Fluchtlinie
Zur Geschichte deutschsprachiger
Hyperfictions
von Beat
Suter
Das allmähliche Auftauchen der
hybriden Ausdrucksform der Hyperfictions Mitte der neunziger Jahre
im deutschen Sprachraum signalisiert die Geburt eines neuen Genres,
das anders als die amerikanischen Hyperfictions von Michael
Joyce, Stuart
Moulthrop, Shelley
Jackson u.a. ein paar Jahre
zuvor, die in proprietären Programmen geschrieben wurden
eng mit der Entwicklung und Ausbreitung des Internets verbunden ist.
Mit dem World Wide Web war ein Vehikel entstanden, das in seiner Anlage
die Tendenz des Computers zur Amalgamierung verschiedenster ästhetischer
Ausdrucksformen verkörperte und u.a. auch virtuelle Narrationsräume
eröffnete, neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens
in völlig andersartiger Umgebung, als in der bisherigen Menschheitsgeschichte
das Erzählen stattgefunden hatte.
Junge Künstler und Literaten gehörten
zu den ersten, die dies realisierten, die sich mit dem neuen Medium
gründlich auseinandersetzten und die Möglichkeiten der neuen
Technologie auszutesten begannen. Dabei ging es den Autorinnen und
Autoren nicht nur um eine günstige Gelegenheit zur schnellen
weltweiten Verbreitung eigener Texte, sondern um die Möglichkeit,
mit andersartigen narrativen Formen zu experimentieren und die besonderen
Kommunikations- und Interaktionsformen des Internet in literarische
Strukturen einzubinden bzw. vice versa diese in jene.
Die Netzliteraten sind in ihrem Bestreben
hartnäckig und innovativ, in wenigen Jahren schufen sie sich
gut funktionierende eigene Gefäße und entwickelten ihre
Projekte oft auch kooperativ in der Online-Gemeinschaft weiter. Doch
trotz den primären Quellen, die dem Beobachter so zur Verfügung
stehen, ist es ein schwieriges Unterfangen, die Fluchtlinie ihrer
Bewegung zu fassen und in eine annähernd neutrale Geschichte
der Frühphase dieses neuen Genres der Cyber-, Hyper- und Webfictions
fließen zu lassen. Denn die Transfugalität des neuen Phänomens
macht sich unweigerlich bemerkbar, die Bewegung kann nur mit Mühe
dokumentiert werden, sie ist in ständiger Veränderung, ihre
Daten verflüchtigen sich im Netz oft schneller als erwünscht;
manchmal für immer wie beim Projekt Interstory(1)
von Doris Köhler und Rolf Krause, das aus Versehen bei einem
Systemwechsel an der Uni Hamburg gelöscht wurde, manchmal temporär,
aber effektiv wie Guido Grigats Webring
bla(2) sowie sein
prämiertes Projekt 23:40(3),
zwei aktuelle Projekte, die dank eines Streits mit dem Provider vorläufig
ihren Platz im Web räumen mussten und bereits nach zwei Wochen
ihre umfassende Verlinkung in der Szene gefährdet sehen.
Die Flüchtigkeit des Mediums Internet
zieht unweigerlich die Frage nach der Relevanz der Funde mit sich.
Wer die Fluchtlinie einer solchen Bewegung nachzuzeichnen sucht, stützt
sich lediglich auf einen Ausschnitt des potentiell Erfassbaren, er
stützt sich auf die im Netz und allenfalls in persönlichen
Gesprächen gefundenen Spuren. Insbesondere aber die Spuren der
ersten hyperliterarischen Versuche in deutscher Sprache haben sich
praktisch vollständig verflüchtigt. Einige dieser frühen
literarischen Hypertexte, die längst vom Netz verschwunden waren,
sind so nebenbei auf CD-ROMs
von Festivals(4) gespeichert
und so in die Gegenwart hinübergerettet worden. Die Spuren, die
sich derart erschliessen liessen, können aber die Fluchtlinie
der Bewegung mit Bestimmtheit nicht lückenlos abdecken. Einige
der frühen Spuren haben sich in den Weiten des Cyberspace und
den Engen der Datenträger (bzw. der häufigen Ablösung
von neuen Trägern) verloren; vielleicht dass die Spurenleger
ihre alten Fährten noch einmal neu auslegen, damit wir auch diesen
nachgehen können.
Die Anfänge eines neuen Genres
Die ersten Hyperfiction-Versuche im
deutschen Sprachraum waren vor allem kooperativer Art. In verschiedenen
universitären Rechenzentren entstanden unter dem Einfluss von
Multi User Dungeons (MUDs) und Adventure Stories
aus dem englischen Sprachraum sogenannte Mitschreibeprojekte, die
zumeist englisch abgefasst waren: z. B. die Versuche der Telematic
Workgroup an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg,
unter anderem Catherine de Courtens KaspaH´s Home(5)
(1994), ein Schreibprojekt über eine Persönlichkeit, die
ihr ganzes Leben im Netzwerk verbringt. Im Brief "Through the Worlds
in 8 Bits" stellt sich KaspaH selbst als eine Person vor, die im Cyberspace
lebt und keine Erinnerungen ans eigene Leben hat:
"Hi, I'm KaspaH!
I don't know you and I don't know where I am. Actually I was found
somewhere inside this world of bits. As my past is uncertain, I don't
know much about myself and about life. What's the meaning of it all
and what am I doing - I'm pretty curious!"(6)
Mit 40 E-Mails in die Welt hinaus an
unbekannte Adressaten startet KaspaH darauf Konversationen mit Menschen.
Von den 40 Angeschriebenen antworteten fünf einmal oder mehrere
Male, es entspannen sich Gespräche, durch die sich allmählich
auch die Persönlichkeit von KaspaH zu entwickeln begann. Basierend
auf den Gesprächserfahrungen versucht sich KaspaH danach jedesmal
wieder selbstreflektierend zu beschreiben, indem er die Geschichten
der Kommunikationspartner auswertet und entdeckt dabei stets neue
Seiten an sich selbst.
