz für die klandestine
illegale aufrührerische Nutzung des Spinnengewebes, einschließlich
Datenpiraterie und anderer Formen, im Netz selber zu fischen, vorbehalten."
Bey, Hakim (1994), T.A.Z.. Die Temporäre Autonome Zone,
Berlin , übersetzt aus dem Amerikanischen von Jürgen Schneider,
Originaltitel (1991), T.A.Z. The Temporary Autonomous Zone, Ontological
Anarchy, Poetic Terrorism, New York, S.121)
12. Intertextualität war in den politisierten
Literaturdebatten der siebziger Jahre der entscheidende 'Kampf'-Begriff
zur Aufhebung bürgerlicher Autoren-Funktionen zugunsten literarischer
Netzwerk-Modelle. Diese Impulse führten - neben einer explosionsartigen
Ausbreitung intertextueller Schreibweisen - auch zum Paradigmenwechsel
in der Literaturtheorie. Ein ausuferndes 'Lexikon' intertextueller poetischer
Praktiken liefert Genette, Gerard (1993), Palimpseste. Die Literatur
auf zweiter Stufe, Frankfurt/Main, übersetzt aus dem Französischen
von Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Originaltitel (1982), Palimpsestes.
La litterature au second degre, Paris.
13. Deshalb ist die oft vorgenommene Analogisierung
zwischen der klassichen Fußnote und dem link in elektronischen
Texten auch nur bedingt tauglich. Der narrativen Funktion von links
kommt man aber doch auf die Spur, wenn man extreme Gebrauchsweisen von
Fußnoten in literarischen oder theoretischen Texten verfolgt:
Fußnoten weisen über die (auch physische) Abgeschlossenheit
nicht digitaler Texte hinaus. Sie ermöglichen ein Schreiben über
den Rand des jeweiligen Diskurses. Als Absprungstellen für den
Leser fordern sie Interpretation, Kritik, eigene Suchbewegungen heraus
und bewirken einen Perspektivewechsel, der das diskursive und auktoriale
Zentrum des Textes aufsprengt und für Anschlußmöglichkeiten
an andere Texte und Diskurse sorgt. In dem Essay "Living On" (Derrida,
Jacques (1979), "Living On", in: Harold Bloom (Hg.). Deconstruction
and criticism, New York, S.75-176) untersucht Derrida Grenzlinien
in Mairice Blanchots Texten und kommentiert den Prozeß seiner
Gedanken gleichzeitig, indem er eine einzige Fußnote einsetzt,
die unterhalb des gesamten Textes parallel weiterläuft. Als narrative
Stilfigur findet sich die Fußnote extensiv eingesetzt im 10. Kapitel
von Finnegans Wake (Joyce, James (1947), Finnegans Wake,
New York), in dem der Haupttext in der Mitte (Textmaterialien einer
Schulstunde) von Marginalien an den seitlichen Rändern (Bezugsstellen
und Anmerkungen zweier Brüder zum studierten Text) und Fußnoten
(die Beziehungen zwischen den Brüdern und der Schwester herstellen)
umrahmt wird. Der Leser wird hier in einen Dialog zwischen verschiedenen
Texten und Lesarten verwickelt, der Akt des Lesens, das Navigieren im
Text wird konstitutiver Bestandteil des Textkörpers. Weitere Beispiele
finden sich in dem Essay: (1983) "At the Margin of Discourse: Footnotes
in the Fictional Text". Leider ist in keinen mir bekannten Textverarbeitungs-Programm
die Möglichkeit gegeben, in Fußnoten wiederum Fußnoten
einzufügen - und somit eine Mehrfachverschachtelung zu erreichen,
wie sie etwa in Raymond Roussels Texten gegeben ist.
14. Gemeint sind hier vernetzte elektronische Texte.
Die zum Editieren nötigen Hypertext-Programme wurden nach einer
Vorlaufphase in den sechziger Jahren dann in den achtziger Jahren auch
auf PCs verfügbar - eine allgemeine Verbreitung wurde aber durch
unterschiedliche Dokumentstrukturen verhindert. Erst in den neunziger
Jahren bildete sich ein universeller Hypertext-Standard heraus, der
sich wie ein Virus verbreitet: die Hypertext Markup Language (HTML)
- das 'natürliche' Austauschformat elektronischer Texte im Word
Wide Web (WWW). Die offene Struktur, die einfache Bedienung der grafischen
Oberfläche und die Tatsache, daß für alle Rechnerplattformen
Freeware-Browser und Editoren verfügbar sind, führten dazu,
daß die althergebrachten Internet-Dienste (wie FTP, Newsgroups)
inzwischen auch größtenteils in das WWW-Konzept integriert
wurden. Das WWW ist quasi zum Standard des online-Publishing
geworden und trägt mit zum derzeitigen Boom des Internet bei. Seit
der ersten Version des grafischen Browsers Mosaic (Januar 1993)
wuchs die Zahl der Web-Sites von fünfzig auf über eintausendfünfhundert
(Mitte 1994) - mittlerweile sind schätzungsweise vierzigtausend
Web-Sites online. Täglich werden die entsprechenden Browser
von mehreren tausend Usern von den entsprechenden ftp- sites heruntergeladen
(über zehn Millionen allein für Mosaic). Der Netzwerk-Leser
findet im WWW gestaltete Textseiten vor, von denen aus er durch einfaches
Anklicken Navigieren kann. Durch das offene Austauschformat ist jede
weitere Integration anderer Medien (Bild, Ton, MPEG- komprimiertes Video
...) möglich, wenn auch durch die langen Übertragungszeiten
bisher nur begrenzt praktikabel.
Eine genaue Syntaxbeschreibung von HTML findet sich in Klute, Rainer
(1995), Das WWW-Kompendium. Multimedialer Hypertext im Internet,
Bonn, das (schon während der Entstehung - d.h. ca. sechs Monate
vor dem voraussichtlichen Erscheinen des Buches) verfügbar ist
unter: http://www.nads.de/~klute/WWW- Kompendium/Inhalt.html.
