Aus einer kleinen Enzyklopädie des Netzwerkens

Stichworte zu einem "NetzKunstWörterBuch"
(hrg. von Kurd Alsleben, Antje Eske, Hamburg 2001)


von Heiko Idensen



anmerken, kommentieren, ersetzen

Aktive Interpretations- und Kommentartätigkeiten finden sich keineswegs erst in der Moderne, sondern ziehen sich durch die gesamte Kulturgeschichte in den unterschiedlichsten Ausprägungen: extreme Verschachtelungen von Text und verschiedene Auslegungen aus unterschiedlichen Epochen zu bestimmten kanonischen Stellen finden sich schon in der jüdischen Thora: eine Textstelle in der Seitenmitte ist hier von verschiedenen Textrahmen umgeben (Referenzen, Kommentare, Auslegungen). In frühen Bibel-Konkordanzen werden die Anmerkungen zwischen zwei Textspalten eingelagert. Die mittelalterlichen Abschreiber sparen nicht damit, den zumeist auf der Seitenmitte stehenden Haupttexten am Rande in kleinerem Schriftgrad eine Glosse hinzuzufügen. Im 16. Jahrhundert tauchen kürzere Marginalien auf, die an bestimmte Textsegmente angehängt werden, woraus sich im 17.Jahrhundert die Fußnoten entwickeln.

die Fußnote als satirische Intertextfunktion

Während der Aufklärung entwickelt sich das Medium Fußnote - in der Tradition von Rabelais, Sterne, Cervantes - in den innerhalb der Salonkultur zirkulierenden Texte zu einem äußerst beliebten diskursivem Trick, um einem breitem Publikum unterschiedliche Konversationspraktiken, Stile, Abschweifungen, Belehrungen und ironische Anspielungen nahe zu bringen.
Welche verzwickten intertextuellen Konstruktionen durch extensiven Gebrauch von Fußnoten produziert werden können, zeigen unzählige satirische literarische Entwendungen der Fußnotentechnik.
Als literarische Produktionsweise verstärken Anmerkungssysteme eine nicht-lineare Verschachtelungen von Texten, bilden Abschweifungen und mehrschichtige Textformationen - etwa im X.Kapitel von Finnegans Wake, das an beiden Rändern und am Fuße der Seite bestimmte Anmerkungsorte für verschiedene Sprecher markiert. Leser und Leserinnen versehen ihre Bücher mit Markierungen, Unterstreichungen, Eselsohren. In wissenschaftlichen Arbeiten werden komplexe Anmerkungsapparate aus dem physischen Körper des Buches ausgelagert: Exzerpte, Zettelkästen, Materialienbände.
Das historisch-kritische Wörterbuch, das Pierre Bayle nach zehnjähriger Forschungs- und Kompilationsarbeit herausbrachte - und das zu einem einflußreichen Konversationslexikon der aufklärerischen Salons wurde. Es liest sich wie das Projekt einer `historisch kritischen' Neu-Auflage aller bisherigen Wörterbücher: ein Lexikon der Fehler, Irrtümer, Auslassungen und Verdrehungen der gängigen Lexika seiner Zeit: "Ich habe mir in den Kopf gesetzt, die größte mir mögliche Sammlung von Fehlern zusammenzustellen, die sich in den Nachschlagewerken finden [...]."[1] Bayles Verfahren der Textauswahl und der -generierung beruht auf einem endlosen Prozeß der Relativierungen (Behauptungen und Erwiderungen, Meinungen und Gegenmeinungen usw.). Als fortwährende Textkritik ist es eine Frühform des intertextuellen Verfahrens. Die Autor-Funktion gleitet über zu der eines Kompilators, Transformators, Herausgebers, Kommentators.[2] Die überbordende Verwendung von Fremdmaterialien treibt Form und Aussehen der Buchseiten an die Grenze der Buchkultur.[3]
Bayles Paradigmenwechsel in der Wissensverarbeitung - Abwendung vom Vollständigkeits-Anspruch einer Universalenzyklopädie, Hinwendung zur Ausdifferenzierung vielschichtiger Materialienbestände - wurde von einigen seiner Zeitgenossen (u.a. von Leibniz, der u.a. die chaotische Organisationsweise nicht akzeptieren konnte[4]) vehement kritisiert; die umfangreichen Such- und Stöbermöglichkeiten jedoch übten gleichzeitig eine große Faszination auf Leser aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten aus. Die von allen Enzyklopädien her bekannten Schwierigkeiten bei der Lokalisation von Wissensfragmenten wurden hier gleichsam auf die Spitze getrieben. Die vorherrschende Gebrauchsweise ("nicht zielstrebiges Suchen [...], sondern bildungshungriges Lesen und Blättern, dessen Lohn der überraschende Fund [sei] " (Neumeister, Sebastian 1990: Pierre Bayle oder die Lust der Aufklärung. In: Hans-Albrecht Koch (Hg.): Welt der Information. Wissen und Wissensvermittlung in Geschichte und Gegenwart. Stuttgart
, S. 75) [5] hat bereits eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Navigieren in Informationsnetzen.

Assoziations-Blaster


Vernetzungsstrategien als neue Produktionsparadigmen für Texte werden mittels automatischer Verlinkungsroutinen zum zentralen Moment des Schreibens im Netz - zur Hauptfunktion der Textkonstitution erklärt: der Link, der Zwischenraum der Texte, die Intertextualität.
Bisherige Mitschreibe-Projekte im Netz kranken größtenteils daran, dass sie nach wie vor immer noch so tun, als würde ein vereinzelter User-Autor in einem einzigen Textfenster ganz allein für sich schreiben. Die Diskussions-, Konversations- und Kooperationskulturen in Diskussionsforen, newsgroups, MUDs und Mailinglisten stellen dagegen die gemeinschaftlichen Aspekte der Netzkommunikation in den Vordergrund, die durch selbstgeschaffene Regeln geordnet und durch entsprechende Features in den verwendeten Interfaces unterstützt werden: Reply- und Zitatfunktionen, Bewertungs- und Kommentierungsroutinen, grafische Darstellungen des Diskussionsverlaufs, Such- und Verknüpfungsoptionen.
Genau an dieser Schnittstelle zwischen technischen Parametern der Übertragung und Speicherung und den darauf aufbauenden kulturellen Kodierungen setzt der Assoziationsblaster an, indem er keine Themen und keine Geschichte vorgibt, sondern ausschließlich mit der Linkstruktur selbst arbeitet:
",Die Entscheidung liegt bei uns, den Usern.` (TRON)
Der Assoziations-Blaster ist ein interaktives Text-Netzwerk in dem sich alle eingetragenen Texte mit nicht-linearer Echtzeit-Verknüpfung(TM) automatisch miteinander verbinden. Jeder Internet-Benutzer ist aufgerufen, die Datenbank mit eigenen Texten zu bereichern.
Die einzelnen Beiträge können nicht der Reihe nach gelesen werden, stattdessen wird anhand der entstehenden Verknüpfungen von einem Text zum anderen gesprungen. Die dadurch entstehende endlose Assoziations-Kette vermag dem Zusammenhalt der Dinge schlechthin auf die Spur zu kommen.
Die Datenbank mit den Texten ist nach Stichworten geordnet. Jeder Text gehört zu einem bestimmten Stichwort und die Stichworte stellen auch die Verbindungen zwischen den Texten her. Jeder Internet-Benutzer darf auch neue Stichwörter eintragen, die dann sofort Auswirkungen auf alle bereits vorhandenen Texte haben."[6]
Da sich keine Auswahlmenus oder Stichwortlisten zur Navigation anbieten, kann ein User dieses Projekts sich lediglich über ein zufällig ausgewähltes oder in eine Suchmaske eingegebenes Stichwort in den Datenbestand hineinbegeben. Auch von hier aus kommt er nur über die generierten Links in dem ausgewählten Text-Fragment weiter - oder er kann eben selbst in ein Eingabefeld seine ,Assoziationen` einschreiben, woraufhin die eingegebenen Textfragmente automatisch verlinkt werden: alle Worte, zu denen schon Stichworte existieren, sind sofort wie durch ein Wunder in dem eingegebenen Text als Links markiert, während der gerade eingegebene Text auch sofort in das Netzwerk der kollektiven Assoziationen eingewoben ist. Der gesamte Datenbestand des Assoziationsblasters ist über geschickte Suchmaschinen-Anmeldungen mit dem Rest des Internets verbunden, so dass die relativ hohen Zugriffszahlen[7] von über 1000 pro Tag zu erklären sind.
Kommt es zur Informationsverdichtung durch Linkhäufung und unmittelbare automatische Anknüpfung an und in fremde Texte? Ist das vielleicht ein möglicher Versuch, Ansätze für eine Poetik der Netzliteratur zu finden?

Fast gegenläufig zum ursprünglichen Ansatz des ,freien Assoziierens` werden im weiteren Verlauf des Projekts, Features zur Verdichtung[8], Kommentierung und Kommunizierbarkeit des Datenmaterials eingebaut: ein skalierbares Bewertungssystem, vom User konfigurierbare Filtermechanismen, ein Diskussionsforum, in dem die MitschreiberInnen ihre Beiträge, die Features des Blasters und allgemeine Themen diskutieren.

assoziieren

Das Eingeben von kleineren Informationsfragmenten folgt dem Prinzip eines momentanen Einfalls, einer Skizze, einem Entwurf, einer Idee zu einem Gegenstand. Die produktiven Momente des Assoziierens werden benutzt in der Psychoanalyse, in den Schreibspielen der Surrealisten bis hin zu kollaborativen Schreibprojekten (etwa im Assoziationsblaster: http://www.assoziations-blaster.de/).
Die vernetzte Struktur von Hypertexten kommt assoziativen Gedankenoperationen entgegen: Von einem Informationsknoten kann zu einer Vielzahl assoziierter Informationen geschaltet werden.

psychische Automatismen: surrealistische Kollaborationen


Die surrealistische Bewegung ist zwar bekannt für Schreib- und Malspiele, wie sie heutzutage in creative writing - Kursen massenhaft eingesetzt werden ...
etwa dem 'cadavre exquis' - einem Kreisspiel bei dem von jedem Teilnehmer Bild- oder Text-Partien auf einem Zettel notiert werden, die an den Folgespieler verdeckt weitergegeben werden, wobei nur die Anschlußpartien bzw. das letze Wort sichtbar ist, so daß es zu überraschenden Verbindungen und Übergängen kommen kann ... -
wenig bekannt ist aber die Tatsache, daß ein kollaboratives Schreibexperiment zwischen André Breton und Philippe Soupault geradezu den Beginn der surrealistischen Kulturrevolution einleitet:
die beiden Freunde setzten sich eine Frist von acht bis vierzehn Tagen für ihre textuelle Zusammenarbeit. Zunächst schreibt jeder ein Kapitel, die folgenden schreiben sie zusammen, wechseln sich ab. Eine Passage schreibt der eine, die folgende der andere. Manchmal sitzen sie sich gegenüber und vollziehen ein Frage- und Antwort-Spiel.
Anschließend an diskursive Techniken wie Brainstorming oder freies Assoziieren ruft der Surrealismus eine Revolution des Rausches (Benjamin) aus - wobei die automatische Schreibweise als eine zentrale literarische Technik eingesetzt wird, die einen metaphorischen Kollage-Prozeß in Gang setzt, in dem spannungsreich unterschiedliche semantische Felder und Bilder mit ganz unterschiedlichder kultureller Kodierung montiert werden.
Als abgenutztes Schulbeispiel solch surrealistischer Metaphorik gilt Lautreamonts vielzitierter Satz:
"Er ist schön [...] wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!"
(Lautréamont, Compte de: Die Gesänge des Maldoror, in: ders. Das Gesamtwerk, Reinbk, 1988, S. 223)
Der eigentliche Funke soll allerdings von der Literatur wiederum in das Alltagslebens überspringen und somit die eigentliche surrealistische Revolution auslösen:
"Die improvisatorische Werkgenese durch Assoziation ist nicht nur eine künstlerische Technik, sondern [...] sie wird ausgeweitet zu einer 'assiziativen Lebensform, in einem Zustand permantenter produktiver Kombinatorik'.
(Schulz, Holger: Das aleatorische Spiel. Erkundung und Anwendung der nichtintentionaler Werkgenese im 20. Jahrhundert, München 2000. S. 75-76; zitiert Fritz, Horst: Surrealismus, in: Borchmeyer, Dieter; Zmegac, Viktor (Hg): Moderne Literatur in Grundbegriffen, Tübingen, 1994, S. 406-411)
Kein Wunder, daß der Surrealismus in der Studentenrevolte eine fröhliche Wiederauferstehung feiert! [9]

automatische Schreibweise

"Lassen Sie sich etwas zum Schreiben bringen, nachdem Sie es sich irgendwo bequem gemacht haben, wo sie ihren Geist soweit wie möglich auf sich selber konzentrieren können. Versetzen Sie sich in den passivsten oder den rezeptivsten Zustand, dessen Sie fähig sind. Sehen Sie ganz ab von Ihrer Genialität, von Ihren Talenten und denen aller andern. Machen Sie sich klar, daß die Schriftstellerei einer der kläglichsten Wege ist, die zu allem und jedem führen. Schreiben Sie schnell, ohne vorgefaßtes Thema, schnell genug, um nichts zu behalten, oder um nicht versucht zu sein, zu überlesen."
(Breton, André: Erstes Manifest des Surrealismus, in: ders.: Die Manifeste des Surrealismus, Reinbek 1968, S. 29f.)
Was wir gerade heutzutage als das allerschwierigste ansehen, scheint am Anfang des 20. Jahrhunderts noch ganz einfach zu sein:
"Der erste Satz wird ganz von allein kommen, denn es stimmt wirklich, daß in jedem Augenblick in unserem Bewußtsein ein unbekannter Satz existiert, der nur darauf wartet, ausgesprochen zu werden. Ziemlich schwierig ist es, etwas darüber zu sagen, wie es mit dem folgenden Satz geht; ohne Zweifel gehört er unserer bewußten Tätigkeit und zugleich der anderen an - wenn man annimmt, daß die Tatsache, einene rsten Satz geschrieben zu haben, ein Minimum an Wahrnehmung mit sich bringt."
(Breton, André: Erstes Manifest des Surrealismus, in: ders.: Die Manifeste des Surrealismus, Reinbek 1968, S. 30)
Tauchen dann doch Schreibhemmungen oder Schreib-Blockaden auf, empfielt Breton einfach, sämtliche Fixierungen aufzugeben und künstlich Abschweifungen und Unaufmerksamkeiten herzustellen.

