von Heiko Idensen
anmerken, kommentieren, ersetzen
Aktive Interpretations- und Kommentartätigkeiten finden sich keineswegs
erst in der Moderne, sondern ziehen sich durch die gesamte Kulturgeschichte
in den unterschiedlichsten Ausprägungen: extreme Verschachtelungen von
Text und verschiedene Auslegungen aus unterschiedlichen Epochen zu bestimmten
kanonischen Stellen finden sich schon in der jüdischen Thora: eine Textstelle
in der Seitenmitte ist hier von verschiedenen Textrahmen umgeben (Referenzen,
Kommentare, Auslegungen). In frühen Bibel-Konkordanzen werden die Anmerkungen
zwischen zwei Textspalten eingelagert. Die mittelalterlichen Abschreiber
sparen nicht damit, den zumeist auf der Seitenmitte stehenden Haupttexten
am Rande in kleinerem Schriftgrad eine Glosse hinzuzufügen. Im 16. Jahrhundert
tauchen kürzere Marginalien auf, die an bestimmte Textsegmente angehängt
werden, woraus sich im 17.Jahrhundert die Fußnoten entwickeln.
die Fußnote als satirische Intertextfunktion
Während der Aufklärung entwickelt sich das Medium Fußnote - in der
Tradition von Rabelais, Sterne, Cervantes - in den innerhalb der Salonkultur
zirkulierenden Texte zu einem äußerst beliebten diskursivem Trick, um
einem breitem Publikum unterschiedliche Konversationspraktiken, Stile,
Abschweifungen, Belehrungen und ironische Anspielungen nahe zu bringen.
Welche verzwickten intertextuellen Konstruktionen durch extensiven Gebrauch
von Fußnoten produziert werden können, zeigen unzählige satirische literarische
Entwendungen der Fußnotentechnik.
Als literarische Produktionsweise verstärken Anmerkungssysteme eine
nicht-lineare Verschachtelungen von Texten, bilden Abschweifungen und
mehrschichtige Textformationen - etwa im X.Kapitel von Finnegans
Wake, das an beiden Rändern und am Fuße der Seite bestimmte Anmerkungsorte
für verschiedene Sprecher markiert. Leser und Leserinnen versehen ihre
Bücher mit Markierungen, Unterstreichungen, Eselsohren. In wissenschaftlichen
Arbeiten werden komplexe Anmerkungsapparate aus dem physischen Körper
des Buches ausgelagert: Exzerpte, Zettelkästen, Materialienbände.
Das historisch-kritische Wörterbuch, das Pierre Bayle nach zehnjähriger
Forschungs- und Kompilationsarbeit herausbrachte - und das zu einem
einflußreichen Konversationslexikon der aufklärerischen Salons wurde.
Es liest sich wie das Projekt einer `historisch kritischen' Neu-Auflage
aller bisherigen Wörterbücher: ein Lexikon der Fehler, Irrtümer, Auslassungen
und Verdrehungen der gängigen Lexika seiner Zeit: "Ich habe mir in den
Kopf gesetzt, die größte mir mögliche Sammlung von Fehlern zusammenzustellen,
die sich in den Nachschlagewerken finden [...]."[1] Bayles Verfahren der Textauswahl und der -generierung beruht
auf einem endlosen Prozeß der Relativierungen (Behauptungen und Erwiderungen,
Meinungen und Gegenmeinungen usw.). Als fortwährende Textkritik ist
es eine Frühform des intertextuellen Verfahrens. Die Autor-Funktion
gleitet über zu der eines Kompilators, Transformators, Herausgebers,
Kommentators.[2] Die überbordende Verwendung von Fremdmaterialien treibt Form
und Aussehen der Buchseiten an die Grenze der Buchkultur.[3]
Bayles Paradigmenwechsel in der Wissensverarbeitung - Abwendung vom
Vollständigkeits-Anspruch einer Universalenzyklopädie, Hinwendung zur
Ausdifferenzierung vielschichtiger Materialienbestände - wurde von einigen
seiner Zeitgenossen (u.a. von Leibniz, der u.a. die chaotische Organisationsweise
nicht akzeptieren konnte[4]) vehement kritisiert; die umfangreichen Such- und Stöbermöglichkeiten
jedoch übten gleichzeitig eine große Faszination auf Leser aus den unterschiedlichsten
sozialen Schichten aus. Die von allen Enzyklopädien her bekannten Schwierigkeiten
bei der Lokalisation von Wissensfragmenten wurden hier gleichsam auf
die Spitze getrieben. Die vorherrschende Gebrauchsweise ("nicht zielstrebiges
Suchen [...], sondern bildungshungriges Lesen und Blättern, dessen Lohn
der überraschende Fund [sei] " (Neumeister, Sebastian 1990: Pierre Bayle
oder die Lust der Aufklärung. In: Hans-Albrecht Koch (Hg.): Welt der
Information. Wissen und Wissensvermittlung in Geschichte und Gegenwart.
Stuttgart
, S. 75) [5] hat bereits eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Navigieren
in Informationsnetzen.
Assoziations-Blaster
Vernetzungsstrategien als neue Produktionsparadigmen für Texte werden
mittels automatischer Verlinkungsroutinen zum zentralen Moment des Schreibens
im Netz - zur Hauptfunktion der Textkonstitution erklärt: der Link,
der Zwischenraum der Texte, die Intertextualität.
Bisherige Mitschreibe-Projekte im Netz kranken größtenteils daran, dass
sie nach wie vor immer noch so tun, als würde ein vereinzelter User-Autor
in einem einzigen Textfenster ganz allein für sich schreiben. Die Diskussions-,
Konversations- und Kooperationskulturen in Diskussionsforen, newsgroups,
MUDs und Mailinglisten stellen dagegen die gemeinschaftlichen Aspekte
der Netzkommunikation in den Vordergrund, die durch selbstgeschaffene
Regeln geordnet und durch entsprechende Features in den verwendeten
Interfaces unterstützt werden: Reply- und Zitatfunktionen, Bewertungs-
und Kommentierungsroutinen, grafische Darstellungen des Diskussionsverlaufs,
Such- und Verknüpfungsoptionen.
Genau an dieser Schnittstelle zwischen technischen Parametern der Übertragung
und Speicherung und den darauf aufbauenden kulturellen Kodierungen setzt
der Assoziationsblaster an, indem er keine Themen und keine Geschichte
vorgibt, sondern ausschließlich mit der Linkstruktur selbst arbeitet:
",Die Entscheidung liegt bei uns, den Usern.` (TRON)
Der Assoziations-Blaster ist ein interaktives Text-Netzwerk in dem sich
alle eingetragenen Texte mit nicht-linearer Echtzeit-Verknüpfung(TM)
automatisch miteinander verbinden. Jeder Internet-Benutzer ist aufgerufen,
die Datenbank mit eigenen Texten zu bereichern.
Die einzelnen Beiträge können nicht der Reihe nach gelesen werden, stattdessen
wird anhand der entstehenden Verknüpfungen von einem Text zum anderen
gesprungen. Die dadurch entstehende endlose Assoziations-Kette vermag
dem Zusammenhalt der Dinge schlechthin auf die Spur zu kommen.
Die Datenbank mit den Texten ist nach Stichworten geordnet. Jeder Text
gehört zu einem bestimmten Stichwort und die Stichworte stellen auch
die Verbindungen zwischen den Texten her. Jeder Internet-Benutzer darf
auch neue Stichwörter eintragen, die dann sofort Auswirkungen auf alle
bereits vorhandenen Texte haben."[6]
Da sich keine Auswahlmenus oder Stichwortlisten zur Navigation anbieten,
kann ein User dieses Projekts sich lediglich über ein zufällig ausgewähltes
oder in eine Suchmaske eingegebenes Stichwort in den Datenbestand hineinbegeben.
Auch von hier aus kommt er nur über die generierten Links in dem ausgewählten
Text-Fragment weiter - oder er kann eben selbst in ein Eingabefeld seine
,Assoziationen` einschreiben, woraufhin die eingegebenen Textfragmente
automatisch verlinkt werden: alle Worte, zu denen schon Stichworte existieren,
sind sofort wie durch ein Wunder in dem eingegebenen Text als Links
markiert, während der gerade eingegebene Text auch sofort in das Netzwerk
der kollektiven Assoziationen eingewoben ist. Der gesamte Datenbestand
des Assoziationsblasters ist über geschickte Suchmaschinen-Anmeldungen
mit dem Rest des Internets verbunden, so dass die relativ hohen Zugriffszahlen[7] von über 1000 pro Tag zu erklären sind.
Kommt es zur Informationsverdichtung durch Linkhäufung und unmittelbare
automatische Anknüpfung an und in fremde Texte? Ist das vielleicht ein
möglicher Versuch, Ansätze für eine Poetik der Netzliteratur zu finden?
Fast gegenläufig zum ursprünglichen Ansatz des ,freien Assoziierens`
werden im weiteren Verlauf des Projekts, Features zur Verdichtung[8], Kommentierung und Kommunizierbarkeit des Datenmaterials eingebaut:
ein skalierbares Bewertungssystem, vom User konfigurierbare Filtermechanismen,
ein Diskussionsforum, in dem die MitschreiberInnen ihre Beiträge, die
Features des Blasters und allgemeine Themen diskutieren.
assoziieren
Das Eingeben von kleineren Informationsfragmenten folgt dem Prinzip
eines momentanen Einfalls, einer Skizze, einem Entwurf, einer Idee zu
einem Gegenstand. Die produktiven Momente des Assoziierens werden
benutzt in der Psychoanalyse, in den Schreibspielen der Surrealisten
bis hin zu kollaborativen Schreibprojekten (etwa im Assoziationsblaster:
http://www.assoziations-blaster.de/).
Die vernetzte Struktur von Hypertexten kommt assoziativen Gedankenoperationen
entgegen: Von einem Informationsknoten kann zu einer Vielzahl assoziierter
Informationen geschaltet werden.
psychische Automatismen: surrealistische Kollaborationen
Die surrealistische Bewegung ist zwar bekannt für Schreib- und Malspiele,
wie sie heutzutage in creative writing - Kursen massenhaft eingesetzt
werden ...
etwa dem 'cadavre exquis' - einem Kreisspiel bei dem von jedem Teilnehmer
Bild- oder Text-Partien auf einem Zettel notiert werden, die an den
Folgespieler verdeckt weitergegeben werden, wobei nur die Anschlußpartien
bzw. das letze Wort sichtbar ist, so daß es zu überraschenden Verbindungen
und Übergängen kommen kann ... -
wenig bekannt ist aber die Tatsache, daß ein kollaboratives Schreibexperiment
zwischen André Breton und Philippe Soupault geradezu den Beginn der
surrealistischen Kulturrevolution einleitet:
die beiden Freunde setzten sich eine Frist von acht bis vierzehn Tagen
für ihre textuelle Zusammenarbeit. Zunächst schreibt jeder ein Kapitel,
die folgenden schreiben sie zusammen, wechseln sich ab. Eine Passage
schreibt der eine, die folgende der andere. Manchmal sitzen sie sich
gegenüber und vollziehen ein Frage- und Antwort-Spiel.