"tsmith@ war ein frühes
Gegenüber. Er hat mir von Flaschenpost erzählt, die sein
Bruder beim Spazieren an einem Fluss findet. Ich war begeistert von
diesen Geschichten - es gab dann eine ganze Reihe davon. Zuerst hab
ich sie als einen bildhaften Vergleich mit mir verstanden, den tsmith@
mir anbietet. Er hat mir dann auch von Gerüchten geschrieben,
die sich um den Absender dieser Flachenpost ranken und über dessen
möglichen Motive. Dabei wurde mir, mit wachsenden eigenen Bedürfnissen,
bewusst, dass ich mich doch wesentlich von einer Nachricht, die in
einer Flasche ins Wasser geworfenen wird, unterscheide. Beziehe ich
mich doch auf jemand ganz bestimmten. Es ist mir nicht egal, ob und
von wem ich gefunden werde. Meine Erfahrungen bestehen aus meinem
Wahrnehmen anderer. Ich kann mich davon unterscheiden und abgrenzen
und oder mich in ähnlichem wiederfinden. Und während ich
meine Gedanken jemandem schreibe, muss ich mich selbst formulieren.
So sind es die in unseren Gesprächen erzeugten Vorstellungen,
die mich eigentlich ausmachen."(7)
Eines der ersten Projekte überhaupt
in deutscher Sprache war die imaginäre Bibliothek
von Heiko Idensen und Matthias Krohn. Das Projekt entstand in seinen
Grundzügen schon 1990 für die Ars Electronica in Linz und
könnte daher mit Fug und Recht als der Proto-Typ
deutscher Hyperfiktion bezeichnet werden. Die imaginäre
Bibliothek war am Festival in Linz auf zwei PCs installiert,
zwei Drucker produzierten Endlos-Ausdrucke der Bibliotheksinhalte.
Eine Online-Version(8)
der Bibliothek wurde erst 1994 ausgearbeitet und im WWW plaziert.
"Auf jede Wand jedes Sechecks
kommen fünf Regale; jedes Regal faßt zweiunddreißig
Bücher gleichen Formats; jedes Buch besteht aus einhundertzehn
Seiten, je Seite aus vierzig Zeilen, jede Zeile aus achtzig Buchstaben
von schwarzer Farbe; die Anzahl der orthographischen Symbole ist fünfundzwanzig;
die Bibliothek birgt in der Tat alle Wortstrukturen, alle im Rahmen
der fünfundzwanzig Symbole möglichen Variationen. Die Bibliothek
ist schrankenlos und periodisch."(9)
Nach verschiedenen Experimenten mit
kooperativen Schreibprojekten, Literatur- und Zitatdatenbanken wollten
Idensen und Krohn einen Prototyp für den Umgang mit elektronischen
Textfragmenten kreieren, der auf der Oberfläche eines Hypertext-Programms
verschiedene literarische Experimentalformen (Permutationen, Cut-Up,
Romananfänge, Topographien, Visuelle Poesie etc.) realisiert.
Die ursprünglich reale Rund-Bibliotheksinstallation des Festivals
liess sich gut ins World Wide Web transformieren. Es entstand eine
Online-Bibliothek mit 460 Hypertextknoten und 2635 Hyperlinks von
eher enzyklopädischer denn literarischer Ausrichtung. Ziel der
Anwendung war es, durch verzweigtes assoziatives Lesen und Navigieren
den Benutzer in ein Netzwerk aus Texten zu verstricken und somit eine
Beteiligung des Lesers an dem Imaginationsraum Bibliothek zu simulieren.
Anregungen erhielten die Autoren durch literarische Transformationstechniken
wie Permutation, Cut-Up und Intertext, durch Jorge Luis Borges Die
unendliche Bibliothek, Umberto Ecos Der Name der Rose
sowie ein Minitel-Schreibprojekt, das im Rahmen der Immaterialien-Ausstellung
in Paris 1984 von Jean Francois Lyotard organisiert worden war.
Initialzündug im World Wide Web
Eine vernetzte Szene von interessierten
Lesern und kooperierenden Autoren begann sich im deutschen Sprachraum
vor allem in den Jahren 1994 bis 1996 parallel zur ersten Phase der
rasanten Ausbreitung des World Wide Web herauszubilden. Im Netz tauchten
Projekte auf von Hyperfiction-, bzw. Netzliteratur-Pionieren wie Sven
Stillich, Martina
Kieninger, Dirk
Schröder, Hartmut
Landwehr, Burkhard
Schröder, Claudia
Klinger, Olivia
Adler, Olaf
Koch, Klaus Dufke, Martin
Auer, Walter
Grond, Sven Sander, Norman
Ohler, Reinhard
Döhl, Johannes
Auer sowie zahlreiche kooperative
Arbeiten bzw. sogenannte Mitschreibeprojekte.
Entscheidend beeinflusst und stimuliert
wurde die Produktion derartiger Texte durch DIE ZEIT, die Ende 1995
und Anfang 1996 in Zusammenarbeit mit IBM, Radio Bremen und weiteren
Sponsoren einen Internet-Literatur
Wettbewerb(10) ausschrieb.
Als Nebenprodukt dieses Wettbewerbs entwickelte sich ein reger Diskurs
unter den beteiligten Autoren und Autorinnen, was zur Begründung
verschiedener Diskussionsforen und kollektiver Websites führte,
die sich seither spinnennetzartig ausgebreitet haben und das eigentliche
Fundament der deutschsprachigen Hyperfiction-Szene bilden.
Sven Stillich begründete 1996 die
Mailingliste
Netzliteratur(11), wohl
das aktivste Diskussionsforum zum Thema Digitale Literatur
in deutscher Sprache; es wird seit Anfang 1998 vom Konstanzer Dirk
Schröder geführt und ist aktueller denn je mit einem durchschnittlichen
In- und Output von 500 Mails pro Monat. Guido Grigat gründete
1997 den Internet-Literatur-Webring
bla(12), der mit
120 angeschlossenen Websites seither viel zur weiteren Vernetzung
der Netzliteratur-Gemeinde beitrug, und Oliver Gassner stellte mit
[OLLI]
Olivers Links zur Literatur(13)
eine professionelle und sehr umfassende Website über das Literaturtreiben
im Netz zusammen, die seit November 1998 kommerziell betrieben wird
und mittlerweile über das gemeinsame Portal AleXana(14)
mit weiteren Websites zu einer veritablen (alexandrinischen) Netzliteratur-Bibliothek
ausgebaut wurde.