surrealiste Gemeinschaftsproduktionen

Neben dem wichtigen Effekt der Aufbrechens linearer Strukturen, der Umleitung, des Bruchs mit Konventionen und gängigen Sprachbildern ... hebt Breton für die surrealisten Gemeinschaftsproduktionen in Form von Gesellschaftspielen, bei denen jeder einzelne Teilnehmer einzelne Elemente (Subjekt, Verb, Adjektiv oder Kopf, Leib oder Beine) beisteuert, in anderem Zusammenhang gerade die interpersonalen Korrespondenzen als eintscheidende Faktoren heraus:
"Wir haben verschiedene Experimente in Form von 'Gesellschaftsspielen' gemacht, deren amüsanter, ja erholsamer Aspekt mir in nichts ihre Tragweite zu mindern scheint: [...] Und wir glauben, mit solchen Experimenten eine seltsame Fähigkeit des Denkens aufgedeckte zu haben - die zu seiner Vergemeinschaftlichung. [...] Tatsache ist, daß sich auf diese Weise erstaumliche Beziehungen ergeben, bemerkenswerte Analogien sich zeigen [...]"." (André Breton: Die Manifeste des Surrealismus, Reinbek bei Hamburg, 1968, 92)
Intertextuelle Verfahren, sprachliche Anspielungen, Textraub, künstlerische Montage- und Collageverfahren bleiben niemals in der reinen Sphäre sprachlicher Experimente gefangen, beschränken sich keinesfalls auf nur auf innersprachliche Zeichen-Revolutionen oder einen Verbalradikalismus, wie er bezeichend ist für einen machlosen, nicht in die Realpolitik eingreifenden Intellektuellenstatus, sondern sie greifen im Laufe einer Sozialgeschichte der Literatur immer wieder in das Zentrum kultureller Systeme ein - in das Herzstück sozialer Systeme. Es stehen die tradierten Werte, die Grundlagen kultureller Schätze und Überlieferungen - eben die Basiskonfigurationen der herrschenden Kultur - auf dem Spiel - Zeichenökonomien ebenso wie auch ganz konkrete ökonomische Beziehungsgeflechte und Wertmaßstäbe, etwa Besitz und Eigentum kulturellerAktefakte und Muster, die z.B. durch gezielte Übertretungen des Copyrights bedroht werden.
Dieses Changieren zwischen Symbolischer Destruktion - einer "Revolution der poetischen Sprache"[10] und ganz konkreten gesellschaftspolitischen Aktionen und Eingriffen läßt sich bisher bei allen künstlerischen Avantgarde-Bewegungen erkennen.

Schreiben und Assoziieren im Netz

Leider funktioniert diese hier so schön beschriebene Technik im Netz nicht immer - dabei müßte es doch online noch viel einfacher sein: sämtliche Parameter surrealister Schreibspiele sind gegeben, ja größtenteils sogar übertroffen: denn hier überlagern sich wirklich eine Vielzahl von Stimmen, hier weiß wirklich ein Mitschreiber bei einem Schreibprojekt nicht, was der andere schreibt, hier überlagern sich wirklich verschiedenste Intentionen, die sich teils verstärken, teils abstoßen, aneinander reiben, stören, sich widersprechen, dialogisieren, multilogisieren ...
... eine Strukturähnlichkeit zwischen den experimentellen Avantgarde-Texten und Hypertexten ist das Paradox der Unlesbarkeit - besser gesagt, daß sich die Poetizität 'offener Texte' erst in möglichen 'aktiven Rezeptionsprozessen' äußert: eine Poetik des Transports, des Unterwegs-Seins, eine produktionsästhetische Poetik der Kommunikation, die sich weniger in der Entschlüsselung und dem Empfang einer Botschaft ausdrückt, als vielmehr in Eigenleistungen der Rezipienten. Surrealistische Wort- und Bild-Konstelationen wie Netz-Texte gleichermaßen werden vielmehr zu einer Art 'Sprungbrett', einer Absprungstelle, an der sich die Imaginationsräume, die Textanalytischen Verfahren von Autor und Leser treffen. Aus den Rezeptionsprozessen von Autor und Leser geht ein Impuls aus, eine Verdichtung und Konzentration: das Kunstwerk wird zu einem Gebrauchsmittel, eine Anleitung zur Realisierung ästhetischer Kommunikation.

autorisieren

Es hat nie wirklich Autoren gegeben.

Am Anfang war ein Text? Und der Text generierte andere Texte, überlagerte sich mit Bildern, Metaphern, Briefen, Schriftrollen, Traumresten, Einritzungen ...
Jemand hatte das alles gehört und aufgeschrieben: die Märchen, die Mythen des Alltags, abgeschrieben und heruntergeladen aus dem Internet. Die Wolken, die vorüberziehen. Andere hatten weitergeschrieben, korrigiert, gelöscht, umgeschrieben, übersetzt, Briefe verschickt, Reden gehalten, Lieder gesungen, Theaterstücke aufgeführt ... aber Autoren, die hat es niemals gegeben, nur Texte ...
"Odysseus reist durch eine nur in der Sprache geborene Erlebnisidee, in die reale Erinnerungsmomente eingeflossen sind, ohne daß sie direkt in einen aktuell sich ereignenden Lebenszusammenhang eingebettet wären. Unmittelbar erlebt ist allein der epische Text im Vollzug seines Entstehens und seiner Wahrnehmung. Ob dahinter eine wie in diesem Fall plurale Autorschaft steht, die sich der Obersignatur Homers bedient, oder ob es wie beispielsweise für Vergils ,Aeneis` eine personal konkretisierbare Autorschaft wäre, ist nicht von entscheidendem Belang.
Wesentlich ist die unmittelbare und vor allem wiederholbare Erlebnispräsenz von Sprache und daraus resultierendem Werk, in der sich Urheber und Nutzer treffen" (Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte einer Theorie. Tübingen und Basel, 45).
Jeder Text ist Bestandteil verschiedener textproduktiver und - rezeptiver Prozesse: Textmaschinen, Sprachspielen, Auf- und Entladungen, Referenzen, die sich aufbauen, abbrechen, vertiefen und vernetzen ... Differenzen und Wiederholungen von Lese- und Schreibakten ...

Adressierung von Informationen

Autorenschaft wird - je nach dem technischen Stand des Kommunikationssystems - als ein kulturelles Paradigma produziert und stellt somit in gewisser Weise einen medialen Effekt des jeweils vorherrschenden Informationssystems der Wissensverarbeitung dar. Der Autor ist insofern schon immer Bestandteil eines komplexen kulturellen Netzwerks gewesen:
"Als Autoren werden diejenigen informationsverarbeitenden Systeme bezeichnet, die über ihre Sinnesorgane Informationen aufnehmen und diese zu Manuskripten verarbeiten, die dann von den Druckereien aufgenommen werden. Erst durch Herstellung einer Beziehung zu Verlegern und/oder Buchdruckern können die ,Schreiber` also zu Autoren und damit zu Elementen eines neuen Kommmunikationssystems werden" (Giesecke 1991, S. 400-401).

Genauso produziert werden auf der anderen Seite des Kommunikationsprozesses die Leser. (Untersucht man die unterschiedlichen Korrekturverfahren von den Buchmalern über die Rubrikatoren zu den Korrektoren, so fällt auf, dass in der typographischen Datenverarbeitung durch ausführliche Druckfehlerverzeichnisse schließlich sogar der Leser in die Korrekturschleife miteinbezogen wird, indem genau angegeben wird, auf welchen Seiten in welchen Zeilen Korrekturen und Ersetzungen vorzunehmen sind. Vgl. Giesecke 1991, S. 121-123.)

Text als Schnittstelle

Ein Text stellt eine Oberfläche dar für die Begegnung von Leser und Schreiber, Urheber und Nutzer, Sender und Empfänger ...
"Autor und Leser sind durch gleiche Anstrengung und Aufmerksamkeit in der Textarbeit vereint. Die Gültigkeit dieser Konstellation erstreckt sich idealerweise auf einen zeitlich wie kulturell gemeinsamen Textort, wo sich schreibender ,Leseautor` und dem Formulierungsprozess inhärenter ,Autorleser` treffen. [...] Die impliziten Interaktionen, die sich im unmittelbaren, weitgehend gleichberechtigten Korrespondenzwissen von Autor und Leser intentional aufeinander bezogen aufbauen und zur Evidenz gelangen, entziehen sich einer auktorialen Verfügung. [...] Dem Leser fällt zunehmend Autorschaft zu, die aber nicht mehr mit dem ursprünglichen Formulierer zurückgekoppelt ist, sondern die diese Bindungsgemeinschaft nur noch simuliert" (Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte einer Theorie. Tübingen und Basel, S. 43).
Der Text als anderer Schauplatz, als Bühne kultureller Wissenssysteme, als Szenerie, in der sich kollektive Authentifizierungsprozesse abspielen: begriffliche Regelspiele, mobile Organisationsprozesse, in denen die Einbildungskraft wirken kann.
"Der Redner hat, um mit seinem Text affektiv auf seine Zuhörer wirken zu können, die Erregung zuvor durch Vorstellungen (phantasiai) zu projizieren" (Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte einer Theorie. Tübingen und Basel, S. 28).
Diese simple Maskierung, dieses auktoriale Rollenspiel mit teils göttlichen Soufflierungen lassen letztlich den eigentlichen Ort textschöpferischer Energie leer, die im Schauspiel von Text-Rezeption und -Produktion immer wieder neu besetzt wird - auch schon in den frühen Reflektionen zu Textualität und Autorschaft klafft die Lücke, die Leerstelle, der slash zwischen Signifikat und Signifikant, den die Moderne/Postmoderne dann so wild und emphatisch bearbeiten wird, eben der Zwischenraum zwischen den Texten :
"Zwischen ihnen droht stets das erinnerungslose Schweigen der Texte, jene Grenzüberschreitung aus den sprachlichen Tauschvorgängen mit der Welt in das Vergessen. [...] Die Verweigerung, sich in Texten zentrierend zu äußern, führt zur Verdunkelung der Welt" (Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte einer Theorie. Tübingen und Basel, S. 29).
Schriftlich fixierte Text bereiten (im Vergleich zur direkten oralen Textweitergabe in Dialogen oder eben der klassischen Rede) schon die direkte Adressierbarkeit von Texten jenseits von Autorfiktionen und flüchtiger Rede vor, wie sie jetzt im Netz so schön möglich ist.
Das alte ,väterliche` (Plato) verantwortungsbewusste und eben vor allem personal gebundene orale Überlieferungsmodell von Texten mit klar definiertem Sender/Autor/Autoritätszentrum wird durch eine entsubjektivierte Autorität der Schrift selbst abgelöst, Kommunikationszusammenhänge und Kontexte verschwimmen ...
"Der Text wird wichtiger als sein Produzent, der nach der Niederschrift ganz zurücktreten kann, es sei denn, dieser wollte als ein 'Freund der Weisheit' (philósophos) jenen noch weiter kommentierend auslegen" (Autorschaft, S. 31, mit Verweis auf E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter).
In dieser Trennung von Autor, Exeget und Leser scheint für die Textgenese letztlich auch schon jene erschreckende Leere auf, die im Laufe der Geschichte immer wieder mit anderen Phantasmen, technischen Projektionen etc. gefüllt wird, bis hin zur momentan gültigen Produktionsanweisung, dass eben das Internet selbst die Texte generiere, die hier fluktuieren ...
Die Frage "wer spricht" wird zur Frage nach den ideologischen und ökonomischen Machtverhältnissen kultureller Produktionsweise, die zudem nicht selten die Grundlage bilden für basale gesellschaftliche Produktionsverhältnisse. (Eine Umkehrung der klassisch gedachten Basis/Überbau-Verhältnisse, also zutiefst idealistisch?)
"Dies führt in der Textformulierung erst einmal dazu, daß Autorschaft dazu neigt, Masken anzulegen, sich sprechende Protagonisten zu wählen, weil sie sich angesichts der zahlreichen Interaktionen im gesellschaftlichen Beziehungsraum kommunikativ vervielfältigen will. Zugleich wird aber der Formulierende zum Einen, der gleich allen ist, im Namen aller und zu allen spricht. Seine Aussage repräsentiert nicht nur eine Identität des eigenen Selbstbewußtseins, sondern sie spaltet sich auf in ein plurales Wahrnehmungsbewußtsein vieler anderer Identitäten. [...]
Autorschaft ist im Gegensatz zum physisch konkreten Sänger oder Dichter etwas, das nicht selbstverständlich von Anfang aller Literatur vorhanden wirkt. [...] Autorschaft erscheint funktional als ein Phantasma. Es verleigt, was gegenständlich 'Text' genannt wird, Zusammenhang und überdeckt so die disparat erlebte Wirklichkeit der Texte. Um diese negative, wenn nicht traumatische Erfahrung zu überwölben, bedarf es der Vorstellung von Autorschaft. Sie erlaubt es, die symbolischen Repräsentationen, wie sie in der mythischen Kodierung noch möglich waren, zu ersetzen" (Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte einer Theorie. Tübingen und Basel 1998., S. 33).
Und eben an dieser Leerstelle der Texte, die für viele moderne und postmoderne Texte geradezu konstitutiv war und in verschiedenster Art und Weise zum Antrieb der Textgenese wurde, können wir jetzt ganz konkret in netzwerkunterstützten kollaborativen System arbeiten, nach theoretischen Durchläufen, die eben diese freigewordene Stelle der Texte auf selbstschöpferische, quasi autopoetische Momente der Sprache zurückgebunden hat (Plato, Wittgenstein, Luhmann), bzw. nach einer Wiederaufnahme der Vorstellung einer vorsprachlichen transpersonalen sprachlichen Instanz (chora) etwa bei den poststrukturalistischen Intertextualitätskonzepten (Kristeva).
Autorschaft ist also ohne ein ,produktives Lesen` nicht denkbar. Sprachliche Produktions- wie Rezeptionsakte schließen somit neben grammatikalischen Regeln und sprachlichen Strukturierungen auch diskursive Formationen, Nutzungsregeln, hermeneutische Zirkel etc. mit ein, eben die sprachlichen und kulturellen Sinnproduktionsprozesse, worin eine gewisse Paradoxie der Autorschaft evident wird. Der Autor wird zu einem Mediator, einem Vermittler zwischen den vorliegenden Texten der Bibliothek und einer möglichen Aktualisierung und Neuproduktion.