Anschließend an diskursive Techniken wie Brainstorming oder freies Assoziieren
ruft der Surrealismus eine Revolution des Rausches (Benjamin) aus -
wobei die automatische Schreibweise als eine zentrale literarische Technik
eingesetzt wird, die einen metaphorischen Kollage-Prozeß in Gang setzt,
in dem spannungsreich unterschiedliche semantische Felder und Bilder
mit ganz unterschiedlichder kultureller Kodierung montiert werden.
Als abgenutztes Schulbeispiel solch surrealistischer Metaphorik gilt
Lautreamonts vielzitierter Satz:
"Er ist schön [...] wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine
und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!"
(Lautréamont, Compte de: Die Gesänge des Maldoror, in: ders. Das Gesamtwerk,
Reinbk, 1988, S. 223)
Der eigentliche Funke soll allerdings von der Literatur wiederum in
das Alltagslebens überspringen und somit die eigentliche surrealistische
Revolution auslösen:
"Die improvisatorische Werkgenese durch Assoziation ist nicht nur eine
künstlerische Technik, sondern [...] sie wird ausgeweitet zu einer 'assiziativen
Lebensform, in einem Zustand permantenter produktiver Kombinatorik'.
(Schulz, Holger: Das aleatorische Spiel. Erkundung und Anwendung der
nichtintentionaler Werkgenese im 20. Jahrhundert, München 2000. S. 75-76;
zitiert Fritz, Horst: Surrealismus, in: Borchmeyer, Dieter; Zmegac,
Viktor (Hg): Moderne Literatur in Grundbegriffen, Tübingen, 1994, S.
406-411)
Kein Wunder, daß der Surrealismus in der Studentenrevolte eine fröhliche
Wiederauferstehung feiert! [9]
automatische Schreibweise
"Lassen Sie sich etwas zum Schreiben bringen, nachdem Sie es sich irgendwo
bequem gemacht haben, wo sie ihren Geist soweit wie möglich auf sich
selber konzentrieren können. Versetzen Sie sich in den passivsten oder
den rezeptivsten Zustand, dessen Sie fähig sind. Sehen Sie ganz ab von
Ihrer Genialität, von Ihren Talenten und denen aller andern. Machen
Sie sich klar, daß die Schriftstellerei einer der kläglichsten Wege
ist, die zu allem und jedem führen. Schreiben Sie schnell, ohne vorgefaßtes
Thema, schnell genug, um nichts zu behalten, oder um nicht versucht
zu sein, zu überlesen."
(Breton, André: Erstes Manifest des Surrealismus, in: ders.: Die Manifeste
des Surrealismus, Reinbek 1968, S. 29f.)
Was wir gerade heutzutage als das allerschwierigste ansehen, scheint
am Anfang des 20. Jahrhunderts noch ganz einfach zu sein:
"Der erste Satz wird ganz von allein kommen, denn es stimmt wirklich,
daß in jedem Augenblick in unserem Bewußtsein ein unbekannter Satz existiert,
der nur darauf wartet, ausgesprochen zu werden. Ziemlich schwierig ist
es, etwas darüber zu sagen, wie es mit dem folgenden Satz geht; ohne
Zweifel gehört er unserer bewußten Tätigkeit und zugleich der anderen
an - wenn man annimmt, daß die Tatsache, einene rsten Satz geschrieben
zu haben, ein Minimum an Wahrnehmung mit sich bringt."
(Breton, André: Erstes Manifest des Surrealismus, in: ders.: Die Manifeste
des Surrealismus, Reinbek 1968, S. 30)
Tauchen dann doch Schreibhemmungen oder Schreib-Blockaden auf, empfielt
Breton einfach, sämtliche Fixierungen aufzugeben und künstlich Abschweifungen
und Unaufmerksamkeiten herzustellen.
surrealiste Gemeinschaftsproduktionen
Neben dem wichtigen Effekt der Aufbrechens linearer Strukturen, der
Umleitung, des Bruchs mit Konventionen und gängigen Sprachbildern ...
hebt Breton für die surrealisten Gemeinschaftsproduktionen in
Form von Gesellschaftspielen, bei denen jeder einzelne Teilnehmer einzelne
Elemente (Subjekt, Verb, Adjektiv oder Kopf, Leib oder Beine) beisteuert,
in anderem Zusammenhang gerade die interpersonalen Korrespondenzen als
eintscheidende Faktoren heraus:
"Wir haben verschiedene Experimente in Form von 'Gesellschaftsspielen'
gemacht, deren amüsanter, ja erholsamer Aspekt mir in nichts ihre Tragweite
zu mindern scheint: [...] Und wir glauben, mit solchen Experimenten
eine seltsame Fähigkeit des Denkens aufgedeckte zu haben - die zu seiner
Vergemeinschaftlichung. [...] Tatsache ist, daß sich auf diese Weise
erstaumliche Beziehungen ergeben, bemerkenswerte Analogien sich zeigen
[...]"." (André Breton: Die Manifeste des Surrealismus, Reinbek bei
Hamburg, 1968, 92)
Intertextuelle Verfahren, sprachliche Anspielungen, Textraub, künstlerische
Montage- und Collageverfahren bleiben niemals in der reinen Sphäre sprachlicher
Experimente gefangen, beschränken sich keinesfalls auf nur auf innersprachliche
Zeichen-Revolutionen oder einen Verbalradikalismus, wie er bezeichend
ist für einen machlosen, nicht in die Realpolitik eingreifenden Intellektuellenstatus,
sondern sie greifen im Laufe einer Sozialgeschichte der Literatur immer
wieder in das Zentrum kultureller Systeme ein - in das Herzstück sozialer
Systeme. Es stehen die tradierten Werte, die Grundlagen kultureller
Schätze und Überlieferungen - eben die Basiskonfigurationen der herrschenden
Kultur - auf dem Spiel - Zeichenökonomien ebenso wie auch ganz konkrete
ökonomische Beziehungsgeflechte und Wertmaßstäbe, etwa Besitz und Eigentum
kulturellerAktefakte und Muster, die z.B. durch gezielte Übertretungen
des Copyrights bedroht werden.
Dieses Changieren zwischen Symbolischer Destruktion - einer "Revolution
der poetischen Sprache"[10] und ganz konkreten gesellschaftspolitischen Aktionen und Eingriffen
läßt sich bisher bei allen künstlerischen Avantgarde-Bewegungen erkennen.
Schreiben und Assoziieren im Netz
Leider funktioniert diese hier so schön beschriebene Technik im Netz
nicht immer - dabei müßte es doch online noch viel einfacher sein: sämtliche
Parameter surrealister Schreibspiele sind gegeben, ja größtenteils sogar
übertroffen: denn hier überlagern sich wirklich eine Vielzahl von Stimmen,
hier weiß wirklich ein Mitschreiber bei einem Schreibprojekt nicht,
was der andere schreibt, hier überlagern sich wirklich verschiedenste
Intentionen, die sich teils verstärken, teils abstoßen, aneinander reiben,
stören, sich widersprechen, dialogisieren, multilogisieren ...
... eine Strukturähnlichkeit zwischen den experimentellen Avantgarde-Texten
und Hypertexten ist das Paradox der Unlesbarkeit - besser gesagt, daß
sich die Poetizität 'offener Texte' erst in möglichen 'aktiven Rezeptionsprozessen'
äußert: eine Poetik des Transports, des Unterwegs-Seins, eine produktionsästhetische
Poetik der Kommunikation, die sich weniger in der Entschlüsselung und
dem Empfang einer Botschaft ausdrückt, als vielmehr in Eigenleistungen
der Rezipienten. Surrealistische Wort- und Bild-Konstelationen wie Netz-Texte
gleichermaßen werden vielmehr zu einer Art 'Sprungbrett', einer Absprungstelle,
an der sich die Imaginationsräume, die Textanalytischen Verfahren von
Autor und Leser treffen. Aus den Rezeptionsprozessen von Autor und Leser
geht ein Impuls aus, eine Verdichtung und Konzentration: das Kunstwerk
wird zu einem Gebrauchsmittel, eine Anleitung zur Realisierung ästhetischer
Kommunikation.
autorisieren
Es hat nie wirklich Autoren gegeben.
Am Anfang war ein Text? Und der Text generierte andere Texte, überlagerte
sich mit Bildern, Metaphern, Briefen, Schriftrollen, Traumresten, Einritzungen
...
Jemand hatte das alles gehört und aufgeschrieben: die Märchen, die Mythen
des Alltags, abgeschrieben und heruntergeladen aus dem Internet. Die
Wolken, die vorüberziehen. Andere hatten weitergeschrieben, korrigiert,
gelöscht, umgeschrieben, übersetzt, Briefe verschickt, Reden gehalten,
Lieder gesungen, Theaterstücke aufgeführt ... aber Autoren, die hat
es niemals gegeben, nur Texte ...
"Odysseus reist durch eine nur in der Sprache geborene Erlebnisidee,
in die reale Erinnerungsmomente eingeflossen sind, ohne daß sie direkt
in einen aktuell sich ereignenden Lebenszusammenhang eingebettet wären.
Unmittelbar erlebt ist allein der epische Text im Vollzug seines Entstehens
und seiner Wahrnehmung. Ob dahinter eine wie in diesem Fall plurale
Autorschaft steht, die sich der Obersignatur Homers bedient, oder
ob es wie beispielsweise für Vergils ,Aeneis` eine personal konkretisierbare
Autorschaft wäre, ist nicht von entscheidendem Belang.
Wesentlich ist die unmittelbare und vor allem wiederholbare Erlebnispräsenz
von Sprache und daraus resultierendem Werk, in der sich Urheber und
Nutzer treffen" (Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte einer
Theorie. Tübingen und Basel, 45).
Jeder Text ist Bestandteil verschiedener textproduktiver und - rezeptiver
Prozesse: Textmaschinen, Sprachspielen, Auf- und Entladungen, Referenzen,
die sich aufbauen, abbrechen, vertiefen und vernetzen ... Differenzen
und Wiederholungen von Lese- und Schreibakten ...
