1 abstract |
2
Nicht-Referentielles Denken |
3 Hyperrealität
|
4 Sprachereignis |
5 Hypertext - postmodernes
Wissen |
6 Hypertext-Operationen |
7
Direkt-Manipulation |
8 Lesen - Schreiben |
9
Utopie der Literatur |
10 Ende der Utopien |
11
Infragestellung des Dokuments |
12 How To Write Hypertext
|
13 Textgewebe |
14 enzyklopädisieren
|
15 Hypertext-Netzwerke |
16 umkehren
|
17 kartographieren |
18 Transportpoetik
|
19 Interferenz |
20 veröffentlichen
|
21 füttern |
22 querlesen
|
23 Paradigmenwechsel |
24 einbilden
|
25 Fragen eines lesenden Bild-Schirm Arbeiters
|
26 Machtfragen |
27 Hypertext als Utopie
... |
Bibliographie |
Biographie
Heiko Idensen |
1 abstract
Hypertext as an utupian postmodern style of writing and culture Digital
data-networks cant't be read in the linear systematic of the Gutenberg-Galaxy:
the conversion of 'signs without reference' seems to be a misinterpretaion
of information technology with the logic of writing culture. Against that
hypertext is a strategy for a network of diffenrent streams of media and
communications ...
Die Daten-Konfigurationen digitaler Medienverbundsysteme sind linear
nicht mehr lesbar: die scheinbar referenzlose Austauschbarkeit aller
Zeichensysteme ist eine Fehlinterpretation der Informationstechnologien
durch den Logos der Schriftkultur. Hypertext dagegen eine Strategie
der Vernetzung unterschiedlichster Medienströme und Kommunikationsformen
...
2 Nicht-Referentielles Denken
Die postmodernen Technologien und Wissenschaften lassen den Menschen
als neuen Wilden im Netz multimedialer und telematischer Systeme angeschlossen
zurück: kulturell geprägt durch die alphabetische Buchkultur,
informiert, verführt, psychisch und emotional 'versorgt' durch
audio- visuelle Massenmedien, mental und konzeptionell herausgefordert
und fasziniert durch die neuen Informationstechnologien.
Vergeblich versucht er mit den Mitteln der logozentrischen Kultur die
in Fragmente zerfallenen Informationsbits zusammenzubasteln.
Die Mythen der Textgesellschaft - geschlossener Text, Autorenschaft,
Legitimation im Kontext der 'großen Erzählungen' (Ideologien)
- zerfallen in den Interfaces der Informationsmedien, in der Zirkulation
unendlich gegeneinander austauschbarer Infomationspartikel.
Die ästhetische und symbolische Herausforderungen der Informationsnetzwerke
anzunehmen heißt, endlich mit der Linearisierung der Diskurse,
Texte, Medienschaltungen aufzuhören, nicht-referentielles Denken
zu produzieren:
Hypertext.
3 Hyperrealität
All das definiert einen digitalen Raum, ein magnetisches Feld des Codes,
mit Polarisierungen, Brechungen, Gravitationen von Modellen und dem
ständigen Strom der kleinsten disjunktiven Einheiten (der Frage
/ Antwort-Zelle ... ). Man muß den Unterschied beachten, der zwischen
diesem Kontrollfeld und dem traditionell repressiven Bereich der Polizei
bestand, der noch einer signifikanten Gewalt entsprach. ... Vom ausdrücklichen
Befehl geht man zur Programmierung durch den Code über, vom Ultimatum
zum permanenten Druck, von der erzwungenen Passivität zu Modellen,
die von vornherein auf die "aktive Reaktion" des Subjekts hin konstruiert
worden sind, auf seine Einbeziehung, seine "spielerische" Partizipation
etc. berechnet sind, bis zum Modell eines totalen "Environments" aus
pausenlosen, spontanen Antworten, aus begeisterten feed-backs ... Die
Realität geht im Hyperrealismus unter, in der exakten Verdoppelung
des Realen, vorzugsweise auf der Grundlage eines anderen reproduktiven
Mediums - Werbung, Photo etc. - und von Medium zu Medium verflüchtigt
sich das Reale ... (Baudrillard, S. 118)
4 Sprachereignis
Die unter den Medientransformationen der Postmoderne einsetzende Zerstreuung
von Erzählungen und Aussagen in kleinste Partikel (Wolken, Inseln,
Datensätze) ohne verbindliche diskursive Zusammenhänge führt
zu erheblichen Konflikten in den sogenannten Sprachspielen, die den
Ernst selbst literarischer Destruktionen deutlich machen. Die Frage
nach den Verkettungen und Verknüpfungen der einzelnen isolierten
Splitter ist die Entscheidende. "Politik ist dort, wo ein Konflikt droht
zwischen diversen, in jedem Moment möglichen Verkettungen." (Lyotard)
Den "Schwarm möglicher Bedeutungen", die zwischen den einzelnen
(Daten-) Sätzen herrschende Leere wird zum Ort des sprachlichen
Ereignisses: Erfindungen neuer Bildungs- und Verbindungsregeln von Sätzen
- neue Anordnungen und Sichtweisen von Daten durch aktualisierte, situative,
noch nicht dagewesene Verknüpfungen. Der Ort der Wissensproduktion
hat sich verlagert, externalisiert: "Die Enzyklopädie von morgen,
das sind die Datenbanken. Sie übersteigen die Kapazität jeglichen
Benutzers. Sie sind die "Natur" für den postmodernen Menschen."