Aus solchen verschiedenen Facetten intertextueller Textgenese, aus Projektionen und Sprachspielen um diskursive Machtverteilungen in Texten können wir nicht nur Figuren des Verschwindens von Autorschaft entdecken, wie sie in der Text- und Theorieproduktion der Moderne und des Poststrukturalismus genügend formuliert und zuweilen auch bis zum Überdruss und zur katastrophischen (medizinischer Ausdruck für Krampf/Lähmung) Lähmung wiederholt worden sind, sondern wir können daraus ebenso Methoden künstlerischer und politischer Entwendung ableiten (cut-up-Methoden, Textmaschinen, offene Textstrukturierungen, Sprachspiele, wie Momente der ,Entwendung bei den Situationisten oder Operationen der vielleicht letzten Kolonne von Medien- und Kommunikationsguerilleros ...), die sich wie Viren nicht nur im Netz ausbreiten ("I love you"), sondern die auch als open source-Bewegung, sowohl konstitutiv für das Netz (mit seinen Protokollen, Programmen und Kommunikationsstrukturen) selbst sind, als sie auch darüber hinaus Modelle für neue Ökonomie- und Gesellschaftsutopien freisetzen können, auf deren Basis sich möglicherweise auch Widerstandspotentiale gegen hyperkapitalistische dot.com Praktiken bilden (Vgl. Volker Grassmuck: Freie Software 1/2 http://mikro.org/Events/OS/text/freie-sw.html)

Aufschreibesysteme

Die poetischen Operationen mit denen Ezra Pound, Stéphané Mallarmée, James Joyce u.a. die Verwendung der Sprache revolutionieren, bereiten Kulturtechniken vor, die in den sechziger Jahren von den Pionieren des Hypertextes auf der neuen Wunschmaschine Computer implementiert werden können: assoziativer Zugriff auf Daten unterschiedlichster Art, offene Texte, die an jeder Stelle verändert, ergänzt und mit anderen Textstellen (oder Bildern) verknüpft werden können; jedes Wort wird zu einem Knoten von Bedeutungen, zu einem möglichen Absprungort für neue Konstellationen, Anspielungen und Verweise ...
Die aufkommenden technischen Medien beflügelten die Literatur seit der Jahrhunderwende und führten zu einer Reflektion medialer Auflösungserscheinungen in der Literatur (Futurismus, Noveau Roman, James Joyce).
"Das Wort Aufschreibesystem [...] kann auch das Netzwerk von Techniken und Institutionen bezeichnen, die einer gegebenen Kultur die Entnahme, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben. [...] Nun sind zwar alle Bibliotheken Aufschreibesysteme, aber nicht alle Aufschreibesysteme Bücher. [...] Archäologien der Gegenwart müssen auch Datenspeicherung, -übertragung und-berechnung in technischen Medien zur Kenntnis nehmen." (Kittler, Friedrich (1987), Aufschreibesysteme 1800/1900, München, S.429)

cut-up: Schneiden, knüpfen, verknüpfen

Experimentelle Collage-Techniken des Schreibens werden immer wieder auf das Zeitungs-Layout zurückgeführt: Spaltensatz, Mischungen von Text, Bild und den unterschiedlichsten Genres, Meldungen, Anzeigen bilden eine ideale Ausgangslage für die nicht-lineare Leseerfahrung des "Crossreading", bei denen das Auge des Lesers die Grenzen der gesetzten Grenzen von Textspalten überspringt und ungeanhte Querverbindungen erzeugt. So wird in den zahllosen Gebrauchsanweisungen zur Herstellung experimenteller Literatur von oder Buchseiten verlangt, damit die Worte als Material aus dem Kontext gerissen und zur Wiederverwertung freigesetzt werden. Der Schnitt markiert eine gewaltsame symbolische Operation einerseits, aber auch einen konkreten physischen Akt.
Als Methode des Denkens und Handeln geht eine Cut-Up- 'Lebensweise' aber weit über ein einfaches Verschieben von Wortketten hinaus und bezeichnet ganz anschaulich Momente postmodernen (und neuerdings vielleicht auch postsymbolischen) Subjekt-Shiftings.
Paßte die Technik des 'inneren Monologs' zur modernen bürgerlichen Autorenkonstitution - mit den entsprechenden Leseanweisungen, nebst projizierter stellvertretenden Identifikations- und Gegenidentifikationsmomenten der Rezipientinnen, so ist das Cut-Up Ausruck einer grundlegenden Verschmelzung von Rezeptions- und Produktionsmomenten unter den Bedingungen postmoderner Medienkonstellationen.
Schon das Medienformat Zeitung produziert von sich aus eine zerstreute verteilte und vernetzte Rezeptionsweise, die somit jeden Rezipienten in eine Cut-Up-Professional verwandelt.
Während im modernen Roman die Simultanität verschiedener Weltausschnitte und Wahrnehmungsebenen noch künstlerisch produziert werden mußte durch geschliffene schriftstellerische Methoden und die surrealistischen Spiele wie auch die Psychotechniken der Psychoanalyse Assoziationen freizusetzen versuchten durch ein Anzapfen unbewußter Bewußtseinsströme, sind die Sinnesoperationen unter multimedialen Bedingungen von vornherein auf ein permanentes Changieren zwischen Aufnehmen, Verarbeiten und Kommunizieren eingestellt. so etwas wie innerer Monolog oder auch das Cut-Up-Gefühl sind alltäglich geworden. Jeder Mensch ist ein Künstler und lebt wie James Joyce. Dazu braucht man nicht mehr zu lesen oder Textschnipseleien vorzunehmen.
So nimmt Burroughs alltägliche Szenen schon als permanentes Cut-Up wahr - durch die Cut-Up-Methode werden diese Simultaneitäten nur explizit gemacht.
Bei Zeitunglesen folgen die Augen den Text-Spalten zwar in gewohnter aristotelischer Manier anscheinend unter der Bedingung, jeweils immer eine Idee und einen Satz aufzunehmen, aber unter der Oberfläche der Wahrnehmung laufen parallel mehrere Prozesse gleichzeitig ab, Wortfetzen, Bildsegmente aus benachbarten Spalten drängen sich auf, Stimmen von Unterhaltungen in der Nähe sind zu hören, ein Nachrichtenfenster springt auf, eine Sounddatei spiel im Hintergrund, während ich mir gleichzeitig den Source-Code anzeigen lasse, email angekommen ist und ich einen Platz im Zug reserviert habe. Ist das noch Cut-Up - oder schon wieder etwas anderes?
Die Haltung zur Welt, zur Umgebung, zum Kontext ist keine passive mehr - wie die des Romanciers , man kann nichts mehr abschreiben, einschreiben und abspeichern, man bewegt sich einfach in einem System von Querbeziehungen. Cut-Up als eine Methode Intertexualität zu praktizieren erweitert den Raum und die Funktionsweise von Worten in die Welt. Der Cutter lebt darin wie ein Fisch im Wasser, die Beschreibungen von Leben der Avantgarde als ein Kampf um die Vereinigung von Alltagsleben und Kunst sind sein alltägliches Brot, banale Erkenntnis. Das Leben im Cut-up, das Leben als Cut-up.
Und nicht nur die. Im Cut & Paste deutet sich eine Literatur an, die von allen gemacht wird.
.... Insofern hat die Cut-Up Methode nichts mit einem 'freien' Assoziieren zu tun, eher mit zwanghaften, unter starken Einflüssen (unter Drogen oder anderen extremen Wahrnehmungsmanipulationen) ausgeführten Materialschlachten, wie sie unter vernetzten multimedialen Medienbedingungen auf der Tagesordnung eines jeden Users stehen.

Die Schnittstellen im cut-up

Hier haben wir wieder die wundersame und wunderbare Benutzung von Worten als Schnittstelle und finden verstreut im weiteren Werk von Burroughs auch jede Menge Gebrauchsanweisungen, Anleitungen und Tips für die eigene Hand-Habungen, Wörter zu berühren, mit ihnen in Kontakt zu treten:
Das einfachste cut-up mit dem Tonbandgerät bekommt man, wenn man aufs Geratewohl in bereits aufgenommenes Material neue aufnahmen einfügt: die Wörter an den Schnittstellen werden natürlich gelöscht, man erhält Überlagerungen, interessante Nebeneinanderstellungen. Im Medium des Sounds lassen sich einfacher als mit dem gedruckten Wort (etwa durch mehrspaltiges Layout) Effekte der Gleichzeitigkeit erreichen: Echos, Beschleunigungen, Mischungen.
Was Burroughs in seinen Experimenten erahnte, ist heute die strategisch wichtigste Operation im Netzschreiben geworden:

copy & paste als Waffe im Medienkrieg

"Die Schnittpunkte sind sicherlich sehr, sehr wichtig. Beim Zerschneiden bekommt man einen Schnittpunkt, wo sich das neue Material, das man eben erhalten hat, auf sehr präzise Weise mit dem bereists vorhandenen überschneidet, und das ergibt dann einen neuen Ausgangspunkt."
(William S. Burroughs: Der Job. Gespräche mit Daniel Odier, Frankfurt am Main 1986, S. 16)
Massenhaft angewendet erscheint die cut-up-Methode als eine revolutionäre Waffe nach Art der Kommunikations-Guerilla. Möglich erscheinen Events, Festivals, Konzerte, Demonstrationen, Aufmärsche, in denen die Masse der Teilnehmenden - ausgerüstet mit walkmen als persönliche kleine Wunschmaschinen - durch abwechselndes Betätigen der RECORD und PLAY-Taste wirklich zu Produzenten werden:
"[...] wenn tausende von Leuten mit Tonbandgeräten Informationen ausstreuen wie durch ein Netz von Buschtrommeln: eine Parodie auf die Rede des Präsidente, die Balkone rauf und runter, durch Fenster rein und raus, durch Wände, über Hinterhöfe, aufgenommen und weitergetragen von Hundegebell, brabbelnden Pennern, Musik [...]
(William Burroughs: Die elektronische Revolution, Expanded Media Edition, S. 27)
Der eigentlich Kick dieser Operationen ist, daß - im Unterschied zu den meisten künstlerischen Klang-Experimenten à la Cage eine Rückkopplung in den sozialen Kontext vorgenommen wird, aus dem die Materialien entnommen worden sind, und daß genau durch diese Feedback-Schleifen ein Aufschaukeln, Übersteuerungen und Momente des Außer-Kontrolle-Geratens initiiert werden:
"Demonstraten sind aufgefordert, friedlich zu demonstrieren [...]. Zehn Tondbandagenten mit Tonbändern unter der Jacke, Aufnahme und Wiedergabe gesteuert durch Bedienungsknöpfe am Revers. Sie haben Bänder von Aufnahmen von Kravallen in Chikago, Paris, Mexico-City, Kent State/Ohio. Wenn sie den geräuschpegel ihrer Aufnahme dem der jeweiligen Umgebung anpassen, wird man ihnen nicht auf die Spur kommen. Rempelei zwischen Polizisten und Demonstranten. Die Tonbandagenten ziehen sich am Ort des Geschehens zusammen, spielen Chikago ab, nehmen auf, gehen weiter zur nächsten Rempelei, nehmen auf, spielen weiter. Die Sache wird langsam heiß [...]".
(William Burroughs: Die elektronische Revolution, Expanded Media Edition, S. 28)
Also einfache Umwandlung eines kalten Mediums in ein heißes. Dekonstruktion und Deregulierung aller Sinne einmal ganz platt und wirksam, Medienkritik praktisch durch zerschneiden festgeleger Assoziationsverbindungen. Könnte etwa so geklungen haben:
"Gestern stürmte Präsident Johnson 26 Meilen nördlich von Saigon in ein Nutten-Apartment und hielt drei Mädchen die Knarre vor." (S. 29)
Das Programm ist ganz klar auch ein politisches, erfrischend anders als die reinen Materialschlachten der Avantgarde oder des Techno:
"Mit einem Tondbandgerät läßt sich das hypnotische Gemurmel der Massenmedien schneiden und in veränderter Form auf die Straße bringen." (S. 29)

Cut & Paste

"nimm eine zeitung. nimm eine schere. suche einen artikel aus von der länge des gedichts, das du machen willst. schneide ihn aus. dann schneide jedes seiner wörter aus und tue es in einen beutel. schüttele ihn. dann nimm einen ausschnitt nach dem anderen heraus und schreibe ihn ab. das gedicht wird sein wie du."[11]
Nach dieser simplen Gebrauchsanweisung kann freilich jedermann leicht selbst Literatur herstellen. Und doch fordert ein solcher Appell, selbst ein Gedicht nach dadaistischer Manier zu erzeugen, vom Leser das Unmögliche:
Nämlich aus der passiven, teils quälenden, bisweilen aber auch lustvollen Lese-Aktivität auf die Seite der Produzenten zu wechseln, auf die 'andere Seite' des Textes. Aber was so einfach erscheint, stößt doch auf ungeahnte Hürden auf dem Wege des Textes vom Leser in die literarische Produktion.
Die verlockendende Versprechungen avantgardistischer Literatur auf eine wie auch immer geartete Mitautorenschaft der LeserInnen werden im falschen Medium ausgesprochen. Sie sind und bleiben Literatur, können kein 'ausführbares Programm', keine kulturelle Praxis werden, weil die gesellschaftlichen und kulturellen Produktions- und Rezeptionsformen derartige Überschreitungen verhindern.
Das Ausschneiden von Wörtern aus einem beliebigen Zeichenvorrat ist und bleibt eben nur die Verlängerung eines selektiven Rezeptionsprozesses, des ,Crossreadings`, das durch das Zeitungslayout mit seiner simultanen Präsentation verschiedenster unzusammenhängender Materialien geradezu herausgefordert wird.
"Man muss sich vorstellen, das Lesen geschehe in einem öffentlichen Blatte, worin sowohl politische, als gelehrte Neuigkeiten, Avertissements von allerlei Art u. s. w. anzutreffen sind: der Druck jeder Seite sei in zwei oder mehrere Columnen geteilt und man lese die Seiten quer durch, aus einer Columne in die andere."[12]
Kombinatorische Übungen, Umleitungen linearer Lesestrategien sind also letztlich schon industriell vorproduziert: eine Zeitungsseite ist von vornherein schon collagiert -- die vermeintlich dekonstruierende dadaistische Geste erscheint als eine Überhöhung der Neukonditionierungen der Leser durch massenmediale Formate. So zeigt gerade die Aufforderung an den Leser zur Abschrift der Zufallskomposition genau auf, was dem Leser fehlt: womit soll er schreiben, worauf soll er schreiben und wer wird das je lesen?[13]
Gleichsam als ironische Vertröstung und Aufforderung zur Solidarität des Lesers mit dem unverstandenen dadaistischen Autoren erscheint dann auch der Schlußsatz der dadaistischen Gebrauchsanweisung: "[...] Ziehen Sie darauf die Zettel einen nach dem anderen heraus und ordnen sie nach der Reihenfolge. Kopieren Sie gewissenhaft. Das Gedicht wird ihnen gleichen. Und Sie stehen als ein Schriftsteller von unübertrefflicher Originalität und bezaubernder Sensibilität da, wenn auch vom großen Publikum unverstanden."[14]
Unverstanden oder nicht: 1920 jedenfalls las Tristan Tzara einen Zeitungsartikel als Gedicht vor und die dritte Nummer der Zeitschrift Dada brachte einen Höhepunkt dieser produktiven Schnipselei:[15] "Typen jeder Art und Größe sind hier durcheinander gewürfelt, Worte in alle Richtungen über die Seite verteilt, bunte Papiere zwischen die weißen geschoben. Der Leser muss Blatt um Blatt im Kreise drehen, um den Sinn oder Unsinn zu entziffern."[16]
Aber immerhin: Der Akt des Lesens wird durch die dadaistische Typographie zu einer ganz handgreiflichen Tätigkeit und läutet einen ganz entscheidenden Paradigmenwechsel in der Literaturproduktion, -theorie und -rezeption ein: Der Akt des Lesens bekommt (wieder) Ereignischarakter. Er wird zu einem Prozeß des sinnlichen An- und Kurzschließens zwischen Text- und Leserkörper. In den ausschweifenden Bewegungen einer solchen ,Lust am Text` liegen Befreiungspotentiale für eine Wiederauferstehung aller toten Dichter in jedem möglichen Leser begründet:
,,,Heute wissen wir, dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern besteht, die einen einzigen, irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher die ,Botschaft` des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedenen Schreibweisen [écritures], von denen keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen. Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unterschiedlichen Stätten der Kultur. [...] Ein Text ist aus vielfältigen Schriften zusammengesetzt, die verschiedenen Kulturen entstammen und miteinander in Dialog treten, sich parodieren, einander in Frage stellen. Es gibt aber einen Ort, an dem diese Vielfalt zusammentrifft und dieser Ort ist nicht der Autor [...], sondern der Leser. Der Leser ist der Raum, in dem sich alle Zitate, aus denen sich die Schrift zusammensetzt, einschreiben, ohne dass ein einziges verloren ginge. Die Einheit eines Textes liegt nicht in seinem Ursprung, sondern in seinem Zielpunkt. [...] Die traditionelle Kritik hat sich niemals um den Leser gekümmert; sie kennt in der Literatur keinen anderen Menschen als denjenigen, der schreibt. [...] Wir wissen, dass der Mythos umgekehrt werden muss, um der Schrift eine Zukunft zu geben. Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors."[17]

