Das Neue Schreiben 1.0

von Beat Suter



"When technology extends one of our senses,
a new translation of culture occurs
as swiftly as the new technology is interiorized."
(Marshall McLuhan, 1962)
[1]

Der Schriftsteller Matthias Politycki beschreibt jeweils bei seinen Lesungen ausführlich und medienwirksam seine mühevollen Schritte, dem Schreibwerkzeug Computer seinen Text im richtigen Format abzuringen. Von kaputten Netzteilen, Festplatten-Tragödien, Ohnmachtsgefühlen und stundenlangen Hotline-Telefonaten weiß er zu berichten. Und schließlich, so erzählt der Autor, sei er am Abgabetag zur Resignation gezwungen worden und hätte unendlich erleichtert zum Füller gegriffen: "[...] und so schreibe ich die Schlusszeilen eben mit meinem Füller. Wie ich aber so selbstvergessen schreibe, als sei ein Schreibwerkzeug tatsächlich nichts anderes als ein Schreibwerkzeug, will mir der Griff zu Tinte & Papier gar nicht mehr umständlich und altmodisch, sondern geradezu: avantgardistisch erscheinen. Sogar die Abstände zwischen den Worten gehen dabei – nein nicht: von selbst, sondern: wie von selbst. Noch ist der Schriftsteller folglich mehr als die Summe seiner Maschinen, noch." [2]
Und noch ist die Angst vor neuer Schreibtechnologie und der Verlust alter Privilegien größer als die Neugier und Lust am Partizipieren an völlig neuen kreativen Vorgängen. Die Buchkultur hat zumindest ihre Autoren und Produzenten fest im Griff. Leser und Autor stützen sich nach wie vor auf ein Verständnis von Schreiben, das den "seriösen" Text lediglich für den physikalischen Raum des gedruckten Buches vorsieht. Dort ist der Text stabil, monumental und vom Autor kontrolliert.[3] Das Konzept des elektronischen Schreibens dagegen wird durch Flüchtigkeit und Interaktivität zwischen Leser und Autor charakterisiert.

Solche bewußten und unbewußten Handlungen zur Bewahrung des Status Quo von Seiten etablierter Schriftsteller, Verleger und Kritiker sind so typisch für die heutige mediale Umbruchphase. Der Prozeß der McLuhanschen Verinnerlichung einer neuen Technologie ist eine harzige Angelegenheit innerhalb der Generationen, die noch mit den alten Technologien groß geworden sind. Michael Giesecke ist überzeugt, daß wir uns gegenwärtig im Übergang von der Phase der Abhängigkeit zu jener der Gegenabhängigkeit von der Buchkultur befinden. In einer ausführlichen Studie macht er auf die Mystifikation der Geschichte der Buchkultur aufmerksam und verweist anhand ihrer Entwicklung darauf, daß "Geschichte nicht nur aus Akkumulation und Wiederholung" besteht. "Sie macht auch Sprünge auf neue Stufen, vernichtet Traditionen und schafft Neues." Genau dies aber erschreckt die Bewahrer der Buchkultur, sie lassen lediglich "Akkumulation und Besserung von Vorhandenem" sowie "Wiederholung und Bewahrung" als Parameter der Kulturgeschichte gelten, nicht aber "Umsturz und Erneuerung".[4] So wehren sie sich mit Händen und Füßen gegen die Verbindung von Literatur mit neuen Distributionsmedien. Literatur soll ans Buch gebunden bleiben – und damit im Machtbereich einiger weniger Verlage. Nur dort, wo sich die elektronischen Medien als Unterstützung des Buchdrucks aneignen lassen – zum Beispiel bei der problemlosen Umsetzung in typographische Produkte –, werden sie akzeptiert.[5] Allerdings ist es andererseits wichtig zu erkennen, daß elektronische Medien selbst nur dort bleibende Bedeutung erhalten, wo sie völlig andersartige Informationssysteme aufbauen.[6] Also zum Beispiel dort, wo die Möglichkeiten zu Interaktion, Konkreation und multimedialer Informationsübertragung mit flexibler Adressierung genutzt werden.

Bereits Vilém Flusser wies auf die Andersartigkeit des Schreibens "ins elektromagnetische Feld" hin und machte auf die Prozeßhaftigkeit des Neuen Schreibens aufmerksam. Die Zeilen eines kreativen Textes, so stellte er fest, verlaufen nicht mehr eindeutig:

"Sie sind 'weich', plastisch, manipulierbar geworden. Man kann sie zum Beispiel aufbrechen, Fenster in ihnen öffnen, oder man kann sie rekursiv machen. Die in sie eingetragenen Schlusspunkte können ebenso gut als Ausgangspunkte angesehen werden. Ein derart geschriebener Text wird 'dialogisch' sein, und zwar zuerst einmal im Sinn eines Zweigesprächs, das aus dem Innern des Schreibenden ins Feld hinausprojiziert wird. Der Text ist nicht mehr, wie auf dem Papier, das Resultat eines kreativen Prozesses, sondern er ist selbst dieser Prozeß, er ist selbst ein Prozessieren von Informationen zu neuen Informationen." [7]