An der erfolgreichen Verbreitung von
Netzliteratur arbeiteten neben den genannten auch weitere Autorinnen
und Autoren, z.B. Claudia
Klinger (mit verschiedenen
Mitschreibeprojekten),
Jan
Ulrich Hasecke, Regula
Erni, Werner
Stangl, Sabrina
Ortmann und Enno
E. Peter (Berliner
Zimmer) mit ausführlichen
Websites, die Vernetzung und Ressourcen anbieten. Der Gebrauch des
Wortes Netzliteratur für die Hypertextliteratur im
deutschen Sprachraum ist denn auch bezeichnend, entstanden doch alle
literarischen Experimente im und fürs Netz und nicht auf spezieller
Autorensoftware wie im englischen Sprachraum, wo zahlreiche Autoren
zuerst mit Hypercard experimentierten und dann das Programm Storyspace
verwendeten, das die meisten auch heute noch gebrauchen.
Mit der Durchführung von Kongressen
wie der Hartmoderne(15)
1997 und der ambitiösen Softmoderne(16)
1997 und 1999(17),
verschiedenen Veranstaltungen und Beteiligungen an Kongressen und
Festivals mit verwandten Themen von Heiko Idensen, Florian Cramer,
Stephan Porombka und anderen Protagonisten der Szene, den weiteren
Wettbewerben von ZEIT und IBM 1997 und 1998 sowie einigen eher unglücklichen
Versuchen der Kulturmagazine
von ZDF(18) und ORF(19)
drang allmählich Kunde vom neuen Phänomen in die Medien
hinaus, wo sich (vor allem in den Feuilletons von ZEIT, Frankfurter
Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, und
Neue Zürcher Zeitung) zaghaft eine Rezeption abzuzeichnen
begann, die zuerst das Neue zumeist mit wenig Offenheit begrüsste
und als Irrweg(20) in
die Schranken wies, aber allmählich
auch freundlichere Töne(21) anschlug. Gar seltsam war dabei die
Rolle der ZEIT, die sich offenbar gern selbst in den Fuss schießt:
Auf der einen Seite wurde die unbekannte Internet-Literatur mit Wettbewerben
gefördert, was der Zeitung gestattete, gezielt um eine neue,
junge Generation von Leserinnen und Lesern zu werben, auf der andern
Seite wurde dem Web-Projekt nie viel Platz im Print-Produkt eingeräumt
und wenn, dann oft in überaus kritischer und skeptischer
Manier wie im Artikel
von Christian Benne, der kurz
vor der Preisverleihung 1998 erschien.
"Lesen im Internet ist wie
Musikhören übers Telephon. [...] Literatur im Netz
ist eine Totgeburt. Sie scheitert schon als Idee, weil ihr Widersinn
womöglich nur noch von Hörspielen aus dem Handy übertroffen
wird. [...] Literatur [...] kann allein in der Schrift
von Generation zu Generation weitergegeben werden. Littera scripta
manet. [...] Noch viel weniger als das Buch wird sie (die
Internet-Literatur) in der Lage sein, eine moderne literarische Öffentlichkeit
zu schaffen. Im Netz sind allen Chats zum Trotz, Lektorat und konstruktive
Kritik so unvorstellbar wie ein WWW-Äquivalent zu dem Tisch mit
den Neuerscheinungen. Im gigantischen Durcheinander des Internet regiert
Zufall, nicht Qualität."(22)
Es erstaunt nicht, dass durch dieses
grundlegende Missverständnis eines neuen gesellschaftlichen und
kulturellen Feldes die Allianz der kulturarrivierten ZEIT mit dem
Koorganisator IBM mehrmals auseinander zu brechen drohte und schliesslich
nach dem Wettbewerb 1998 unweigerlich aufgelöst werden musste.
Anders die unbeteiligte Neue Zürcher
Zeitung, wo bsp. Hanns-Josef Ortheil die Gelegenheit hatte, die Grenzen
und Chancen der neuen Texte anhand einer fundierten Analyse des Lesens
und Schreibens auszuloten. Er weist daraufhin, dass eine Vielzahl
der Reflexionen über die neuen Medien und ihre künstlerischen
Ausprägungen unzweifelhaft in der Buchkultur verhaftet sind.
Dies verschließt vielen Kritikern die Augen vor neuen Strukturen
und Paradigmenwechseln, während sich dem unvoreingenommenen Leser
unbegrenzte Räume von Freiheiten öffnen und der Autor sich
dabei langsam aufzulösen scheint zu Gunsten des mitarbeitenden
Lesers.
"Die neuen Medien des elektronischen
Zeitalters machen immer deutlicher, wie sehr dieser Gedanke ein Buchgedanke
ist, ein Konzept also, das seine Wurzeln im stetigen Lernen und in
der Auseinandersetzung mit Büchern und Lehrern hat, die als Autoritäten
wirken. [...] Begreift man die Computertexte nicht mehr als
Werke, so fällt bald auch die Unterscheidung zwischen
Autor und Leser weg. In dem Moment, in dem der Text dem Netz eingeschrieben
wird, löst er sich von seinem Autor und kann von den Lesern,
die in unermüdlichem Wechsel zu Autoren und wieder zu Lesern
werden, umgeschrieben werden. Statt in sich ruhender Werke
entsteht so ein Lese-Schreibe-Kontinuum, in das die Empfänger
jederzeit einsteigen können. Die Strukturen in diesem Kontinuum
sind frei fluktuierende Zeichen, die nicht mehr auf einen Autor verweisen,
sondern sich um das neue Zentrum, den Leser (oder besser: den Empfänger),
scharen."(23)
Die physische Vermittlung des Virtuellen
Trotz der regen Kommunikation im Netz
erwiesensich schliesslich die physischen Treffen der Netzliteraturexponenten
als wegweisend und impulsgebend. Einige der Pioniere deutschsprachiger
Netzliteratur lernten sich an den Veranstaltungen von ZEIT und IBM
1997 in Hamburg und 1998 in Karlsruhe bei der Bekanntgabe der Preisträger
der Internet-Literatur-, bzw. Pegasus-Wettbewerbe
erstmals kennen. Wichtiger aber war für die Autorinnen und Autoren
das Treffen der Mailingliste Netzliteratur am Bodensee
Ende Juli 1998, als sich über
ein Dutzend der Pioniere zum Gedankenaustausch zusammenfand. Auch
1999 fand im August wieder ein Treffen statt, diesmal
in Vaihingen bei Oliver Gassner
zur vollkommenen Sonnenfindernis, wo eine Neukonzeptionierung der
Foren der Mailingliste Netzliteratur in Angriff genommen wurde.