Hier bietet der Autor den Lesern seines online-Manuskriptes auch
eine Mitarbeit bei der Entstehung des Buches an: Verbesserungsvorschläge,
Ergänzungen, sowie Bewertungen zu Struktur und Inhalt können
über ein Eingabefeld auf den entsprechenden Seiten (automatisch
per email) direkt an den Autor geschickt werden. Extensive Benutzung
von Annotationsmöglichkeiten finden sich in David Blairs "WaxWeb"
- siehe Anmerkung 21
15. Das Mitschreiben und Abspeichern der Lesewege
durch das Netz ist eine wichtige Aktivität der Informations-Filterung
und Speicherung innerhalb des rhizomatischen Labyrinths im WWW. Das
Navigieren im Netz ist zwar eine oberflächliche Art des Lesens,
des Überfliegens von Informations-Landschaften, die aber ihren
eigenen Reiz hat. Daß diese Suchbewegungen (analog zum Weiterverfolgen
von Referenzen und Spuren in gedruckten Texten) durchaus eine kommunikavite
(oder sogar ästhetische) Funktion erfüllen, zeigt der Erfahrungsbericht
eines Journalisten (Wolf, Gary (1994), "The (Second Phase of the) Revolution
has Begun", in WIRED, Oktober 1994. S.116-121 und S.150-154),
der in einem Artikel über das World Wide Web beschreibt, wie er
bei einer (rein technischen) Informationssuche im Netz durch eine falsche
Adressenangabe sein eigentliches Ziel verfehlt und dann beim assoziativen
Umherschweifen im Umfeld der gesuchten WWW-Site zu einem Hypermedia-Experiment
mit Audio-Unterstützung verführt wird, von dort zu einen "Poetry
Archive" usw. ... . (Wolf 1984:121) Im Unterschied zu den auf den Horizont
des einzelnen Lesers beschränkten Leseerfahrungen der Buchkultur
ist der Austausch der Navigations-Erfahrungen im Netz ein wichtiger
Bestandteil der Netzwerk-Kultur. Die Veröffentlichung von hotlists
ist eine Öffnung des eigenen Lese-Raumes, eine konkrete Weitergabe
von Quellen, Referenzen, interessanten Stellen im Netz, die gleichzeitig
das Profil und die Bezugspunkte der jeweiligen WWW- sites deutlich
machen. Ein hervorragendes Beispiel ist Meyers Hotlist: "http://www.hrz.uni-
kassel.de/fb3/psych/sim/sub/hameyer/boma.html"
16. Ted Nelson prägte in seinen visionären
Entwürfen hypertextueller Kommunikationslandschaften den utopischen
Begriff von elektronischer Literatur als "Dokuverse" :"Literature is
an ongoing system of interconnecting documents."(Nelson, Theodor, Holm
(1981), Literary Machines, Swarthmore :2/9 ff.) und Bolz (Bolz,
Norbert (1993), Am Ende der Gutenberg-Galaxis, München,
S.216 ff.): "Der Abschied von den diskreten, privaten Dokumenten der
Gutenberg-Galaxis ist eben auch ein Abschied von den Ordnungsmustern
Hierarchie, Kategorie und Sequenz. [...] Es gibt gar keine Einzelgegenstände
des Wissens [...] es sind nur Knotenpunkte unzähliger Querverbindungen,
Gatter und Netze."
17. Viele Facetten des (virtuellen) Homes
beleuchtete die Konferenz "Doors of Perception 2. @HOME" vom 4-6 November
1994 in Amsterdam. Eine Dokumentation der Vorträge findet sich
im WWW unter: http://mmwww.xs4all.nl/Doors/Doors.html
oder in der Mediamatic 8 '2/3.
18. Der Ursprung dieser Verräumlichung von
Daten findet sich in der antiken Rhetorik, die als Gedächtniskunst
vielfache Verfahrensweisen und Methoden der Verortung von Wissensbausteinen
entwickelte. Die immer wieder zitierte 'Home-Page' der Mnemotechnik
schildert als Ursprungsmythos drastisch die katastrophische Zerstückelung
von Körpern einer ganzen Tischgesellschaft: der gewerbliche Dichter
Simonides von Keos (556-468 v.u.Z.) rekonstruiert - als einziger Überlebender
- für die Nachkommen die Namen der zu Tode gekommenen über
die Sitzordnung bei Tische. (siehe: Cicero, De Oratore II, 352-58, zit.
n. Cicero (1976), De oratore (Über den Redner), Stuttgart,
übersetzt von Harald Merklin, S. 433 ff)
Zur Art of Memory siehe Yates, Frances A. (1990), Gedächtnis
und Erinnern: Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare, Weinheim,
Originaltitel, (1966), The Art of Memory, London, zur Entwicklung der
Desktop-Metapher Brand, Steward (1990), MEDIA LAB. Computer, Kommunikation
und Neue Medien. Die Erfindung der Zukunft am MIT, Reinbek, aus
dem Amerikanischen übersetzt von Michael Mutz, Originaltitel (1987),
The Media Lab, New York, S.170 ff), Hypertext und Gedächtnis- Metaphern
Idensen, Heiko/Krohn, Matthias (1990b), "Vom Hypertext in der Kunst
zur Kunst des Hypertext", in: Peter A. Gloor/Norbert A.Streitz, Hypertext
und Hypermedia, Berlin, S. 296- 300), Gedächtniskunst als Cyberspace
Bartels, Klaus (1991), Memory im Cyberspace, in: Europäisches
Medienkunst Festival, Osnabrück, S. 216-220.
19. Eco 1977 beschreibt verschiedene 'Kunstwerke
in Bewegung', die über das Ansprechen von Möglichkeitsfeldern
einen aktiven Interpretations- und Rezeptionsprozes herausfordern (Partituren
serieller Musik, informelle Malerei, Visuelle Poesie, Live- Fernsehsendungen,
Querschnittstechniken bei Joyce): "Jedes Ereignis, jedes Wort steht
in einer möglichen Beziehung zu allen anderen, und es hängt
von der semantischen Entscheidung bei einem Wort ab, wie alle übrigen
zu verstehen sind." (Eco, Umberto (1973), Das offene Kunstwerk,
Frankfurt/Main, Originaltitel (1962), übersetzt aus dem Italienischen
von Günter Memmert, Opera aperta, Mailand,S. 39) Die Kunstwerke
werden als Mechanismen aufgefaßt, derer man sich bedienen kann.