(Lyotard, S.97)
5 Hypertext - postmodernes Wissen
Um einer technokratischen Vereinheitlichung (unter instrumentell-technologischen
Aspekten) gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse entgegentreten zu
können ("Was nicht programmierbar ist, darüber muß man
schweigen."), ist ein freier öffentlicher Zugang zu den neuen Speichern
und Datenbanken ebenso nötig wie Verknüpfungs- und Vernetzungskonzepte,
Gestaltung eigener Interfaces, kooperative Text-Netzwerke, Schnittstellen
zum gesellschaftlichen Informationsaustausch, der Aufbau eigener enzyklopädischer
Datenräume.
6 Hypertext-Operationen
Hypertext ist eine Operationalisierung von Informations-, Kommunikations-
und Sprachbildungsprozessen auf den Oberflächen informationsverarbeitender
Systeme: in objektorientierten Bildschirmmanipulationen vollziehen sich
grundlegende kulturelle semiotische, textuelle, poetische Aktivitäten.
Vielleicht ist Hypertext deshalb Ausgangspunkt und Gegenstand so zahlreicher
Spekulationen über die Zukunft der Literatur und der gesellschaftlichen
Kommunikation, weil hypertextuelle Operationen genau das vollziehen,
was wir ohnehin in der Literatur, der Wissenschaft, der Poetik ... diskurstechnisch
für die Zirklation von Ideen einsetzen: Querverbindungen herstellen,
Verweisen folgen, Wissenpfade anlegen, Informationspartikel sammeln,
explorieren, organisieren, verteilen, senden und empfangen - kurz: Netzwerke
anlegen.
7 Direkt-Manipulation
Herkömmliche Textsysteme repäsentieren Text nach dem WYSIWYG-Prinzip
- die Ausrichtung auf dem Bildschirm folgt in allen wesentlichen Funktionen
den gewohnten Lese- und Schreibparametern des Buches. Der Bildschirm
gleicht einer Linse, die sich in Ausschnitten über den Text bewegt.
Gleichzeitig ist jeder elektronische Text aber auch Code, d.h. ausführbarer
Text - mit &Uml;bertragungs-, Manipulations- und Strukturierungsfunktionen
von Daten. (Computer/Programm/Texte lesen sich in gewisser Weise selbst).
Der Text als Objekt ausführbarer Operationen, bewegt sich durch
verschiedene Bild-Schirme, die geöffnet, verbunden und verschachtelt
werden können. Objektorientierte Hypertext-Schreibumgebungen werden
dieser Verräumlichung des Schreibens gerecht, indem sie zusätzlich
zu den normalen Editierfunktionen Aktionen anbieten, die ein Plazieren
und Verknüpfen von Textfenstern oder -karten auf dem Bildschirm
ermöglichen. So werden die Ideenobjekte nicht nur am Bildschirm
integrativ darstellbar, sondern verknüpfbar, übersetzbar,
projezierbar. Der Bildschirm wird zu einem Ort, an dem sich alles vermengen
und vermischen kann. Die Entstehung der Gedanken beim Reden, die Entstehung
der Hypertexte beim Bild-Schirm-Denken.
8 Lesen - Schreiben
Im Gebrauch digitaler Informationsnetzwerke bricht der für die
abendländische Kultur konstitutive wesentliche Unterschied zwischen
Schreiben und Lesen, Senden und Empfangen, Bezeichnen / Codieren und
Interpretieren / Decodieren zusammen. Produktion, Verbreitung, Interpretation,
Kommentierung, Retrieval von Informationen spielen sich in einem hypermedialen
Netzwerk offener Verweis-, Navigations- und Strukturierungsoperationen
ab.