Electronic Café (anlässlich der Olympischen Spiele Los Angeles 1984)

Der Prototyp aller Internetcafés ist in der Geschichtsschreibung etwas untergegangen. Wie fast immer ist die Dokumentation äußerst mangelhaft,.[18] und wir können uns die Szenerie nur mit etwas Phantasie ausmalen:
Electronic Café (anlässlich der Olympischen Spiele Los Angeles 1984) ist ein multimediales an eine öffentliche Bilddatenbank[19] angeschlossenes Computer- und Video-Netz, das fünf von verschiedenen Volksgruppen bewohnte Bezirke von Los Angeles sieben Wochen lang während der Olympischen Spiele 1984 in sogenannter Echtzeit miteinander verband:
In diesen multikulturellen Kommunikationszentren, die mit interaktiven Systemen zur Bild-, Text- und Ton-Bearbeitung ausgestattet sind, werden den Benutzern Zugänge zu unbekannten sozialen Welten ermöglicht. Durch das Aufnehmen, Speichern, Übertragen und Vernetzen von Bildern und Daten, die aus der Alltagskultur, den Bräuchen und Mythen der verschiedenen Volksgruppen gewonnen sind, entsteht ein allgemein zugängliches Archiv sozialer Gesten. Die Produktion, Reflexion, Bearbeitung der eigenen kulturellen Bilder und Visionen erzeugt einen ,virtuellen elektronischen Kommunikationsraum` -- eine ,Community Memory` --, der einen Austausch mit fremden, direkt schwerlich kommunizierbaren sozialen Welten ermöglicht. Eine solche aktive Art des ,Umweltdesigns` lässt für Gene Youngblood letztlich auch die eigenen kulturellen Systeme als virtuell (künstlich produziert) und somit veränderbar erscheinen: "Gestützt auf Simulationsinstrumente (persönliche Metamedien), stellen wir Modelle alternativer Wirklichkeiten her (Kunst); gestützt auf konversationelle Netzwerke (die öffentlichen Metamedien also), können wir aber auch die kulturellen Kontexte kontrollieren, die die Publikation und den Empfang dieser Modelle determinieren (Politik). Die Kontrolle des Kontextes beinhaltet die Kontrolle der Bedeutung, die Kontrolle der Bedeutung ist identisch mit der Kontrolle der Wirklichkeit."[20]

Das Europäische Tagebuch (Wam Kat: Zagreb Diary, 1992)

Das Europäische Tagebuch hat sich unmittelbar aus Kollaborations- und Kommunikationsweisen innerhalb der Nachrichtenströme von Mailbox-Netzwerken entwickelt:
Ausgehend vom Zagreb Diary, in dem der holländische Friedensaktivist Wam Kat seit Frühjahr 1992 seine persönlichen Eindrücke vom Kriegsgeschehen im ehemaligen Jugoslawien -- "gewissermaßen wie offene Briefe an meine Freunde oder an Menschen, die ich für Freunde halte" -- als öffentliches Tagebuch innerhalb einer relativ geschlossenen Netzstruktur (des Zerberus-Mailbox-Netzes) zirkulieren ließ, wurden auf Initiative von Peter Glaser Anfang 1993 persönliche Eintragungen, subjektive Geschichten und Erlebnisse quer durch Europa in Mailbox-Netzen zusammengetragen: "Zur Idee des Europäischen Tagebuchs:
Durch Verbreitung über elektronische Medien zur ,Nachricht` geadelt, erzeugen heute Agenturmeldungen den Anschein, die ,wirkliche Wirklichkeit` wiederzugeben. Den jeweils speziellen Arten von Sprachgebrauch, die sich ,Politik`, ,Wirtschaft` oder ,Wissenschaft` nennen, soll durch das ,Europäische Tagebuch` eine Vielfalt individueller Realitäten zur Seite gestellt werden, und zwar selbstbewußt. [...] Um Tagebuch zu schreiben, muß man kein Künstler sein. Zu den Vorteilen des Tagebuchs gehört, daß Inhalt und Stil freigestellt bleiben. Es geht um die Wahrnehmung der Welt aus erster Hand."[21]
Als eines der wenigen Netz-Werk-Schreibprojekte hat das Europäische Tagebuch wirklich eine zeitlang in radikaler Autonomie funktioniert -- ohne Leitung und ohne Kunstanspruch. Das Zusammenstoßen äußerst unterschiedlicher Alltagsausschnitte aus den verschiedensten Schauplätzen ereignet sich gerade in der Vermischung unterschiedlichster Privatzonen. Das Private wird öffentlich -- die Öffentlichkeit konstituiert sich nicht mehr über die Massenmedien, sondern durch Konversationspraktiken, die an mündliche Erzählformen und Praktiken, wie sie die oral history untersucht hat, anknüpfen.

Die Imaginäre Bibliothek (1991)

Inspiriert von den Bibliotheksphantasien von Borges, Eco und Foucault[22] wurde die "Imaginäre Biblihothek" zum Tummelplatz elektronischer Texte, die - herausgerissen aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen jetzt 'befreit' von ihren eigenen Autoren zirkulieren können: Lieblingsstellen und Szenen der 'Weltliteratur' werden dem umherschweifenden Leser als Textadventure, Rollenspiel, Filmskript, Gebrauchswanweisung - kurz als Material für Sprachspiele und Spielzüge präsentiert ...
... mit den Ziel, daß Leser und Leserin - völlig übermüdet und verirrt im Labyrinth literarischer Verweise zwischen den Zeilen anfangen, selbst etwas zu kombinieren, weiterzuschreiben, zusammenzusetzen.
"Das Buch ist das radikalste Interface für den Entwurf virtueller Welten ..."

Plötzlich flackert der Bildschirm ...

... es wurde gesprochen, getanzt, gesungen, geliebt, verdoppelt, erzählt, geknotet, gebetet, wiederholt, rezitiert, vergessen, eingeritzt, eingebrannt, gemalt, gemeißelt, geschrieben, in Tabellen gelistet, in magischen Formeln versteckt, gedruckt, gebunden, verlegt, als Fußnote an den Rand gedrängt, indiziert, gereimt, gezählt, formalisiert, codiert, compiliert, gespeichert, gescannt, als Muster wiedererkannt, übertragen, gefaxt, verschlüsselt, komprimiert, optimiert, transformiert, konvertiert, genormt, gelöscht, gelinkt, überschrieben, als Absprungsort markiert, zum Objekt erklärt, als Programm aktiviert, das Worte schafft...
Das Universum, das andere die Bibliothek nennen, setzt sich aus einer undefinierten, womöglich unendlichen Zahl ineinander verschachtelter Bildschirme zusammen..[23]
... und auf welche Art und Weise arbeitet das "Schreibzeug" mit an den online-Gedanken?
Wir wiederholen!
Eine Methode besteht darin, das "lost in hyperspace"-syndrom des Gesamt-Webs weiterzuschreiben, ästhetisch zu überhöhen und nicht-intentionale zufällige Strukturen zum Prinzip zu erklären:
"Die Imaginäre Bibliothek ist ein Werkzeug des Verirrens", sie soll die Leser von Ihrem Wege abbringen, zu Irrungen, Wirrungen, Umwegen, Sub-Versionen verführen. Extreme Linkhäufigkeit (ca. 10-30 Links pro Bildschirm-Seite) soll sprunghaftes Lesen erzeugen und dem Leser bei der Entwicklung eigener Such- und Verknüpfungsstrategien und Pfade helfen. (In der offline-Installation haben wir Engführungen zu den "offenen Büchern" zu erzeugen versucht. Obwohl die Animation zum Mitschreiben kein Selbstzweck ist ...)
Das Feedback zur und in der Imaginären Bibbliothek (nur offline möglich in den verschiedensten Installationen - etwa auf der Ars Electronica 1989 oder dem EMAF 1990) besteht hauptsächlich aus kleinen Assoziationen, Ergänzungen, spontanen Einfällen zu dem von uns inszenierten Imaginationsraum Bibliothek. Auch Schreibspiele (Endlosreime und rekursive Sätze) werden ausprobiert und kombinatorische Text-Generierungen (eine Sonettmaschine nach Queneau oder mesostische Wortgenerierungen a la Cage) durchgeführt. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 5 bis 15 Minuten werden allerdings die von uns auch intendierten komplexeren Mitschreibemöglichkeiten (Romananfänge weiterschreiben oder das Herstellen von Text-Cut-ups auf der Basis eines Grundbestands von Science-Fiction Zitaten) wenig benutzt.[24]

First Collaborative Sentence, 1995

Der Pionier interaktiven Fernsehens und früher telematischer Projekte Douglas Davis wollte schon in seinen TV- und Videoexperimenten aus den starren Sender-Empfänger-Paradigmen massenmedialer Medienschaltungen ausbrechen. Unvergessen ist eine Kameraeinstellung bei einer open-TV-Übertragung, in der er immer wieder gegen das Objektiv der aufnehmenden Kamera trommelt und den Zuschauern zuwinkt und sie auffordert, näher zu kommen.
Dieses Durchbrechen der Zuschauenden zur ,anderen Seite` konnte freilich in den Konzept-Art und Video-Kunst-Projekten nur simuliert werden -- und so ist es nur konsequent, wenn gerade Douglas Davis den vielleicht wirklich ,ersten` hypertextuellen Virus im Netz 1995 aussetzt, den ersten wirklichen ,Welttext`[25]:
Der First Collaborative Sentence ist ein einziger Satz, der immer weiter geschrieben werden kann -- und auch wird: ohne Thema, unstrukturiert, ohne Absender, ohne Empfänger, anonym, vollkommen offen. Ihn in seiner jetzigen Version vorzulesen würde wahrscheinlich ein ganzer Tag nicht ausreichen:
"THE WORLD`S FIRST CLICK here if want to see a close-up of yourself with your nose on the screen before plunging on ahead: CLICKCLICKCLICK CLICKCLOSER CLOSERCLOSERCLICKCLICKCLICKCLICK [...]".[26]

Interaktion

Der schillernde Begriff der Interaktion ist kulturgeschichtlich im Spannungsfeld technologischer Mensch-Maschine Interface-Entwicklungen und sozialer Kulturpraktiken, die auch zwischenmenschliche Handlungs- und Verhaltendmuster einschließen, entstanden. Interaktion ist nicht zu reduzieren auf die vordergründige Useraktivität des Mausklickens, den technologischen Akt des Auslösens unterschiedlichster Programmparameter innerhalb eines kybernetischen Regelkreislaufes. Als Vorläufer ,kultureller Interaktionsweisen`, die sich in den 60er Jahren herausbilden, während gleichzeitg technologisch auch die Direktmanipulationen von Daten durch Benutzereingaben auf Computer-Oberflächen entwickelt werden, können gelten: partizipative künstlerische Environments, Closed-Circuit Video-Installationen, kinetische Objekte als auch Fluxus-Aktionen, Performances und Happenings sowie Straßentheater-Experimente.
Die Einbeziehung der Rezipienten reicht dabei von schlichten reaktiven Feedback-Schleifen bis hin zur unmittelbaren Einflußnahme und Beteiligung in die künstlerischen Prozesse.
Interaktion ereignet sich über das Interface, der entscheidende Kontaktflächen zwischen internen Zeichencodes (von Kunstwerken, Texten, Benutzeroberflächen) und den daran anschließenden externen Reaktionsweisen. Interaktionsprozesse ermöglichen ein weites Feld partizipativer und dialogischer mimetischer Strategien zwischen Künstler und Rezipient bzw. zwischen Programm und Anwender.