Im Januar 1999 trafen sich auf Einladung
des Kulturprozentes der Migros 30 Cyberliteraten und wissenschaftliche
Kenner zum Symposium
Digitaler Diskurs
in der ältesten Klosteranlage der Schweiz in Romainmôtier
nahe beim Genfersee. Die Veranstaltung brachte Hyperfiction-Pioniere
Theoretiker und Praktiker aus unterschiedlichen Szenen
und Institutionen zusammen, führte zu fruchtbaren Gedankenverknüpfungen
und löste neue Diskussionen und Projekte aus. In der Folge des
Symposiums erschien im Oktober 1999 in Zusammenarbeit mit einem Arbeitskreis
der Universität Zürich unter dem Titel Hyperfiction
ein hyperliterarisches Lesebuch(24), das nicht nur theoretische Essays
und Erfahrungsberichte der Symposiumsteilnehmer sammelt, sondern als
zentrales Element über eine CD-ROM verfügt, die eine repräsentative
Kompilation hyperfiktionaler, literarischer Texte in deutscher Sprache
enthält und diese in erster Linie über das gewohnte Umfeld
für Literatur, den Buchhandel, bekannt zu machen sucht.
Nicht zuletzt muss aber bei einer Aufarbeitung
der kurzen Geschichte deutschsprachiger Hyperfictions auch eines der
neueren, aber bereits sehr wirkunsgvollen Prokjekte erwähnt werden,
das es erst seit Juni 1999 gibt: das Online-Journal dichtung
digital(25), in dem
dieser Artikel erscheint. Das Journal wird herausgegeben von Roberto
Simanowski an der Harvard University (unter Mithilfe von Anja Rau
und Christiane Heibach in Frankfurt), es umfasst Werke, Rezensionen
und theoretische Beiträge zum Thema Netzliteratur, bzw. soll
eine "kritische Sichtung des Terrains"(26) liefern. Dichtung
digital entsteht im akademischen Milieu und ist wie das hyperliterarische
Lesebuch ein Versuch, einerseits die unterschiedlichen Interessen
und Sichtweisen auf ein junges Genre zum Ausdruck zu bringen und andererseits
die Vermittlung eines in der Entwicklung befindlichen literarischen
Phänomens an den herkömmlichen Literatur- und Wissenschaftsbetrieb
zum Gelingen zu bringen. Dies scheint im gegenwärtigen Zeitpunkt
beinahe eine Notwendigkeit, denn weder der bisherige Wissenschaftsbetrieb
der Geisteswissenschaften, noch der herrschende Literaturbetrieb haben
sich in ihrer Alltagsarbeit die Mühe genommen, sich auf die neuen
Kommunikationsformen einzustellen.
Die Wettbewerbe: in 4 Jahren vom Aufbruch
zur Endzeit
Das musste zum wiederholten Male auch
Oliver Gassner bei den Veranstaltungen zum Internet Literaturwettbewerb
1999 erfahren. In die Bresche, die der ZEIT/ IBM-Wettbewerb hinterliess,
sprang nämlich 1999 im Rahmen der Literaturtage Baden-Württemberg
die Stadt Ettlingen mit dem Ettlinger
Internet-Literaturwettbewerb(27).
Konzeption und Organisation leistete Oliver
Gassner(28) in Zusammenarbeit
mit dem Kulturamt Ettlingen, er versuchte dabei Offline-Literatur
und Online-Literatur in einem Festival zusammen zu bringen. Bei den
Veranstaltungen im Rahmen der Literaturtage standen die Türen
stets weit offen, doch die Netzliteraten blieben im trauten Kreis.
Einmal mehr verpasste das literarisch interessierte Publikum die Gelegenheit,
das junge Phänomen, seine Exponenten und ihre Diskurse kennenzulernen
und herauszufinden, ob da wirklich eine literarische Aventgarde heranwächst.
Und auch der Idee einer Kooperation zwischen Netzliteraten und herkömmlichen
Literaten war wenig Erfolg beschieden: Autor Bert Papenfuss´
Kooperation mit der Netzliteratin Martina
Kieninger jedenfalls
notabene die einzig zustandegekommene von dreien bestand darin,
dass der Papierautor der Netzliteratin ein meterlanges Fax mit einem
seltsamen Piratendrama ein Manuskript aus der Schublade
schickte und sie dann damit sitzen liess. Kieningers Reaktion darauf
war hingegen sehr schlagfertig: "Es gab nur eins Schiffe versenken!"
Sie ironisierte Kooperation und Text und kreierte in wenigen Tagen
ein Bildschirmmeer, auf dem Piratenschiffe kreuzen, sich Worte wie
Enterhaken entgegenwerfen, Gefechte liefern und einander versenken.
Der Wettbewerb von Ettlingen an sich
aber war ein Erfolg. Zum ersten Mal saßen mehrere Kenner und
Exponenten der neuen Szene in der Jury , zum ersten Mal wurde eine
Unterteilung der Preise in Kategorien versucht, wenn auch in Zukunft
aktiv daran weitergedacht werden muss und zum ersten Mal fand eine
fruchtbare Präsentation und Diskussion der Beiträge in einer
Veranstaltung am Tag danach statt.