Adressierung von Informationen
Autorenschaft wird - je nach dem technischen Stand des Kommunikationssystems
- als ein kulturelles Paradigma produziert und stellt somit in gewisser
Weise einen medialen Effekt des jeweils vorherrschenden Informationssystems
der Wissensverarbeitung dar. Der Autor ist insofern schon immer Bestandteil
eines komplexen kulturellen Netzwerks gewesen:
"Als Autoren werden diejenigen informationsverarbeitenden Systeme bezeichnet,
die über ihre Sinnesorgane Informationen aufnehmen und diese zu Manuskripten
verarbeiten, die dann von den Druckereien aufgenommen werden. Erst durch
Herstellung einer Beziehung zu Verlegern und/oder Buchdruckern können
die ,Schreiber` also zu Autoren und damit zu Elementen eines neuen Kommmunikationssystems
werden" (Giesecke 1991, S. 400-401).
Genauso produziert werden auf der anderen Seite des Kommunikationsprozesses
die Leser. (Untersucht man die unterschiedlichen Korrekturverfahren
von den Buchmalern über die Rubrikatoren zu den Korrektoren, so fällt
auf, dass in der typographischen Datenverarbeitung durch ausführliche
Druckfehlerverzeichnisse schließlich sogar der Leser in die Korrekturschleife
miteinbezogen wird, indem genau angegeben wird, auf welchen Seiten in
welchen Zeilen Korrekturen und Ersetzungen vorzunehmen sind. Vgl. Giesecke
1991, S. 121-123.)
Text als Schnittstelle
Ein Text stellt eine Oberfläche dar für die Begegnung von Leser
und Schreiber, Urheber und Nutzer, Sender und Empfänger ...
"Autor und Leser sind durch gleiche Anstrengung und Aufmerksamkeit in
der Textarbeit vereint. Die Gültigkeit dieser Konstellation erstreckt
sich idealerweise auf einen zeitlich wie kulturell gemeinsamen Textort,
wo sich schreibender ,Leseautor` und dem Formulierungsprozess inhärenter
,Autorleser` treffen. [...] Die impliziten Interaktionen, die sich im
unmittelbaren, weitgehend gleichberechtigten Korrespondenzwissen von
Autor und Leser intentional aufeinander bezogen aufbauen und zur Evidenz
gelangen, entziehen sich einer auktorialen Verfügung. [...] Dem Leser
fällt zunehmend Autorschaft zu, die aber nicht mehr mit dem ursprünglichen
Formulierer zurückgekoppelt ist, sondern die diese Bindungsgemeinschaft
nur noch simuliert" (Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte
einer Theorie. Tübingen und Basel, S. 43).
Der Text als anderer Schauplatz, als Bühne kultureller Wissenssysteme,
als Szenerie, in der sich kollektive Authentifizierungsprozesse abspielen:
begriffliche Regelspiele, mobile Organisationsprozesse, in denen die
Einbildungskraft wirken kann.
"Der Redner hat, um mit seinem Text affektiv auf seine Zuhörer wirken
zu können, die Erregung zuvor durch Vorstellungen (phantasiai) zu projizieren"
(Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte einer Theorie. Tübingen
und Basel, S. 28).
Diese simple Maskierung, dieses auktoriale Rollenspiel mit teils göttlichen
Soufflierungen lassen letztlich den eigentlichen Ort textschöpferischer
Energie leer, die im Schauspiel von Text-Rezeption und -Produktion immer
wieder neu besetzt wird - auch schon in den frühen Reflektionen zu Textualität
und Autorschaft klafft die Lücke, die Leerstelle, der slash zwischen
Signifikat und Signifikant, den die Moderne/Postmoderne dann so wild
und emphatisch bearbeiten wird, eben der Zwischenraum zwischen
den Texten :
"Zwischen ihnen droht stets das erinnerungslose Schweigen der Texte,
jene Grenzüberschreitung aus den sprachlichen Tauschvorgängen mit der
Welt in das Vergessen. [...] Die Verweigerung, sich in Texten zentrierend
zu äußern, führt zur Verdunkelung der Welt" (Kleinschmidt, Erich (1998):
Autorschaft. Konzepte einer Theorie. Tübingen und Basel, S. 29).
Schriftlich fixierte Text bereiten (im Vergleich zur direkten oralen
Textweitergabe in Dialogen oder eben der klassischen Rede) schon die
direkte Adressierbarkeit von Texten jenseits von Autorfiktionen und
flüchtiger Rede vor, wie sie jetzt im Netz so schön möglich ist.
Das alte ,väterliche` (Plato) verantwortungsbewusste und eben vor allem
personal gebundene orale Überlieferungsmodell von Texten mit klar definiertem
Sender/Autor/Autoritätszentrum wird durch eine entsubjektivierte Autorität
der Schrift selbst abgelöst, Kommunikationszusammenhänge und Kontexte
verschwimmen ...
"Der Text wird wichtiger als sein Produzent, der nach der Niederschrift
ganz zurücktreten kann, es sei denn, dieser wollte als ein 'Freund der
Weisheit' (philósophos) jenen noch weiter kommentierend auslegen" (Autorschaft,
S. 31, mit Verweis auf E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches
Mittelalter).
In dieser Trennung von Autor, Exeget und Leser scheint für die Textgenese
letztlich auch schon jene erschreckende Leere auf, die im Laufe der
Geschichte immer wieder mit anderen Phantasmen, technischen Projektionen
etc. gefüllt wird, bis hin zur momentan gültigen Produktionsanweisung,
dass eben das Internet selbst die Texte generiere, die hier fluktuieren
...
Die Frage "wer spricht" wird zur Frage nach den ideologischen und ökonomischen
Machtverhältnissen kultureller Produktionsweise, die zudem nicht selten
die Grundlage bilden für basale gesellschaftliche Produktionsverhältnisse.
(Eine Umkehrung der klassisch gedachten Basis/Überbau-Verhältnisse,
also zutiefst idealistisch?)
"Dies führt in der Textformulierung erst einmal dazu, daß Autorschaft
dazu neigt, Masken anzulegen, sich sprechende Protagonisten zu wählen,
weil sie sich angesichts der zahlreichen Interaktionen im gesellschaftlichen
Beziehungsraum kommunikativ vervielfältigen will. Zugleich wird aber
der Formulierende zum Einen, der gleich allen ist, im Namen aller und
zu allen spricht. Seine Aussage repräsentiert nicht nur eine Identität
des eigenen Selbstbewußtseins, sondern sie spaltet sich auf in ein plurales
Wahrnehmungsbewußtsein vieler anderer Identitäten. [...]
Autorschaft ist im Gegensatz zum physisch konkreten Sänger oder Dichter
etwas, das nicht selbstverständlich von Anfang aller Literatur vorhanden
wirkt. [...] Autorschaft erscheint funktional als ein Phantasma. Es
verleigt, was gegenständlich 'Text' genannt wird, Zusammenhang und überdeckt
so die disparat erlebte Wirklichkeit der Texte. Um diese negative, wenn
nicht traumatische Erfahrung zu überwölben, bedarf es der Vorstellung
von Autorschaft. Sie erlaubt es, die symbolischen Repräsentationen,
wie sie in der mythischen Kodierung noch möglich waren, zu ersetzen"
(Kleinschmidt, Erich (1998): Autorschaft. Konzepte einer Theorie. Tübingen
und Basel 1998., S. 33).
Und eben an dieser Leerstelle der Texte, die für viele moderne und postmoderne
Texte geradezu konstitutiv war und in verschiedenster Art und Weise
zum Antrieb der Textgenese wurde, können wir jetzt ganz konkret in netzwerkunterstützten
kollaborativen System arbeiten, nach theoretischen Durchläufen, die
eben diese freigewordene Stelle der Texte auf selbstschöpferische, quasi
autopoetische Momente der Sprache zurückgebunden hat (Plato, Wittgenstein,
Luhmann), bzw. nach einer Wiederaufnahme der Vorstellung einer vorsprachlichen
transpersonalen sprachlichen Instanz (chora) etwa bei den poststrukturalistischen
Intertextualitätskonzepten (Kristeva).
Autorschaft ist also ohne ein ,produktives Lesen` nicht denkbar. Sprachliche
Produktions- wie Rezeptionsakte schließen somit neben grammatikalischen
Regeln und sprachlichen Strukturierungen auch diskursive Formationen,
Nutzungsregeln, hermeneutische Zirkel etc. mit ein, eben die sprachlichen
und kulturellen Sinnproduktionsprozesse, worin eine gewisse Paradoxie
der Autorschaft evident wird. Der Autor wird zu einem Mediator, einem
Vermittler zwischen den vorliegenden Texten der Bibliothek und einer
möglichen Aktualisierung und Neuproduktion.
Aus solchen verschiedenen Facetten intertextueller Textgenese, aus Projektionen
und Sprachspielen um diskursive Machtverteilungen in Texten können wir
nicht nur Figuren des Verschwindens von Autorschaft entdecken, wie sie
in der Text- und Theorieproduktion der Moderne und des Poststrukturalismus
genügend formuliert und zuweilen auch bis zum Überdruss und zur katastrophischen
(medizinischer Ausdruck für Krampf/Lähmung) Lähmung wiederholt worden
sind, sondern wir können daraus ebenso Methoden künstlerischer und politischer
Entwendung ableiten (cut-up-Methoden, Textmaschinen, offene
Textstrukturierungen, Sprachspiele, wie Momente der ,Entwendung bei
den Situationisten oder Operationen der vielleicht letzten Kolonne von
Medien- und Kommunikationsguerilleros ...), die sich wie Viren nicht
nur im Netz ausbreiten ("I love you"), sondern die auch als open
source-Bewegung, sowohl konstitutiv für das Netz (mit seinen Protokollen,
Programmen und Kommunikationsstrukturen) selbst sind, als sie auch darüber
hinaus Modelle für neue Ökonomie- und Gesellschaftsutopien freisetzen
können, auf deren Basis sich möglicherweise auch Widerstandspotentiale
gegen hyperkapitalistische dot.com Praktiken bilden (Vgl. Volker Grassmuck:
Freie Software 1/2 http://mikro.org/Events/OS/text/freie-sw.html)
Aufschreibesysteme
Die poetischen Operationen mit denen Ezra Pound, Stéphané Mallarmée,
James Joyce u.a. die Verwendung der Sprache revolutionieren, bereiten
Kulturtechniken vor, die in den sechziger Jahren von den Pionieren des
Hypertextes auf der neuen Wunschmaschine Computer implementiert werden
können: assoziativer Zugriff auf Daten unterschiedlichster Art, offene
Texte, die an jeder Stelle verändert, ergänzt und mit anderen Textstellen
(oder Bildern) verknüpft werden können; jedes Wort wird zu einem Knoten
von Bedeutungen, zu einem möglichen Absprungort für neue Konstellationen,
Anspielungen und Verweise ...