Interaktionen mit Texten/ Eingriffe der Rezipienten

Um dem (von avantgardistischen Textverarbeitungen) unleserlich gemachten Text zu Leibe zu rücken und die toten Druck-Buchstaben[27] wieder zum Leben zu erwecken und zu verflüssigen, wird der lineare Textverlauf, der ,Fluß des Erzählens` in eine offene Möglichkeitsstruktur umgeleitet: Dieser sprachliche Materialfluß (delinearisiert durch Parallelmontage, Assoziationssprünge, Verweismomente) durchquert und zerstört letztlich die feststehende Einheit der gedruckten Buchseite und kreiert ein neues Drama des Lesens, indem der Leser zu direkten Eingriffen aufgefordert wird.
Schon oft wurde der (fiktive) Leser angesprochen, er solle es sich bequem machen, sich hinlegen, die Welt vergessen, den Autor begleiten, solle das Buch mit einer Pistole in der Hand lesen oder gar mit einer Hand in der Hose -- aber jetzt muss er sich mit Schreib-Utensilien ausrüsten, wie Franz Mon nahelegt: "der text erscheint in zwei fassungen, die durch die drucktype unterschieden sind. es ist also jeweils die linke beziehungsweise die rechte spalte im zusammenhang zu lesen. niemand ist es jedoch verwehrt, von der linken in die rechte oder von der rechten in die linke hinüberzulesen. es wird empfohlen, mit bleistift, kugelschreiber und filzstift zu lesen. mit dem bleistift streicht man die stellen an, die zusammengehören, auch wenn sie weit auseinander oder in verschiedenen spalten stehen. mit dem kugelschreiber korrigiert man, was korrekturbedürftig erscheint, ergänzt, was einem zur ergänzung einfällt, nicht nur die anführungszeichen an stellen, wo man jemanden sprechen hört, sondern auch wörter, satzteile, redensarten, sprichwörter, zitate (auch selbstgemachte, vom himmel gefallene, denkbare, sagbare).
der filzstift macht unleserlich, was überflüssig erscheint. bedenken sie dabei, dass seine schwarzen würmer zum text gehören werden."[28]
Solche Wiederaneignungen des Textkörpers durch Schreib- und Korrekturübungen für Leser direkt am Drucktext rufen geradezu die kunstvoll abgestuften Differenzierungen verschiedenster Schreib-Operationen im Kontext mittelalterlicher Manuskriptkultur ins Gedächtnis, die ein breites Spektrum diskursiver Rollenverteilungen aufführen, von denen wir heute nur noch träumen können: "Es gibt vier Arten, ein Buch zu machen. Man kann Fremdes schreiben, ohne etwas hinzuzufügen oder zu verändern, dann ist man ein Schreiber (scriptor). Man kann Fremdes schreiben und etwas hinzufügen, das nicht von einem selbst kommt, dann ist man ein Kompilator (compilator). Man kann auch schreiben, was von anderen und von einem selbst kommt, aber doch hauptsächlich das eines anderen, dem man das Eigene zur Erklärung beifügt, und dann ist man ein Kommentator (commentator), aber nicht ein Autor. Man kann auch Eigenes und Fremdes schreiben, aber das Eigene als Hauptsache und das Fremde zur Bekräftigung beifügen, und dann muss man als Autor (auctor) bezeichnet werden."[29]


[30]

Interaktion mit Zettelkästen: Schreiben in nic-las

Das Wissenschaftsverständnis hat sich angesichts der postmodernen Informationstechnologien von einem passiven deskriptiven Paradigma (Relation zur Natur, Repräsentation von Fakten, Entdeckungen von ,Geheimnissen` durch geniale Einzelwissenschaftler) zu einem konstruktivistischen Ansatz hin entwickelt: Hier stehen die Prozesse und Operationen im Vordergrund, durch die Erkenntnisse überhaupt erst erzeugt werden. Diese Prozesse der Wissenserzeugung sind von vornherein als ein kollaboratives Netzwerk angelegt; komplexe Forschungen können nur noch im teamwork[31] vollzogen werden.
Von dieser Entwicklung haben sich die Kulturwissenschaften weitgehend abgekoppelt, weshalb sie auch Schwierigkeiten haben, Anschlüsse herzustellen zu den aktuellen Netzwerk-Diskursen und Praktiken.[32]
Sie verkünden zwar schon seit mehreren Jahrzehnten theoretisch den "Tod des Autors", Literaten deklamieren, daß die Poesie von allen gemacht werden solle, Künstler beschwören, daß Jedermann ein Künstler sei und die Textwissenschaften haben nachgewiesen, daß Homer ein bloße Fiktion ist und jeder Text ein kulturelles Geflecht aus anderen Texten ....
...aber bis auf wenige Experimente, spektakuläre Aktionen und immer wieder vorkommende Coautorschaften haben all diese Lamentos zu wenig diskurspraktischen Konsequenzen geführt.

Von Repräsentationssystemen zur autopoetischen Informationslanschaft

Im Forschungsprojekt "Netz/Werk/Kultur/Techniken: kulturwissenschaftliche Wissensproduktion in Netzwerken"[33] suchte ich zusammen mit Studierenden der Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim nach Möglichkeiten, Hypermedia und Netzwerke nicht nur zu rezipieren (=lesen), sondern kulturkritische hypermediale Diskurse selbst zu initiieren, zu entwerfen, zu gestalten (=schreiben) und in die kommunikativen Strukturen der Netzwerke zurückzukoppeln -- d.h. Eingriffe in die Felder hypermedialer Diskurstechniken vorzunehmen. Der oszillierende hybride Status von Netz-Texten im Spannungsfeld von Lese- und Schreiboperationen wurde zum zentralen Kulminationspunkt unserer Projektarbeit: Charakteristisch für online-Texte ist das kollaborative Entwerfen und Strukturieren von Ideen, die Beschleunigung von Austausch- und Verteilungsprozessen, die Öffnung von Textstrukturen: die Erstellung und Überarbeitung von Texten sowie ihre Einbindung in andere Kontexte vollziehen sich nicht mehr im Kopf einzelner Autoren, sondern digitale Textnetzwerke konfigurieren sich von vornherein im öffentlichen Raum. Jeder Teilnehmer an digitalen Diskursen ist potentiell gleichermaßen Sender und Empfänger, Schreiber und Leser, Produzent und Rezipient.

Mach eine Unterscheidung!

In einer Verschränkung von inhaltlicher Recherche und Aufbereitung aller im Forschungsprojekt angefallenen Materialien und Dokumente arbeiten wir gemeinsam mit Kooperationspartnern an der Optimierung und Adaption einer offenen Informationslandschaft nic-las:[34]:)
Basierend auf der Systemtheorie von Niklas Luhmann liegen die Basisoperationen in vielfältigen nicht-linearen Verknüpfungsmöglichkeiten von Textstellen und Zitaten (automatische Verknüpfungen nach keywords ebenso wie ein differenziertes Meta-Auszeichnungssystem etwa für Personen- und Sachregister oder Zuordnungen und Zugriffsrechte für verschiedene AutorInnen) und in dynamischen diskursiven und kommunikativen Operationen (wie intuitive und assoziative Annotation und Kommentierung). Gerade diese Verbindung von hierarchischen und rhizomatisch-chaotischen Strukturen ermöglicht eine intertextuelle Praxis des Schreibens mit Synergieeffekten zwischen Lesen und Schreiben wie sie in den emphatischen Debatten um den Text-Begriff in den 60er Jahren und dem Poststrukturalismus theoretisch entwickelt wurde. Die große Flexibilität im Interface-Design liegt vor allem darin begründet, dass für die online-Schreib-, Kommunikations- und Archivprozesse keine neuen Metaphern oder Datenstrukturen vorgegeben werden, sondern dass jede Aktivität des Benutzers in der einfachsten möglichen Aktion besteht: im Anlegen einer ,Unterscheidung`.[35] Verschiedene AutorInnen schreiben nicht nur zeitversetzt am selben Dokument, tauschen nicht nur ihre Zettelkästen, Zitatdatenbanken oder Referezen aus oder annotieren, kommentieren und ergänzen feststehende Texteinheiten, sondern entwerfen verschiedene Perspektiven, konstruieren Ein-, Aus- und Übergänge zwischen den Texten und re- und dekontextualisieren ihre Eingaben dabei permanent: Der Text wird zu einer Oberfläche, zu einer Schnittstelle für die Begegnung von Leser und Schreiber, Anbieter und Nutzer, Sender und Empfänger.
Ob solche Versuche wirklich längerfristig und nachhaltig neue Diskursformen herausbilden helfen, vielleicht sogar die von Hypertext-Theoretikern immer wieder geforderte (und von den Programmentwicklern bisher nie eingelöste) Hybridisierung zwischen Form und Inhalt, zwischen Text und Kontext, zwischen Produktion und Rezeption, zwischen Autorfiktionen und Leserimaginationen zu bearbeiten und managen helfen - wird die Zukunft gezeit haben werden.

Intertextualität


Intertextualität war in den politisierten Literaturdebatten der siebziger Jahre der entscheidende 'Kampf'-Begriff zur Aufhebung bürgerlicher Autoren-Funktionen zugunsten literarischer Netzwerk-Modelle. Diese Impulse führten - neben einer explosionsartigen Ausbreitung intertextueller Schreibweisen - auch zum Paradigmenwechsel in der Literaturtheorie. (Ein ausuferndes 'Lexikon' intertextueller poetischer Praktiken liefert Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe; Frankfurt am Main,1993).
Die Intertexualität in der Druckkultur ist eine virtuelle, in literarischen Texten explizit hergestellte, produzierte. Die Intertextualität im Netz ist konkret, flach, pragmatisch, real(istisch), d.h. die einzelnen Dokumente/Fragmente 'treffen' sich tatsächlich - ein link führt tatsächlich zu einer (oder mehreren) Referenzstelle(n) im selben Text oder in anderen Texten.

Jeder Text ist ein Intertext

Es gibt keine offline-Links (auch die Literatur war in ihren produktiven Momenten immer ,online`!)
Jeder Text schreibt sich ein in ein intertextuelles Ensemble künstlerischer / kultureller / formaler / kanonischer / biographischer Konstellationen. Jedes Wort produziert Bedeutungen erst im Kontext der umgebenden sprachlichen Einheiten - alles Geschriebene ist 'Zitat': Entwendung gelesener Schriften. Neu ist allein die konkrete Zusammenschaltung sämtlicher Lese- und Schreibvorgänge im Netz - auf einer einzigen Oberfläche (http://rolux.org/starship/).
Die Intertextualität (Intertextualität war in den politisierten Literaturdebatten der siebziger Jahre der entscheidende ,Kampf`-Begriff zur Aufhebung bürgerlicher Autoren-Funktionen zugunsten literarischer Netzwerk-Modelle. Diese Impulse führten - neben einer explosionsartigen Ausbreitung intertextueller Schreibweisen - auch zum Paradigmenwechsel in der Literaturtheorie. Ein ausuferndes ,Lexikon` intertextueller poetischer Praktiken liefert Gérard Genette (1993).) der Druckkultur ist eine virtuelle, in literarischen Texten explizit hergestellte, produzierte. Die Intertextualität im Netz ist konkret, flach, pragmatisch, real(istisch).
D.h. die Dokumente/Fragmente ,treffen` sich tatsächlich - ein link führt tatsächlich zu einer (oder mehreren) Referenzstelle(n) im selben Text oder in anderen Texten.
Die Poetik eines link liegt keineswegs in der bloßen Anspielung, in einer metaphorischen oder impliziten Bezugnahme, sondern vollzieht sich in einem wirklichen Sprung, einer tatsächlichen Koppelung: eine Poetik des Transports. (Was nichts über die ,Qualität` oder Literarizität aussagt - ausgedruckt sind Netzwerktexte zumeist langweilig und ,nicht lesbar`.)
Versammelten, speicherten und bewahrten die Texte der Druckkultur noch Informationen und poetische Energie in einem geschlossenen Korpus, so sind die Dokumente der Netzwerk-Kultur eher exzentrisch, verweisen auf andere Texte, Archive, Medien, Server ...

Links-Fußnoten

Die oft vorgenommene Analogisierung zwischen der klassichen Fußnote und dem link in elektronischen Texten ist nur bedingt tauglich. Der narrativen Funktion von links kommt man auf die Spur, wenn man extreme Gebrauchsweisen von Fußnoten in literarischen oder theoretischen Texten verfolgt: Fußnoten weisen über die (auch physische) Abgeschlossenheit nicht digitaler Texte hinaus. Sie ermöglichen ein Schreiben über den Rand des jeweiligen Diskurses. Als Absprungstellen für den Leser fordern sie Interpretation, Kritik, eigene Suchbewegungen heraus und bewirken einen Perspektivewechsel, der das diskursive und auktoriale Zentrum des Textes aufsprengt und für Anschlußmöglichkeiten an andere Texte und Diskurse sorgt.
Die Poetik eines link liegt keineswegs in der bloßen Anspielung, in einer metaphorischen oder impliziten Bezugnahme, sondern vollzieht sich in einem wirklichen Sprung, einer tatsächlichen Koppelung - eine Poetik des Transports. (Was nichts über die 'Qualität' oder Literarizität aussagt - ausgedruckt sind Netzwerktexte zumeist langweilig und 'nicht lesbar'.)
Versammelten, speicherten und bewahrten die Texte der Druckkultur noch Informationen und poetische Energie in einem geschlossenem Korpus, so sind die Dokumente des Netzwerk-Kultur eher exzentrisch, verweisen auf andere Texte, Archive, Medien, Server ...

link (medial)

Der Link auf dem Wort eines Textfeldes z.B. vereint in sich die Funktionen von Überblendung und Montage, von Metapher und Metonymie und kann somit als ein poetisches Instrument von hoher Wertigkeit eingesetzt werden, indem es Operationen gestattet, die sich einerseits an der Poetik sprachlicher Konstruktionen orientieren, als auch darüber hinaus solche, die auf Kompositionstechniken der Zeitmedien Film, Musik und Drama verweisen.
HyperMediale Dokumente ermöglichen damit Modelle der Einbildung, die poetische Verknüpfungen sowohl aus den Schrift- als auch aus den Bildmedien auf die medialen Oberflächen übertragen:
"Technische Bilder sind eingebildete Flächen. Sie sind überhaupt erst Bilder, wenn man sie oberflächlich anschaut. Wenn ich technische Bilder einbilde, bilde ich aus dem Inneren des Apparates her. Alle technischen Bilder sind Einbildungen, nicht reproduktive, sondern produktive Bilder. Alle Zeiger, Zeichen, Verkehrssignale (HyperTexte) zeigen und deuten von nun an exzentrisch von uns selbst weg. Wir sind es von nun an, die auf die Welt Bedeutungen projezieren. Und die technischen Bilder sind derartige Projektionen." (Villem Flusser)

Netz-Kritik

"Netzkritik ist ambivalent (descriptiv, immanent, unordentlich, symptomatisch, parodistisch), sie steht mit einem Bein im staubigen Gutenberg-Archiv der schmutzigen Materialität, mit dem anderen aber im körperlosen Digitalia. Sie bringt das Unbehagen in der Information an die Oberfläche und versucht das Unvereinbare produktiv zu machen, wie zum Beispiel die Schreib- und Übertragungsgeschwindigkeit mit der der Reflexion.
Es geht nach (dem frühen) Virilio darum, wieder einen Moment der Enscheidung herbeizuführen. Ziel dabei sind illegitime Anschlüsse, hybride Konstruktionen, eine "Ästhetik der Verlangsamung" und eine ganz eigene Mischung aus lokalen und globalen Elementen.
Es gibt kein wie auch immer genanntes Apriori mehr, auch keine Überlegenheit von Hardware über Software (trotz Kittler). Jede Verschaltung kann durch andere ersetzt werden, jeder Strom und jedes Kraftfeld ist als umpolbar zu denken. [...] Trotzdem braucht es eine neue materialistische Netzanalyse, die sich um Copyright und Kabelrechte sorgt."
(Pit Schulz und Geert Lovink: Grundrisse einer Netzkritik:
Archiv nettime-mailinglist
http://www.desk.nl/~nettime/)

Odysseen im Netzraum, 2000

Das Interface ist oft entscheidend für kollaborative Schreibprojekte im Netz. Nach der "Imaginären Bibliothek" suchten wird nach extremeren Benutzermetaphern, die niocht nur das Internet als eine mögliche offene Bibliothek inszenieren, sondern auch Brüche und Kritikmöglichkeiten eröffnen.
In diesem Zusammenhang sind die Erfahrungen mit dem HYPERKNAST (http://www.hyperdis.de/hyperknast/) interessant:
Als Replik auf die ersten Zensurmaßnahmen in Internet wurde eine krasse ironische Benutzermetapher gewählt, die als Weiterführung des amerikanischen Vorbild des "Hypertext-Hotels" oder eben der doch sehr literarischen Bibliotheksmetapher eher mit netzpolitischen und netzkulturellen Strömungen interagieren konnte und zudem Bezug nimmt auf das Foucaultsche Überwachungsmodell des PANOPTIKONS: des Architekturmodells für Gefängnisse, Fabriken, Gesamtschulen ...
Auch thematisch ereignet sich hier einiges: Selbstbeschreibungen der monadenhaften Situation vor dem Internet-Monitor, gepaart mit der Sehnsucht nach weltkulturellen universellen Kommunikations- und Vernetzungsutopien, Szenen aus Science-Fiction Erzählungen ... aber auch Materialien und Beschreibungen konkreter Knast-Situationen, Texte zur Isolationshaft ...