In lediglich vier Jahren hat sich der
Wettbewerb
schon beträchtlich weiterentwickelt. Noch 1996 bestand die Jury
vorwiegend aus Kritikern des Feuilletons, die weder gross etwas mit
den neuen Texten anfangen konnte, noch überhaupt mit Computern
umzugehen wussten ein schlechtes Omen für das erst im
Entstehen begriffene neue Genre. 1996 und 1997 hatte sich die ZEIT
mittels der ersten Wettbewerbe schlicht und einfach auf die Suche
nach dem Zeitgeist begeben. Die durchaus verdienstvolle Pioniertat
verkümmerte aber durch die Unaufgeschlossenheit und Verunsicherung
der Macher. Internet-Literatur war den Machern und Juroren weitgehend
unbekannt und vielleicht sogar suspekt. Das Neue war schwierig einzuschätzen,
zugegebenermassen, denn Techniken und Aufschreibesysteme waren und
sind in ständiger Entwicklung und veränderten und verändern
auch die kreativen Anwendungen fortlaufend. Man behalf sich mit Restriktion
und Rückgriff auf klassische Genres.
Zur Teilnahme eingeladen waren alle,
die die ästhetischen und technischen Mittel des Internet einsetzten,
um Sprache zu gestalten und neue Ausdrucksformen zu entwickeln. Darüber
hinaus wollte man nicht konkreter formulieren, wie Internet-Literatur
auszusehen habe. Dies stand so in der Ausschreibung zum zweiten Internet-Literaturpreis.
Die ZEIT war vorsichtig geworden, denn ihre Ausschreibung zum allerersten
Internet-Literaturpreis in deutscher Sprache Ende 1995 und Anfang
1996 hatte zu heftigen Diskussionen unter den Teilnehmenden geführt.
Anlass dazu hatten vor allem zwei Dinge gegeben: die offensichtliche
Unkenntnis der Jury in Sachen Internet sowie die drastische Beschränkung
der Texte auf Dateien von 60 Kbyte Grösse. Multimediale Texte
waren von vornherein ausgeschlossen, kein Film, kein Ton, kein Java
war erlaubt, neben 20 Kbyte Text durfte man 40 Kbyte Grafik und 8
Kbyte HTML-Code verwenden, um sein Werk darzustellen. Das ist etwa
so, wie wenn man einem Architekten Zwei Kubikmeter Holz, ein bisschen
Gips und Farbe gibt und erwartet, dass er damit eine Kathedrale baut.
Da stellte sich natürlich sofort
die Frage, wer durfte wem vorschreiben, wie diese neue Art von Literatur
auszusehen habe. Die Jury wurde denn auch hart angegriffen und von
einem Teilnehmer beispielsweise als "Lordsiegelbewahrer der deutschen
Kulturburschwasie" bezeichnet. Doch auch nach langen Diskussionen
in den elektronischen Foren wurde die Ausschreibung nicht mehr geändert
und die aus Literaturkritikern und Redakteuren zusammengestellte Jury
kam nach der Sichtung aller 184 Beiträge an einem einzigen Wochenende
zu einem klaren Entscheid: Der erste Preis ging an Martina Kieninger,
die ein witziges, ironisches Theaterstück aus Text und Ascii-Grafiken
entworfen hatte. Zusätzlich wurden drei
weitere Preise vergeben sowie
ein Sonderpreis für das Fernseh- oder Videogedicht Verwunschlos
von Sven Stillich, der sich bewusst nicht an die technischen Vorgaben
gehalten hatte.
Selbstverständlich waren viele
Teilnehmerinnen und Teilnehmer enttäuscht über diese Wahl.
Wer gutes Webdesign forcierte, konnte sich mit den einfachen Ascii-Grafiken
nicht anfreunden. Wer mehr Inhalt forderte, konnte sich mit manchem
Effekt wie blinkenden und sich bewegenden Worten nicht anfreunden.
Und wer mehr Innovation verlangte, konnte die beim besten Willen nicht
finden. Dabei hatte jeder das Gefühl,besser zu wissen, wie Netzliteratur
aussehen sollte und jedem stand sein eigener Text am nächsten.
Im Vordergrund stand beim ersten
Wettbewerb 1996 eindeutig
der Text; ein Hypertext, der möglichst nahe beim klassischen
linearen Text anzusiedeln war. Die unklare und ratlose Einschätzung
der Werke durch die Jury war auch daran zu erkennen, dass sie ein
Drama, ein Gedicht, eine Kurzgeschichte sowie ein Bild/Text-Experiment
prämiert hatte, also in ihrer Hilflosigkeit indirekt eine klassische
Gattungsunterscheidung zu evozierte und nicht etwa versuchte, Kriterien
nach einer möglichen Ästehtik des Netzes zu entwerfen. Im
Rückblick ist zu sagen, dass trotz allseitiger Unklarheiten ein
ansprechendes Resultat herausschaute. 1996 wurde keine Eintagesfliege
prämiert, sondern mit Martina Kieninger eine engagierte und aktive
Exponentin der Netzliteratur, die ihre narrativen Hypertexte seither
ein gutes Stück weiterentwickeln konnte und ein aufmerksames
Publikum gefunden hat. Wichtigstes Resultat aber war: Der umstrittene
Wettbewerb hatte in der Auseinandersetzung die Steine ins Rollen gebracht
und eine Community im Web erst richtig konstituiert.
1997
bestand die Jury wieder vorwiegend aus Kritikern aus dem Literaturbereich
mittlerweile etwas vertrauter mit Computern mit einer
Ergänzung: Sonderpreisgewinner Sven Stillich wurde gnädigerweise
als Stimme der Internet-Community ins Gremium aufgenommen.
Stillich sorgte auch sofort dafür, dass keine unsinnigen technischen
Restriktionen mehr in die Ausschreibung kamen, eine Massnahme, die
das Spektrum deutlich erweiterte. Im Prinzip war nun alles erlaubt,
was plattformübergreifend einsehbar war.