Neue Paradigmen für Schreiben und Lesen bilden sich erst langsam
heraus: Navigieren, Interagieren, Informationsdesign, Bild-Schirm-Denken
... So wie es beim Hypertexten darauf ankommt, den Reader-Level (der
völlig unbegründet einen komplexen Gebrauch vieler Hypertext-Programme
verhindert) zu verlassen, so geht es bei den hier entworfenen Kreuzungs-
und Knotenpunkten hypertextueller Praxis nicht darum, daß alles
schon immer Hypertext war (Ars combinatoria, experimentelle Schreibweisen,
Art of Memory , die Welt als graphische Benutzeroberfläche), sondern
darum, endlich damit aufzuhören, in der Welt bloß zu lesen,
zu deuten, zu interpretieren (und das Eingreifen den Politikern und
Gen-Technologen zu überlassen). Hypertextuelles Denken als soziale,
kulturelle und technologische Utopie unterstützt verteilte, kooperative
Eingriffsmöglichkeiten in komplexen vernetzten Systeme (seien es
Texte (Literatur), Dokumente und Daten (Fachinformationssysteme, Episteme),
soziale Strukturen oder kommunikative Akte.
9 Utopie der Literatur
Lesen (Blättern, Nachschlagen, Querverweisen folgen, Bücher
in Beziehung setzen) und Schreiben (Herausgeben und Verlegen) fallen
in einem aktiven semiotischen Prozeß intertextueller Generierung
von Texten aus Texten zusammen - dem Folgen bzw. Herstellen von Bezügen.
Mediale Offenheit und eine tendenziell gleiche Ausstattung bei Lesern
und Schreibern schaffen (zumindest technologisch) die Voraussetzungen
für radikaldemokratische Produktion und Organisation von Texten:
Die Trennung zwischen verschiedenen Texten, unterschiedlichen Diskursen
wird durchlässiger: wenn der Leser einen Link aktiviert, landet
er möglicherweise in einem anderen Text (in Drucktexten sind diese
Verweise lediglich methaphorisch). Eingreifen des _Lesers_ zu jeder
Zeit an jeder Stelle. Dadurch verlieren die Texte ihr vermeintliches
Bedeutungs- und Machtzentrum. Der Unterschied zwischen Haupttext, Kommentar,
Anmerkung verschwindet zugunsten einer Text-Netzwerk- Konzeption.
"Es funktioniert bald überall, bald rastlos, dann wieder mit Unterbrechungen.
..."
10 Ende der Utopien
Die Postmoderne scheint zunächst einmal Schluß zu machen
mit emphatischen Utopie-Entwürfen: Slogans von Ende des Subjekts,
Ende der Kunst, der Politik, der Produktion ... weisen auf eine Explosion,
ein Auseinanderdriften der einzelnen Diskurse hin, von denen keiner
mehr einen Begründungszusammenhang stiften kann. Ein Zusammendenken
von technologischen Entwicklungen und den Erscheinungsweisen der Postmoderne
wirft noch einmal ein anderes Licht auf die Zerstreung der großen
Erzählungen, die Referenzlosigkeit der Zeichen: die Auswirkungen
der Medien auf Wahrnehmungsformen, Wissensformationen und Alltagsverhalten
werden mit Mitteln und Methoden untersucht, die (noch) der alphabetischen
Buchkultur entstammen und ihr verhaftet sind. Es fehlt eine Philosophie
des &Uml;bergangs!
Die Druckkultur konnte ihre utopischen Potentiale nur entfalten, indem
soziale Bewegungen, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen sich
dem neuen Medium bedienten: Flugblätter, Pamphlete, neue Formen
der Wissensorganisation. (ausführlich in: Eisenstein und Giesecke).