20. Joyce, James (1914), Ulysses, Triest,
Zürich, Paris, Übers. (1975), Frankfurt/Main. In einer aus
Copyright-Gründen leider nie veröffentlichten Arbeit hat Klaus
Dufke das dritte Kapitel des Ulysses wieder auf den Stadtplan
von Dublin zurückprojiziert, so daß der Leser vom Plan aus
in die entsprechenden Textstellen springen kann (als Text, teilweise
animiert, und vorgelesen - in verschiedenen Versionen und Übersetzungen)
sowie zu korrespondierenden Bildern - somit können verschiede Erzähl-
und Assoziationsstränge verfolgt werden. (Programmiert mit Hypercard,
lauffähig auf Macintosh, 8 MB - Informatinen über Klaus Duffke
Fax 040-2369297)
21. In Perec, Georges (1982), Das Leben. Gebrauchsanweisung,
Frankfurt/Main, übersetzt aus dem Französischen von Eugen
HelmlÇ, Originaltitel (1978), Paris wird ein weitverzweigter Roman auf
die Zimmer eines Mietshauses verteilt: 99 Kapitel (für alle Zimmer
des Hauses inklusive Kellerräume, Treppenhaus, Eingangshalle, Hausmeisterloge),
die nach Prinzipien von Schachbrettzügen durchquert werden. Aus
den Strukturen des Text- Hauses werden immer wieder konstitutive Elemente
für jedes Kapitel entwickelt, die die Konstellationen der Personen,
das Mobiliar, biographische und geschichtliche Anspielungen, Zitate
und literarische Bezüge miteinander vernetzen. Thematisch steht
eine aberwitzige Geschichte um einen Puzzle-Künstler im Mittelpunkt
der insgesamt wie ein Puzzle ausgelegten Geschichten. Robert Coovers
"Hypertext- Hotel" (in dem verschiedene Hypertext-Experimente der Brown
University zusammenlaufen) arbeitet mit derselben Benutzermetapher:
http://duke.cs.brown.edu:8888/
Diese literarische Spielform könnte gleichzeitig ein Vorbild sein
für die am wenigsten 'literarischen' Spielformen im Netz: die MUDs
(Multi User Dungeons) - gemeinsame Orte/Architekturen mit verschiedenen
Räumen/Zimmern, in denen mehrere Spieler gleichzeitig ineinander
verwobene 'Dialoge' - in einer Art Rollenspiel - führen. Jeder
Benutzer / 'Bewohner' dieser virtuellen Orte kann nicht nur in vorhandenen
Räumen agieren, sondern auch neue Räume konstruieren, sich
Objekte, Themen, Initiativen ausdenken, neue Handlungsstränge,
Ebenen, Gesetzte und Regeln einführen und naürlich selbst
auch in neue 'Rollen' schlüpfen. Neben spielerischen Verarbeitungen
sozialer Rollenkonflikte und möglicherweise auch Entwürfen
für neue soziale Architekturen (die verschiedenen 'virtuellen Städte':
Amsterdam, Berlin (http://www.is.in- berlin.de) ist vor allem die Entwicklung
von Computer-Supported Collaborative Work (CSCW) zukunftsträchtig:
Wissens-Architekturen, Multimedia-Datenbanken, die kooperativ und kollektiv
von mehr oder minder festgelegten oder offenen 'Gruppen' gemeinsam benutzt
werden. So haben sich etwa innerhalb des Waxweb-Projekts von David Blair
(ein 'interkommunikativer' Film, bei dem die Zeitachse zugunsten von
Querverbindungen aufgelöst worden ist, bestehend aus dreitausend
WWW-Seiten, ca. fünfundzwanzigtausend Hyperlinks, fünfundachzig
Minuten komprimiertem Video, fünftausend Standbildern) verschiedene
autonome Arbeitsgruppen etabliert, die unterhalb der vorgegebenen Strukturen
eigene 'Räume'/Foren aufbauen (z.B. eine 'womens's collaborative
hypertext fiction working group' oder Vorbereitungen zu elektronischen
Magazinen und Konferenzen. (bug.village.virginia.edu 7777). Für
Medienforscher ist am MIT der kooperative Konferenz- und Arbeitsraum
MediaMOO verfügbar (purple-crayon.media.mit.edu 8888) Informationen
zu Web-basierten MUDs finden sich unter " http://chiba.picosof.com/about".
William Gibson Fans dürften mit dieser Mischung aus graphischen
WWW-Seiten, auf die jetzt interaktive Eingriffe seitens der Nutzer möglich
sind, gespannt sein. The Sprawl implementiert Cyberspace-Welten
- inklusive dem Entwurf für eine neu Art der virtuellen Universität:
http://sensemedia.net/sprawl/(siehe auch Grassmuck
(1995: 54), der auch eine Sammlung von Links zur Verfügung stellt:
http://ww.race.u-tokyo.ac.jp/RACE/MUD/mud.html.
22. Bei dem gegenwärtigen Internet-Hype brauchen
die lokalen Mailboxen vor Ort (Übersichten finden sich z.B. regelmäßig
in der ct) keinesfalls in Vergessenheit zu geraten. Sie bieten einen
Zugriff auf vielfältige Dienste (email, News) - teilweise finden
sich hier auch aus dem Internet 'gefischte' Daten gut aufbereitet und
gefiltert. Auch WWW-Zugriffe sind in vielen Fällen geplant. Wer
noch keinen 'direkten Draht' zum Internet hat, braucht keineswegs zu
verzweifeln: Web-Dokumente können auch über email empfangen
werden (Informationen darüber erhält man, wenn man eine email
zu "listserv@info.cern.ch "sendet, mit www als (einzigen) Text). Bei
dieser indirekten Informationsaufnahmen aus dem WWW entfällt natürlich
das reizvolle direkte Navigieren - aber für den Empfang bestimmter
ausgewählter Dokumente ist es durchaus geeignet.