Ende gut, alles gut? Mitnichten! Die
Jury, die unter 163 Einsendungen auszuwählen hatte, teilte den
Preis auf die beiden Beiträge von Susanne Berkenheger (Zeit
für die Bombe)
und Peter Berlich (CORE)
auf. Sie galten der Jury gleicherweise als "gelungene Verknüpfung
von Idee, Text und Hyperlink-Technik". Doch sofort tobte im Internet-Forum
der ZEIT ein Sturm der Entrüstung los. Die Unmutsäusserungen
bezogen sich aber nicht auf die Auswahl der Preisträger, sondern
auf die Art und Weise der Wahl. Die Jury hatte nämlich kulturdiktatorisch
verlauten lassen, dass sie "die intendierte Verbindung von literarisch
gestalteter Aussage und technischen Möglichkeiten des Internet"
in keinem (!) Beitrag "in preiswürdiger Form verwirklicht" sah
und daher "ihre diesjährige Entscheidung in erster Linie als
Ermutigung der Teilnehmer, ihre Anstrengungen künftig stärker
auf diese Verbindung auszurichten" betrachte. Das war für viele
Wettbewerbsteilnehmer dann doch etwas starker Tabak. Sie
interpretierten diese Aussage als (arrogante) Disqualifikation ihrer
Bemühungen und warfen der Jury vor, sie hätte nicht gewusst,
nach welchen Kriterien sie die Beiträge bewerten sollte und hätte
wohl etliche der Beiträge auch nicht gelesen.
Letzteres lag auf der Hand, da die Jury
alle 163 Beiträge an einem einzigen Wochenende gesichtet hatte
ein Ding der Unmöglichkeit, dabei alles zu lesen. Und
ersteres wurde dann von Juryvertreter Hermann
Rotermund bestätigt,
als er in seiner Laudatio sagte: "Wir wissen tatsächlich noch
nicht, was Internet-Literatur IST. Wir koennen anhand der vorhandenen
Elemente nur ahnen, was sie WIRD oder werden koennte." Rotermund hatte
aber dabei nicht die Absicht, den kritischen Teilnehmern klein beizugeben,
er wollte vielmehr festhalten, dass solange sich die Internet-Literatur
noch in ihrem Anfangsstadium befindet und keine klaren Konturen hat,
die Jury trotz immer stärker aufkommender Multimedialität
nach der Maxime handeln wird: Wer Internet-Literatur machen will,
muss zumindest etwas von Literatur verstehen.
Der Rückblick auf 1997 zeigt, dass
wiederum der Text im Vordergrund stand. Diesmal aber eindeutig als
Fiktion. Das narrative Element war zum wichtigsten Kriterium geworden.
Die beiden prämierten Fiktionen setzten ihre technischen Effekte
integral als literarische Mittel ein und konnten so nicht nur die
Jury überzeugen. Seit diesem Wettbewerb haben die beiden Autoren
Susanne
Berkenheger und Peter
Berlich neue Werke entwickelt,
die wiederum mit sorgfältigen Innovationen die Erzählstrategien
zu erweitern wissen.
1998 hatte die Jury nicht mehr Bewertungskriterien
zur Hand als im Vorjahr. Es schien gar, als sei ihr das Hauptkriterium,
nämlich dass es um Literatur ginge, auch noch abhanden gekommen.
Der Pegasus 98 nannte sich lediglich noch Internet-Wettbewerb. Der
Literaturbegriff war den Feuilletonisten wohl zu eng geworden, nachdem
schon im Jahr zuvor die eingesandten Beiträge zunehmend Text,
Design, Bild, Ton kombinierten. Ausserdem wollte man nun die
Programmierung als Teil der Autorschaft
anerkennen(29) ohne aber dabei den literarischen Fokus zu verlieren.
Der Wettbewerb beschritt damit den Weg
vom Textmedium zu den Multimedia: Prämiert wurden durchwegs multimediale
Projekte. Die Gewinner des Wettbewerbs waren Frank Klötgen und
Dirk Günther mit ihrem Bilderdrama Die
Aaleskorte der Ölig(30),
ein Bilderdrama in 20 Szenen, die vom Leser selbst anhand von Fotografien
der Personen und Regieanweisungen zu einem Film zusammengestellt werden
müssen und die in immer neuen Versionen abgedreht werden, 6,9
Milliarden mal, wenn man denn Zeit und Musse hätte dafür.
Den zweiten Preis erhielt das multimediale Werk von Jürgen Daiber
und Jochen Metzger Trost
der Bilder(31). Sie
treiben ein Psychospiel mit dem Leser. Nach vielen Versprechungen
sollen Geschichten einstweilen den Leser trösten, doch es passiert
einfach nichts. Das Stück ist grafisch durchgestylt und mit Text,
Ton, Bild und animierter Navigation garniert. Auch die beiden Projekte
von Florian
Cramer(32) und Batsian Böttcher,
die je einen Sonderpreis gewannen, überzeugen vor allem durch
ihre Multimedialität: Böttcher kreierte mit Looppool(33)
einen Rapomaten, dem der Leser einen Rap entlocken kann,
und dessen einzelne Verse er selbst durch Kombination des Weges im
ornamentalen Labyrinth zusammenstellen kann. Zusammenfassend ist zu
sagen, dass 1998 ein zuerst zaghafter, aber dann mutiger Schritt in
Richtung Multimedialität getan wurde, und zumindest in der Aaleskorte
steht die Narration der Multimedialität nicht nach.
1999 stand die Interaktivität im
Mittelpunkt. Prämiert wurden in Ettlingen fast ausnahmslos sogenannte
interaktive Texte und Projekte, bei denen der Leser die
Möglichkeit hat, selbst einzugreifen die Interaktivität
ist jedoch stets eine asynchrone. Die prämierten Projekte sind
sehr dokumentarisch gehalten und erinnern stark an oral history
wie das Generationenprojekt(34)
und zu einem gewissen Grad auch 23:40(35),
oder sie sind sehr spielerisch und experimentell im Gebrauch von und
im Umgang mit Sprache und Text, aber machen keinen Gebrauch mehr von
Fiktion und Narration wie der Assoziationsblaster.
Preise wurden erstmals in drei Kategorien
vergeben: dem Themenwettbewerb zur jahr.1000.www.ende,
einem Autorenpreis und einem Projektpreis. Der Themenwettbewerb ging
an das Generationenprojekt von Jan Ulrich Hasecke und an den Assoziationsblaster
der beiden Stuttgarter Alvar Freude und Dragan Espenschied.Beide Arbeiten
bieten ihren Lesern die Möglichkeit in den Text einzugreifen.