11 Infragestellung des Dokuments
Man sieht ein ganzes Feld von Fragen sich entfalten, ... wie soll man
die verschiedenen Begriffe spezifizieren, die das Denken der Diskontinuität
gestatten (Schwelle, Bruch, Einschnitt, Wechsel, Transformation)? Nach
welchen Kriterien soll man die Einheiten isolieren, mit denen man es
zu tun hat: was ist eine Wissenschaft? Was ist ein Werk? Was ist eine
Theorie? Was ist ein Begriff? Was ist ein Text? ... Alles in allem scheint
die Geschichte des Denkens, der Erkenntnisse, der Philosophie, der Literatur
die Brüche zu vervielfachen ... Diese Probleme kann man in einem
Wort zusammenfassen als die Infragestellung des Dokuments. ... Künftig
ist das Problem das der Konstituierung von Serien: für jede ihre
Elemente zu definieren, ... den Typ von Beziehungen freizulegen, ...um
so Serien von Serien oder "Tableaus" zu konstituieren ... (Foucault,
S.12 ff)
12 How To Write Hypertext
Es ist noch keine Hypertext-Rhetorik entwickelt worden (lediglich technische
Handbücher). Die allein auf die Schreibtechnologie reduzierte Sichtweise
des Schreibens als Design-Prozess oder als Problemlösungsstrategie
helfen da auch nicht weiter! Rhetorik ist lange eine Kunst der Rede
gewesen (Zuhörer fesseln, dialektische Redeweise ...). Im Rückgriff
auf orale, picturale, schriftliche, filmische und multimediale Rhetoriken
müssen neue Hypertext-Rhetoriken und -Poetiken entwickelt werden:
13 Textgewebe
... Will man weiter aufmerksam sein für das Plurale des Textes
... muß darauf verzichtet werden, diesen Text in großen
Mengen zu strukturieren ... keine Konstruktion des Textes ... Schritt
für Schritt zu kommentieren, heißt, mit Gewalt die Eingänge
des Textes zu erneuern, ... heißt den Text, anstatt ihn zu versammeln,
sternenförmig aufzulösen. ... Der Text ist in seiner Masse
dem Sternenhimmel vergleichbar, flach und tief zugleich, glatt, ohne
Randkonturen, ohne Merkpunkte. So wie der Seher mit der Spitze seines
Stabs darin ein fiktives Recheck herausnimmt (abteilt), um darin nach
bestimmten Prinzipien den Flug der Vögel zu erkunden, zeichnet
der Kommentator dem Text entlang Lektürebereiche auf, um darin
die Wanderwege der Bedeutungen, die sanften Berührungen der Codes,
das Vorbeigehen der Zitate zu beobachten. ... (Barthes, S.7 ff)
14 enzyklopädisieren
Am Vorabend der französischen Revolution wird mit dem Projekt Enzyklopädie
ein universelles Wörterbuch der schönen und mechanischen Künste
zusammentragen - ein kooperatives Schreibprojekt unterschiedlichster
Experten. Die Vernetztung der einzelnen - erstmals alphabetisch geordneten
Wissensbausteine - geschieht über die Darstellung eines Wissensbaumes
- diese 'Weltkarte des Wissens' macht die Zusammenhänge einzelner
Wissenspartikel simultan sichtbar . Der Leser, navigierend anhand sachbezogener,
struktureller und sprachlicher Verweise, kann nun selbst - unterstützt
durch Karte und alphabetische Register - neue Wissenpfade anlegen.
15 Hypertext-Netzwerke
Hypertext-Netzwerke überwinden die klassische Trennung von Autor
- Text - Leser und die machtpolitische Schaltung von Code - Sender -
Empfänger - als Fortführung der Utopie einer universalen Enzyklopädie
in einem Dokuversum frei verknüpfbarer Objektdateien. &Uml;ber
Schnittstellen zu allen verfügbaren Computersystemen will der Hypertextpionier
Ted Nelson die Vision eines weltweiten Netzwerkes verwirklichen, in
dem Millionen von Nutzern auf einer gemeinsamen elektronischen Schreiboberfläche
gleichzeitig arbeiten können - ein gemeinsamer 'konzeptueller Raum'
von Lesern und Schreibenden, der als Entwurfsmodell für eine Literatur
im technologischen Zeitalter verstanden werden kann. (siehe: Nelson
1987)
16 umkehren
Es geht um ein Umkehren der Bedeutungsvektoren. Alle Zeiger, Zeichen,
Verkehrssignale zeigen und deuten von nun an exzentrisch von uns selbst
weg, und nichts mehr zeigt auf uns zu. Wir sind es von nun an, die auf
die Welt Bedeutungen projezieren. Und die technischen Bilder sind derartige
Projektionen. (Flusser 1985, 41)
17 kartographieren
Das Orientieren am Bildschirm erinnert eher an das Lesen von Partituren
und an das Studium von Landkarten als an das sequentielle Lesen von
Buchseiten. Die mittelalterlichen Karten waren erste Versuche, einen
unbekannten Raum zu auszumessen, Spuren und Routen von Entdeckungsreisen
als Handlungsanweisungen für Reisende anzulegen. Narrative Figuren
(Schiffe, Tiere, Fabelwesen, Personen, Wappen) stellen Markierungen
für Aktivitäten während der Reise dar. Diese narrativen
Elemente verschwinden in den modernen Landkarten: die Karte als ursprünglicher
Gesamtschauplatz und Projektionsfläche disparater Elemente wird
lediglich zur Darstellung akkumulierter Informationen. (siehe: de Certeau,
S. 223 ff.)
Hypermediale Karten verbinden den narrativen Charakter alter Karten
mit dem strukturellen moderner Karten: sie haben mehrere Ein- und Ausgänge,
durch ihre vielfältigen Zugangs- und Verknüpfungsmöglichkeiten
können sie Montagen verschiedenster medialer Aktionen versammeln,
steuern, verwalten. Als kleinstes Fragment vernetzter Datenbestände
ist die Hyper-Karte für kompositorische, strukturelle und gestalterische
Operationen offen: sortieren, suchen, exportieren, ordnen nach ... Macht
Karten, keine Kopien!