23. Die sozialen und gesellschaftlichen Vernetztungsprozesse,
die etwa durch den Buchdruck in Gang kommen, werden in Eisenstein (1983)
und Giesecke (1991) anschaulich und mit einer Fülle von Beispielen
aufgezeigt. Daß in historischen Umbruchsitutionen des Medienwechsels
- etwa von der oralen Kultur zur Druckkultur bzw. in der jetzigen Übergangsphase
zu digitalen Medienwelten - sich die Befürchtungen, Ängste
und Einwände gegenüber den - jeweils - neuen Medien ähneln
zeigt Ong, Walter J.(1987), Oralität und Literalität. Die
Technologisierung des Wortes, Opladen, übersetzt aus dem Amerikanischen
von Wolfgang Schömel, Originaltitel (1982), Orality and Literacy.
The Technoligizing of the Word, London auf: Veräußerlichung,
Entsinnlichung. Desubjektivierung bzw. Abwesenheit des Sprechers/Autors,
unkontrollierte Kopierbarkeit ohne Authentizitätsgarantie sind
etwa Vorwürfe, die zunächst gegen die Hand- Schrift, dann
gegen den Buchdruck, jetzt gegen digitale Texte erhoben werden. Zur
Versachlichung der Kontroverse um Heil und Segen neuer digitaler Publikationsformen
trägt Barlows glänzende Beschreibung und Problematisierung
digitaler Informations-Umwelten bei. (Barlow, John Perry (1994), Wein
ohne Flaschen. Globale Computernetze, Ideen-Ökonomie und Urheberrecht,
in: Lettre International, Heft 26 III/94, S.57-64) (Vgl. Anmerkung
40,41 und 43)
24. Ein Ausschnitt aus dem antiken Druck zum Wissensbaum
findet sich in der Imaginären Bibliothek (siehe Anmerkung
49), eine Transkription des Schematas in d'Alembert,
Jean Le Rond (1989), Einleitung zur 'Enzyklopädie', Frankfurt/Main,
aus dem Französischen übersetzt von Annemarie Heins, Revision
Günther Mensching, S. 28-29).
25. Das Pariser Parlament bezieht sich in seinem
Verbot der Enzyklopädie 1759 explizit auf die subversive Funktion
der Querverweise ("[...] das ganze in diesem Wörterbuch verstreute
Gift findet sich in den Verweisen."). Mit Verweisen von einem Band zu
einem (erst später erscheinenden) anderen wurde die Zensur geschickt
umgangen, etwa im berühmt gewordenen Verweis von 'Menschenfresser'
(Anthropophages) im ersten Band auf die Begriffe 'Kommunion' und 'Eucharistie'
oder vom orthodox gehaltenen Artikel 'Jesus Christus ' auf den eher
ketzerischen Eintrag unter 'Eklektizismus ' (s.a. d'Alembert/Diderot
1989:20 ff.)
26. Von den insgesamt fünfunddreißig
Bänden sind allein zwölf Bände den Tafeln und Abbildungen
gewidmet, zwei Registerbände verzeichnen Schlagworte, Wissensgebiete
und Stichworte. Auch die Zeichnungen und Tafeln sind in das komplexe
Verweissystem einbezogen, indem sie einerseits bestimmte Zusammenhänge
und Mechanismen darstellen, Details am Rande erklären - und gleichzeitig
Verweise auf übergreifende Artikel enthalten, die diese Einzelfunktionen
wiederum in einen größeren Zusammenhang stellen. Die enzyklopädische
Montage zeigt Querschnitte durch Maschinen und Arbeitsvorgänge,
breitet die einzenen Objekte vor dem Leser so aus, daß dieser
diese wieder zum eigenen Gebrauch zusammensetzen kann. Als großangelegtes
erstes kapitalistisches Buchprojekt (die Geschichte dieses Projekts
wird ausführlich und spannend erzählt in Darnton, Robert (1993),
Glänzende Geschäfte. Die Verbreitung von Diderots Encyclopedie.
Oder: Wie verkauft man Wissen mit Gewinn?, Berlin, übersetzt
aus dem Englischen und Französischen von Hort Günther, Originaltitel
(1979), The Business of Enlightment. A Publishing History of the EncyclopÇdie
1775-1800, Cambridge) beinhaltet sie gleichzeitig Gebrauchsanweisungen
zur Buch- Herstellung (von der Papierproduktion über das Setzen
bis zum Druck): "In jedem dicken Buch steckt ein dünnes, das heraus
will."(ebd.:9) Der Gebrauch der Enzyklopädie ist also der eines
aktiven, operationellen "Nachschlagens" - zur fortlaufenden Lektüre
nicht geeignet.
27. http://jg.cso.uiuc.edu/welcome.html.
Bis jetzt sind hier über zweihundertundfünfzig Titel verfügbar
- in einer anderen Liste ( http://www.cs.cmu.edu/Web/books.html),
die auch digitale Texte aus anderen Projekten verzeichnet, sind über
sechshundert Titel aufgeführt - neben den Klassikern etwa auch
James Joyce, Ludwig Wittgenstein und viele Texte aus dem Bereich Computer/Netzwerke
- teilweise mit Illustrationen - viele Texte liegen auch direkt im HTML-
Hypertext-Format vor.
Auch CD-ROM 'Auskopplungen' dieses immensen online-Bücherbestandes
(z.B. "Desktop BookShop") sind verfügbar.