1. Beweglicher Text

Schreiben mittels Computer verändert die Einstellung des Schreibenden und des Empfängers zum Text radikal. Die Grundlagen dazu haben wir uns alle, die sich mehr oder weniger professionell mit Text beschäftigen, in den letzten beiden Jahrzehnten erarbeiten müssen. Das neue Schreiben begegnet uns denn auch allerorten im Alltag: Die Texte werden heute alle elektronisch erfaßt und gespeichert, sie bleiben beliebig abruf- und veränderbar und sind materiell nicht mehr faßbar. Mehr noch: Schriften und Texte existieren nicht mehr in wahrnehmbaren Räumen, sondern in den Speicherzellen der Computer. Was dabei entsteht, sind Inschriften, die mittels Elektronenlithographie in Silizium eingebrannt und somit gespeichert werden. Und der Computer liest uns diese Inschriften vor: Er ist also nicht nur Schreibwerkzeug und Speichermedium, sondern auch noch Lesegerät. Damit wird erstmals in der Geschichte des Schreibens das gleiche Werkzeug zur Produktion und Rezeption verwendet. Dies ist insofern erstaunlich, als wir heute damit näher bei der Produktionsweise mittelalterlicher Manuskripte sind – Produktion, Speichern und Rezeption am/im gleichen Medium, wobei zur Produktion zusätzlich externe Einschreibewerkzeuge wie Feder und Pinsel verwendet wurden – als bei der Produktion von Büchern via Buchdruck, wo ja das Schreiben vollkommen von den anderen Vorgängen separiert wurde und der in Manuskriptform nieder geschriebene Text danach mehrere ökonomische und produktionstechnische Prozesse durchlaufen muss, bis die Daten in einem Buch gespeichert sind und daselbst rezipiert werden können. Den Charakter des Lesegeräts teilt sich der Computer wohl eher mit solchen Geräten wie Fernseher und Radio oder Mikrofiche-Gerät. Auch diese Geräte übersetzen, vergrössern, lesen uns Daten vor. Allerdings werden diese Daten nicht vom Lesegerät selbst gespeichert, sondern als Signale von externen Quellen empfangen oder im Fall der Mikrofiche von einer durch fotografische Reproduktion entstandenen Speicherquelle vergrößert. Einzig das Tonbandgerät sowie die digitale Videokamera können wie der Computer sowohl Produktionsgerät als auch Speicher- und Rezeptionsgerät sein.

Wenn der Computer nun aus dem Speicher vorliest, erzeugt er mittels Elektrizität ein Schema des Textes. Der Leser befaßt sich mit dem Lesen des Schematextes, der ihm in der Gestalt leuchtender Bildpunkte begegnet, die auf dem Bildschirm erscheinen und wieder verschwinden können.[8] Er hat nun die Möglichkeit, diesen Schematext beliebig zu verändern, der dann in seiner veränderten Form über den Befehl 'Speichern' wiederum eine neue Mikro-Inschrift in der Transistorzelle auf dem Silikon-Chip erzeugt.

Der neue Text ist demzufolge nur noch ein Schema des Textes. Eine seiner wichtigen Eigenschaften ist, daß er beweglich ist, ja fluktuierend. Da der Autor nun nur mit einem Muster arbeitet, hat er die Möglichkeit, Textabschnitte zu kopieren, beliebig zu verschieben, zu vergleichen, zu löschen und mit dem erneuten Abspeichern neue Inschriften zu erzeugen. Veränderung wird zur Regel, Stabilität zur Ausnahme. Die Gedanken können direkt auf den Bildschirm überfließen, sie können als Notizen gespeichert oder wieder gelöscht werden. Es kann beliebig kommentiert und annotiert werden. Der kreative Prozeß verändert sich durch die Vervielfachung der unmittelbaren Manipulationsmöglichkeiten. Das digitale Schreiben ist beinahe reibungslos, es besteht nicht mehr die Notwendigkeit, die Gedanken vor dem Schreiben vollkommen ausformuliert zu haben oder Anfang, Mitte und Ende des Textes exakt vorauszuplanen. Struktur- und Detailplanung des Textes können in einem zweiten oder dritten Schritt geschehen – je nach Belieben des Text(be)arbeiters.


2. Hypertext

Der beschriebene Prozeß des 'Prozessierens von Informationen zu neuen Informationen'[9] ist für die meisten von uns heute selbstverständlich. Ja, mehr noch, viele von uns sind es als Internet-User mittlerweile gewohnt, Textabschnitte in loser Folge selbst zu vernetzen, denn einzelne Abschnitte eines Textes können genausogut mit vielen anderen Abschnitten auf andern Seiten zusammenpassen. Textblöcke können beliebig untereinander verschoben und verknüpft werden, Linearität wird zu Multilinearität, rhizomatische Strukturen erhalten Übergewicht – der Schreibprozeß wird weiter belebt. Hypertext ist das Schlüsselwort dazu. Hypertext ist ein Konzept, das mittels Hyperlink-Programmierung Informationen, die sich an unterschiedlichsten Orten befinden, miteinander verknüpfen kann. Lange Zeit war Hypertext lediglich eine Idee[10], bis dann in den 80er Jahren verschiedene proprietäre Umsetzungen auftauchten. So das Autorensystem Hypercard[11], welches ab 1987 von Apple kostenlos mit allen Macintosh Computern ausgeliefert wurde. Man konnte damit sogenannte Stapel virtueller Registerkarten (Hypercards) erstellen und diese via Hyperlinks miteinander verbinden. Schriftsteller, die sich für die Computertechnologie interessierten, begannen, multilineare Geschichten auf Hypercard zu entwickeln. Der eine oder andere Verlag wagte eine elektronische Zweitpublikation – so Voyager mit der Reihe "Expanded Book", in der 1992 unter anderem auch William Gibsons Neuromancer-Trilogie[12] erschien. Gibsons Texte wurden dabei als Hypertext in kleinere Seiten-Einheiten aufgeteilt. Eine zusätzliche Navigation sowie eine Vollindexierung aller Wörter gaben dem Leser die Möglichkeit, kreuz und quer durch den Text zu navigieren und Suchabfragen nach bestimmten Begriffen zu machen, die er dann auch sogleich via Hyperlink ansurfen konnte. Wer eine hypermediale Umsetzung erwartet, wird von der elektronischen Zweitpublikation enttäuscht sein. Doch mit dem Programm Hypercard ließ sich noch viel mehr machen. Dank der einfachen Handhabung und der Möglichkeit, diverse mediale Bild- und Filmformate sowie Scripts einzubinden, entstanden über die Jahre zahlreiche hypermediale Projekte sowohl für den Hausgebrauch (von Kochrezept-Katalogen bis zu Familienchroniken)  als auch in professioneller Umgebung wie beispielsweise die Abenteuer-Spiele Myst und Riven[13]. Das kreative Potential des heute fast vergessenen Programms war enorm.