18 Transportpoetik
Navigieren durch Hypertexte kann als ein Ausprobieren, Berühren,
Testen, Verfolgen, Aufspüren von Gedächtnisorten gesehen werden.
Die funktionale Desktop-Oberfläche als eine Weiterführung
der Gedächtniskünste - räumlicher Aufbau einer Wissensarchitektur,
die dynamisch kognitive Prozesse unterstützt, visualisiert, ortet
und abspeichert. Eine 'Poetik des Transports' könnte vielleicht
das alte Konzept der Metapher als Netzwerkladungen verfügbar machen,
die durch Ankunft und Abreise, Import und Export, Ein- und Ausgänge
in Wissenspartikel organisiert werden. Hypertextuelles - nicht-referentielles
- Denken heißt nicht beliebiger postmoderner Zitatismus, sondern
eine neue Form der Begriffsbildung und der gesellschaftlichen Kommunikation:
eine aktive Semiose, in der Schreibende und Lesende fortwährend
neue Zusammenhänge entdecken, Spuren nachgehen, Kommentare aufzeichnen
- nicht als private ('innere') Tätigkeit, sondern öffentlich,
indem sie Wissenspfade in die Netze zurückkoppeln, wieder einspeisen,
die Informationen 'füttern'.
19 Interferenz
Wir gehen damit vom Konzept der Traduktion zu dem des Transports in
seiner allgemeinen Bedeutung über, vom Begriff der Referenz zu
dem der Interferenz. Wir finden zur reinen Form des Hier-Anderswo zurück,
nachdem wir das Hier-&Uml;berall erschöpft haben - zur reinen Form
des Hier-Anderswo, das heißt des Transfers in einem endgültig
dezentrierten oder mit beliebig vielen Zentren versehenen Raum, der
nur noch als Raum des Austauschs begriffen werden kann und in dem die
Pseudozentren nichts anderes als Verkehrskreuze oder Verteiler sind.
Hier stoßen wir nun auf die strukturale Methode, die eine nicht-
referentielle, nicht-zentrierte Methode ist, eine Methode im etymologischen
Sinne des Wortes, nämlich der Weg eines Transfers. (Serres, S.
190)
20 veröffentlichen
Was in anderen kulturellen Zusammenhängen der Marktplatz, das gedruckte
Buch als soziale / mediale Schnittstelle zur Veröffentlichung von
Gedanken und Texten war, wird jetzt nach und nach der Bildschirm: Entstehungs-,
Durchgangs- und Präsentationsort für den Austausch von Ideen,
Informationen, Bildern, Geschäftsgrafiken, Zugverbindungen, Marktanalysen,
Wahlprognosen ...
Der Bildschirm als Projektionsoberfläche (nicht mehr die Buchseite)
ist die Schnittstelle des einzelnen Users zur Ö#ffentlichkeit.
Operationen am Bildschirm als Gestaltungen von Ideenobjekten geben diese
externalisierten Gedanken zum Gebrauch durch andere frei: hypertextuelles
elektronisches Schreiben als ein von vornherein öffentlicher sozialer
Akt.
21 füttern
Früher hieß Schreiben, Informationen aufsaugen, akkumulieren,
um sie dann verarbeitet und verwandelt weiterzugeben: Inspirationen
empfangen und über die Linien der Schrift wieder abgeben. &Uml;berfütterung,
'information overload', kognitive Entropie ... die postmoderne Informationsflut
und -wut : alles wird gespeichert, konserviert, beobachtet, gefilmt,
jeder Moment abfotografiert, jedes Ereignis übertragen, jede Regung,
jedes Gefühl kommentiert.
Jetzt füttern wir die Computer und Datenbanken mit Weltwissen,
Marktanalysen, Trendsettings, Fahrplänen, Umweltdaten, Organspenderlisten,
Namenslisten, Literaturzitaten, Erinnerungsfetzen, Virusdarstellungen,
Ideenfragmenten, utopischen Entwürfen, historischen Seltsamkeiten,
möglichen Fragen und Antworten ... diese Fakten und Fiktionen zirkulieren
in elektronischen Netzwerken. Um die Kreuzungspunkte der Informationsnetze
herum bilden sich wie schon früher an Verkehrs- und Handelswegen
Gemeinschaften, Interessengruppen, Forscherteams, neue Ö#ffentlichkeiten,
heterogene Kollektive.