28. Dabei stellt sich nicht nur das Problem, daß
es sich hierbei ausnahmslos um englische Texte handelt, sondern die
Zitierfähigkeit dieser aufgefundenen Textstellen leidet auch darunter,
daß die gebräuchlichen Angaben (etwa die exakte Seitenzahl
in dem entsprechenden Werk) aus dem elektronischen 'Scroll-Text' nicht
mehr ermittelt werden können. Siehe Anmerkung 43
29. In der Gebrauchsanweisung heißt es: "Dieses
kleine Werk [...] das jedermann erlaubt, nach Belieben hunderttausend
Milliarden Sonette zu bilden [...], ist alles in allem so etwas wie
eine Maschine zur Herstellung von Gedichten. [...] Mit jedem Vers (zehn
an der Zahl) kann man zehn verschiedene Verse in Übereinstimmung
bringen; es gibt also hundert verschiedene Kombinationen der beiden
Verse.; wenn man einen dritten hinzufügt, wird es tausend geben,
und für die zehn vollständigen Sonette aus vierzehn Versen
hat man also das oben genannte Ergebnis. [...] Wie LautrÇamont so schön
gesagt hat, die Poesie soll von allen gemacht werden, nicht von einem."
(Queneau, Raymond (1984), Hundertausend Milliarden Gedichte,
Frankfurt/Main, aus dem Französischen übertragen von Ludwig
Harig, Originaltitel (1961), Paris, o.S. aus gegebenem Anlaß!)
30. Die Expanded Books sind speziell für
Macintosh-Powerbooks entwickelt (640x400, S/W Grafiken, 4 MB) - ein
portables Environment, das ein komfortables Lesen digitaler Texte in
unterschiedlichen Umgebungen ermöglichen soll.
Der Bildschirm funktioniert als Buch:
-Markieren von Textpassagen per Schriftschnitt oder Anstreichung am
Rand
-Markierungen über 'Eselsohren' (mit Kommentar) und vier 'Büroklammern'
-Anmerkungen in kleinerer Schrift im Randbereich
Darüber hinaus ist eine einfache Suchfunktion eingebaut, die sich
auch zum Erstellen eigener Index-Verzeichnisse verwenden läßt:
-durch Anklicken eines Wortes wird eine komplexe Suchfunktion ausgelöst
(Anzeige des gefundenen Wortes in Extra-Fenster, ggf. im Kontext, abspeicherbar)
-Übernahmen von Textteilen in ein Notizbuch für komplexere
Anmerkungen, die (samt Zitat mit automatischer Stellenangabe) exportierbar
sind.
Nachdem die kalifornische Voyager Company schon eine Unzahl dieser elektronischer
Bücher (hauptsächlich 'klassische' Literatur und Bestseller)
für den amerikanischen Markt publiziert hat, ist jetzt die Programmoberfläche,
mit der diese elektronischen Bücher produziert worden sind, verfügbar:
das Expanded Book Toolkit. Das Umsetzten von Fließtext
in das Expanded Book-Format geschieht über eine einfache
Import-Funktion. Die oben beschriebenen Standard-Funktionen sind
dann sofort verfügbar. Editiert werden müssen dann nur noch
die gewünschten Querverbindungen (Links), etwa von Inhaltsverzeichnissen
auf die entsprechenden Seiten oder Verschlagwortungen nach Registerverzeichnissen.
Da das Toolkit auf 'Hypercard' aufsetzt, sind auch leicht Anpassungen
an spezielle Umgebungen möglich.
Voyager hat inzwischen auch einige multimediale CD- ROMs mit diesem
Toolkit produziert, die zu den interessantesten Produktionen (im Bereich
Literatur, Kunst, Wissensvermittlung) gehören: "Poetry in Motion"
Lesungen/Performances und Interviews amerikanischer Dichter - u.a. Bukowski,
Burroughs, Cage, Ginsberg - zu denen parallel die jeweiligen Textstellen
auf dem Bildschirm erscheinen. Das Anklicken einer bestimmten Textstelle
läßt die Lesung sofort zu eben dieser Stelle springen. Vgl
auch Marvin Minskys "The Society of Mind": die vernetzte Struktur von
dreihundertundacht Wissenspartikeln wird hier dem Leser zur assoziativen
Verknüpfung dargeboten - unterstützt durch teils animierte
Grafiken und digitale Videosequenzen.
Der Testlauf der bisher einzigen deutschen Veröffentlichung (Bukowskis
"Kaputt in Hollywood" vom Maro-Verlag) wurde wegen mangelnder Resonanz
leider eingestellt.
31. Sie stellen somit ein hervorragendes Distributions-Medium
für linear aufbereitete elektronische Dokumente dar, mit umfangreichen
tools für die Autoren, die allerdings für die 'elektronischen
Leser' nicht mehr verfügbar sind - es können z.B. keine Querverweise
mehr eingebaut werden, die Leseaktivitäten beschränken sich
auf Such-Operationen.
32. "Der Leser wird gebeten, diese Seiten wie ein
Kartenspiel zu mischen. Abheben darf er, falls er es wünscht, mit
der linken Hand, wie bei einer Kartenschlägerin. Die Reihenfolge,
in der die Blätter liegen, entscheidet über das Los des Mannes
X. [...] Von der Verkettung der Umstände hängt es ab, ob das
Geschehen gut oder schlecht endet. Ein Leben setzt sich aus vielerlei
Teilen zusammen. Aber die Zahl der möglichen Zusammensetzungen
-compositions- ist unendlich."
(Grimm, Reinhold (1965), Marc Saporta oder der Roman als Kartenspiel,
in : Sprache im technischen Zeitalter 14 / 1965, S. 1172-1184;
hier S. 1173)
33. Schwamm ist mit dem Programm "Hypercard" in
den Jahren 1988-91 (teilweise in Kooperation mit Freunden, Mitbewohnern,
Bekannten) von Detlev Fischer als ein komplexes Text-Bild- Netzwerk
angelegt worden. Der Autor versendet den jeweils neusten Stand des Projektes
gegen Einsendung von 4 HD-Disketten und Rückporto: Detlev Fisher,
15 Central Buildings, Warcrick RA, Coventry, CV36AJ, GB)
"Hypercard" (für Macintosh und das Pendant "Toolbook" für
Windows) ist der 'Klassiker' unter den Hypertext-Programmen mit folgenden
Merkmalen:
Objektorientierte Oberfläche, auf der sich komfortabel und einfach
Felder, Buttons, Grafiken etc. erstellen lassen; Karten- und Datei (Rollfenster)-Metapher
für Textdarstellung; Umfangreiche Navigationswerkzeuge; eine Scriptsprache
im Hintergrund sorgt für Erweiterbarkeit, gestaltbares Interface
(bis auf Betriebssystem-Ebene) komplexe Vernetzungen; durch konsequent
visuelles Interface-Design geeignet als Oberfläche zur Steuerung
hypermedialer Anwendungen (Ton und Bewegtbild-Einbindungen über
Quicktime / Video für Windows).