Auch der amerikanische Autor Michael Joyce machte sich in den 80er Jahren Überlegungen zum vernetzten Schreiben und Lesen von Textelementen. Das Manipulieren, Verschieben, Auswählen und beliebige Verknüpfen, das dem Autor mit der elektronischen Textverarbeitung neue Erfahrungen ermöglichte, wollte er auch dem Leser zugestehen. Joyce half in der Folge, die Software 'Storyspace'[14] mit zu entwickeln, die dem Leser die gleichen Freiheiten wie dem Autor gestatten sollte. Seine Hyperfiction Afternoon, a story[15], die mit dieser Software erstellt wurde, ist mittlerweile ein Klassiker der digitalen Literatur. Doch der damalige Anspruch gleichwertiger Partizipation konnte nicht umgesetzt werden. Der Leser war wohl zu einem Entscheidungspartizipanten geworden, nicht aber zu einem Mitautor. Weder die Software 'Storyspace' noch die wenig später entwickelten Auszeichnungssprachen des World Wide Web (HTML 1.0 bis 4.0.1) lassen dem Leser wirklich soviel Spielraum, wie man sich das anfangs ausgedacht hatte.

Auch Tim Berners-Lee, der Erfinder der HTML-Auszeichnungssprache und Architekt des World Wide Web, beabsichtigte ursprünglich ein freieres System, welches dem Leser ein direktes Reagieren, Kommentieren und Mitarbeiten an Texten zugestanden hätte. Doch die Umsetzung des interaktiven Teils des Vorhabens World Wide Web mit Browsern für Zweiweg-Kommunikation erwies sich nicht etwa in technischer Hinsicht als besonders schwierig, sondern in Bezug auf die ökonomische Kontrolle und den von der Buchkultur auf Printprodukt, Verlag und Autor zentrierten urheberrechtlich restriktiven Umgang mit Texten.[16]


3. Vernetztes Schreiben

Die Entwicklung des neuen elektronischen Schreibens von seinen Anfängen bis heute läßt sich unter anderem mittels einer diachronen Liste der praktischen Manipulationsmöglichkeiten beschreiben. Jedem Verfasser eines Textes bieten sich diese Möglichkeiten als einzelne Schritte auf dem Weg seiner 'Entwicklung' des Textes an.

Anders als bei der Schreibmaschine kann der Verfasser mittels Textverarbeitung am Computer kleine textuelle Veränderungen an Wörtern und Sätzen vornehmen, ohne daß er einen Text neu 'abtippen' oder von Hand Teile streichen und Korrekturen anbringen muß. Er kann ganze Sätze umstellen, ohne von vorne beginnen zu müssen. Und in einer nächsten Stufe kann er mittels 'Cut and Paste' ganze Textblöcke frei verschieben; dies zuerst einmal innerhalb eines Dokumentes, dann aber auch zwischen verschiedenen Dokumenten. Weiter hat der Verfasser die Möglichkeit, andere Objekte in einen Text einzufügen und damit intermediale Dokumente zu schaffen. In einem nächsten Schritt kann er Hyperlinks setzen (je nach Programm) und am Ende den Text in ein (wenn auch meist unzulängliches) HTML-Format konvertieren. Soweit halten die gängigen heutigen Textverarbeitungsprogramme mit der Entwicklung des Neuen Schreibens mit, so dass jeder User mit diesen Funktionen (Tabelle: 1 – 7) vertraut sein könnte. Doch mit vernetztem Schreiben hat dies noch nicht viel zu tun.

Die Vorstufen zu vernetztem Schreiben, ein direkter Upload des Textes ins Internet sowie das Bereitstellen eines dazu benötigten Speicherplatzes auf einem Webserver, werden von gewöhnlichen Textverarbeitungsprogrammen bereits nicht mehr standardmäßig angeboten (Tabelle: 8 – 9). Und alle weiteren Schritte wie das Einbetten in eine vernetzte Arbeitsumgebung, in welcher auch den Lesern Reaktions- und Eingriffsmöglichkeiten sowie weitere Kommunikationsmöglichkeiten gegeben werden (Tabelle: 10 – 13), ist nach wie vor nur wenigen Net-Usern bekannt.

Entwicklung

Manipulation

Gewinn

1. Textverarbeitung am Computer

Kleinere Veränderungen an Wörtern und Sätzen

Kein Abtippen mehr nötig 

2. Cut & Paste

Umstellen ganzer Sätze

Nicht mehr neu beginnen müssen

3. Cut & Paste (wachsende Zwischenablage)

Verschieben ganzer Textblöcke innerhalb eines Dokumentes

Flexiblerer Produktions- und Denkprozeß

4. Montage

Verschieben ganzer Textblöcke zwischen Dokumenten /Programmen

Interoperabilität

5. textfremde Objekte integrieren

Andere Objekte in einen Text einfügen: Bild, Ton, Film, Tabelle

Konkrete Intermedialität

6. Hyperlinks

Hyperlinks setzen

Konkrete Intertextualität

7. HTML

Konvertieren in HTML

Allgemeiner Publishing-Standard

8. FTP/HTTP

Upload ins Internet

Direktes Publizieren möglich

9. Webspace

Selbstpublikation durch Bereitstellen von Speicherplatz auf einem Webserver

Eigener Publikationsraum

10. Vernetzte Arbeitsumgebung (Online-Datenbankanschluss)

Einbetten in eine vernetzte Arbeitsumgebung

Partizipation des Lesers an Diskussionen etc.