Die technischen Bilder können aber nicht mehr auf die herkömmliche
Art und Weise empfangen und konsumiert werden - sie müssen gefüttert
werden: die Vektoren zeigen jetzt nicht mehr von den Ideenobjekten auf
den Menschen, sondern das technische Einbilden vollzieht sich als ein
Rückkopplungsprozess. Erst Interaktion und gesellschaftlicher Austausch
gibt den technischen Bildern einen 'Sinn': Modelle für den Entwurf
alternativer Welten!
22 querlesen
Hypertextobjekte sind Übertragungen (Metaphern?) von Wahrnehmungs-
und Erkenntnisobjekten auf Bild- Schirm-Objekte. Speichertechnik und
Zugriffsweise dieser Ideenobjekte haben Strukturähnlichkeiten mit
literarischen Systemen - als ein Netzwerk untereinander verbundener
Schriften. Hypertext- Schreiben als ein Herstellen von Querbezügen
analog zur herkömmlichen wissenschaftlichen Arbeit: Recherche,
Exzerpte, Leseerfahrungen in andere Kontexte transformieren. Im elektronischen
Schreibraum haben allerdings die Leser dieselbe mediale Ausstattung
zur Verfügung wie die Schreiber: d.h. sie können selbst Querbezügen
folgen, Lesepfade anlegen, Import und Export von Texten ...
Als neue Kulturtechnik transferieren und überliefern hypermediale
Vernetzungsprogramme diese impliziten und expliziten Verbindungen. Statt
linearer evolutionärer Literaturrezeption (Autor - Werk - Tradition)
ist Hypertext ein Werkzeug für strukturelle synchrone Text- und
Datenmodellierungen (Text - Diskurs - Kultur) auf der Basis der grundlegungen
strukturalistischen Tätigkeit: auseinandernehmen und wieder zusammensetzen.
Das ist gleichzeitig auch eine Grundtätigkeit ästhetischen
Handelns. Hypertext-Programme operationalisieren die strukturalistische
und dekonstuktivistische Kulturkritiken - stellen dabei aber gleichzeit
eine mediale Oberfläche für ein Umschreiben der Postmoderne
zur Verfügung: Im Hypertext-Schreiben findet die Begegnung von
Ulysses und dem Passagenwerk auf dem Seziertisch einer universellen
Symbolmaschine statt ...
23 Paradigmenwechsel
Obwohl immer wieder historische Vergleiche mit Rolle des Buchdrucks
als Agent sozialer und kultureller Revolutionen vorgenommen werden,
wenn es um den radikalen gesellschaftlichen Umbruch durch die Verbreitung
der digitalen Medien geht, scheinen vergleichbare soziale Felder zu
fehlen, in denen telematische und hypermediale Verarbeitungsweisen als
revolutionäre Informations- und Kommunikationsmedien ihre soziale
Wirksamkeit entfalten könnten: Die Medienschaltungen und apparativen
Voraussetzungen für einen digital vernetzen Verbund der verschiedensten
Medien (Schreiboberflächen, Telefon, Television, Videogeräte
...) sind zwar gegeben, aber - jenseits von pragmatischen Optimierungs-
und Rationalisierungsschüben - zeichnen sich kaum breit gestreute
Gebrauchsweisen für derartig vernetzte Systeme ab. Obwohl der Hervorbringungsprozeß
der utopischen Konzeption für hypertextuelle Wissensorganisation
seit dem Ende des 2. Weltkrieges sich kontinuierlich über eine
visionäre Phase in den 70er Jahren bis hin zur jetzigen allgemeinen
Verfügbarkeit von HypertextProgrammen auf allen Computersystemen
entwickelt hat, hat dieser 'Paradigmenwechsel der Informationsverarbeitung'
die alltägliche Praxis der meisten Anwender noch wenig verändert.
(Graphische Oberflächen und Cyberspace- Fiktionen sind lediglich
Ablenkungsmanöver multimedialer Konzerne, die User vom Manipulieren
ihrer eigenen Ideenobjekte abzuhalten!)
24 einbilden
Was ist der 'universal User' anderes als der alphabetisch orientierte
Mensch, der sich über die Welt beugen muß wie über ein
Buch, um die unermeßliche Menge von Spuren und Zeichen zu entziffern?
Alles in der Welt scheint ein Zeichen für etwas anderes zu sein.