Odysseen im Netzraum

Unmittelbar daran anschießend, auf derselben Software aufgesetzt, läuft seit Sommer 2000 der kollaborative Science-Fiction "Odysseen im Netzraum":
Hier haben wir - neben umfangreichen Vorrecherchen und einer dezidierten Auswahl von Textmaterialien für mögliche Cut & Paste-Operationen - das Hauptaugenmerk auf das Herstellen von Schnittstellen gelegt:
- Schnittstellen zu anderen Schreib-Oberflächen und online-Text-Generatoren (etwa dem Assoziationsblaster, Florian Cramers Text-Maschinen, Cut-Up-Generatoren oder auch Übersetzungsmaschinen)
- Schnittstellen zu thematischen Materialien (eingescannte Text-Materialien, Suchmaschinen)
- Schnittstellen zu sozialen Kontexten, in denen ds Projekt vorgestellt wurde, teilweise auch workshops und Schreibwerkstätten durchgeführt wurden (log.in, Buchmaschinen, interfiction)
- Schnittstellen zu online communities durch das Versenden von newslettern mit den neusten Forsetzungen und der veröfentlichung von offenen Stellen zum Weiterschreiben (Sience-Fiktion Mailing-listen, rohpost und Mailing-List Netzliteratur, sowie an die Mitschreibenden insofern sie ihre email angegeben haben).
(vgl. http://www.hyperdis.de/txt/schnittstellen.html)
Auf der Schnittstellen-Seite (http://www.hyperdis.de/hyperfiction/gvoon/) sind all diese Links und die Verweise auf die entsprechenden Arbeitsseiten versammet, wobei im linken Fenster jeweils die CUT-Materialien erscheinen - während auf der rechten Seite die PASTE-Möglichkeiten erscheinen, eben die offenen Stelle in der Vernetzten Struktur, an denen weitergeschrieben werden kann. Eine HILFE-Seite mit der Erklärung der Einzelnen Funktionen des GVOON-HYPERTEXT-TREES findet sich unter: http://www.hyperdis.de/hyperfiction/gvoon/howto.html (Anzeige der Gesamtstruktur, der neusten Fortführungen, einer Index-Seite sortiert nach AutorInnen und der Möglichkeit eines DOWNLOADS des gesamten Bestandes als komprimiertes HTML-Geflecht.)
Das recht schlichte GVOON-Interface wurde somit durch den Einsatz einfacher Frame-Strukturen um die oben genannten Schnittstellen erweitert und somit den jeweiligen Anforderungen angepaßt. Trotz der Wichtigkeit von online-Aktivitäten und den Verbreitungsmöglichkeiten des Netzes hat sich gezeit, daß die lokalen Aktivitäten gerade für die Herausbildung etwas tiefer gehender narrativer Strukturen eine sehr wichtige Rolle spielen. Auch aktuelle Ereignisse und Diskussionen fließen immer wieder in die ODYSSEEN ein (etwa die EXPO-Kritik/Parodie oder auch Feulleton-Kriege - mit Sloterdijk & Co.).

offene Kunstwerke/Texte

beschreiben verschiedene 'Kunstwerke in Bewegung', die über das Ansprechen von Möglichkeitsfeldern einen aktiven Interpretations- und Rezeptionsprozeß herausfordern (Partituren serieller Musik, informelle Malerei, Visuelle Poesie, Live-Fernsehsendungen, Querschnittstechniken bei Joyce): "Jedes Ereignis, jedes Wort steht in einer möglichen Beziehung zu allen anderen, und es hängt von der semantischen Entscheidung bei einem Wort ab, wie alle übrigen zu verstehen sind." (Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Frankfurt/Main 1990, Originaltitel: Opera aperta, Milano 1962, S. 39)
Die Kunstwerke werden als Mechanismen aufgefaßt, derer man sich bedienen kann.

Publishing on demand

Der klassische Markt für wissenschaftliche Publikationen bricht zusammen und die Zirkulation von aktuellen wissenschaftlichen Materialien (seien es Tagungsbände oder Zeitschriftenaufsätze) verlagert sich mehr und mehr in das Docuversum elektronisch vernetzter Texte Mit großem Engagement von Autoren, die sich als `operationelle' Teilnehmer einer Diskursgemeinschaft begreifen, werden Archive aufgebaut, kostenlose online-Zeitschriften angeboten, ganze Curricula nebst den dazugehörigen Materialien
im Netz frei verfügbar gemacht, Diskussionsforen installiert, Verweis- und Annotationsroutinen und viele andere nützliche Tools programmiert und der Community zur Verfügung gestellt.
Wie die Buchproduktion und Distribution unter den Einflüssen der Netzwerkkultur revolutioniert und für Nischenproduktionen und Kleinstauflagen sozusagen fast auf den einzelnen Leser hin zugeschnitten werden kann, zeigen die Beispiele von `publishing on demand': durch neue Kooperationsformen zwischen Autoren, Verlegern und Buchhändlern kann jenseits des Mainstreams von Massenproduktionen ein digitales Buch in wenigen Minuten in ein tragbares Taschenbuch konvertiert werden.

Rhizom

Als Metapher der postliterarischen Kultur wird das Rhizom in der Netzkultur der neunziger Jahre verwendet, um Verknüpfungen von nichthierarchischen Netzwerken zu beschreiben. Das wesentliche Merkmal eines Rhizoms ist, daß an jeder beliebigen Stelle einer Sturktur neue Verzweigungen entstehen können. Abgeleitet aus einem biologischen Fachbegriff (unterirdische Wurzelknollen) anvanzierte der Begriff in der Theoriedebatte der 80er Jahre zum emphatischen Gegenmodell zu hierarchischen Machtstrukturen überhaupt und verbreitete sich, ausgehend von Deleuze/Guattaris "Anti-Ödipus", in den unterschiedlichsten Diskursen. Es ist insofern ein dynamischer, fließender, auch unscharfer Begriff. Ein Rizom kann genauso eine soziale Formation sein (Massen, Meuten, herumstreunende Jugendbanden, Guerilleros), wie es auch semiologische, kulturelle, technologische Netzwerke beschreiben kann.
Die topologische Metapher vom Rhizom eignet sich ideal als Denkmodell für hypermediale Diskursverknüpfungen. Die Charakteristika einer rhizomatischen Struktur sind die folgenden:
"a) Jeder Punkt des Rhizoms kann und muß mit jedem anderen Punkt verbunden werden.
b) Es gibt keine Punkte oder Positionen in einem Rhizom; es gibt nur Linien.
c) Ein Rhizom kann an jedem Punkt abgebrochen oder neu verbunden werden, indem man einer der Linien folgt.
d) Das Rhizom ist anti-genealogisch. [...]
f) Ein Rhizom ist kein Abdruck, sondern eine offene Karte: es kann abgebaut, umgedreht und beständig verändert werden. [...]
h) Niemand kann eine globale Beschreibung eines ganzen Rhizoms liefern; nicht nur weil das Rhizom multidimensional kompliziert ist, sondern auch, weil seine Struktur sich in der Zeit ändert; darüber hinaus gibt es [...] auch die Möglichkeit widersprüchlicher Schlüsse [...] j) An keinem seiner Knoten kann man die globale Ansicht aller Möglichkeiten haben, sondern nur die lokale Ansicht der am nächsten gelegenen [...] und denken heißt, nach dem Weg zu tasten. Das ist der Typ von Labyrinth, an dem wir interessiert sind. Er stellt ein Modell für eine Enzyklopädie als regulative semiotische Hypothese dar. (Eco, Umberto: Im Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen, Leipzig 1990, 106, 107)
(vgl. http://www.rhizome.org und Richard Barbrook: Die heiligen Narren. Deleuze, Guattari und die High-Tech Geschenkökonomie, http://www.heise.de/tp/deutsch/special/med/6344/1.html)
und Stefan Wray: Rhizomes, Nomads, and Resistant Internet Use:
http://www.nyu.edu/projects/wray/index.html

Schreiben mit der Hand

Während die Typographie im Übergang von der Manuskript- zur Druckkultur zunächst die skripturalen Gesten der Handschrift zu simulieren versuchte
(In einer Schrift zum `Lob der Schreiber' versucht ein benediktinischer Abt seine Ordensbrüder von der Notwendigkeit des manuellen Abschreibens der heiligen Bücher angesichts der heraufkommenden Reproduktionsmöglichkeiten der Drucktechnologie zu überzeugen: "Wer wüßte nicht, welcher Unterschied zwischen Handschrift und Druck besteht? Die Schrift, wenn sie auf Pergament geschrieben wird, vermag tausend Jahre zu überdauernd; wie lang wird aber der Druck, der ja vom Papier abhängt, Bestand haben; [...] gleichwohl glauben viele, ihre Texte dem Druck anvertrauen zu müssen. Hierüber wird die Nachwelt befinden. [...] Selbst wenn alle Werke der ganzen Welt gedruckt würden, bräuchte ein hingebungsvoller Schreiber von seinem Eifer keineswegs abzulassen; er müßte vielmehr auch den gedruckten und nützlichen Büchern Dauer verleihen, indem er sie abschreibt, da sie ansonsten nicht lange Bestand hätten. Erst seine Leistung erwirbt den dürftigen Werken Autorität, den wertlosen Größe und den vergänglichen Langlebigkeit" (Trithemius 1492, S.63 ff.).
lassen sich im Verlaufe der Herausbildung spezifischer Diskurstechniken der Druckkultur zentrale diskursive Elemente und Funktionen auf der Oberfläche der Schriftsysteme nieder: alphabetische Verweissysteme, Indexe oder auch die Fußnoten als ein zentrales Diskurselement der sich entwicklenden ,kritischen` hermeneutischen Techniken.
Im Übergang zu elektronischen Diskurstechniken werden die zunächst für die Rezeption wichtigen typographischen Zeichen schließlich zu Interaktions-Elementen, die eine Schnittstelle von der Schriftoberfläche zu den - jetzt auch für die Leser sich öffnenden - Programmfunktionen elektronischer Texte darstellen: Buttons, Bedienelemente, Eingabefenster, Links ...

Schreib/Leser

Schreiben und Lesen im Netz ereignet sich gleichzeitig auf einer Oberfläche, es gibt keine Hierarchisierung zwischen Primärtexten und Sekundärtexten. Darüberhinaus verschwinden die Unterschiede zwischen Produktion und Rezeption - der Leser wird (ähnlich der Praxis und Theorie des Noveau Romans (lecture/ecriture) oder der Reader-Response Theorien) zu einem Schreib/Leser: Der Weg durch Informationsmengen schreibt sich als Zusammenhang auch in das Wissenssystem ein und wird selbst zu einem Informationsparameter. Als universelles und offenes Informationsmedium steht dem Benutzer ein Netzwerk von selbst gestaltbaren Ideen- und Daten-Assoziationen zur Verfügung. Durch Kontextwechsel, durch Hin- und Herschalten zwischen verschiedenen Texten und Text-Ebenen, durch das Verfolgen von Querverbindungen wird der Raum zwischen verschiedenen Text-Fragmenten thematisiert ... Lesen im Netz produziert Intertexte.
Collage: Elemente unterschiedlichster Quellen werden entlang bestimmter Muster und Figuren organisiert
Eher rhythmisch-athmosphärische Komposition, auch Klang, Oberflächenstruktur, Farbe, Muster etc. berücksichtigend

Sympoesie und Konversationskultur (16. Und 17. Jhts /1926)


Nicht in allen historischen Situationen[36] war die Trennung zwischen Autor und Leser so stark herausgebildet wie in der spätbürgerlichen Kultur der Moderne. Es hat in der Kulturgeschichte immer wieder produktive Momente gegeben, die von Durchdringungs- und Aufbruchsbewegungen gekennzeichnet waren, in denen kulturelle Austauschprozesse zwischen den verschiedenen Segmenten kultureller Produktion und Rezeption aufbrachen:
So war etwa in den aristrokratischen Salons des 16. Und 17. Jahrhunderts die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Produzenten und Publikum noch fließend. Literarische Spiele wurden in dieser noch durch und durch mündlichen Konversations-Kultur als Gesprächsspiele unternommen nach dem Prinzip des Reihumerzählens oder Reiumflüsterns.
Romantische Schreibspiele verliessen dann später das Ghetto des elitären Salonmilieus und machten solche Spielformen öffentlich, z.b. der Kollektivroman der Varnhagen-Kreises "Versuche und Hindernisse Karls".[37]
"Vielleicht würde eine ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste beginnen, wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und innig würde, daß es nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehrere sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten."[38]
Die Surrealisten nehmen solche Programmatik wieder auf und entwickeln literarische Techniken aus der Salonkultur zur Entindividualisierung und Automatisierung weiter. Zahllose "Gebrauchsanweisungen" für geselliges oder automatisches Schreiben sind erhalten:
"Nehm einige Bogen Papier und schreibt drei Tage hintereinander, ohne Falsch und Heuchelei, alles nieder, was euch durch den Kopf geht. Schreibt, was ihr denkt von euch selbst, von euren Weibern, von dem Türkenkrieg, von Goethe, von Fonks Kriminalprozeß, vom jüngsten Gericht, von euren Vorgesetzten, was ihr für unerhörte Gedanken gehabt, ganz außer euch zu sein."[39]