Die aufkommenden technischen Medien beflügelten die Literatur seit der
Jahrhunderwende und führten zu einer Reflektion medialer Auflösungserscheinungen
in der Literatur (Futurismus, Noveau Roman, James Joyce).
"Das Wort Aufschreibesystem [...] kann auch das Netzwerk von Techniken
und Institutionen bezeichnen, die einer gegebenen Kultur die Entnahme,
Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben. [...] Nun sind
zwar alle Bibliotheken Aufschreibesysteme, aber nicht alle Aufschreibesysteme
Bücher. [...] Archäologien der Gegenwart müssen auch Datenspeicherung,
-übertragung und-berechnung in technischen Medien zur Kenntnis nehmen."
(Kittler, Friedrich (1987), Aufschreibesysteme 1800/1900, München, S.429)
cut-up: Schneiden, knüpfen, verknüpfen
Experimentelle Collage-Techniken des Schreibens werden immer wieder
auf das Zeitungs-Layout zurückgeführt: Spaltensatz, Mischungen von Text,
Bild und den unterschiedlichsten Genres, Meldungen, Anzeigen bilden
eine ideale Ausgangslage für die nicht-lineare Leseerfahrung des "Crossreading",
bei denen das Auge des Lesers die Grenzen der gesetzten Grenzen von
Textspalten überspringt und ungeanhte Querverbindungen erzeugt. So wird
in den zahllosen Gebrauchsanweisungen zur Herstellung experimenteller
Literatur von oder Buchseiten verlangt, damit die Worte als Material
aus dem Kontext gerissen und zur Wiederverwertung freigesetzt werden.
Der Schnitt markiert eine gewaltsame symbolische Operation einerseits,
aber auch einen konkreten physischen Akt.
Als Methode des Denkens und Handeln geht eine Cut-Up- 'Lebensweise'
aber weit über ein einfaches Verschieben von Wortketten hinaus und bezeichnet
ganz anschaulich Momente postmodernen (und neuerdings vielleicht auch
postsymbolischen) Subjekt-Shiftings.
Paßte die Technik des 'inneren Monologs' zur modernen bürgerlichen Autorenkonstitution
- mit den entsprechenden Leseanweisungen, nebst projizierter stellvertretenden
Identifikations- und Gegenidentifikationsmomenten der Rezipientinnen,
so ist das Cut-Up Ausruck einer grundlegenden Verschmelzung von Rezeptions-
und Produktionsmomenten unter den Bedingungen postmoderner Medienkonstellationen.
Schon das Medienformat Zeitung produziert von sich aus eine zerstreute
verteilte und vernetzte Rezeptionsweise, die somit jeden Rezipienten
in eine Cut-Up-Professional verwandelt.
Während im modernen Roman die Simultanität verschiedener Weltausschnitte
und Wahrnehmungsebenen noch künstlerisch produziert werden mußte durch
geschliffene schriftstellerische Methoden und die surrealistischen Spiele
wie auch die Psychotechniken der Psychoanalyse Assoziationen freizusetzen
versuchten durch ein Anzapfen unbewußter Bewußtseinsströme, sind die
Sinnesoperationen unter multimedialen Bedingungen von vornherein auf
ein permanentes Changieren zwischen Aufnehmen, Verarbeiten und Kommunizieren
eingestellt. so etwas wie innerer Monolog oder auch das Cut-Up-Gefühl
sind alltäglich geworden. Jeder Mensch ist ein Künstler und lebt wie
James Joyce. Dazu braucht man nicht mehr zu lesen oder Textschnipseleien
vorzunehmen.
So nimmt Burroughs alltägliche Szenen schon als permanentes Cut-Up wahr
- durch die Cut-Up-Methode werden diese Simultaneitäten nur explizit
gemacht.
Bei Zeitunglesen folgen die Augen den Text-Spalten zwar in gewohnter
aristotelischer Manier anscheinend unter der Bedingung, jeweils immer
eine Idee und einen Satz aufzunehmen, aber unter der Oberfläche der
Wahrnehmung laufen parallel mehrere Prozesse gleichzeitig ab, Wortfetzen,
Bildsegmente aus benachbarten Spalten drängen sich auf, Stimmen von
Unterhaltungen in der Nähe sind zu hören, ein Nachrichtenfenster springt
auf, eine Sounddatei spiel im Hintergrund, während ich mir gleichzeitig
den Source-Code anzeigen lasse, email angekommen ist und ich einen Platz
im Zug reserviert habe. Ist das noch Cut-Up - oder schon wieder etwas
anderes?
Die Haltung zur Welt, zur Umgebung, zum Kontext ist keine passive mehr
- wie die des Romanciers , man kann nichts mehr abschreiben, einschreiben
und abspeichern, man bewegt sich einfach in einem System von Querbeziehungen.
Cut-Up als eine Methode Intertexualität zu praktizieren erweitert den
Raum und die Funktionsweise von Worten in die Welt. Der Cutter lebt
darin wie ein Fisch im Wasser, die Beschreibungen von Leben der Avantgarde
als ein Kampf um die Vereinigung von Alltagsleben und Kunst sind sein
alltägliches Brot, banale Erkenntnis. Das Leben im Cut-up, das Leben
als Cut-up.
Und nicht nur die. Im Cut & Paste deutet sich eine Literatur an,
die von allen gemacht wird.
.... Insofern hat die Cut-Up Methode nichts mit einem 'freien' Assoziieren
zu tun, eher mit zwanghaften, unter starken Einflüssen (unter Drogen
oder anderen extremen Wahrnehmungsmanipulationen) ausgeführten Materialschlachten,
wie sie unter vernetzten multimedialen Medienbedingungen auf der Tagesordnung
eines jeden Users stehen.
Die Schnittstellen im cut-up
Hier haben wir wieder die wundersame und wunderbare Benutzung von Worten
als Schnittstelle und finden verstreut im weiteren Werk von Burroughs
auch jede Menge Gebrauchsanweisungen, Anleitungen und Tips für die eigene
Hand-Habungen, Wörter zu berühren, mit ihnen in Kontakt zu treten:
Das einfachste cut-up mit dem Tonbandgerät bekommt man, wenn man aufs
Geratewohl in bereits aufgenommenes Material neue aufnahmen einfügt:
die Wörter an den Schnittstellen werden natürlich gelöscht, man erhält
Überlagerungen, interessante Nebeneinanderstellungen. Im Medium des
Sounds lassen sich einfacher als mit dem gedruckten Wort (etwa durch
mehrspaltiges Layout) Effekte der Gleichzeitigkeit erreichen: Echos,
Beschleunigungen, Mischungen.
Was Burroughs in seinen Experimenten erahnte, ist heute die strategisch
wichtigste Operation im Netzschreiben geworden:
copy & paste als Waffe im Medienkrieg
"Die Schnittpunkte sind sicherlich sehr, sehr wichtig. Beim Zerschneiden
bekommt man einen Schnittpunkt, wo sich das neue Material, das man eben
erhalten hat, auf sehr präzise Weise mit dem bereists vorhandenen überschneidet,
und das ergibt dann einen neuen Ausgangspunkt."
(William S. Burroughs: Der Job. Gespräche mit Daniel Odier, Frankfurt
am Main 1986, S. 16)
Massenhaft angewendet erscheint die cut-up-Methode als eine revolutionäre
Waffe nach Art der Kommunikations-Guerilla. Möglich erscheinen Events,
Festivals, Konzerte, Demonstrationen, Aufmärsche, in denen die Masse
der Teilnehmenden - ausgerüstet mit walkmen als persönliche kleine Wunschmaschinen
- durch abwechselndes Betätigen der RECORD und PLAY-Taste wirklich zu
Produzenten werden:
"[...] wenn tausende von Leuten mit Tonbandgeräten Informationen ausstreuen
wie durch ein Netz von Buschtrommeln: eine Parodie auf die Rede des
Präsidente, die Balkone rauf und runter, durch Fenster rein und raus,
durch Wände, über Hinterhöfe, aufgenommen und weitergetragen von Hundegebell,
brabbelnden Pennern, Musik [...]
(William Burroughs: Die elektronische Revolution, Expanded Media Edition,
S. 27)
Der eigentlich Kick dieser Operationen ist, daß - im Unterschied zu
den meisten künstlerischen Klang-Experimenten à la Cage eine Rückkopplung
in den sozialen Kontext vorgenommen wird, aus dem die Materialien
entnommen worden sind, und daß genau durch diese Feedback-Schleifen
ein Aufschaukeln, Übersteuerungen und Momente des Außer-Kontrolle-Geratens
initiiert werden:
"Demonstraten sind aufgefordert, friedlich zu demonstrieren [...]. Zehn
Tondbandagenten mit Tonbändern unter der Jacke, Aufnahme und Wiedergabe
gesteuert durch Bedienungsknöpfe am Revers. Sie haben Bänder von Aufnahmen
von Kravallen in Chikago, Paris, Mexico-City, Kent State/Ohio. Wenn
sie den geräuschpegel ihrer Aufnahme dem der jeweiligen Umgebung anpassen,
wird man ihnen nicht auf die Spur kommen. Rempelei zwischen Polizisten
und Demonstranten. Die Tonbandagenten ziehen sich am Ort des Geschehens
zusammen, spielen Chikago ab, nehmen auf, gehen weiter zur nächsten
Rempelei, nehmen auf, spielen weiter. Die Sache wird langsam heiß [...]".
(William Burroughs: Die elektronische Revolution, Expanded Media Edition,
S. 28)
Also einfache Umwandlung eines kalten Mediums in ein heißes. Dekonstruktion
und Deregulierung aller Sinne einmal ganz platt und wirksam, Medienkritik
praktisch durch zerschneiden festgeleger Assoziationsverbindungen. Könnte
etwa so geklungen haben:
"Gestern stürmte Präsident Johnson 26 Meilen nördlich von Saigon in
ein Nutten-Apartment und hielt drei Mädchen die Knarre vor." (S. 29)
Das Programm ist ganz klar auch ein politisches, erfrischend anders
als die reinen Materialschlachten der Avantgarde oder des Techno:
"Mit einem Tondbandgerät läßt sich das hypnotische Gemurmel der Massenmedien
schneiden und in veränderter Form auf die Straße bringen." (S. 29)
Cut & Paste
"nimm eine zeitung. nimm eine schere. suche einen artikel aus von der
länge des gedichts, das du machen willst. schneide ihn aus. dann schneide
jedes seiner wörter aus und tue es in einen beutel. schüttele ihn. dann
nimm einen ausschnitt nach dem anderen heraus und schreibe ihn ab. das
gedicht wird sein wie du."[11]
Nach dieser simplen Gebrauchsanweisung kann freilich jedermann leicht
selbst Literatur herstellen. Und doch fordert ein solcher Appell, selbst
ein Gedicht nach dadaistischer Manier zu erzeugen, vom Leser das Unmögliche:
Nämlich aus der passiven, teils quälenden, bisweilen aber auch lustvollen
Lese-Aktivität auf die Seite der Produzenten zu wechseln, auf die 'andere
Seite' des Textes. Aber was so einfach erscheint, stößt doch auf ungeahnte
Hürden auf dem Wege des Textes vom Leser in die literarische Produktion.