Zu Beginn der Schriftkultur stehen die Inschriften aufrecht - noch wie
Bilder - dem Leser entgegen; der Buchdruck linearisiert die Momente
der Einbildungskraft auf Schriftzeilen, die sich waagerecht auf einer
Fläche ausbreiten; Computer-Bildschirme holen die einzubildenden
Flächen in die Vertikale zurück: Erzeuger technischer Bilder
sitzen jetzt aufrecht vor dem Schirm wie der Maler vor einem Bild. Während
traditionelle Bilder und Texte wie Spiegel funktionieren (die Bedeutungsvektoren
aus der Welt in mimetischen Prozessen auffangen, codieren und auf die
Oberflächen der Einbildung reflektieren) funktionieren die technischen
Bilder wie Projektionen (siehe: Flusser 1985, S.31 ff): sie fangen bedeutungslose
Zeichen und Partikel (Bildpunkte, Schriftzeichen, Töne) auf und
derartig codiert stehen diese jetzt als Ideenobjekte für Operationen
auf der Oberfläche der Hypermedien zur Verfügung. Der Akt
des Abbildens / Einbildens hat sich umgekehrt: Hypertexte und technische
Bilder sind keine Reproduktionen, sondern programmierbare, produktive
Bilder. Die bildschirmorientierten Einbildungsprozesse erfolgen aus
dem Inneren der Hypermedien heraus: Die Imagination arbeitet nicht über
die Maschine in die Strukturen von Texten hinein, sondern die bilderzeugenden
Vorgänge richten sich ganz auf die Oberfläche des Bildschirms.
Eine Kultur- und Medienkritik sollte nicht mehr fragen, was bedeuten
Hypertexte, sondern wohin zeigen sie. (siehe: Flusser 1985, S. 37ff)
25 Fragen eines lesenden Bild-Schirm Arbeiters
Wohin zeigen die technischen Bilder? / Worin besteht die neue Qualität
der Verknüpfungen, der Links? / Ist das überhaupt noch ein
Schreiben - oder eine Unterhaltung (mit dem Computer ( mit dem Netz...)?
/ Wer ist verantwortlich für die Zirkulation von Hypertexten -
Autor, Leser, Browser, Programmierer, Netzwerkbetreiber? / Kann ein
Leser von Hypertexten wirklich etwas Neues herstellen oder rekombiniert
er nur vorhandenes Material? / Ist ein Link eine Metapher? / Finden
Vernetzungen direkt von Kopf zu Kopf statt - direkter Austausch von
Ideenobjekten? / Bleiben die wirklichen Kreuzungspunkte, die 'Erkenntnisse'
beim Durchqueren von Hypertexten nicht flüchtig - vorübergehend?
/ Sind Netzwerkstrukturen lesbar? / Wer spricht im Netz?
26 Machtfragen
Ob Hypertexte den Beginn einer postmodernen / postsymbolischen kulturellen
Praxis einleiten oder lediglich einen Gebrauch produktiver Bilder und
Texte als neue Form des Warenaustauschs (interaktive Werbung etc.),
hängt nicht von den Geräten, nicht von revolutionärer
Software oder experimentierenden Medienkünstlern ab, sondern von
den Schaltplänen sozialer, kultureller, technologischer und mentaler
Produktionsweisen. Hyper-Text-Operationen als ästhetisches Handeln
mit verknüpfbaren Ideen-Objekten - als Projektionen einer kollektiv
arbeitenden und frei zirkulierenden Einbildungskraft, die auch soziale
Gestaltungen vornimmt: Alles kann mit allem verbunden werden!
connect it!
(ab Januar 1993 Netz-Werk-Schreibprojekt mit/um/und um Hypertext herum:
über die ZERONET BOX 0043-316-84 31 15 (Östereich) 1200/2400
8-N-1
27 Hypertext als Utopie ...
... der Literatur: In einer virtuellen online-Welt-Bibliothek
wird das Netzwerk der Texte in einem andauernden Prozeß von
Schreib-Lese- Operationen generiert. Schreiben und Lesen fallen in
einem Akt zusammen.
... der Virtualität: Auf der Oberfläche des Bildschirms
werden Ideenobjekte 'eingebildet': empfangen, gesendet, manipuliert,
montiert, verknüpft: Bild-Schirm-Denken statt Virtual-Reality-
Spielen!
... der Wissensproduktion: Der Transport, das Verknüpfen
von Wissenseinheiten (Knoten, Philosophemen, Ideenbildern) schafft
eine offene interdisziplinäre Enzyklopädie.
... der Postmoderne: Montage, Im- und Export kleinster Wissenseinheiten
- hypertextuelles Vernetzen statt fundamentaler Referenzlosigkeit.
... der Ästhetik: offene Kunstwerke, aktive Leser und
Betrachter, die komplexe Ideenbilder - aus Elementen mündlicher,
piktoraler, logischer, mathematischer, filmischer Schreibweisen -
auf einer Oberfäche zusammenführen.
... der Philosophie: Mit Bildern philosophieren!
... der Politik: Modelle für kooperative, radikalanarchististische
Arbeits- Lebens und Distributionsformen. Freier Zugang zu Speichern
und Datenbanken, freie Zirkulation von Ideen.
... der Produktion: Mehrfachnutzung, Recycling, Wiedereinführung
alles Produzierten und Verbrauchten in neue Kreisläufe. Produktive
Bilder - Projektionen statt Simulationen!