Neben Beispielanwendungen, die beiden Programmen beiliegen, sind für
die verschiedensten Bereiche Public-Domain-Anwendungen verfügbar:
Bibliographie- Datenbanken, Text-Generatoren ("Story Producer", "Fiction
Writers Guidelines", "HyperDraft" ...), Index-Generatoren, Zitatensammlungen
... (12-49 $ bei HEIZER Software, 1941 Oak Park Blvd. Suite 30, P.O.Box
232019, Pleasant Hill, CA 94 523, USA)
Eine der interessantesten mit "Hypercard" erstellten Veröffentlichungen
ist"Beyond Cyberpunk. A do-It-Yourself Guide to the Future" (lauffähig
auf jedem Mac, 5 Disketten zu beziehen über Eastgate oder von den
Autoren: The Computer Lab, Rt. 4 Box 54C, Louisa, VA 23093, USA für
$ 35,-): Auf mehreren Text- und Bild-Fenstern können Manifeste,
Zeitschriften, Romane, Theorien, Standbilder aus Filmen - mit kleinsten
Sound- Beispielen untermalt - zur Computer- und Cyber- Kultur abgerufen
werden. Durch eine Vielzahl von Verweisen entsteht in Anlehnung an die
zitierten Texte, Comiks, Musiken und Filme ein sehr lebendiges Bild
der 'Computer-Underground'-Kultur.
34. "In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest,
ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei
lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser
reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht
sonst nicht hätte schauen können."
(Proust, Marcel (1957),Auf der Suche nach der verlorenen Zeit,
Band I-XIII, Frankfurt/Main , übersetzt aus dem Französischen
von Eva Rechel-Mertens, Originaltitel (1920), A la recherche du temps
perdu, Paris; hier: XIII: 329) siehe Anmerkung 12
und 13
35. Siehe Anmerkung 16
36. A.- Auf Knopfdruck beginnt die Maschine mit
dem 73. Kapitel (es öffnet sich Schublade 73); wenn man diese schließt,
öffnet sich Nr.1, und so fort. [...]
D.- Knopf, der zur Lektüre des Ersten Buches bestimmt ist, das
heißt fortlaufend vom 1. bis zum 56. Kapitel. Schließt man
die Schublade Nr.1 öffnet sich die Schublade Nr. 2, und so fort.
E.- Knopf, um die Maschine abzuschalten, sobald man den Endzyklus erreicht
hat: 58-131-58-131-58 usw.
F.- Bei dem Modell mit Bett öffnet dieser Knopf den unteren Teil
und das Bett steht bereit. [...]
In einer zusätzlichen Anleitung wird Knopf G erwähnt, den
der Leser im äußersten Fall drücken soll, und der dazu
dient, den ganzen Apparat in die Luft zu sprengen.
(CortÖzar, Rayuela (1979) Von einer anderen "Machine celibataire", in:
Reise um den Tag in 80 Welten, Frankfurt / Main 1979, S. 95-106,
übersetzt aus dem Spanischen von Rudolf Wittkopf, Originaltitel:
La vuelta al dia en ochenta mundos, Buenos Aires, 1979; hier: S. 104
ff)
37. "The Telephone Book is going to resist you.
Because it operates with the logic and theme of the switchboard, it
sets the destabilization of the receiver in motion. Your mission [...]
is to learn how to read with your ears. [...] At first you may find
the way the book runs to be disturbing, but we have had to break up
its typographical logic. Like an electrical impulse, it is flooded with
signals. To break through the hermetic sovereignty of the book, we have
simulated silence and false connections, suspending the soothing rhythm
of paragraphs and conventional divisions.[...] You will become sensitive
to the switching on and off of interjected voices, various calls. [...]
Answer as you would to the telephone, for the call of the telephone
is incessant [...] when you hang up, it does not vanish but waits in
the background. There is no switch to the technological.
(Avital Ronell, The Telephone Book, A User's Manual)
38. Es piept lang anhaltend. Die Verbindung steht.
Folgende Eingaben flitzen in Realtime über den Bildschirm, so daß
kaum Zeit zum Lesen bleibt:
"Geschwindigkeit für mich ist unumgänglich - email ist schnell
und der Alltag hier ist schnell, die Tage verändern sich Tag für
Tag -, da ich stets vor den offiziellen Worldnews liegen will. Indem
ich euch da draußen darauf vorbereite, daß in nächster
Zukunft etwas passiert, mache ich euch etwas unabhängiger vom Fernsehen
oder den Zeitungen. ( :- " (WAM, 18.7. 1992)
Wer mitschreiben möchte, sendet Beiträge in das Brett /T-NETZ/TAGEBUCH.
Wie? In die Betreffzeile zu dem Text und an den Anfang jedes Tagebuchtextes
bitte Namen, Ort und (Abfassungs)- Datum schreiben.