Symphilosphie/Sympoesie: das romantische Kunstwerk als gemeinschafticher Prozeß


Die romantischen Netzwerke generierten zum Ende des 18. Jahrhunderts ein intensives Feld wechselseitiger Anregungen und geistiger Durchdringungen. In einer ausgeprägten Salonkultur blühte die Kunst der Konversation in vielfältigen Gestalten auf und führte zu hybriden ästhetischen Produktionsformen wie Korrespondenzen und Briefromanen mit teilweise verteilten Autorschaften. So finden sich etwa in der 1798 herausgegeben Zeitschrift "Athenaeum" 451 Fragmente, die in Kollaboration zwischen dem Herausgeber Friedrich Schlegel und Friedrich von Hardenberg (Novalis) sowie Friedrich Schleiermacher entstanden sind und ohne Markierung des Autornamens abgedruckt wurden. Hinter dieser Praxis stand die Idee des Symphilosophierens:
"Vielleicht würde eine ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste beginnen, wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und so innig würde, daß es nichts seltnes mehr wäre, wenn mehrere sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten." (Friedrich Schlegel in einem Brief an seinen Bruder August Wilhelm, zit. nach: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Schriften auf der Berliner Zeit 1798-1799, Kritische Gesamtausgabe Bd. 2, Berlin 1984, Historische Einführung des Herausgebers Hans-Joachim Birkner, S. XXXII)
Diese gemeinschaftliche Praxis wird sicherlich auch von romantischen Verschmelzungswünschen angetrieben. Im selben Brief schwärmt Schlegel von einer "Kunst, Individuen zu verschmelzen" und entwirft ein Programm teilnehmender Kritik, die eben solche "fantastischen Kombinationen" verschiedener Autoren vornehmen kann (durchgespielt am Beispiel von Jean Paul und Peter Leberecht). Ganz praktisch leben die Romantiker aber auch schon frühe Formen von Wohngemeinschaft[40], Frauenenmanzipation, und freier Liebe, was sie in dieser Hinsicht zu Vorläufern der Studentenbewegung macht.[41]
Die Intention des Symphilosophierens war radikaldemokratisch, die außerakademischen gemeinschaftlichen literarischen Produktionsformen fanden ihren Ausdruck in einem kompromißlos freien Ideenaustausch bis hin zu deren Verwertung.[42]

Zentrum der frühromantischen Lebens- und Produktionspraxis wurde ein auf Autonomie des Einzelnen zielender emanzipatorischer Begriff von Gesellschaft und Geselligkeit, der die Segmentierung und Partialisierung der arbeitsteiligen bürgerlichen Lebenszusammenhänge und eine nach Herkunft selektierende geschlossene Gesellschaftsform zu überwinden trachtete:
Schleiermacher entwickelte in seiner anonym veröffentlichten Abhandlung "Versuch einer Theorie geselligen Betragens" das Konzept einer freien produktiven Geselligkeit, in der der Einzelne in einem idealen Netzwerk von Querbeziehungen mit den Anderen in permanentem Austausch steht und durch Schnittstellen zu den fremden Spären seinen Horizont und vor allem seine Perspektive erweitert:
"Alles soll Wechselwirkung seyn [...] Alle sollten zu einem freien Gedankenspiel angeregt werden."
( Friedrich Schleiermacher, ebd. S. 170)

Da die Beschränkungen der "häuslichen und bürgerlichen Verhältnisse", die "unzusammnehängende Empirie" von Kunst und Wissenschaft und insbesonders die überstiegenen Selbstbilder der Künstler solche Praktiken aber behindern, ist es die Rolle des Kritikers und Theoretiker, fast möchte man sagen auch des Lesers, die in den vorliegenden Kunstwerken schlummernden Kräfte zu wecken und wieder in soziale Praxis und gesellige Formen zu übertragen:
"Der Theoretiker ist es, der bei der ganzen Untersuchung auf dem höchsten Standpunkt steht; er allein sucht den Schlüssel des Räthsels und die letzten Gründe der Handlungen; er allein will das gesellige Leben als ein Kunstwerk construieren, das Virtuosen es oft nur als eine schöne Fantasie betrachten."
( Friedrich Schleiermacher, ebd. S. 167)
Die Frühromantik entwirft hier also schon einen produktiven Kritik- und Rezeptionsprozeß, in dem die Werke und Texte vollendet werden: den "abgerissenen Theilen" und fragmentarischen Werken wird ihre "Stelle im System" zugewiesen und "durch eigene Ergänzungen" daraus ein Ganzes (re)konsruiert. Die Formen romatischer Geselligkeit mit ihren fein verästelten Bezugnahmen, Querbezügen und wechelseitigen Kommunikationsprozessen können beispielgebend für den Entwurf neuer Partizipationsformen sein. Frontale und unidirektionale ästhetische Kommunikationsformen wie Schauspiel oder Vorlesung - ohne gleichberechtigten Rückkanal - werden als "gebundene Geselligkeit" kritisiert. Als Utopie gilt ein freies nicht-hierarchische Netzwerkmodell:
"Denn das ist der wahre Charakter einer Geselschaft [...], daß sie eine durch alle Theilhaber sich hindurchschlingende, aber auch durch sie völlig bestimmente und vollendete Wechselwirkung seyn soll. [...] Es sol keine bestimmte Handlung gemeinschaftlich verrichtet, kein Werk vereinigt zu Stande gebracht, keine Einsicht methodisch erworben werden. Der Zweck der Gesellschaft wird gar nicht als außer ihr liegend gedacht; die Wirkung eines Jeden soll gehen auf die Thätigkeit der übrigen, und die Thätigkeit eines Jeden soll seyn eine Einwirkung auf die andern. Nun aber kann auf ein freies Wesen nicht anders eingewirkt werden, als dadurch, daß es zur eigenen Thätigkeit aufgeregt, und ihr ein Objekt dargeboten wird [...]; es kann also auf nichts anders abgesehen seyn, als auf ein freies Spiel der Gedanken und Empfindungen, wodurch alle Mitgleider einander gegenseitig aufregen und beleben."
( Friedrich Schleiermacher, ebd. S. 167)
Eine solche nicht-funktionale Thoerie des geselligen Kunstwerks und der Geselligkeit als ein Kunstwerk gleichermaßen kann durchaus als ein Prolegomenum zur Netzkunst, als ein früher Aufruf zu einem kollaborativen Netzprojekt verstanden werden!
Die `freie Geselligkeit der Netzwerke' sei also - frei nach Schleiermacher - keine Sphäre rein geschäftlicher oder rein künstlerischer Prozesse, sondern ein Freiraum für Erweiterung und Ergänzung einzelner individueller Perspektiven durch wechselseitigen Austausch von Gedanken!

Transcopyright

Hiermit sind Nelsons schon von Anfang an mitgedachten Ideen zum konsistenten `Zitieren' anderer Texte im Netzwerk gemeint (http://www.xanadu.com.au/xanadu/transcopy.html): anstatt Texte, Bilder etc. zu kopieren, wird innerhalb eines Dokuments das zitierte `Original' direkt aufgerufen. Die technischen Möglichkeiten und Parameter (Java, Plug-In, CGI ...) werden aufgeführt in: http://xanadu.com.au/xanadu/transclude.html)
Über webbasierte Mikropayment-Systeme kann eine Nutzungsgebühr direkt an den Publisher abgeführt werden. (Transpayment-Protokolle: z.B. Digi-Cash: http://www.digicash.com/)

verzweigen

In Erzählweisen moderner Literatur ein oft vollzogener 'Trick', um den linearen Handlungsablauf zu unterbrechen, die Illusion eines geradlinigen Geschichtsverlaufs zu unterlaufen und multiple, simultane und chaotische Strukturen, teilweise mit fiktiven Wahlmöglichkeiten für Leser, zu produzieren: Gabelungen, Abschweifungen und Umleitungen der Erzähl-, und Erinnerungsprozesse.

Zettelkästen

Die Organisation von Zettelkästen stellt ein komplettes (mechanisches) Hypertext-Diskurs-System dar, in dem einzelne Karten Ideen, Zitate, Fragmente enthalten, die durch Querverweise untereinander vernetzt sind. Die dynamischen Möglichkeiten der Verknüpfung, Verschachtelung und Verzweigung (und Überraschung!) ergeben sich gerade aus seiner unsystematischen Organisationsweise, die auf einer schlichten Codierung mit fester Stellordnung der einzelnen Zettel beruht:
An den Zettelkasten sind - genauso wie an Hypertext-Systeme - herkömmliche Diskurstechniken wie Register, bibliographischer Apparat etc. anschließbar, so daß ein Gesamtenvironment entsteht - ein Speicher-, Schreib- und Kommunikationssystem mit internem und externem Verweisungsnetz, das strukturell eher wie das Gedächtnis - mit seinen neuronalen Netzwerken - funktioniert und mit mehr - von seinem Autor unabhängigem - 'Eigenleben' ausgestattet ist wie ein Buch.

Zitate

Die literarische und wissenschaftliche Prosa der Antike verzichtet auf genaue Quellenangaben aus Gründen ihrer eigentümlichen Produktionsweise: die Universalgelehrten zitieren - gespeist noch aus vorschriftlichen Diskurstechniken - aus dem Gedächtnis und nicht auf der Basis vorliegender Texte. Ähnlich der mündlichen Überlieferung hat diese Methode den Vorteil einer unmittelbaren Aktualisierung. Die zitierten Textstellen werden keinesfalls ,wörtlich` weitergereicht, sondern erfahren unmittelbare leichte oder stärkere Veränderungen entsprechend dem neuen Kontext. Sich in der Folge als Diskurstechnik herausschälende sehr genaue und detaillierte Verweistechniken auf die zitierten (antiken) Textstellen sind Ursprünge hermeneutischer Rekonstruktionen eben der oft in weitreichenden ,Auszügen` zitierten verlorengegangenen Werke. Im Mittelalter wird dann die ,hohe Schule exakten Zitierens` mit kurzen eindeutigen Kodierungen zur Quellenidentifizierung zum gefragten Stilmittel:
"Die Ränder von Manuskripten und frühen gedruckten theologischen, juristischen und medizinischen Texten wimmeln von Glossen, die, wie die Anmerkung des Historikers, den Leser instandsetzen, sich vom polierten Argument zu denjenigen Texten zurückzuarbeiten, aus denen es entwickelt wurde und worauf es beruht. Petrus Lombardus [...] führte in Randglossen ganz systematisch seine Quellen auf und schuf damit , [...] ,den Vorläufer des wissenschaftlichen Anmerkungsapparats` [...]. Petrus Lombardus ist gewiß eine typisch moderne Eigentümlichkeit zugute zu halten: Er beschwor die erste Kontroverse über einen falschen Verweis in einer Anmerkung herauf" (Grafton, Anthony 1995: Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote, Berlin, S. 41-42).


[1] Neumeister 1990, S. 62
[2] Komplexe Texte und Textsammlungen sind in der Regel gespickt mit einer ganz besonderen `Textauszeichnungsart', die zumindest einige dialogische Elemente aus des Diskurszusammenhängen der oralen Kultur in die Schriftkultur gerettet hat: dem Kommentar. In den sogenannten Büchern der Bücher, wie dem Koran oder der Bibel, finden sich verschiedenste Schichten von Kommentaren und Auslegungen, die sich schon im Verlaufe handschriftlicher Reproduktionen von Schreibern, Kopisten und Lesern um den feststehenden Haupttext in breiten Bändern herumlegen und so Spalte um Spalte hinzufügen. Literarische wie wissenschaftliche Texte antizipierten oft diese Form der Textverarbeitung, indem sie durch umfangreiche `gelehrte' Kommentare zum poetischen oder sachlichen `Haupttext' weitreichende Erklärungen, historische oder biographische Anspielungen für die zukünftigen Leser mit einflechten (etwa bei Dante, Petrarca, Keppler).
[3] Kurze Sachartikel in großen Lettern stehen einer enormen Masse an Anmerkungs-Materialien gegenüber, die von Buchstaben, Ziffern, Zeichen, Abkürzungen und Randbemerkungen durchsetzt sind. Im Artikel über Epikur, der nach Diogenes Laertius über 300 Bücher ohne fremdes Gedankengut geschrieben haben soll, stehen beispielsweise 93% eng gedruckte doppelspaltige Anmerkungen den nur 7% des Buchumfangs füllenden Artikeln gegenüber.

[4] "... denn jede frei umherschweifenden Reden, bei denen sich sich die Zusammenhänge wie in einer Konversation rein zufällig ergeben, sind für irgendein galantes Werkchen gut, das eher zu gefallen als zu nützen bestimmt ist, doch sind sie nicht gut zur Aufklärung der Sachverhalte, bei denen oft schon die gute Anordnung den Kommentar ersetzt und Wort sparen hilft." (Leibniz, Gottfried Wilhelm 1885: Die philosophischen Schriften. Hrsg. von Carl Immanuel Gerhard. Bd. 6, Berlin Reprint Hildesheim 1961, S. 16-20)

[5] Neumeister führt auch ein Fülle von Anekdoten und prominente Leseszenen (z.B. bei Goethe) an.
[6] So die Begrüßungsseite des Blasters: http://www.assoziations-blaster.de/

[7] Am 14.09. 2000 waren 61968 Texte zu 5026 Stichwörtern eingegeben worden, innerhalb eines Tages kommen bis zu 300 Texte und 25 neue Stichwörter dazu. Details zur Statistik (Suchmaschinenauswertungen, wenig und häufig gesuchte Stichworte) sind abrufbar unter: http://www.assoziations-blaster.de/statistik/.

[8] Mit diesem Begriff kritisierte Hartmut Winkler eine ausschweifende, in die Breite gehende Tendenz zur Beliebigkeit in Texten aus kollaborativen Schreibprojekten auf dem Workshop: Odysseen des Wissens, Weimar, 2.-3.3 2000. Vgl. Winkler, Hartmut: "Kollaborative Schreibprojekte im Netz. Über Komplexität und einige mediengeschichtliche Versuche sie wieder in den Griff zu bekommen" unter: http://www.uni-paderborn.de/~winkler/, sowie das Kapitel "Verdichtung" in: ders. Docuverse, Berlin 1997.