11. Archiv- und Dokumententool

Reaktionsmöglichkeiten für den Leser wie Kommentieren, Anfügen

Asynchrone Interaktivität

12. Schreibtool

Eingriffsmöglichkeiten für den Leser wie Modifizieren, Löschen, Neuen Text online eröffnen

Asynchrone Konkreativität

13. Konkreatives dynamisches Schreibtool

Weitere Produktions- und Kommunikationsmöglichkeiten auch auf synchroner Ebene

Synchrone Interaktivität und Konkreativität

Tabelle 'Entwicklung des elektronischen Schreibens'

Dem vernetzten kooperativen Arbeiten kann man sich nähern in einfacheren Schreibumgebungen wie den Wikis[17] oder dem in Wissenschaftskreisen lange Zeit populären BSCW (Basic Support for Cooperative Work)[18] des Fraunhofer Instituts. Diese kollaborativen Umgebungen eignen sich aber in erster Linie zur gemeinsamen Archivierung und Verwaltung von Dokumenten in Arbeit. Sie sind nichts weiter als Datenbanken, deren einzelne Dokumente herunter geladen, weiter bearbeitet und wieder auf den Server geladen werden können. Die Arbeit geschieht in traditioneller Aufgabenteilung, Autorenzuweisungen allerdings sind zumindest nicht notwendig. Doch die Umgebungen bieten keinerlei synchrone Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten, sie bieten auch sehr wenige Vernetzungsmöglichkeiten auf Dokumentenebene. Trotzdem eignen sie sich sehr gut zur gemeinsamen Erarbeitung größerer Textwerke wie zum Beispiel einer ausführlichen Konferenzdokumentation (BSCW) oder gar einer Enzyklopädie wie Wikipedia[19].

Die älteren Techniken der MUDs und MOOs (über Telnet und WWW) hingegen machen – wie Chaträume und Messenger-Dienste – eine synchrone Kommunikation zwischen den Beteiligten möglich. Diese neuen Arbeits- und Kommunikationsformen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit lassen dann aber auch Texte entstehen, die sich stark von den abgeschlossenen 'buchorientierten' Texten unterscheiden. Der Text wird in diesen neuen Schreib- und Kommunikationsumgebungen auf jeden Fall zu einer Schnittstelle von Leser/Schreiber, Anbieter/Nutzer, Sender/Empfänger. Je nach Entwicklung des Tools werden die teilweise noch an der Buchkultur orientierten Interfaces aufgebrochen und vermögen die jeweiligen Positionen zu verschmelzen bzw. die fixierten Rollenverteilungen aufzulösen.

Heiko Idensen stellt fest, daß Online-Texte sich per se deutlich von Buchtexten unterscheiden. Sie würden charakterisiert durch eine projektorientierte Dynamik, durch ein kollaboratives Entwerfen und Strukturieren, durch eine Beschleunigung sämtlicher Kommunikations- und Distributionsprozesse sowie durch eine allgemeine Öffnung der Textstrukturen. "Erstellen und Überarbeiten von Texten sowie ihre Einbindung in andere Kontexte vollziehen sich nicht mehr im Kopf einzelner Autoren, sondern in digitalen Netzwerken, die sich von vornherein im öffentlichen Raum konfigurieren."[20] Das heißt nun aber nichts weiter, als daß jeder Teilnehmer an einem digitalen Diskurs gleichermaßen Sender und Empfänger ist und die Benutzung dieses Zweiweg-Kanals ihn sowohl zum Leser als auch zum Schreiber – einem 'Wreader'[21] – macht.

Entscheidend hierbei ist das Stellen der Machtfrage: Solange im diskursiven System die Machtverhältnisse und Zugriffsmöglichkeiten auf die Produktionsmittel unangetastet bleiben, hält auch der 'digitale Autor' die Macht über den Text weiter in seinen Händen. Nur wer bereit ist, auf die Herrschaft über seinen eigenen Text zu Gunsten der Offenheit und Projektorientierung zu verzichten, der zieht auch wirklich Nutzen aus der umfassenden Möglichkeit als 'Wreader', "das Internet als einen interkulturellen intertextuellen Diskursraum zu benutzen."[22]


4. Schwebendes Schreiben

Die freie Architektur einiger Internet-Dienste (insbesondere des WWW) bietet die Möglichkeit, auf ihre Plattformen weitergehende Tools aufzusetzen und mit direkter Leser-Partizipation zu experimentieren. So gibt es denn bereits 'konkreative Schreibtools', die den 'beweglichen Text' noch einige Spuren beweglicher machen. Diese neuen virtuellen Tools, ihre erstaunlichen Funktionen und Anwendungen versuchen die Entwickler des Schreibtools 'Nic-las', René Bauer und Joachim Maier, mit dem Stichwort "Schwebendes Schreiben" zu fassen.[23] Ein näheres Betrachten ihres Schreibtools zeigt, wie der Begriff zu verstehen ist: Nic-las[24] ist ein konkreatives Mediensystem, das ein direktes Schreiben online erlaubt. Aus dem Gedanken entstanden, einen multifunktionalen elektronischen Zettelkasten zu bauen, der von verschiedenen Autoren in Kooperation bearbeitet werden kann, sind seit der Geburt des Schreibtools 1999 bereits zahlreiche neuartige mediale Funktionen entwickelt und integriert worden: Anders als in anderen konkreativen Systemen kann jeder eingegebene Text von jedem (neuen) Besucher bearbeitet, ergänzt, neu verknüpft, verändert, kommentiert und gelöscht werden. Diese grundsätzlichen Bearbeitungsfunktionen gelten aber nicht nur für Text, sondern für eine große Menge von Formaten, die den medialen Elementen Text, Ton, Bild und Animation entsprechen. Außerdem können auch Hypertextlinks sowie herunterladbare Dateien von Besuchern gesetzt oder verändert werden. Stichworte und Zitate werden vom autopoietischen System automatisch verknüpft. Dieses virtuelle Tool bietet also Leuten, die geographisch nicht am gleichen Ort arbeiten, ganz neue Möglichkeiten unmittelbarer Zusammenarbeit. So kann ohne weiteres ein Dutzend Wissenschaftler mittels 'Nic-las' gemeinsam einen Text oder ein Projekt ausarbeiten, ohne sich real treffen zu müssen – so geschehen mit einer ersten Version des Schreibtools durch die Herausgebergruppe der Doppelpublikation Hyperfiction – hyperliterarisches Lesebuch: Internet und Literatur[25] im Jahre 1999.