Die verlockendende Versprechungen avantgardistischer Literatur auf eine
wie auch immer geartete Mitautorenschaft der LeserInnen werden im falschen
Medium ausgesprochen. Sie sind und bleiben Literatur, können kein 'ausführbares
Programm', keine kulturelle Praxis werden, weil die gesellschaftlichen
und kulturellen Produktions- und Rezeptionsformen derartige Überschreitungen
verhindern.
Das Ausschneiden von Wörtern aus einem beliebigen Zeichenvorrat ist
und bleibt eben nur die Verlängerung eines selektiven Rezeptionsprozesses,
des ,Crossreadings`, das durch das Zeitungslayout mit seiner simultanen
Präsentation verschiedenster unzusammenhängender Materialien geradezu
herausgefordert wird.
"Man muss sich vorstellen, das Lesen geschehe in einem öffentlichen
Blatte, worin sowohl politische, als gelehrte Neuigkeiten, Avertissements
von allerlei Art u. s. w. anzutreffen sind: der Druck jeder Seite sei
in zwei oder mehrere Columnen geteilt und man lese die Seiten quer durch,
aus einer Columne in die andere."[12]
Kombinatorische Übungen, Umleitungen linearer Lesestrategien sind also
letztlich schon industriell vorproduziert: eine Zeitungsseite ist von
vornherein schon collagiert -- die vermeintlich dekonstruierende dadaistische
Geste erscheint als eine Überhöhung der Neukonditionierungen der Leser
durch massenmediale Formate. So zeigt gerade die Aufforderung an den
Leser zur Abschrift der Zufallskomposition genau auf, was dem Leser
fehlt: womit soll er schreiben, worauf soll er schreiben und wer wird
das je lesen?[13]
Gleichsam als ironische Vertröstung und Aufforderung zur Solidarität
des Lesers mit dem unverstandenen dadaistischen Autoren erscheint dann
auch der Schlußsatz der dadaistischen Gebrauchsanweisung: "[...] Ziehen
Sie darauf die Zettel einen nach dem anderen heraus und ordnen sie nach
der Reihenfolge. Kopieren Sie gewissenhaft. Das Gedicht wird ihnen gleichen.
Und Sie stehen als ein Schriftsteller von unübertrefflicher Originalität
und bezaubernder Sensibilität da, wenn auch vom großen Publikum unverstanden."[14]
Unverstanden oder nicht: 1920 jedenfalls las Tristan Tzara einen
Zeitungsartikel als Gedicht vor und die dritte Nummer der Zeitschrift
Dada brachte einen Höhepunkt dieser produktiven Schnipselei:[15] "Typen jeder Art und Größe sind hier durcheinander gewürfelt,
Worte in alle Richtungen über die Seite verteilt, bunte Papiere zwischen
die weißen geschoben. Der Leser muss Blatt um Blatt im Kreise drehen,
um den Sinn oder Unsinn zu entziffern."[16]
Aber immerhin: Der Akt des Lesens wird durch die dadaistische Typographie
zu einer ganz handgreiflichen Tätigkeit und läutet einen ganz entscheidenden
Paradigmenwechsel in der Literaturproduktion, -theorie und -rezeption
ein: Der Akt des Lesens bekommt (wieder) Ereignischarakter. Er wird
zu einem Prozeß des sinnlichen An- und Kurzschließens zwischen Text-
und Leserkörper. In den ausschweifenden Bewegungen einer solchen ,Lust
am Text` liegen Befreiungspotentiale für eine Wiederauferstehung aller
toten Dichter in jedem möglichen Leser begründet:
,,,Heute wissen wir, dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern
besteht, die einen einzigen, irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher
die ,Botschaft` des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen
Raum, in dem sich verschiedenen Schreibweisen [écritures], von denen
keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen. Der Text ist
ein Gewebe von Zitaten aus unterschiedlichen Stätten der Kultur. [...]
Ein Text ist aus vielfältigen Schriften zusammengesetzt, die verschiedenen
Kulturen entstammen und miteinander in Dialog treten, sich parodieren,
einander in Frage stellen. Es gibt aber einen Ort, an dem diese Vielfalt
zusammentrifft und dieser Ort ist nicht der Autor [...], sondern der
Leser. Der Leser ist der Raum, in dem sich alle Zitate, aus denen sich
die Schrift zusammensetzt, einschreiben, ohne dass ein einziges verloren
ginge. Die Einheit eines Textes liegt nicht in seinem Ursprung, sondern
in seinem Zielpunkt. [...] Die traditionelle Kritik hat sich niemals
um den Leser gekümmert; sie kennt in der Literatur keinen anderen Menschen
als denjenigen, der schreibt. [...] Wir wissen, dass der Mythos umgekehrt
werden muss, um der Schrift eine Zukunft zu geben. Die Geburt des Lesers
ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors."[17]
Electronic Café (anlässlich der Olympischen
Spiele Los Angeles 1984)
Der Prototyp aller Internetcafés ist in der Geschichtsschreibung etwas
untergegangen. Wie fast immer ist die Dokumentation äußerst mangelhaft,.[18] und wir können uns die Szenerie nur mit etwas Phantasie ausmalen:
Electronic Café (anlässlich der Olympischen Spiele Los Angeles
1984) ist ein multimediales an eine öffentliche Bilddatenbank[19] angeschlossenes Computer- und Video-Netz, das fünf von verschiedenen
Volksgruppen bewohnte Bezirke von Los Angeles sieben Wochen lang während
der Olympischen Spiele 1984 in sogenannter Echtzeit miteinander verband:
In diesen multikulturellen Kommunikationszentren, die mit interaktiven
Systemen zur Bild-, Text- und Ton-Bearbeitung ausgestattet sind, werden
den Benutzern Zugänge zu unbekannten sozialen Welten ermöglicht. Durch
das Aufnehmen, Speichern, Übertragen und Vernetzen von Bildern und Daten,
die aus der Alltagskultur, den Bräuchen und Mythen der verschiedenen
Volksgruppen gewonnen sind, entsteht ein allgemein zugängliches Archiv
sozialer Gesten. Die Produktion, Reflexion, Bearbeitung der eigenen
kulturellen Bilder und Visionen erzeugt einen ,virtuellen elektronischen
Kommunikationsraum` -- eine ,Community Memory` --, der einen Austausch
mit fremden, direkt schwerlich kommunizierbaren sozialen Welten ermöglicht.
Eine solche aktive Art des ,Umweltdesigns` lässt für Gene Youngblood
letztlich auch die eigenen kulturellen Systeme als virtuell (künstlich
produziert) und somit veränderbar erscheinen: "Gestützt auf Simulationsinstrumente
(persönliche Metamedien), stellen wir Modelle alternativer Wirklichkeiten
her (Kunst); gestützt auf konversationelle Netzwerke (die öffentlichen
Metamedien also), können wir aber auch die kulturellen Kontexte kontrollieren,
die die Publikation und den Empfang dieser Modelle determinieren (Politik).
Die Kontrolle des Kontextes beinhaltet die Kontrolle der Bedeutung,
die Kontrolle der Bedeutung ist identisch mit der Kontrolle der Wirklichkeit."[20]
Das Europäische Tagebuch (Wam Kat: Zagreb Diary,
1992)
Das Europäische Tagebuch hat sich unmittelbar aus Kollaborations-
und Kommunikationsweisen innerhalb der Nachrichtenströme von Mailbox-Netzwerken
entwickelt:
Ausgehend vom Zagreb Diary, in dem der holländische Friedensaktivist
Wam Kat seit Frühjahr 1992 seine persönlichen Eindrücke vom Kriegsgeschehen
im ehemaligen Jugoslawien -- "gewissermaßen wie offene Briefe an meine
Freunde oder an Menschen, die ich für Freunde halte" -- als öffentliches
Tagebuch innerhalb einer relativ geschlossenen Netzstruktur (des Zerberus-Mailbox-Netzes)
zirkulieren ließ, wurden auf Initiative von Peter Glaser Anfang 1993
persönliche Eintragungen, subjektive Geschichten und Erlebnisse quer
durch Europa in Mailbox-Netzen zusammengetragen: "Zur Idee des Europäischen
Tagebuchs:
Durch Verbreitung über elektronische Medien zur ,Nachricht` geadelt,
erzeugen heute Agenturmeldungen den Anschein, die ,wirkliche Wirklichkeit`
wiederzugeben. Den jeweils speziellen Arten von Sprachgebrauch, die
sich ,Politik`, ,Wirtschaft` oder ,Wissenschaft` nennen, soll durch
das ,Europäische Tagebuch` eine Vielfalt individueller Realitäten zur
Seite gestellt werden, und zwar selbstbewußt. [...] Um Tagebuch zu schreiben,
muß man kein Künstler sein. Zu den Vorteilen des Tagebuchs gehört, daß
Inhalt und Stil freigestellt bleiben. Es geht um die Wahrnehmung der
Welt aus erster Hand."[21]
Als eines der wenigen Netz-Werk-Schreibprojekte hat das Europäische
Tagebuch wirklich eine zeitlang in radikaler Autonomie funktioniert
-- ohne Leitung und ohne Kunstanspruch. Das Zusammenstoßen äußerst unterschiedlicher
Alltagsausschnitte aus den verschiedensten Schauplätzen ereignet sich
gerade in der Vermischung unterschiedlichster Privatzonen. Das Private
wird öffentlich -- die Öffentlichkeit konstituiert sich nicht mehr über
die Massenmedien, sondern durch Konversationspraktiken, die an mündliche
Erzählformen und Praktiken, wie sie die oral history untersucht hat,
anknüpfen.
Die Imaginäre Bibliothek (1991)
Inspiriert von den Bibliotheksphantasien von Borges, Eco und Foucault[22] wurde die "Imaginäre Biblihothek" zum Tummelplatz elektronischer
Texte, die - herausgerissen aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen
jetzt 'befreit' von ihren eigenen Autoren zirkulieren können: Lieblingsstellen
und Szenen der 'Weltliteratur' werden dem umherschweifenden Leser als
Textadventure, Rollenspiel, Filmskript, Gebrauchswanweisung - kurz als
Material für Sprachspiele und Spielzüge präsentiert ...