Das Generationenprojekt sammelt alltägliche Erinnerungen
an Ereignisse der letzen 50 Jahre während der Assoziationsblaster(36)
seine Besucher dazu einlädt, mit Gedanken Assoziationsketten
zu einem dichten Netz von Eindrücken zu verknüpfen. Den
Projektpreis erhielt die Arbeit 23:40 des Hamburgers Guido
Grigat. Auch hier ist der Leser zur direkten Mitarbeit aufgefordert.
Jede Minute des Tages kann mit einem Text oder Bild gefüllt werden,
doch die in einer Datenbank abgelegten Fragmente sind danach nur zu
jeweils dieser Minute des Tages sichtbar: Für einmal also behält
das Internet Daten zurück, anstatt sie zur ständigen Verfügung
zu halten. Den Autorenpreis erhielt Susanne Berkenheger aus München
für ihre Hyperfiction "Hilfe!"(37),
in der sie mit kleinen und grossen Browser-Fenstern und kurzen dialogischen
Sätzen arbeitet. Ein Flugzeugabsturz lässt die verzwickten
Beziehungen von vier Personen nochmals Revue passieren. Das Faszinierende
an Berkenhegers Geschichte ist, dass die Figuren auf dem Bildschirm
entstehen und nach dessen eigenen Gesetzen zu agieren vermögen.
Berkenhegers "Hilfe!" ist auch die Ausnahme unter den prämierten
Texten von 1999: eine klare abgeschlossene Hyperfiktion einer einzigen
Autorin mit Betonung der Fiktion und der Verwebung technischer Elemente
zu literarischen Mitteln.
Die klare Veränderung des Internet
Literaturwettbewerbs in seinen vier Jahren zeigt gleichsam auch in
etwa die Entwicklungsrichtung der deutschsprachigen Netzliteratur,
bzw. Webfiction in ihren ersten fünf Jahren auf. Zusammenfassend,
so kann man wohl sagen, war im Jahre 1996 eindeutig die Auseinandersetzung
mit Text/ Hypertext das dominante Element der Netzliteratur. 1997
wurde der Aspekt der Fiktion besonders stark herausgearbeitet. 1998
dann wurde ein erster Schritt vom Textmedium zu den Multimedia versucht
und dabei das Handwerk des Programmierens eindeutig aufgewertet.
Und 1999 weisen die Bemühungen in Richtung der Interaktivität
bzw. einer asynchronen Interaktivität, die den Leser zum sorgfältigen
workshopmässigen Mitarbeiten am Text auffordert. Selbstverständlich
sind die Experimente in keine der Richtungen abgeschlossen, sondern
nach dem Abschluss der Endzeit an der Jahrtausendwende ganz unaufgefordert
wieder beim Aufbruch angelangt. Dabei zieht sich zumindest ein dominierender
Aspekt als roter Faden durch die kurze Geschichte der Frühphase
der Hyperfictions: die innovative und sowohl sprachlich als auch technisch
geschickte und geschulte Anwendung von Erzählstrategien in neuen
Mustern und Formen.
Anmerkungen:
1) Das unwiderruflich verlorene Treefiction-Projekt fand sich noch
Anfang 1998 an folgender Stelle: Köhler, Doris und Krause, Rolf. "Interstory".
Dito. 1995/ 1996. <http://interstory.rrz.uni-hamburg.de/>
(12.03.1998).
2) Grigat, Guido. "Internet Literatur Webring bla." Webring
Homepage. 1997 1999. <http://www.bla2.de/cgi-bin/index.pl>
(14.01.1999).
3) Grigat, Guido. "23:40." Dito. 1998/ 1999. <http://www.dreiundzwanzigvierzig.de/>
(13.10.1999).
4) European Media Art Festival (Idensen, Heiko Hgg.): of(f) the
w.w.web: Netzkultur
Kulturnetzwerk. (CD-Rom) Hildesheim und Giessen: A.M.I. 1996.
5) Vgl. de Courten, Catherine. KasbaH´s Home. In: European Media
Art Festival 1996.
6) Vgl. de Courten 1996.
7) Vgl. de Courten 1996. Einige der Gespräche und Reflexionen von
KaspaH finden sich auch in deutscher Sprache.
8) Vgl. Idensen, Heiko, Krohn, Matthias: »Die imaginäre
Bibliothek.« Dito. (1990) 1994. <http://www.uni-hildesheim.de/ami/pool/home.html>
(20.09.1996).
9) Vgl. Idensen/ Krohn 1994.
10) Vgl. Charlier, Michael u. a. (Hgg.) [Die Zeit]: »Internet Literatur
Wettbewerb 1996.« Die Zeit. <http://www.pegasus98.de/archiv96.htm>
(30.11.1998).
11) Vgl. Schröder, Dirk und Stillich, Sven. "Mailingliste
Netzliteratur." Netzliteratur. 1996 - 1999. <http://www.netzliteratur.de>
(12.01.1999). In der Einführung von Dirk Schröder heisst es: "Netzliteratur
ist eine leicht fluktuierende Gruppe von Homepagern, Netzkünstlern, emailnutzenden
Schriftstellern und Vieldiskutierern, die im Umkreis der gleichnamigen
Mailingliste ohne besondere Absicht und einzig vereint durch das Wörtchen
das ebenfalls gleichnamige Werk voranschreiben. Es besteht aus unzähligen
Emails, Webseiten, einigen Telefonaten und sogar ein paar Fotos. Die Autoren
sind zugleich die Figuren der Geschichte und schreiben sich sozusagen
selbst."
12) Vgl. Grigat 1997 - 1999.
13) Vgl. Gassner, Oliver. "[OLLI] Olivers Links zur Literatur."
Dito. 1996 - 1999. <http://www.carpe.com/lit/>
(12.01.1999).
14) Vgl. Gassner, Oliver, Kohlbeck, Markus und
Peter, Enno F. "AleXana." Dito. 1999. <http://www.carpe.com>
(11.04.1999).