Um weder Leser noch Schreiber zu überfordern, sollte man einen
Umfang von etwa ein oder zwei Bildschirmseiten pro Woche als Richtmaß
ins Auge fassen. Wichtiger als Länge ist Kontinuität. Viel
Spaß beim Tagewerken. (Peter Glaser, 11.1.1993 20:53:33, der die
Übersetzungen und die Koordination des Projekts übernommen
hat. (p.glaser@bionic.zer.de) Das Brett T-Netz / Tagebuch ist in vielen
Netzen zu finden, so auch in der //BIONIC - Mailbox (Bielefeld): 0521/68000)
39. Einen wunderbaren Überblick über Netzwerk-Aktivitäten
bietet Volker Grassmuck, der auch - in Absetzung von der Gutenberg-Galaxis
- gleich ein neues Paradigma für das neue Zeitalter parat hat -
"Die Turing-Galaxis", die zunächst noch mit den Benutzermetaphern
der Gutenberg-Galaxis arbeitet: "Der Computer tut so, als sei er Schreibmaschine,
Gedrucktes und Bibliothek. [...] Bibliothekare gehörten zu den
ersten, die die neue Galaxis erschlossen und besiedelt haben. Mehr als
tausend Bibliothekskataloge sind heute online, über siebenhundert
digitale Zeitschriften, Hunderte von Volltextbüchern [...] Wir
beobachten heute einerseits, daß traditionelle Bibliotheken [...]
sich auf Volldigitalisierung und Vernetzung zuentwickeln. Andererseits
hat sich in der bislang wenig bibliophilen Matrix eine Hypertextoberfläche
herausgebildet, die die Millionen angeschlossenener Rechner effektiv
zu einer Gesamtbibliothek mit Fernleihe auf Tastendruck machen."(Grassmuck,
Volker R. (1995), Die Turing Galaxis. Das Universal-Medium auf dem Weg
zur Weltsimulation, in: Lettre International, Heft 28, I/95,
S. 48-55; hier: S. 51)
40. Auch die Leser des gedruckten Textes sollen
(im Ansatz) zumindest ein wenig die Bewegungen und Operationsweisen
nachvollziehen können, die als Merkmale hypertextueller Schreibweisen
beschrieben werden. Weitere Text- Transformationen im Kontext des Projekts
PooL- Processing (Heiko Idensen/Matthias Krohn - Hyper- Media-Projekte
seit 1987 - eine kurze Zusammenfassung zum Ansatz von PooL-Processing
findet sich in Seyfarth 1995), die diese Leserbeteiligung auf verschiedenen
Ebenen zu provozieren versuchen:
Eine Navigation durch die PooL-Datenbank zur Ars Elektronica 1989 (Idensen,
Heiko/Krohn, Matthias (1990a), "Connect it! Eine Navigation durch die
PooL-Datenbank zur Ars Electronica 1989", in: Ars Electronica (Hg.),
Im Netz der Systeme, Berlin, S. 123-140) ist der Versuch, das
Symposion "Im Netz der Systeme" in den Kontext anderer Materialien des
Medienkunstfestivals zu stellen: Beschreibungen, Entwendungen, Pastiches
von Installationen, Katalog- und Archiv-Texte mischen sich mit Passagen
aus den Vorträgen (Paul Virilio, der kurzfristig abgesagt hatte,
wird über Zitate aus seinen Veröffentlichungen wieder eingeschleust).
Die (übertrieben) utopischen Forderungen damaliger Medientheoretiker
werden in einem post-futuristischen "Manifest für virtuelle Produktionen"
persifliert: "Die Losung heißt nicht mehr, 'Der Autor muß
Agent der Massen sein!', sondern 'Aus Konsumgütern PRODUKTIONSMITTEL
machen!'; nicht mehr 'Alle Macht der Phantasie!', sondern 'Aus Projektionen
Projektile machen!' [...] Das Plagiat it notwendig! Wir alle sind Hacker,
Cyber-Punker, Kopisten, Simulanten, Neuromancer, Enzyklopädisten,
Kombinatoriker, Wunschmaschinen, Warhols, Ecos, Weibels, Sonys [...]
Freien Zugang zu allen Terminals, Datenbanken und Archiven! [...] 'BEAM
ME UP, SCOTTY!' " (ebd.: 139)
In "Bild-Schirm-Denken" (Idensen, Heiko/Krohn, Matthias (1994), "Bild-Schirm-Denken.
Manual für hypermediale Diskurstechniken", in Norbert Bolz/Friedrich
Kittler/Christoph Tholen (Hg.), Computer als Medium, München,
S. 245- 266) wird ein alphabetisch organisiertes Manual vorgelegt, das
aus kleinsten Operationen/Handlungen zusammengesetzt ist. Durch "Hin-
und Herschicken, Aussieben, Umschreiben, Löschen, Kopieren" (ebd.:246)
kleinster Theorie-Momente hat sich diese Textur herausgebildet, die
mit zahlreichen Querverweisen durchsetzt ist, um den Leser zum Navigieren
durch den Text anzuregen:. "Das vorliegende Glossar soll zu einem enzyklopädischen
Gebrauch anregen: Nachschlagen, Querverweisen folgen, Querlesen und
- denken. (ebd.:245)
Der Text "Zur Natur digitaler Medienwelten" (Idensen, Heiko (1994),
"Hypermedia- Kulturtechniken: Zur Natur digitaler Medienwelten", in:
Jan Berg/Kay Hoffmann (Hg.), Natur und ihre filmische Auflösung,
Marburg, S.S.21-52) wird vor dem Auge des Lesers auf einen Computer-
Bildschirm projiziert (als Animation, Bildschirm- Schoner, durchsetzt
von Systemmeldungen und entsprechenen Eingaben als Regieanweisungen).
Die Entstehung von Texten aus Datenbanken und Versatzstücken aus
Netzwerken mit Hilfe eines intelligenten Screen-Writers wird simuliert:
Die Entstehung des Textes beim Klicken. (zu online-Aktivitäten
siehe Anmerkung 49).