Aus dem fluktuierenden Text des Computers an sich wird in einem System wie 'Nic-las' ein 'fluktuierendes Konkreatisieren', wobei Autor, Herausgeber und Leser in ihren Rollen ebenso fluktuieren wie die einzelnen Text- und Medienelemente. Begrifflich könnte dieser Prozeß mit den Ausdrücken 'schwebendes Schreiben' oder 'schwebendes Kreieren' gefaßt werden. Die einzelnen Texte, Bilder, Töne und Animationen 'konkreatisieren' sich im ständigen fluktuierenden Austausch zwischen den Mitgliedern einer meist thematisch ausgerichteten Community. Notizen können sich zu Texten verflüssigen, Ansammlungen von Bildern und Links wachsen und verdichten sich zu Web-Projekten. Daß jeder Besucher jedes mediale Element löschen oder verändern kann, hat sich bis anhin als irrelevant erwiesen. Trotzdem steht es jedem Teilnehmer offen, beim Anlegen einzelner Zettel Autoritätsstrukturen einzuführen und zum Beispiel seine eigenen Texte vor dem Löschen oder Bearbeiten anderer zu schützen und lediglich Kommentare zu erlauben. Einzelne Text- und Projektelemente können innerhalb des Systems auch frei herum geschoben oder mehrfach mit Labeln versehen werden.

Erweiterungen, sogenannte 'Extensions', ergänzen das lebendige System in ungeahnter Weise: So erlaubt das 'Looking Glass', Kommentare auf fremde Webseiten zu setzen und von dort her thematische Vernetzungen zu anderen Sites sichtbar zu machen. Die 'Subvisuals' liefern jeweils ungefragt assoziative Treffer aus dem Internet zum gerade gewählten Stichwort: Dies als Verweis auf einen Text im Internet oder aber als Bild.

Außerdem thematisiert das konkreative Schreibtool seine eigenen Möglichkeiten des Speicherns, Manipulierens und Löschens einerseits mit einem 'freudschen Unterbewußten', das dafür sorgt, daß bereits gelöschte Daten zufällig wieder ins Bewußtsein gespült werden, und andererseits mit einem 'deleuzeschen Unterbewußten', das Daten aus dem gesamten gesammelten Informationspool wieder zufällig ans Tageslicht holt.

Das konkreative Medientool 'Nic-las' ist auf dem Prinzip der Differenz aufgebaut. Die Macher bezeichnen die einzelnen Zettel des Zettelkastens von 'Nic-las' als 'Differenzen'. Diese Zettel können nicht nur Text, sondern auch Links, Bilder, Töne, Filme und Dokumente enthalten. Zurzeit etwa 30 unterschiedlichste Datei-Formate. Eine Differenz kann also einen beliebigen multimedialen Inhalt enthalten. Den Inhalt einer Differenz bezeichnet man wohl am besten als 'Content'.

Dieser Content wird einmal lokal auf seinem Zettel in den Kasten eingeordnet. Darüber hinaus wird er aber anhand der Zettelstruktur noch einmal dynamisch (als 'dynamic object') eingeordnet, das heißt der Content bildet mit den bereits vorhandenen Contents ein System von Texten.

Der eingegebene Content kann stets beobachtet werden: einmal als News, andererseits als 'dynamic object'. Jeder neue Zettel macht eine dynamische Neuordnung des gesamten Contents nötig. Der User merkt dies daran, daß nach dem Eröffnen einer Differenz namens 'Rezeption' nun alle Texte, die das Wort 'Rezeption' enthalten auf die Differenz 'Rezeption' verweisen.

Der Rezipient kann in 'Nic-las' schnell zum Produzenten werden; denn er kann fast alles verändern, was er will, und er kann beliebig Material eingeben bzw. produzieren. So durch die Funktionen "add comment", "add label", "add connect" nach jedem beliebigen Content. Er kann jeden Text im System, nicht nur jenen Text, den er selber eingegeben hat, beliebig mit der Funktion "modify" verändern oder gar mit "delete" löschen.

Wen dies zu sehr erschreckt, dem sei gesagt, daß bis anhin sehr wenige Texte böswillig gelöscht wurden. Außerdem bietet das System von 'Nic-las' ein recht komplexes Schutz- und Autorisierungssystem, das jeder User nutzen kann, um seine wichtigsten Texte vor dem Zugriff anderer User zu schützen. In der Regel wird dieses Schutzsystem von den Usern aber nicht verwendet. Hier bildet sich denn auch langsam ein neuer, wirklich kooperativer Gebrauch von Texten und Ideen jenseits des üblichen Copyrights aus, das auch von geisteswissenschaftlichen Akademikern oft als wehrhaftes Schild in Anspruch genommen wird. Wer darf verändern, wer darf löschen, wer darf den Zugang kontrollieren?[26] Restriktive Eingriffe machen in diesem System wenig Sinn, der Möglichkeitsraum zur Produktion wird so weit wie möglich offen gehalten, und Gelöschtes unterscheidet sich schließlich lediglich dadurch von Nicht-Gelöschtem, daß es einen Gelöscht-Eintrag in der Datenbank enthält.

'Nic-las' konstruiert bei jeder Aktion eine spezielle Ansicht der Datenbasis, die nur in diesem Moment für diesen speziellen User generiert wird. Das heißt, die Oberfläche wird lediglich für diesen einen Moment für einen einzigen User 'geschrieben'. Der User selbst kreiert also ein temporär existierendes 'Scripton'. Seine virtuelle Welt entsteht im Zugriff auf die Oberfläche und ist als individueller Zusammenzug von verschiedenen Daten zu verstehen.