... mit den Ziel, daß Leser und Leserin - völlig übermüdet und verirrt
im Labyrinth literarischer Verweise zwischen den Zeilen anfangen, selbst
etwas zu kombinieren, weiterzuschreiben, zusammenzusetzen.
"Das Buch ist das radikalste Interface für den Entwurf virtueller Welten
..."
Plötzlich flackert der Bildschirm ...
... es wurde gesprochen, getanzt, gesungen, geliebt, verdoppelt, erzählt,
geknotet, gebetet, wiederholt, rezitiert, vergessen, eingeritzt, eingebrannt,
gemalt, gemeißelt, geschrieben, in Tabellen gelistet, in magischen Formeln
versteckt, gedruckt, gebunden, verlegt, als Fußnote an den Rand gedrängt,
indiziert, gereimt, gezählt, formalisiert, codiert, compiliert, gespeichert,
gescannt, als Muster wiedererkannt, übertragen, gefaxt, verschlüsselt,
komprimiert, optimiert, transformiert, konvertiert, genormt, gelöscht,
gelinkt, überschrieben, als Absprungsort markiert, zum Objekt erklärt,
als Programm aktiviert, das Worte schafft...
Das Universum, das andere die Bibliothek nennen, setzt sich aus einer
undefinierten, womöglich unendlichen Zahl ineinander verschachtelter
Bildschirme zusammen..[23]
... und auf welche Art und Weise arbeitet das "Schreibzeug" mit an den
online-Gedanken?
Wir wiederholen!
Eine Methode besteht darin, das "lost in hyperspace"-syndrom des Gesamt-Webs
weiterzuschreiben, ästhetisch zu überhöhen und nicht-intentionale zufällige
Strukturen zum Prinzip zu erklären:
"Die Imaginäre Bibliothek ist ein Werkzeug des Verirrens",
sie soll die Leser von Ihrem Wege abbringen, zu Irrungen, Wirrungen,
Umwegen, Sub-Versionen verführen. Extreme Linkhäufigkeit (ca. 10-30
Links pro Bildschirm-Seite) soll sprunghaftes Lesen erzeugen und dem
Leser bei der Entwicklung eigener Such- und Verknüpfungsstrategien und
Pfade helfen. (In der offline-Installation haben wir Engführungen zu
den "offenen Büchern" zu erzeugen versucht. Obwohl die Animation zum
Mitschreiben kein Selbstzweck ist ...)
Das Feedback zur und in der Imaginären Bibbliothek (nur offline möglich
in den verschiedensten Installationen - etwa auf der Ars Electronica
1989 oder dem EMAF 1990) besteht hauptsächlich aus kleinen Assoziationen,
Ergänzungen, spontanen Einfällen zu dem von uns inszenierten Imaginationsraum
Bibliothek. Auch Schreibspiele (Endlosreime und rekursive Sätze) werden
ausprobiert und kombinatorische Text-Generierungen (eine Sonettmaschine
nach Queneau oder mesostische Wortgenerierungen a la Cage) durchgeführt.
Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 5 bis 15 Minuten werden
allerdings die von uns auch intendierten komplexeren Mitschreibemöglichkeiten
(Romananfänge weiterschreiben oder das Herstellen von Text-Cut-ups auf
der Basis eines Grundbestands von Science-Fiction Zitaten) wenig benutzt.[24]
First Collaborative Sentence, 1995
Der Pionier interaktiven Fernsehens und früher telematischer Projekte
Douglas Davis wollte schon in seinen TV- und Videoexperimenten aus den
starren Sender-Empfänger-Paradigmen massenmedialer Medienschaltungen
ausbrechen. Unvergessen ist eine Kameraeinstellung bei einer open-TV-Übertragung,
in der er immer wieder gegen das Objektiv der aufnehmenden Kamera trommelt
und den Zuschauern zuwinkt und sie auffordert, näher zu kommen.
Dieses Durchbrechen der Zuschauenden zur ,anderen Seite` konnte freilich
in den Konzept-Art und Video-Kunst-Projekten nur simuliert werden --
und so ist es nur konsequent, wenn gerade Douglas Davis den vielleicht
wirklich ,ersten` hypertextuellen Virus im Netz 1995 aussetzt, den ersten
wirklichen ,Welttext`[25]:
Der First Collaborative Sentence ist ein einziger Satz, der immer
weiter geschrieben werden kann -- und auch wird: ohne Thema, unstrukturiert,
ohne Absender, ohne Empfänger, anonym, vollkommen offen. Ihn in seiner
jetzigen Version vorzulesen würde wahrscheinlich ein ganzer Tag nicht
ausreichen:
"THE WORLD`S FIRST CLICK here if want to see a close-up of yourself
with your nose on the screen before plunging on ahead: CLICKCLICKCLICK
CLICKCLOSER CLOSERCLOSERCLICKCLICKCLICKCLICK [...]".[26]
Interaktion
Der schillernde Begriff der Interaktion ist kulturgeschichtlich im
Spannungsfeld technologischer Mensch-Maschine Interface-Entwicklungen
und sozialer Kulturpraktiken, die auch zwischenmenschliche Handlungs-
und Verhaltendmuster einschließen, entstanden. Interaktion ist nicht
zu reduzieren auf die vordergründige Useraktivität des Mausklickens,
den technologischen Akt des Auslösens unterschiedlichster Programmparameter
innerhalb eines kybernetischen Regelkreislaufes. Als Vorläufer ,kultureller
Interaktionsweisen`, die sich in den 60er Jahren herausbilden, während
gleichzeitg technologisch auch die Direktmanipulationen von Daten durch
Benutzereingaben auf Computer-Oberflächen entwickelt werden, können
gelten: partizipative künstlerische Environments, Closed-Circuit Video-Installationen,
kinetische Objekte als auch Fluxus-Aktionen, Performances und Happenings
sowie Straßentheater-Experimente.
Die Einbeziehung der Rezipienten reicht dabei von schlichten reaktiven
Feedback-Schleifen bis hin zur unmittelbaren Einflußnahme und Beteiligung
in die künstlerischen Prozesse.
Interaktion ereignet sich über das Interface, der entscheidende Kontaktflächen
zwischen internen Zeichencodes (von Kunstwerken, Texten, Benutzeroberflächen)
und den daran anschließenden externen Reaktionsweisen. Interaktionsprozesse
ermöglichen ein weites Feld partizipativer und dialogischer mimetischer
Strategien zwischen Künstler und Rezipient bzw. zwischen Programm und
Anwender.
Interaktionen mit Texten/ Eingriffe der Rezipienten
Um dem (von avantgardistischen Textverarbeitungen) unleserlich gemachten
Text zu Leibe zu rücken und die toten Druck-Buchstaben[27] wieder zum Leben zu erwecken und zu verflüssigen, wird der
lineare Textverlauf, der ,Fluß des Erzählens` in eine offene Möglichkeitsstruktur
umgeleitet: Dieser sprachliche Materialfluß (delinearisiert durch Parallelmontage,
Assoziationssprünge, Verweismomente) durchquert und zerstört letztlich
die feststehende Einheit der gedruckten Buchseite und kreiert ein neues
Drama des Lesens, indem der Leser zu direkten Eingriffen aufgefordert
wird.
Schon oft wurde der (fiktive) Leser angesprochen, er solle es sich bequem
machen, sich hinlegen, die Welt vergessen, den Autor begleiten, solle
das Buch mit einer Pistole in der Hand lesen oder gar mit einer Hand
in der Hose -- aber jetzt muss er sich mit Schreib-Utensilien ausrüsten,
wie Franz Mon nahelegt: "der text erscheint in zwei fassungen, die durch
die drucktype unterschieden sind. es ist also jeweils die linke beziehungsweise
die rechte spalte im zusammenhang zu lesen. niemand ist es jedoch verwehrt,
von der linken in die rechte oder von der rechten in die linke hinüberzulesen.
es wird empfohlen, mit bleistift, kugelschreiber und filzstift zu lesen.
mit dem bleistift streicht man die stellen an, die zusammengehören,
auch wenn sie weit auseinander oder in verschiedenen spalten stehen.
mit dem kugelschreiber korrigiert man, was korrekturbedürftig erscheint,
ergänzt, was einem zur ergänzung einfällt, nicht nur die anführungszeichen
an stellen, wo man jemanden sprechen hört, sondern auch wörter, satzteile,
redensarten, sprichwörter, zitate (auch selbstgemachte, vom himmel gefallene,
denkbare, sagbare).
der filzstift macht unleserlich, was überflüssig erscheint. bedenken
sie dabei, dass seine schwarzen würmer zum text gehören werden."[28]
Solche Wiederaneignungen des Textkörpers durch Schreib- und Korrekturübungen
für Leser direkt am Drucktext rufen geradezu die kunstvoll abgestuften
Differenzierungen verschiedenster Schreib-Operationen im Kontext mittelalterlicher
Manuskriptkultur ins Gedächtnis, die ein breites Spektrum diskursiver
Rollenverteilungen aufführen, von denen wir heute nur noch träumen können:
"Es gibt vier Arten, ein Buch zu machen. Man kann Fremdes schreiben,
ohne etwas hinzuzufügen oder zu verändern, dann ist man ein Schreiber
(scriptor). Man kann Fremdes schreiben und etwas hinzufügen, das nicht
von einem selbst kommt, dann ist man ein Kompilator (compilator). Man
kann auch schreiben, was von anderen und von einem selbst kommt, aber
doch hauptsächlich das eines anderen, dem man das Eigene zur Erklärung
beifügt, und dann ist man ein Kommentator (commentator), aber nicht
ein Autor. Man kann auch Eigenes und Fremdes schreiben, aber das Eigene
als Hauptsache und das Fremde zur Bekräftigung beifügen, und dann muss
man als Autor (auctor) bezeichnet werden."[29]
Interaktion mit Zettelkästen: Schreiben in nic-las
Das Wissenschaftsverständnis hat sich angesichts der postmodernen
Informationstechnologien von einem passiven deskriptiven Paradigma
(Relation zur Natur, Repräsentation von Fakten, Entdeckungen von ,Geheimnissen`
durch geniale Einzelwissenschaftler) zu einem konstruktivistischen
Ansatz hin entwickelt: Hier stehen die Prozesse und Operationen im
Vordergrund, durch die Erkenntnisse überhaupt erst erzeugt werden.
Diese Prozesse der Wissenserzeugung sind von vornherein als ein kollaboratives
Netzwerk angelegt; komplexe Forschungen können nur noch im teamwork[31] vollzogen werden.