41. So lamentiert Bolter in seinem Buch "Writing
Space" (Bolter, Jay David (1991), Writing Space. The Computer,
Hypertext, and the History of Writing, Hillsdale), daß der
lineare Drucktext das Heraufkommen des elektronischen Buches nur annäherungsweise
beschreiben kann, weil der vielfach verzweigten Struktur des elektronischen
Text-Netzwerks die lineare Organisationsweise der Druckkultur mit ihren
Unterordnungen und Übergängen gegenübersteht. Am schwersten
sei ihm dabei der Rückfall vom vielstimmigen Hypertext in die monotone
auktoriale Stimme einer einzigen (Autor-) Instanz gefallen. (ebd.:IX)
42. Dieses (vermeintliche) Ende wird in der Nachfolge
McLuhans (Mc Luhan, Marshal (1968), Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende
des Buchzeitalters, Düsseldorf und Wien, übersetzt aus
dem Amerikanischen von Dr. Max Nänny, Originaltitel (1962), The
Gutenberg Galaxy, Toronto) von der aktuellen Medientheorie besungen
und teilweise auch durch die Entwicklung neuer Diskursformen entsprechend
in Szene gesetzt. (Lyotard 1982, Baudrillard 1982, Kittler 1993, Bolz
1993, Flusser 1987, Rötzer 1991 und 1993, Virilio 1993) - Solche
"leeren Verweise" sind in digitalen Texten nicht üblich. Während
die Verfasser (gedruckter) Texte sich durch eine Überfülle
von Verweisen auf 'anerkannte' Diskurse selbst einen Autoritätszuwachs
erhoffen - dieser 'hermeneutische Zirkel' schließt natürlich
auch den Leser mit ein, der die geläufigen 'Stellen' zu kennen
hat -, verzweigen digitale Texte tatsächlich zu den entsprechenden
'Stellen'. Eine solche radikaldemokratische Zugriffsweise auf die neuen
Wissensformationen läßt die telematischen Kulturen auch im
Lichte utopischer Gesellschaftsentwürfe erscheinen. (S.a. Idensen,
Heiko (1993), "Hypertext als Utopie", in: nfd (Zeitschrift für
Informationswissenschaft und -praxis), 1-93, S. 37-42).
43. So zeigt dann auch ein Vergleich der Rezeption
des gedruckten Textes einerseits und der Hypertext-Version von "Writing
Space" (Bolter 1991) andererseits, daß zwischen der emphatischen
Hypertext-Theorie und der praktischen Umsetzung durchaus noch eine große
Kluft liegt. Das einfache (mediale) Umsetzen (Digitalisieren) von gedruckten
Texten in eine digitale Form ist erst der Anfang - das Umsetzen poetischer
und textueller Strategien in eine interaktive digitale Dramaturgie -
die dann auch dem Leser außer Klicken und Scrollen entscheidende
Aktivitäten ermöglichen - ist die eigentliche Herausforderung.
S.a. Riehm, U.; Böhle, K.; Wingert, B.(1992b), Bücher über
Hypertext und Hypertexte der Bücher. Erfahrungen aus einer Evaluation,
Karlsruhe
44. Dem Wechsel von der oralen zur Druckkultur (siehe
Ong 1987) steht jetzt ein nicht minder radikaler Übergang zu einer
digitalen Netzwerk-Kultur gegenüber - siehe auch Flusser (1985),
Rheingold (1991), Heim (1993). Vgl Anmerkung 6 und 22.
45. Gregory Ulmer (1989) umschreibt solche Diskursexperimente
ironisch als eine Fortsetzung der dekonstruktivistischen Diskurstheorien
mit medialen Mitteln und verbindet in "Teletheory" Technikkultur,
Wissenschaft, Populärkultur und Alltagsleben. Als Antwort auf die
Reduktionen (Postmans und anderer) der Neuen Medien auf die Bild-Aspekte
(des Fernsehens) sucht er nach einer neuen Praxis "elektronischen Denkens":
"I would like us to participate in the invention of a style of thought
as powerful and productive as was the invention of conceptual thinking
that grew out of the alphabetic apparatus. I want to learn how to write
and think electronically - in a way that supplements without replacing
analytical reason" (ix)
46. siehe Anmerkung 40
47. Programmoberfläche: Storyspace. Im Gegensatz
zu gängigen Textverarbeitungs-, Desktop-Publishing- oder auch präsentationsorientierten
Hypertext-Programmen liegt der Schwerpunkt von Storyspace darin, spontane
Schreib-Prozesse zu unterstützen und Strukturen für das Zusammenspiel
und die Verknüpfung von Ideen zur Verfügung zu stellen. Erreicht
wird diese Funktionalität durch eine Verräumlichung des Schreibaktes:
Die kleinsten Schreibeinheiten (Writing- Spaces) werden als Boxen
visualisiert, zwischen denen Querverbindungen durch (benennbare) Pfeile
hergestellt werden können. Schreiben und Lesen wird zu einem Akt
dynamischer Vernetzung von Ideenfragmenten, zu einem grafischen Mapping
von Gedankenbildern. Zur elektronischen Weitergabe der Dokumente liegen
eine Vielzahl unterschiedlicher Reader vor, die als selbständige
Programme ablaufen. Mac und Windows-Versionen sind datenkompatibel (Quicktime-Einbindung
und HTML-Export - zum Aufbau von Hypertext-Dokumenten im WWW- bisher
nur in der Mac-Version).
Informationen zum Programm und zu Hypertext- Projekten über: http://northshore.shore.net/~eastgate/
48. siehe Anmerkung 5
49. Eine Möglichkeit, aus diesem gedruckten
Text heraus woandershin zu kommen, liegt darin, den Computer anzuschalten
und einen WWW- Browser zu starten. Eine Home-Seite mit interessanten
Reisezielen (Verzeichnissen von Verzeichnissen, Verzeichnissen von online-
Books und Magazinen, Kunst- und Literaturprojekten, sozialen Topographien
...) kann angefordert werden bei h.idensen@bionic.zer.de - oder ist
unter: "a.a.0." einzusehen in der Imaginären Bibliothek: http://www.uni- hildesheim.de/ami/pool/home.html.
Hier finden sich auch Umsetzungen einiger literarischer Hypertext-Experimente,
sowie einige elektronische Essays von PooL-Processing. Im Kontext der
jährlichen Tagungen "HyperCult" an der Universität Lüneburg
erscheint eine Hypertext-CD-ROM, die die meisten der hier angesprochen
Hypertexte enthält. (Information: Martin Schreiber: 04131-714472)