Die Beschreibung des konkreativen autopoietischen Schreibtools 'Nic-las' ist exemplarisch für eine Bewegung hin zu dynamischeren Schreib- und Kommunikationstools zu verstehen. Was hier von 'Nic-las' beschrieben werden konnte, ist lediglich ein Ausschnitt, denn mit seinen diversen 'Extensions' und einem parallel sich entwickelnden unabhängigen, aber einklinkbaren Offline-Modul namens 'Ixistenz' treibt 'Nic-las' die Entwicklung des Neuen Schreibens rasch weiter voran. Aber genauso ist die exemplarische Wahl von 'Nic-las' hier nur ein Ausschnitt einer breiteren Bewegung, welche verschiedene Technologien zu neuen Kommunikationsformen zu verbinden versucht. So gibt es zum Beispiel für das Betriebssystems 'MacOSX' neue Tools, die im Verbund mit dem lokalen Netzwerk-Tool 'Rendezvous' arbeiten. Ein User kann nun mit einem Klick nicht nur 'chatten' oder ein iTunes-Musikstück hören, das sich auf dem Computer einer Arbeitskollegin befindet, er kann auch gleichzeitig mit seiner Kollegin am gleichen Text arbeiten. Die vier Programmierer von 'The Coding Monkeys'[27] machen dies mit ihrer Software 'SubEthaEdit' (vormals 'Hydra') möglich. In Echtzeit können mehrere Schreiber am gleichen Text arbeiten, wobei jeder einen eigenen Cursor hat und jede Änderung sofort Buchstabe für Buchstabe im Textfeld sichtbar wird. Einzige Bedingung von 'SubEthaEdit' in Kooperation mit 'Rendezvous' ist, dass sich alle User im gleichen LAN ('local area network') befinden – und sich gegenseitig als Mitarbeiter am Text akzeptiert haben. Über dieselben Funktionen verfügt übrigens auch die 'Nic-las-Extension' 'Asurface'. Sie existiert allerdings erst in einer Beta-Version, kann aber nicht nur in einem LAN, sondern übers gesamte Internet via Browser genutzt werden. Außerdem kann mit 'Asurface' nicht nur gemeinsam am gleichen Text geschrieben, sondern mit geometrischen Figuren auch gemeinsam gezeichnet werden – wenn auch erst rudimentär.

Erwähnenswert ist hier auch die 'textmachina'[28], eine Studienumgebung, welche zurzeit in einem Forschungsprojekt an der Universität Zürich entwickelt wird. Die 'textmachina' macht dem User systematisch zahlreiche Manipulationsmöglichkeiten, die sich gewöhnlich nur mit einem Textverarbeitungsprogramm vollziehen lassen, über die Browseroberfläche zugänglich. Dabei gliedern sich sämtliche Funktionen in zwei Haupttechniken: Kommentar (Hinzufügen eines Textobjekts) und Modifikation (Modifizieren eines bestehenden Textobjekts). Diese Haupttechniken wiederum gliedern sich in verschiedene Spezialtechniken. Jedes Textobjekt kann durch ein neues 'kommentiert' oder mit einem bestehenden verknüpft werden. Auf diese Weise, so sind die Macher überzeugt, lasse sich ein offenes und im Prinzip endloses Textuniversum entwerfen, das den Diskurswelten des gedruckten und gesprochenen Wortes in nichts nachstehe. Neben Bewertungs- und Multimedia-Funktionen bietet die 'textmachina' als erstes Online-Schreibtool eine Markierungsfunktion, welche es erlaubt, einen einzelnen Textausschnitt innerhalb eines Textobjektes zu referenzieren. Das Tool ist mit seiner Rechtezuteilung, den Thread-Möglichkeiten sowie den gezielten Übungsfunktionen nicht auf eine offene Community wie 'Nic-las' ausgerichtet, sondern darauf, dass ganze Lehrveranstaltungen damit begangen werden können.

Schriftsteller wie Politicky werden sich wohl nicht mit solchen Tools anfreunden können, wenn sie nicht einmal über die ersten Schritte der Entwicklung zum Neuen Schreiben hinauskommen. Immerhin ist aber auch für sie der Computer zum alltäglichen, wenn auch widerspenstigen Schreibwerkzeug geworden – und sie nutzen zumindest die grundlegenden elektronischen Schreibfunktionen (Tabelle: 1 – 5). Die folgende Generation, die mit dem Computer aufgewachsen ist – wohl ab Jahrgang 1970 –, hat weniger Probleme mit dem Neuen Schreiben. Auch die Diskussion der Copyright-Frage dank Nähe zu 'Open Source' trägt in dieser Generation zu einem lockeren Verhältnis zu kollaborativem Arbeiten bei. Dies scheint auch bitter nötig, denn gerade in akademischen Kreisen, wo diese Art des Schreibens weiterhelfen könnte, wird sie zumeist ignoriert oder gar abgelehnt. Ist es heute in naturwissenschaftlichen Fächern eine Selbstverständlichkeit, dass mehrere Forscher gemeinsam an einem Projekt arbeiten und auch gemeinsam einen wissenschaftlichen Text verfassen, der dann drei, fünf oder mehr Autorennamen tragen kann, so ist das in den Geisteswissenschaften noch immer undenkbar.