Von dieser Entwicklung haben sich die Kulturwissenschaften weitgehend
abgekoppelt, weshalb sie auch Schwierigkeiten haben, Anschlüsse herzustellen
zu den aktuellen Netzwerk-Diskursen und Praktiken.[32]
Sie verkünden zwar schon seit mehreren Jahrzehnten theoretisch den
"Tod des Autors", Literaten deklamieren, daß die Poesie von allen
gemacht werden solle, Künstler beschwören, daß Jedermann ein Künstler
sei und die Textwissenschaften haben nachgewiesen, daß Homer ein bloße
Fiktion ist und jeder Text ein kulturelles Geflecht aus anderen Texten
....
...aber bis auf wenige Experimente, spektakuläre Aktionen und immer
wieder vorkommende Coautorschaften haben all diese Lamentos zu wenig
diskurspraktischen Konsequenzen geführt.
Von Repräsentationssystemen zur autopoetischen
Informationslanschaft
Im Forschungsprojekt "Netz/Werk/Kultur/Techniken: kulturwissenschaftliche
Wissensproduktion in Netzwerken"[33] suchte ich zusammen mit Studierenden der Kulturwissenschaften
an der Universität Hildesheim nach Möglichkeiten, Hypermedia und Netzwerke
nicht nur zu rezipieren (=lesen), sondern kulturkritische hypermediale
Diskurse selbst zu initiieren, zu entwerfen, zu gestalten (=schreiben)
und in die kommunikativen Strukturen der Netzwerke zurückzukoppeln --
d.h. Eingriffe in die Felder hypermedialer Diskurstechniken vorzunehmen.
Der oszillierende hybride Status von Netz-Texten im Spannungsfeld von
Lese- und Schreiboperationen wurde zum zentralen Kulminationspunkt unserer
Projektarbeit: Charakteristisch für online-Texte ist das kollaborative
Entwerfen und Strukturieren von Ideen, die Beschleunigung von Austausch-
und Verteilungsprozessen, die Öffnung von Textstrukturen: die Erstellung
und Überarbeitung von Texten sowie ihre Einbindung in andere Kontexte
vollziehen sich nicht mehr im Kopf einzelner Autoren, sondern digitale
Textnetzwerke konfigurieren sich von vornherein im öffentlichen Raum.
Jeder Teilnehmer an digitalen Diskursen ist potentiell gleichermaßen
Sender und Empfänger, Schreiber und Leser, Produzent und Rezipient.
Mach eine Unterscheidung!
In einer Verschränkung von inhaltlicher Recherche und Aufbereitung
aller im Forschungsprojekt angefallenen Materialien und Dokumente arbeiten
wir gemeinsam mit Kooperationspartnern an der Optimierung und Adaption
einer offenen Informationslandschaft nic-las:[34]:)
Basierend auf der Systemtheorie von Niklas Luhmann liegen die Basisoperationen
in vielfältigen nicht-linearen Verknüpfungsmöglichkeiten von Textstellen
und Zitaten (automatische Verknüpfungen nach keywords ebenso wie ein
differenziertes Meta-Auszeichnungssystem etwa für Personen- und Sachregister
oder Zuordnungen und Zugriffsrechte für verschiedene AutorInnen) und
in dynamischen diskursiven und kommunikativen Operationen (wie intuitive
und assoziative Annotation und Kommentierung). Gerade diese Verbindung
von hierarchischen und rhizomatisch-chaotischen Strukturen ermöglicht
eine intertextuelle Praxis des Schreibens mit Synergieeffekten zwischen
Lesen und Schreiben wie sie in den emphatischen Debatten um den Text-Begriff
in den 60er Jahren und dem Poststrukturalismus theoretisch entwickelt
wurde. Die große Flexibilität im Interface-Design liegt vor allem darin
begründet, dass für die online-Schreib-, Kommunikations- und Archivprozesse
keine neuen Metaphern oder Datenstrukturen vorgegeben werden, sondern
dass jede Aktivität des Benutzers in der einfachsten möglichen Aktion
besteht: im Anlegen einer ,Unterscheidung`.[35] Verschiedene AutorInnen schreiben nicht nur zeitversetzt am
selben Dokument, tauschen nicht nur ihre Zettelkästen, Zitatdatenbanken
oder Referezen aus oder annotieren, kommentieren und ergänzen feststehende
Texteinheiten, sondern entwerfen verschiedene Perspektiven, konstruieren
Ein-, Aus- und Übergänge zwischen den Texten und re- und dekontextualisieren
ihre Eingaben dabei permanent: Der Text wird zu einer Oberfläche,
zu einer Schnittstelle für die Begegnung von Leser und Schreiber,
Anbieter und Nutzer, Sender und Empfänger.
Ob solche Versuche wirklich längerfristig und nachhaltig neue Diskursformen
herausbilden helfen, vielleicht sogar die von Hypertext-Theoretikern
immer wieder geforderte (und von den Programmentwicklern bisher nie
eingelöste) Hybridisierung zwischen Form und Inhalt, zwischen Text und
Kontext, zwischen Produktion und Rezeption, zwischen Autorfiktionen
und Leserimaginationen zu bearbeiten und managen helfen - wird die Zukunft
gezeit haben werden.
Intertextualität
Intertextualität war in den politisierten Literaturdebatten der siebziger
Jahre der entscheidende 'Kampf'-Begriff zur Aufhebung bürgerlicher Autoren-Funktionen
zugunsten literarischer Netzwerk-Modelle. Diese Impulse führten - neben
einer explosionsartigen Ausbreitung intertextueller Schreibweisen -
auch zum Paradigmenwechsel in der Literaturtheorie. (Ein ausuferndes
'Lexikon' intertextueller poetischer Praktiken liefert Genette, Gérard:
Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe; Frankfurt am Main,1993).
Die Intertexualität in der Druckkultur ist eine virtuelle, in literarischen
Texten explizit hergestellte, produzierte. Die Intertextualität im Netz
ist konkret, flach, pragmatisch, real(istisch), d.h. die einzelnen Dokumente/Fragmente
'treffen' sich tatsächlich - ein link führt
tatsächlich zu einer (oder mehreren) Referenzstelle(n) im selben Text
oder in anderen Texten.
Jeder Text ist ein Intertext
Es gibt keine offline-Links (auch die Literatur war in ihren produktiven
Momenten immer ,online`!)
Jeder Text schreibt sich ein in ein intertextuelles Ensemble künstlerischer
/ kultureller / formaler / kanonischer / biographischer Konstellationen.
Jedes Wort produziert Bedeutungen erst im Kontext der umgebenden sprachlichen
Einheiten - alles Geschriebene ist 'Zitat': Entwendung gelesener Schriften.
Neu ist allein die konkrete Zusammenschaltung sämtlicher Lese- und Schreibvorgänge
im Netz - auf einer einzigen Oberfläche (http://rolux.org/starship/).
Die Intertextualität (Intertextualität war in den politisierten Literaturdebatten
der siebziger Jahre der entscheidende ,Kampf`-Begriff zur Aufhebung
bürgerlicher Autoren-Funktionen zugunsten literarischer Netzwerk-Modelle.
Diese Impulse führten - neben einer explosionsartigen Ausbreitung intertextueller
Schreibweisen - auch zum Paradigmenwechsel in der Literaturtheorie.
Ein ausuferndes ,Lexikon` intertextueller poetischer Praktiken liefert
Gérard Genette (1993).) der Druckkultur ist eine virtuelle, in literarischen
Texten explizit hergestellte, produzierte. Die Intertextualität im Netz
ist konkret, flach, pragmatisch, real(istisch).
D.h. die Dokumente/Fragmente ,treffen` sich tatsächlich - ein link
führt tatsächlich zu einer (oder mehreren) Referenzstelle(n) im
selben Text oder in anderen Texten.
Die Poetik eines link liegt keineswegs in der bloßen Anspielung,
in einer metaphorischen oder impliziten Bezugnahme, sondern vollzieht
sich in einem wirklichen Sprung, einer tatsächlichen Koppelung: eine
Poetik des Transports. (Was nichts über die ,Qualität` oder Literarizität
aussagt - ausgedruckt sind Netzwerktexte zumeist langweilig und ,nicht
lesbar`.)
Versammelten, speicherten und bewahrten die Texte der Druckkultur noch
Informationen und poetische Energie in einem geschlossenen Korpus, so
sind die Dokumente der Netzwerk-Kultur eher exzentrisch, verweisen auf
andere Texte, Archive, Medien, Server ...
Links-Fußnoten
Die oft vorgenommene Analogisierung zwischen der klassichen Fußnote
und dem link in elektronischen Texten ist nur bedingt tauglich.
Der narrativen Funktion von links kommt man auf die Spur, wenn
man extreme Gebrauchsweisen von Fußnoten in literarischen oder theoretischen
Texten verfolgt: Fußnoten weisen über die (auch physische) Abgeschlossenheit
nicht digitaler Texte hinaus. Sie ermöglichen ein Schreiben über den
Rand des jeweiligen Diskurses. Als Absprungstellen für den Leser fordern
sie Interpretation, Kritik, eigene Suchbewegungen heraus und bewirken
einen Perspektivewechsel, der das diskursive und auktoriale Zentrum
des Textes aufsprengt und für Anschlußmöglichkeiten an andere Texte
und Diskurse sorgt.
Die Poetik eines link liegt keineswegs in der bloßen Anspielung,
in einer metaphorischen oder impliziten Bezugnahme, sondern vollzieht
sich in einem wirklichen Sprung, einer tatsächlichen Koppelung - eine
Poetik des Transports. (Was nichts über die 'Qualität' oder Literarizität
aussagt - ausgedruckt sind Netzwerktexte zumeist langweilig und 'nicht
lesbar'.)
Versammelten, speicherten und bewahrten die Texte der Druckkultur noch
Informationen und poetische Energie in einem geschlossenem Korpus, so
sind die Dokumente des Netzwerk-Kultur eher exzentrisch, verweisen auf
andere Texte, Archive, Medien, Server ...
link (medial)
Der Link auf dem Wort eines Textfeldes z.B. vereint in sich die Funktionen
von Überblendung und Montage, von Metapher und Metonymie und kann somit
als ein poetisches Instrument von hoher Wertigkeit eingesetzt werden,
indem es Operationen gestattet, die sich einerseits an der Poetik sprachlicher
Konstruktionen orientieren, als auch darüber hinaus solche, die auf
Kompositionstechniken der Zeitmedien Film, Musik und Drama verweisen.
HyperMediale Dokumente ermöglichen damit Modelle der Einbildung, die
poetische Verknüpfungen sowohl aus den Schrift- als auch aus den Bildmedien
auf die medialen Oberflächen übertragen:
"Technische Bilder sind eingebildete Flächen. Sie sind überhaupt erst
Bilder, wenn man sie oberflächlich anschaut. Wenn ich technische Bilder
einbilde, bilde ich aus dem Inneren des Apparates her. Alle technischen
Bilder sind Einbildungen, nicht reproduktive, sondern produktive Bilder.