[9] Man lese nur den Anfang von Bretons Nadja (http://www.hyperdis.de/txt/nadja)

[10] Kristeva, Julia: Die Revolution der poetischen Sprache, Frankfurt am Main 1978, OT: La révolution du langage poétique, Paris 1978
[11] Tristan Tzara, zit. n. Mon, Franz, "collage in der literatur", in: prinzip collage, hg. v. Franz Mon; Heinz Neidel, Neuwied u. Berlin 1968, S. S. 50-62
[12] Georg Christoph Lichtenberg, zit. n. Riha, Karl: Cross-Reading und Cross-Talking. Zitat-Collagen als poetische und satirische Technik, Stuttgart 1971, S. 7.
[13] Bezogen auf die Eigentumsverhältnisse in und an Texten stellt sich sogar die strafrechtlich relevante Frage, ob überhaupt private Kopien von Texten angefertigt werden dürfen. Die Copyright-Vermerke von Büchern, CD-Roms, Software sprechen in dieser Hinsicht eine sehr deutliche Sprache.
[14] Hier aus einer anderen Übersetzung entnommen: Tristan Tzara, zit. n. Riha, Karl, Cross-Reading und Cross-Talking. Zitat-Collagen als poetische und satirische Technik, Stuttgart 1971, S. 39.
[15] Vgl. Wescher, Herta: Die Collage, Geschichte eines künstlerischen Ausdrucksmittels, Köln 1968, S. 134.
[16] Tristan Tzara, zit. n. Riha, Karl, Cross-Reading und Cross-Talking. Zitat-Collagen als poetische und satirische Technik, Stuttgart 1971, S. 40.
[17] Barthes, Roland: "Der Tod des Autors", in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez, Simone Winko, Stuttgart 2000, S. 185-193, hier S. 190 f.
[18] Ausführlicher lediglich in Youngblood, Gene: Der virtuelle Raum. Die elektronischen Umfelder von Mobile Image, in: Ars Electronica. Festival für Kunst und Gesellschaft, Linz 1986, S. 289-302. Der Text entstand 2 Monate vor der Projekt-Realisierung aus konzeptuellen Entwürfen der Künstler für einen Katalog, der allerdings nie erschienen ist.
[19] Auf der Hardware-Ebene besticht das Elektronische Café durch eine Systemintegration aller verfügbaren Medien - auf der Software-Ebene fungiert eine Art simples Mail-Box-Programm als gemeinschaftliche Datenbasis für die ,Community memory`: "Jeder Nutzer hat uneingeschränkten interaktiven Zugang zu den Datenbasen und kann gleichberechtigt Beiträge einbringen. Jedermann kann jederzeit Botschaften senden, Akten anlegen, andere Mitteilungen lesen und Kommentare und Anregungen durch öffentlich zugängliche Terminals in Bibliotheken, Lebensmittelgeschäften, Kaffeehäusern und Gemeinschaftszentren vorbringen. Es gibt keine Zensur und keine persönlichen Akten, doch können Botschaften oder Akten nur von ihren Autoren verändert werden [...] ein Instrument für kollektives Denken, Planen, Organisieren, Entscheiden [...]" Ebd., S. 300.
[20] Youngblood, Gene: Metadesign, in: Kunstforum, Bd. 98, 2/1989, S. 76-84, hier: S. 80.
[21] Peter Glaser in einer Einladungsmail vom 11.1.1993 20:53:33. Vgl. auch das Kapitel "Leben im Netz - Geschichten" aus der Diplomarbeit von Rena Tangens: Das Leben im Netz. Die Bürgernetze Z-NETZ, CL und ZaMir und ihre Geschichten, Bielefeld 1996, S. 55-87. Jetzt ist es noch als Archiv erreichbar unter der newsgroup: t-netz/alt/tagebuch oder im Archiv des Zerberus-Netzes: http://www.zerberus.de/texte/wam_kat/.

[22] "Das Imaginäre konstituiert sich nicht mehr im Gegensatz zum Realen [...] es dehnt sich von Buch zu Buch zwischen den Schriftzeichen aus, im Spielraum des Nocheinmal-Gesagten und der Kommentare; es entsteht und bildet sich heraus im Zwischenraum der Texte. Es ist ein Bibliotheksphänomen."
(Foucault, Michel: Die Phantasmen der Bibliothek, in: ders.: Botschaften der Macht. Der Foucault-Reader Diskurs und Medien, hrsg. von Jan Engelmann, Stuttgart 1999, S. 85-91, hier: S. 87)

[23] Das Intro zur "Imaginären Bibliothek", die auf der Ars Electronica 1990 in Linz als eine interaktive Installation gezeigt wurde. Impulse für die Arbeit lieferten Autoren wie Jorge Luis Borges, Umberto Eco und Foucault mit ihren Ideen nach einer "offenen Bibliothek", in der Texte, losgelöst von Autor und Entstehungskontext, frei zirkulieren können und beliebig miteinander assoziierbar und vernetzbar sind. Die "imaginäre Bibliothek" vereinigt elektronische Texte, Bilder und Grafiken. Im Rahmen des ARS ELECTRONICA war die "imaginäre Bibliothek" auf zwei Computern installiert, plaziert innerhalb eines Rundbaus inmitten von präsentierten Büchern und Buch-Objekten, wobei zwei Drucker im Hintergrund permanent die Lese-Touren der Benutzer ausdruckten. Diese Endlos-Ausdrucke wUrden zu Buch-Rollen gewickelt, die auf diese Weise den Bestand der imaginären Bibliothek sichtlich durch die unentwegte Produktion der Leser vergrößern.
Erst 1995 entstand die im Netz zugängliche Hypertext-Version der "imaginären Bibliothek" Die Texte bilden dabei eine komplexe Matrix, durch die der Leser sich horizontal oder vertikal fortbewegen kann. "Das Ziel der Anwendung ist es, durch verzweigtes assoziatives Lesen und Navigieren den Benutzer in ein Netzwerk aus Texten zu verstricken und somit eine Beteiligung des Lesers an dem Imaginationraum Bibliothek zu simulieren. Die "Imaginäre Bibliothek" könnte auf spielerische, ironische Art und Weise in die neuen Kulturtechniken, die neuen Formen des Lesens und Schreibens im digitalen Umgebungen, einführen und dazu anstiften, literarische Modelle und Verfahrensweisen auf Hypertext-Produktion und Rezeption zu übertragen." (Diese Beschreibung ist zusammengestellt von Torsten Liesegang aus verschiedenen Konzepttexten von PooL-Processing)
Archiv PooL-Processing(1988-1994): http://www.hyperdis.de/pool/
(Imaginäre Bibliothek, UserInnen Inputs, Fotos & Texte)
[24] Eine Dokumentation dieser frühen Mitschreibe-Experimente sowie den Gesamtbestand der Imaginären Bibliothek findet sich unter http://www.hyperdis.de/pool/
[25] "Welttexte" hieß ein heftig umstrittener Beitrag auf der Mailingliste "Netzliteratur", den Reinhold Grether dort am 7. Januar 1999 veröffentlichte. "Literatur, auf der Höhe unserer Zeit", so der Schlußsatz, "muß ,Welttexte` schaffen, auf Basis der Konnektivität (Technologien, Materialien, Multipersonalität) der Netze." Wie das globale Imaginäre sich in 24 Netzprojekten zeigt und konzeptualisiert, untersucht Reinhold Grether in "Versuch über Welttexte", in: Hyperfiction. Zum digitalen Diskurs über Internet und Literatur, hg. v. Beat Suter u. Michael Böhler, Frankfurt am Main und Basel, 1999, S. 85-100. Vgl. auch seine Artikel in telepolis (http.//www.heise.de/tp) und das Projekt "Netzliteratur, Netzkunst und Netzwissenschaft" unter: http://www.netzwissenschaft.de/.
[26] "THE WORLD'S FIRST WHAT? YOU ASK. DON'T WORRY. SOON YOU'LL KNOW. BUT FIRST LET ME ASK SOMETHING FAR MORE IMPORTANT: The temporary author-artist of these lines and this work is Douglas Davis. In face he (cf. me) is facing you at this moment, from a moment in 1973 when he, that is, me, tried to focus the lens of his video camera directly on you, the viewer on the other side of the then-imperial TV screen. Well, we have broken that screen down many times then--,we` being the early video artists determined to destruct the big lie that TV was a ,mass` one-way medium, you, impatient viewer who lusted for something better (and finally got it, in lots of ways), and the inexorable roll of technological innovation, moving us finally into the digital era and THIS MEDIUM, the InterNet/Web, where you take over from me....
But not yet, please. Wait just a few pages....hold out your hand there...yes, I think I got it...your fingers...hand in hand let's look through....
ALL THE GOOD DIGITAL BITS YOU CAN RETRIEVE FROM US ALONG THE WAY [...]"
http://ca80.lehman.cuny.edu/davis/.
[27] Die ja nach Platos Fundamentalopposition zur Schrift bekanntlich im Gegensatz zur mündlichen Kultur ohne Beisein ihres Autors zirkulieren - und eben nicht antworten können
[28] Mon, Franz: herzzero, Neuwied 1968, S. 5.
[29] Illich, Ivan: Im Weinberg des Textes. Als das moderne Schriftbild entstand. Ein Kommentar zu Hugos "Didascalicion", Frankfurt am Main 1991, OT: L'Ere du livre, Paris 1990, S. 112

[30] http://hyperfiction.de/enzyklopaedie/

[31] Ein Blick etwa in physikalische Forschungsliteratur zeigt Teams von mehr als 2000 WissenschaftlerInnen, die über Jahrzehnte zusammenarbeiten. Selbst bei einer Dissertation in einem solchen Arbeitskontext tauchen dann etwa die Namen von über 500 ,Mitautoren` (in alphabetischer Reihenfolge) auf, so dass - trotz der restriktiven Regeln des zunftartig organisierten Wissenschaftsbetriebs - der einzelne Forscher ganz deutlich als Knoten in einem Geflecht von Querbeziehungen positioniert wird. Der Konzeption des WWW-Standards am CERN lag u.a. der Wunsch und die Notwendigkeit der Entwicklung eines einfachen Austauschformats für wissenschaftliche Texte im Netz zugrunde.
http://hoshi.cic.sfu.ca/~guay/Paradigm/History.html gibt einen sehr fundierten Überblick über die historischen Entwicklungen des Web-Konzepts aus den verschiedensten Quellen - (Bush, Nelson, Engelbart, CERN) nebst medientheoretischen Hintergrund (Mc Luhan, Landow).
siehe auch: Tim Berners-Lee (Ted Nelson and Xanadu), http://www.w3.org/pub/WWW/Xanadu.html
[32] Vgl. Kittler, Friedrich: Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft, München, 2000
[33] Alle Dokumente und Materialien des Projekts (Universität Hildesheim 1998-2000) sind archiviert unter: http://www.hyperdis.de/netkult/
[34] Die Entwickler Rene Bauer und Joachim Maier bezeichnen nic-las als ,autopoetische Informationslandschaft`: Das Akronym nic-las steht für nowledge integrating communication-based labelling and access system. http://www.nic-las.com/enzyklopaedie/
[35] Diese Unterscheidungen strukturieren schon während der Texteingabe den Datenbestand dynamisch und schreiben somit jede Veränderung in einem kleinen Detail in den Gesamtkontext ein und diferrenzieren so die Wissensstrukturen immer weiter aus. Personen-, Themen- und Zeitreferenzen vernetzen jede Texteinheit innerhalb verschiedener Kontexte.
[36] "Andererseits gilt die Funktion Autor nicht übertall und nicht ständig für Diskurse. In unserer Kultur haben nicht immer die gleichen Texte einer Zuschreibung bedurft. Es gab eine Zeit, in der die Texte, die wir heute ,literarisch` nennen (Berichte, Erzählungen, Epen, Tragödien, Komödien) aufgenommen, verbreitet und gewertet wurden, ohne daß sich die Autorfrage stellte [...]. Im Gegensatz dazu wurden die Texte, die wir heute wissenschaftlich nennen, über die Kosmologie und den Himmel, die Medizin und die Krankheiten, die Naturwissenschaften oder die Geographie im Mittelalter nur akzeptiert und hatten nur dann einen Wahrheitswert, wenn sie durch den Namen des Autors gekennzeichnet waren" (Foucault, Michel: Schriften zur Literatur, Frankfurt am Main 1979, S. 19).
[37] Dieses romantische Schreibspiel - geplant als Satire auf akademischen Bilddungsbetrieb und klassizistische Literaturkritik - ist wohl mehr zu einer glossenhaft-parodistischen Selbstanalyse der beteiligten Mitschreiber mit einer Fülle literarische Anspielungen geworden und stellt etwa mit Bettina von Arnims zu Briefromanen montierten Korrespondenzen Materialien für eine kollektive Selbstanalyse zur Verfügung. Solche Konversationstechniken verweisen gleichzeitig auf kulturrevolutionäre Utopien, die eine Aufhebung von Spezialistentum und entfremdete Arbeitsteilung in kultureller Produktion in Aussicht stellen.
[38] Schlegel, Friedrich: Athenäums Fragmente, in: Kritische Schriften, München 1970; Materialien zu diesen kollektiven Schreibprojekten finden sich in Rogge, Hellmuth: Der Doppelroman der Berliner Romantik, Leipzig 1926.
[39] Börne, Ludwig: Die Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller zu werden, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, 1862
[40] Etwa von Schleiermacher und Schlegel, die ein intensives häusliches Zusammenleben und - arbeiten pflegen: während der gemeinsamen Malzeiten wird diskutiert, vorgelesen, über Formulierungen beraten .. die die aus diesem Zusammenleben erwachsende gemeinschaftliche literarische Produktion wird dann später wiederum zum Gegenstand und zum Stimulans weiterer geselliger Zusammenkünfte. Vgl. Hoffmann-Axthelm, Inge: "Geisterfamilie". Studien zur Geselligkeit der Frühromantik, Frankfurt am Main 1979, die Geselligkeit als "jede Art von Berührung, Relation, Kontakt, Zusammenhang, und, darüber hinaus, Vermischung zwischen den von ihm abgelehnten Extremen der totalen Vereinzelung und des strengens Systems (S. 155)" geradezu als Leitbegriff für Schleichermachers Denken herausarbeitet.

[41] vgl. Gisela Dischners vorzügliche Zusammenstellung historischer Dokumente in: Dischner, Gisela: Friedrich Schlegels Lucinde und Materialien zu einer Theorie des Müßiggangs, Hildesheim 1980.

[42] So ist etwa die Teilnahme von Schlegels Freunden an der Entstehung der "Lucinde" nicht zu unterschätzen: Streichungs- und Änderungsvorschläge wurden aufgenommen und geplant war eine Fortsetzung des Romans auf der Basis von Briefen ... Eine "Mischung von Autoren" und ein prinzipiel offener und unendlicher poetischer Produktions- und Reproduktionsprozeß. In den romantischen Zirkeln fungiertenen die Texte als Vorlage und Vorschlag zur weiteren Bearbeitung. Gemeinsames Vorlesen wurde begriffen als eine produktive sympoetische Begegnung zwischen Autor, Vorleser und Zuhörern.