Ob sämtliche Variationen des Neuen Schreibens zur Produktion von Literatur eingesetzt werden können, ist ebenfalls fraglich. Doch zeigen gerade auch größere Film-, Theater- und Spieleproduktionen, wie wichtig gute Kollaborationen und konkreative Arbeitsstrukturen für größere Projekte wären. Immerhin: Niemand propagiert, dass ab morgen alle Schriftsteller via konkreatives Schreibtool mit ihren Lesern zusammenarbeiten sollen. Einigen würde es zwar durchaus gut tun, Feedback und Inputs von Lesern zu erhalten. Und nicht wenige Schreiber würden sich zumindest ein unverbindliches direktes Feedback von Leserseite wünschen. Doch das Neue Schreiben wird das traditionelle Schreiben (der Dichter in der einsamen Klause) vorerst nicht ablösen. Es wird es allenfalls etwas verändern. Im Bereich der Erziehung und der Forschung jedoch besteht eine größere Chance auf  Veränderung. Solche Tools können in diesen Bereichen auf jeder Stufe erfolgreich eingesetzt werden, denn sie vermögen vor allem auch die Denk- und Kreationsprozesse besser aufzuschlüsseln und damit auch weiter anzuregen. Sie erleichtern das gemeinsame Arbeiten, können auf ein vielfaches von Ressourcen zurückgreifen, sind ausgezeichnete Informationsmanager, binden einen Einzelnen in dialogische Netzwerke ein und können gar unterhaltsam und lehrreich sein. Außerdem produzieren sie umfassende Wissensbasen, welche stets wieder als Grundsteine für weitere Erforschungen dienen können.


Dieser Aufsatz erschien erstmals im Buch: Engell, Lorenz und Neitzel, Britta (hgg.): Das Gesicht der Welt. Medien in der digitalen Kultur. Heinz Nixdorf Museums Forum. Wilhelm Fink Verlag: München 2004.



Fussnoten

[1] McLuhan, Marshall: The Gutenberg Galaxy. Toronto: University of Toronto Press 1962, S. 40.

2 Politycki, Matthias: "Digitale Schriftstellerei – der selbstverschuldete Ausgang des Menschen aus seiner Mündigkeit." In: Fehr, Johannes und Grond, Walter (Hgg): Schreiben am Netz. Literatur im digitalen Zeitalter. Band 1. Innsbruck: Haymon Verlag 2003, S. 172 – 178, S. 177f.

[3] Vgl. Bolter, Jay David: Writing Space. The Computer, Hypertext and the History of Writing. Hillsdale, NJ, Hove and London: Lawrence Erlbaum Associates 1991, S. 87f.

[4] Vgl. Giesecke, Michael: Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, S. 255f.

[5] Vgl. Giesecke 2002, S. 275.

[6] Vgl. Giesecke 2002, S. 277.

[7] Flusser, Vilém: "Hinweg vom Papier. Die Zukunft des Schreibens." In: Bollmann, Stefan (Hg.): Der Flusser-Reader zu Kommunikation, Medien und Design. Mannheim: Bollmann 1995, S.61f.

[8] Vgl. Suter, Beat: Hyperfiktion und interaktive Narration im  frühen Entwicklungsstadium zu einem Genre. Zürich: update Verlag 2000, S. 120ff.

[9] Vgl. Fussnote 7

[10] Vannevar Bush, Berater von Roosevelt, entwickelte schon 1945 in seinem Artikel 'As we may think' in der Zeitschrift Atlantic Monthly das Prinzip einer Hypertext-Maschine, die in einer Art Schreibtisch alle möglichen Informationen erfassen und mittels solcher Links assoziativ verknüpft ausgeben sollte.  Das geniale Prinzip, das er 'Memex' nannte, war seiner Zeit aber weit voraus, es konnte erst mit Hilfe von Computern zufriedenstellend umgesetzt werden. Einer der ersten, der dies schaffte, war Ted Nelson mit Xanadu, einem Projekt, an dem seit den sechziger Jahren gearbeitet wurde und das Anfang achtziger Jahre erstmals funktionierte. Der Vorläufer des WWW baute auf einer einzigartigen Namengebung für alle Dokumente und einem völlig neuen, revolutionären Urheberrecht des 'Transpublishing' auf.  Nelson wird allgemein die Kreation des Begriffs 'Hypertext' zugeschrieben. Doch der Idealist Nelson wurde in den neunziger Jahren von den Entwicklungen des Internet regelrecht überrollt; er arbeitet heute noch an der Fertigstellung der Xanadu-Formate. Vgl. Nelson, Ted u.a.: "The Project Xanadu." Dito. 1993 – 2003. <http://www.xanadu.net> (21.07.2003).

[11] Vgl. Apple: Hypercard 2.4 (letztes Update: 1998). Apple Website. 2003. <http://www.apple.com/hypercard/> (15.08.2003).

[12] Vgl. Gibson, William: Neuromancer. Electronic Edition. San Francisco: The Voyager Company 1992. Ironischerweise erzählt William Gibson im speziell für die elektronische Buchversion geschriebenen Nachwort, wie er seinen ersten Roman mühevoll auf einer alten Schreibmaschine (einer Herrmes 2000, hergestellt von E. Paillard & Cie. in Yverdon, Schweiz) verfaßt habe – und erst beim dritten Roman erstmals mit einem Computer in Berührung kam, in dem er ein damals (1986) bereits stark veraltetes Modell (Apple IIc) erstanden hatte.

[13] Vgl. Cyan Productions: Myst. Spokane: Broderbund and Red Orb 1993. Und: Cyan Productions: Riven. The Sequel to Myst. Spokane: Broderbund and Red Orb 1997.

[14] Vgl. Eastgate Publishers: Storyspace. Eastgate. <http://www.eastgate.com/Storyspace.html> (15.08.2003).

[15] Vgl. Joyce, Michael: Afternoon, a story. Watertown MA: Eastgate 1991.

[16] Vgl. Lessig, Lawrence: The Future of Ideas. The Fate of the Commons in a connected World. New York: Vintage Books 2002, S. 134f. "When Berners-Lee invented the World Wide Web, he didn't really have in mind centralized Web servers broadcasting tons of content to the many; from the very start, he tried to push developers of browsers to develop them as two-way devices – allowing both the viewing and the writing of HTML code. Berners-Lee wanted a peer-to-peer Web, and his technology enabled that. But in the first generation of  its deployment, that wasn't how it was deployed."

