perspektive. hefte für
zeitgenössische literatur... - mit deinem internet-projekt "kunsttot" bist du am futuristischen "dampfer der gegenwart" angekommen. wie einst chlebnikov gilt es dir die alteingesessene kunst/kuenstlerinnen aus ihren historischen kanondatschen zu werfen. du vergleichst den kunstkanon mit einer kokotte. die sich ueber die jahre immer juenger liftet. nur um der "sportbegeisterung" des publikums zu gefallen. wo genau ist fuer dich das ende der fahnenstange bzw. wo haengt deine fahne? Meine Fahne hängt hart und auf halbmast
im Wind.
- die futuristen bekaempften in ihrer proklamation der futuristischen malerei aehnlich wie du die falsche patina in der kunst, das auf altmachen von altgewordenem - kunstgeschichte als pathetische uebermalung des ewig gleichen kanons. nachdem die neoisten die eigene historisierung in den kunsthistorischen kanon, als "letzte zuspitzung" betrieben haben, um die institutionellen strukturen desselben offenzulegen, stellt sich die frage, ob die kunsttot-strategie noch eine effektive sein kann bzw. ob sie das "infantile" publikum, wie du es nennst, noch erreicht. Kürzlich, bei einer live Radiosendung im SWR mit Stimmungspublikum, sollte ich Teile aus dem Kunsttot-Manifest lesen. Da ich keine Auswahl treffen konnte - bei einem Manifest ist traditionell jeder Buchstabe, jedes Komma, jeder Schreibfehler wichtig - ließ ich den Text von Microsofts WordTM automatisch auf 30% vom Original eindampfen. Mit erstaunlichem Erfolg: nach dem Verlesen von wenigen Sätzen flippte ein Zuhörer im Publikum vollkommen aus, lachte, schrie und tobte - alles live über den Äther. Kurz, es war angemessen wundervoll. Daß er 5 Minuten später, offensichtlich sturzbetrunken, einschlief, läßt mich folgern: natürlich ist das Publikum noch zu erreichen und zwar entweder mit Microsofts letzter Software-Zuspitzung oder im strategischen Suff wie weiland Sokrates bei effektiven Trinkgelagen oder Hans Müller mittwochs in der Institution "Gasthof Hirsch". Anderswo nicht.
- du laesst mädchen dada-traenen weinen und t-shirts mit "avantgarde ist wurscht" drucken. in einem interview sprichst du davon. dass das internet alte avantgarde-konzepte reaktiviert. du nennst ein wesentliches konzept: das der selbstreferentialitaet von kunst und kuenstlerinnen - also eine "hyperwachsamkeit" den mitteln, den strukturen und diskursen gegenueber, mit und in denen man arbeitet. wie sehen die apparate und mittel fuer deine diskursivitaet aus und welche weiteren konzepte der avantgarde finden im internet einen neuen "fruehling"? Da erblüht im Netz wieder das Konzept
als Konzept der Avantgarde und auch die soziale Plastik erlebt beispielsweise
in diversen Spielzeugkriegen eine Maximalrenaissance, wird sogar als Metapher
für das Netz propagiert. Überhaupt scheint mir das Internet
gar keine Zukunftstechnologie zu sein, sondern eine Zeitmaschine in die
Vergangenheit. Die goldenen 20er im letzten Jahrtausend nicht erlebt,
'68 verpennt? Kaum summt das Modem, schon ist der Bildschirmvisionär
bar jeder Postmoderne, ist utopisch, jung und zielgerichtet und möchte
demonstrativ die ganze Welt zu ihrem Besten vergewaltigen.
- es heisst. vom publikum eingeholt zu werden. ist das ende jeder avantgarde. vielleicht auch jeder kunst. das publikum als "blaue" blume des kunstberiebs, als letzte hoffnung eines sich immer wieder aufs neue mutierenden binoms von produktion und konsumtion. du sprichst davon. dass ein text ohne vom autor entworfene grobstrukturen fuer den leser sinnlos bleibt und das aktuelle bilderverbot in der netart wie es etwa code-puristen wie florian cramer und tilman baumgaertel vertreten ein rueckfall in einen "binaeren idealismus" bedeutet. suchst du den "pflasterstein" der goldenen mitte?
Eher versuche ich mit einem Pflaster den
goldenen Schnitt zu kleben oder noch besser, den goldenen Schnitt zu machen.
Ich will Aufmerksamkeit. Diese knappste und begehrteste Ressource der
Informationsgesellschaft ist meine Bezahlung. Vielleicht war in den alten
Zeiten Publikumsnähe das Ende der Kunst. Heute, im Zeitalter der
Aufmerksamkeitsökonomie, muss mit allen Mitteln versucht werden Öffentlichkeit
zu erreichen: Aufmerksamkeit, die neue Währung, stinkt nicht. Damit
ist nebenbei nicht gemeint, dass das Publikum auch irgendetwas verstehen
muss. Und dieses Ringen um Aufmerksamkeit, erklärt einmal mehr das
Wiedererstarken alter Avantgardetugenden. Die Logik der Mediengesellschaft
verlangt das Neue, Unvermutete, noch nicht Bekannte: kurz, das Berichtenswerte.
Und was ist einfacher für den Künstler, als die alten, noch
nicht verlorenen Reflexe zu aktivieren und sich unermüdlich in neue,
unbekannte Gebiete künstlerischen Ausdrucks vorzukämpfen? Dass
dazu als Wegzehrung die guten, erprobten Mittel dienen, versteht sich
von selbst.
- duchamp hat das profane zur kunst proklamiert, heute ist die kunstpraxis selbst profanisiert - eric kluitenberg weist darauf hin. dass nur noch der raum der negation zur verfuegung steht (smash thesurface). um den herrschenden code zu unterbrechen. ihn umzupolen wie utopien in den 70ernversuchten. scheint heute nicht mehr moeglich. der raum der negation kann durch verschiedenste techiken erreicht werden. etliche davon wendest du selbst an: satire, ins gegenteil setzen, verschiebung. in den rezensionen und interviews von dir wird diese form der negation nur bedingt wahrgenommen. obwohl du die oberflaeche der herkoemmlichen kunst zu unterbrechen suchst. wirst du von der kritik stets wieder in den kunstkanon hineininterpretiert: "es ist eben doch kunst. was wieder rauskommt". deine pseudonyme werden nicht als multiple signaturen wahrgenommen. wie kommst du mit dieser differenz zurecht? Duchamp, Negation (und am besten gleich
Wiesengrunds doppelte), du benennst meine Lieblinge. Und wenn's dann wieder
in den Kunstkanon hineininterpretiert wird..., so geht halt das Spiel. |