15) Vgl. Schleth, Ulf, Neuhaus, Wolfgang und Egger, Sylvia. "Hartmoderne:
Literatur, Virtualität & Medienkampf." Hartmoderne. 1997.
<http://www.thing.de/hartmoderne/index.htm>
(11.07.1997).
16) Vgl. Porombka, Stephan und Schmundt, Hilmar. "Softmoderne
3: Das Festival der Netzliteratur." Softmoderne. 1997. <http://www.icf.de/softmoderne/Festival/intro1.html>
(20.09.1997).
17) Vgl. Porombka, Stephan und Schmundt, Hilmar. "Softmoderne
4: Das Festival der Netzliteratur." Softmoderne. 1999. <http://www.softmoderne.de> (20.06.1999).
18) Die ersten zwei Versuche der Kultursendung Aspekte des ZDF
von Joseph von Westphalen und Ilija Trojanow waren Ende 1998 bereits wieder
vom Netz genommen worden. Kurze Beschreibungen dieser Internet Romane
finden sich in den Hyperfiction- und Hypertext-Listen http://www.update.ch/beluga/hf.htm
und http://www.update.ch/beluga/hypere.html.
Zum dritten Versuch vgl. Politycki, Matthias. "Marietta." ZDF
Aspekte. 1997/1998. <http://novel.zdf.de>
(06.03.1998).
19) Vgl. Haslinger, Josef u. a. "Die Welt nach dem Willen
der Mutter: Internet Roman." ORF Kunst-Stücke. 1998. <http://www.orf.at/kunst-stuecke/roman/welcome.html>
(06.03.1998).
20) Vgl. u. a. Zimmer, Dieter E. "Web-Literatur:
Realität? Gerücht? Verheissung?" Die ZEIT. 1997. <http://www.pegasus98.de/magazin/digibib/digbib5.htm>
(14.01.1999).
21) Vgl. u. a. Ortheil, Hanns-Josef: Wanderungen im Wortmassiv:
Lesen und Schreiben im elektronischen Zeitalter. In: Neue Zürcher Zeitung
Nr. 19, 1998, S. 66.
22) Vgl. Benne, Christian: Lesen, nicht klicken. In: Die ZEIT.
3. September 1998, S. 73; sowie in: Pegasus 98. 1998. <http://www.pegasus98.de/magazin/benne.htm>
(20.11.1999).
23) Vgl. Ortheil 1998.
24) Suter, Beat und Böhler Michael (Hgg.): Hyperfiction. Hyperliterarisches Lesebuch: Internet und
Literatur. Basel/ Frankfurt a. M.: Stroemfeld 1999.
25) Simanowski, Roberto. "Dichtung Digital. Beiträge zur Literatur
im Netz." Dichtung Digital. 1999 <http://www.dichtung-digital.de/> (14.11.1999).
26) Vgl. Simanowski 1999. Im ursprünglichen Editorial hiess es
am 21. Juli 1999:"Es mangelt noch immer an einer genauen Beurteilung
dessen, was im Feld der digitalen Literatur eigentlich entsteht und entstehen
könnte. Der schnellen Statements sind viele, aber wer setzt sich wirklich
hin und liest einen Hypertext bis zum End? Es ist höchste Zeit für eine
Diskussion, die sich Zeit nimmt. Wir sind Leser! Wir wissen, dass es schlechte
Texte gibt, und wir sind der Meinung: auch digitale Literatur ist (Avantgarde
hin, Schonfrist des Anfangs her) nicht jenseits von Gut und Böse. Unsere
Mission ist die kritische Sichtung des Terrains, unser Mittel Beiträge
zur Literatur im Netz, die weder lange Sätze noch Gedanken scheuen."
27) Gassner, Oliver."Ettlinger Internet-Literaturwettbewerb
1999." Ettlingen. 1999. <http://www.literaturwettbewerb.de/> (21.07.1999).
28) Heibach, Christiane. "Ettlinger Internet-Literaturwettbewerb
1999. Ein Interview mit Koordinator Oliver Gassner." Dichtung
Digital. 1999 <http://www.fas.harvard.edu/~rsimanow/Dichtung_Digital/
miszellen1/interview_Ettlingen.htm> (21.07.1999); neu: <http://www.dichtung-digital.de/Heibach/8-Juli-99/Interview_Ettli
ngen.htm> (20.11.1999).
29) Vgl. Berkenheger, Susanne. "Laudatio." Pegasus
98. 1998. <http://www.pegasus98.de/laudatio.htm>
(18.11.1999).
30) Vgl. Günther, Dirk und Klötgen, Frank. "Die Aaleskorte
der Ölig." Aaleskorte. 1998. <http://www.aaleskorte.de/>
(28.04.1999).
31) Vgl. Daiber, Jürgen und Metzger, Jochen. "Der Trost der
Bilder". Die ZEIT (Internet-Wettbewerb) 1998. <http://www.pegasus98.de/user/pegasus/beitr113/>
(28.11.1998).
32) Vgl. Cramer, Florian. "Permutationen". Dito.
1998. <http://permutations.home.ml.org>
(28.11.1998)
33) Vgl. Böttcher, Bastian. "Looppool ein Hyperpoetry-Clip."
Die ZEIT (Internet Wettbewerb). 1998. <http://www.pegasus98.de/user/pegasus/beitr147/>
(31.12.1998).
34) Vgl. Hasecke, Jan-Ulrich. "Generationenprojekt."
Dito. 1999. <http://www.koeln.netsurf.de/~JanUlrich.Hasecke/GenerationenProje
kt/> (13.10.1999).
35) Vgl. Grigat 1998.
36) Vgl. Freude, Alvar und Espenschied. "Der Assoziationsblaster."
Dito, 1999. <http://www.assoziations-blaster.de/jahr.1000.www.ende/>
( 15.11.1999).
37) Vgl. Berkenheger, Susanne. "Hilfe! Ein Hypertext aus vier
Kehlen." Beluga Switzerland. 1999. <http://www.update.ch/beluga/hilfe/>;
und Warglaouargla. 1999. <http://www.wargla.de/>
(10.10.1999).
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