[17] Vgl. Leuf, Bo und Cunningham, Ward. "Wiki". Dito. 1995 – 2003. <http://www.wiki.org> (05.08.2003). "Wiki is a piece of server software that allows users to freely create and edit Web page content using any Web browser. Wiki supports hyperlinks and has a simple text syntax for creating new pages and crosslinks between internal pages on the fly. Wiki is unusual among group communication mechanisms in that it allows the organization of contributions to be edited in addition to the content itself."

[18] Vgl. Fraunhofer FIT - Institute for Applied Information Technology. "BSCW". Dito. 1995 – 2003. <http://bscw.gmd.de/> (05.08.2003). "BSCW enables collaboration over the Web. BSCW is a 'shared workspace' system which supports document upload, event notification, group management and much more."

[19] Vgl. Diverse Autoren: "Wikipedia. Die freie Enzyklopädie." Wikipedia. 2001 – 2003. <http://de.wikipedia.org/> (12.08.2003). Wikipedia ist "eine frei verfügbare Enzyklopädie in Wikiform, deren Beiträge gemeinsam erarbeitet werden. Sie ist der deutschsprachige Bereich des internationalen Wikipedia-Projekts." Am 12.08.2003 bestand die deutsche Online-Enzyklopädie aus 26.561 Artikeln, die englische aus 148.178 Artikeln. Jeder kann mitarbeiten – mit oder ohne Anmeldung. "Der Inhalt der Wikipedia unterliegt der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Das bedeutet: Die Texte sind frei und werden es für immer bleiben."

[20] Idensen, Heiko: "Kollaborative Schreibweisen – virtuelle Text- und Theorie-Arbeit: Schnittstellen für Interaktionen mit Texten im Netzwerk." In: Gendolla, Peter, Schmitz, Norbert M. u.a. (hgg.): Formen interaktiver Medienkunst. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001, S. 218 – 265, S. 260.

[21] Der Ausdruck 'Wreader' ist ein Zusammenzug von 'writer' und 'reader'. Er bezeichnet den gewandelten Charakter des Lesers, der im digitalen Netzwerk-Umfeld zu einem sekundären Autor wird, der den veränderten Text an andere Leser weiter reichen kann, die wiederum Veränderungen anbringen können. "Die Formulierung 'wreader' erscheint als direkte Wiederaufnahme von Julia Kristevas Schreiben-Lesen, der 'écriture-lecture'. Ihre Darstellung des Textbegriffs läßt sich wie die Vorwegnahme der Arbeit mit Hypertexten lesen." Zitat aus: Bergermann, Ulrike: "'Verkörpert' Hypertext Theorien vom Schreiben?" Homepage Ulrike Bergermann. 1997. <http://www.uni-paderborn.de/~bergerma/texte/zmm.html>, (12.08.2003).

[22] Idensen 2002, S. 263.

[23] Vgl. Bauer, René und Maier, Joachim. "Schwebendes Schreiben. Vom Schreiben an/in kontextualisierenden Medien wie niclas.com." In: Fehr / Grond 2003. S. 164 – 171.

[24] Bauer, René und Maier, Joachim: "Nic-las." Dito. 1999 – 2003. <http://www.nic-las.com> (12.05.2003). Der Name Nic-las setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Bezeichnung "nowledge integrating communication-based labelling and access-system" zusammen.

[25] Vgl. Suter, Beat, Böhler, Michael (Hgg.): Hyperfiction. Hyperliterarisches Lesebuch: Internet und Literatur. Basel und Frankfurt a. M. 1999, S. 9. Zur Herausgebergruppe von Buch und CD-ROM gehörten auch: Christian Bachmann, René Bauer, Stefan Hofer, Urs Honegger, Mela Kocher, Judith Mathez und Mirjam Weder.

[26] Bauer/Maier 1999-2003:"es gilt also eine art des schreibens zu entwickeln, die über das publishen hinausgeht, eine kultur die auf 'schwebendes schreiben' (vgl. russel: schwebendes Urteil) hinausläuft. schreiben am text und am medium und bio-power-mässig auf den rücken des schreibenden wie in kafka's strafkolonie, wo der zusammenbruch des schwebezustands unendliche erkenntnis und desintegration in eins fallen lässt. schweben bedeutet dann auch, wonach wir uns unseren urteilsspruch noch selbst schreiben mögen --- als zu gebrauchende software wie eben nic-las. texte entstehen darin immer als etwas vor=läufiges, als unfertiges (leben in einem immer unfertigen konstrukt), stehen nie allein im nichts, herausgelöst, sind immer schon teil einer vernetzung, con=text=(d)ualisiert, erzeugen in ihrer offensichtlichen mediatisierung doppelte kontingenzen + anschlussmöglichkeiten und profitieren von ihrer umgebung. con=text=(d)ualisiert und verdreifachter text, entsteht dann mit jeder operation in einem gemeinsamen prozess von variation (schreiben, geschrieben bekommen) und auslesen, von kommentieren und weiterschreiben, von einfügen und eingefügt bekommen. die doubles und gegenüber, welche immer mitschreiben, zeigen sich dann mehrwertig im text und in verschiedenen medialen anschlüssen."

[27] 'The Coding Monkeys' sind Studenten der TU München: Dominik Wagner, Martin Ott, Martin Pittenauer und Ulrich Bauer. Vgl: The Coding Monkeys: "SubEthaEdit.". The Coding Monkeys. 2003, <http://www.codingmonkeys.de/subethaedit/> (19.10.2003).

[28] Vgl: ICT Projekt 'Grundkurs Literaturwissenschaft' (Böhler, Michael u.a.): "textmachina." 'Grundkurs Literaturwissenschaft' Deutsches Seminar, Universität Zürich. 2002 – 2004. <http://www.textmachina.unizh.ch> (01.03.2006).