... der Verkehrs: Durch mediales Zusammenkoppeln privater
und öffentlicher Räume entstehen virtuelle Informations-,
Kommunikations- und Produktionsräume, die den Transport von Waren
in einen vielschichtigen Verkehr zwischen Menschen und technischen
Bildern überführen.
... der Medien: die als aktive Oberfläche zur Steuerung
unterschiedlicher Medienströme geschaltet werden können
(Metamedium); Einbildung von Modellen alternativer Wirklichkeiten
(Kunst); Gestaltung kultureller Kontexte im Austausch dieser Modelle
(Politik).
... der Poetik: dynamisches durchkreuzen und projezieren
verschiedener Sprach- und Medienachsen
... des Lesens: unterstützt die Lektüre als aktive
Tätigkeit des Aufnehmens, Vernetzens, Markierens, Speicherns.
... der Welt: Als synergetische Benutzeroberfläche:
Alles kann mit allem verbunden werden!
...der Utopie: Das Anderswo, der andere Ort, das Außerhalb
eines Textes stellt sich als Frage bei jedem Absprung aus einem Text:
Wohin führt es? Woher kommt es?
Bibliographie
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Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod, München
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L'interference. Paris 1972)
Storyspace: Hypertext Writing Environment by Bolter / Joyce / Smith,
Eastgate Systems Inc., PO Box 1307, Cambridge, MA 02238, U.S.A. (Macintosh,
ca.100 DM)
Ulmer, Gregory: Teletheory. Grammatology in the Age of Video. New York
(Routledge) 1989
Biographie Heiko Idensen
geb.1956 * Studium an der Universität Hannover: Germanistik / Psychologie
M.A. * Theater * Performance * Copy-Art * Polaroid-Fotografie * Installationen
* Lesungen * 1986-87 Computer Weiterbildung * seit1988 Universität
Hildesheim Institut für Audiovisuelle Midien
A.M.I.- Computerlabor
*
PooL-Processing mit Matthias Krohn: seit 1988 Aktionen und
Installationen auf Medienfestivals (Europäisches Medienkunstfestival
Osnabrück 88 und 89, ARS ELECTRONICA 89 und 90:
Die imaginäre
Bibliothek: DauerReden- LeseReisen * Umgebung für kollektive
Textproduktion ), Teilnahme an Symposien und Forschungsprojekten im
Bereich
HyperMediaKunst (0511 / 709559) * Mitarbeit an Arnold
Dreyblatts
Hypertext Performance "Who' Who in Central & East
Europe 1933" (Berlin, Wien, München, Dresden 1991) * z.Zt. Arbeit
an Forschungsprojekt:
Gedächtniskunst - Intertext - Hypermedia:
Utopien des Schreibens *
Zur Poetik des Netzwerks. Topographische
Schreibweisen und hypermediale Aufschreibesysteme
Bibliographie
Idensen, Heiko / Krohn, Matthias: PooL- Processing. Ein interaktives
Medienprojekt, in: Europäisches Medienkunstfestival 1989, Osnabrück
1989, S.178-196
Idensen, Heiko / Krohn, Matthias: Connect it! Eine Navigation durch
die PooL-Datenbank zur Ars Electronica 1989, in: Ars Electronica (Hrsg.),
Im Netz der Systeme, Berlin 1990, S.123-140
Idensen / Krohn: Vom Hypertext in der Kunst zur Kunst des Hypertext,
in: Gloor, P.A. / Streitz, N.A. (Hrsg.), Hypertext und Hypermedia, Berlin
1990, S.292-300
Idensen / Krohn: Kunst-Netzwerke: Ideen als Objekte in: Rötzer,
Florian (Hrsg.), Digitaler Schein - Ästhetik der elektronischen
Medien, Frankfurt / Main 1991, S. 371-396
Idensen / Krohn, Die imaginäre Bibliothek, in: Hattinger, G. /
Weibel, P. (Hg.), Digitale Träume, Linz 1990, S.131-135
Idensen, Heiko: HighTech - Hypertext - Krieg der Literaturen in: Konzepte
10, S. 30-33
Idensen, Heiko: Wo nun? Wann Nun? Wer Nun? Hypertext-Geschichten, in:
Inventionen '91, Akademie der Künste, Berlin 1991
Idensen, Heiko: Hypermedia-Kulturrevolution, in: Interferenzen IV -
Die Geometrie des Schweigens, Museum Moderne Kunst Wien, 1991
Idensen, Heiko: Pool Processing. Schreib-Lesen: Reisen im elektronischen
Raum in: Baake, Dieter; Thier, Michaela (Hg.), Kreative Medienarbeit,
Bielefeld 1992