Alle Zeiger, Zeichen, Verkehrssignale (HyperTexte) zeigen und deuten
von nun an exzentrisch von uns selbst weg. Wir sind es von nun an, die
auf die Welt Bedeutungen projezieren. Und die technischen Bilder sind
derartige Projektionen." (Villem Flusser)
Netz-Kritik
"Netzkritik ist ambivalent (descriptiv, immanent, unordentlich, symptomatisch,
parodistisch), sie steht mit einem Bein im staubigen Gutenberg-Archiv
der schmutzigen Materialität, mit dem anderen aber im körperlosen Digitalia.
Sie bringt das Unbehagen in der Information an die Oberfläche und versucht
das Unvereinbare produktiv zu machen, wie zum Beispiel die Schreib-
und Übertragungsgeschwindigkeit mit der der Reflexion.
Es geht nach (dem frühen) Virilio darum, wieder einen Moment der Enscheidung
herbeizuführen. Ziel dabei sind illegitime Anschlüsse, hybride Konstruktionen,
eine "Ästhetik der Verlangsamung" und eine ganz eigene Mischung aus
lokalen und globalen Elementen.
Es gibt kein wie auch immer genanntes Apriori mehr, auch keine Überlegenheit
von Hardware über Software (trotz Kittler). Jede Verschaltung kann durch
andere ersetzt werden, jeder Strom und jedes Kraftfeld ist als umpolbar
zu denken. [...] Trotzdem braucht es eine neue materialistische Netzanalyse,
die sich um Copyright und Kabelrechte sorgt."
(Pit Schulz und Geert Lovink: Grundrisse einer Netzkritik:
Archiv nettime-mailinglist
http://www.desk.nl/~nettime/)
Odysseen im Netzraum, 2000
Das Interface ist oft entscheidend für kollaborative Schreibprojekte
im Netz. Nach der "Imaginären Bibliothek" suchten wird nach extremeren
Benutzermetaphern, die niocht nur das Internet als eine mögliche offene
Bibliothek inszenieren, sondern auch Brüche und Kritikmöglichkeiten
eröffnen.
In diesem Zusammenhang sind die Erfahrungen mit dem HYPERKNAST
(http://www.hyperdis.de/hyperknast/) interessant:
Als Replik auf die ersten Zensurmaßnahmen in Internet wurde eine krasse
ironische Benutzermetapher gewählt, die als Weiterführung des amerikanischen
Vorbild des "Hypertext-Hotels" oder eben der doch sehr literarischen
Bibliotheksmetapher eher mit netzpolitischen und netzkulturellen Strömungen
interagieren konnte und zudem Bezug nimmt auf das Foucaultsche Überwachungsmodell
des PANOPTIKONS: des Architekturmodells für Gefängnisse, Fabriken, Gesamtschulen
...
Auch thematisch ereignet sich hier einiges: Selbstbeschreibungen der
monadenhaften Situation vor dem Internet-Monitor, gepaart mit der Sehnsucht
nach weltkulturellen universellen Kommunikations- und Vernetzungsutopien,
Szenen aus Science-Fiction Erzählungen ... aber auch Materialien und
Beschreibungen konkreter Knast-Situationen, Texte zur Isolationshaft
...
Odysseen im Netzraum
Unmittelbar daran anschießend, auf derselben Software aufgesetzt, läuft
seit Sommer 2000 der kollaborative Science-Fiction "Odysseen im Netzraum":
Hier haben wir - neben umfangreichen Vorrecherchen und einer dezidierten
Auswahl von Textmaterialien für mögliche Cut & Paste-Operationen
- das Hauptaugenmerk auf das Herstellen von Schnittstellen gelegt:
- Schnittstellen zu anderen Schreib-Oberflächen und online-Text-Generatoren
(etwa dem Assoziationsblaster, Florian Cramers Text-Maschinen, Cut-Up-Generatoren
oder auch Übersetzungsmaschinen)
- Schnittstellen zu thematischen Materialien (eingescannte Text-Materialien,
Suchmaschinen)
- Schnittstellen zu sozialen Kontexten, in denen ds Projekt vorgestellt
wurde, teilweise auch workshops und Schreibwerkstätten durchgeführt
wurden (log.in, Buchmaschinen, interfiction)
- Schnittstellen zu online communities durch das Versenden von newslettern
mit den neusten Forsetzungen und der veröfentlichung von offenen Stellen
zum Weiterschreiben (Sience-Fiktion Mailing-listen, rohpost und Mailing-List
Netzliteratur, sowie an die Mitschreibenden insofern sie ihre email
angegeben haben).
(vgl. http://www.hyperdis.de/txt/schnittstellen.html)
Auf der Schnittstellen-Seite (http://www.hyperdis.de/hyperfiction/gvoon/)
sind all diese Links und die Verweise auf die entsprechenden Arbeitsseiten
versammet, wobei im linken Fenster jeweils die CUT-Materialien erscheinen
- während auf der rechten Seite die PASTE-Möglichkeiten erscheinen,
eben die offenen Stelle in der Vernetzten Struktur, an denen weitergeschrieben
werden kann. Eine HILFE-Seite mit der Erklärung der Einzelnen Funktionen
des GVOON-HYPERTEXT-TREES findet sich unter: http://www.hyperdis.de/hyperfiction/gvoon/howto.html
(Anzeige der Gesamtstruktur, der neusten Fortführungen, einer Index-Seite
sortiert nach AutorInnen und der Möglichkeit eines DOWNLOADS des gesamten
Bestandes als komprimiertes HTML-Geflecht.)
Das recht schlichte GVOON-Interface wurde somit durch den Einsatz einfacher
Frame-Strukturen um die oben genannten Schnittstellen erweitert und
somit den jeweiligen Anforderungen angepaßt. Trotz der Wichtigkeit von
online-Aktivitäten und den Verbreitungsmöglichkeiten des Netzes hat
sich gezeit, daß die lokalen Aktivitäten gerade für die Herausbildung
etwas tiefer gehender narrativer Strukturen eine sehr wichtige Rolle
spielen. Auch aktuelle Ereignisse und Diskussionen fließen immer wieder
in die ODYSSEEN ein (etwa die EXPO-Kritik/Parodie oder auch Feulleton-Kriege
- mit Sloterdijk & Co.).
offene Kunstwerke/Texte
beschreiben verschiedene 'Kunstwerke in Bewegung', die über das Ansprechen
von Möglichkeitsfeldern einen aktiven Interpretations- und Rezeptionsprozeß
herausfordern (Partituren serieller Musik, informelle Malerei, Visuelle
Poesie, Live-Fernsehsendungen, Querschnittstechniken bei Joyce): "Jedes
Ereignis, jedes Wort steht in einer möglichen Beziehung zu allen anderen,
und es hängt von der semantischen Entscheidung bei einem Wort ab, wie
alle übrigen zu verstehen sind." (Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk,
Frankfurt/Main 1990, Originaltitel: Opera aperta, Milano 1962, S.
39)
Die Kunstwerke werden als Mechanismen aufgefaßt, derer man sich bedienen
kann.
Publishing on demand
Der klassische Markt für wissenschaftliche Publikationen bricht zusammen
und die Zirkulation von aktuellen wissenschaftlichen Materialien (seien
es Tagungsbände oder Zeitschriftenaufsätze) verlagert sich mehr und
mehr in das Docuversum elektronisch vernetzter Texte Mit großem Engagement
von Autoren, die sich als `operationelle' Teilnehmer einer Diskursgemeinschaft
begreifen, werden Archive aufgebaut, kostenlose online-Zeitschriften
angeboten, ganze Curricula nebst den dazugehörigen Materialien
im Netz frei verfügbar gemacht, Diskussionsforen installiert, Verweis-
und Annotationsroutinen und viele andere nützliche Tools programmiert
und der Community zur Verfügung gestellt.
Wie die Buchproduktion und Distribution unter den Einflüssen der Netzwerkkultur
revolutioniert und für Nischenproduktionen und Kleinstauflagen sozusagen
fast auf den einzelnen Leser hin zugeschnitten werden kann, zeigen die
Beispiele von `publishing on demand': durch neue Kooperationsformen
zwischen Autoren, Verlegern und Buchhändlern kann jenseits des Mainstreams
von Massenproduktionen ein digitales Buch in wenigen Minuten in ein
tragbares Taschenbuch konvertiert werden.
Rhizom
Als Metapher der postliterarischen Kultur wird das Rhizom in der Netzkultur
der neunziger Jahre verwendet, um Verknüpfungen von nichthierarchischen
Netzwerken zu beschreiben. Das wesentliche Merkmal eines Rhizoms ist,
daß an jeder beliebigen Stelle einer Sturktur neue Verzweigungen entstehen
können. Abgeleitet aus einem biologischen Fachbegriff (unterirdische
Wurzelknollen) anvanzierte der Begriff in der Theoriedebatte der 80er
Jahre zum emphatischen Gegenmodell zu hierarchischen Machtstrukturen
überhaupt und verbreitete sich, ausgehend von Deleuze/Guattaris "Anti-Ödipus",
in den unterschiedlichsten Diskursen. Es ist insofern ein dynamischer,
fließender, auch unscharfer Begriff. Ein Rizom kann genauso eine soziale
Formation sein (Massen, Meuten, herumstreunende Jugendbanden, Guerilleros),
wie es auch semiologische, kulturelle, technologische Netzwerke beschreiben
kann.
Die topologische Metapher vom Rhizom eignet sich ideal als
Denkmodell für hypermediale Diskursverknüpfungen. Die Charakteristika
einer rhizomatischen Struktur sind die folgenden:
"a) Jeder Punkt des Rhizoms kann und muß mit jedem anderen Punkt verbunden
werden.
b) Es gibt keine Punkte oder Positionen in einem Rhizom; es gibt nur
Linien.
c) Ein Rhizom kann an jedem Punkt abgebrochen oder neu verbunden werden,
indem man einer der Linien folgt.
d) Das Rhizom ist anti-genealogisch. [...]
f) Ein Rhizom ist kein Abdruck, sondern eine offene Karte: es
kann abgebaut, umgedreht und beständig verändert werden. [...]
h) Niemand kann eine globale Beschreibung eines ganzen Rhizoms liefern;
nicht nur weil das Rhizom multidimensional kompliziert ist, sondern
auch, weil seine Struktur sich in der Zeit ändert; darüber hinaus gibt
es [...] auch die Möglichkeit widersprüchlicher Schlüsse [...]
j) An keinem seiner Knoten kann man die globale Ansicht aller Möglichkeiten
haben, sondern nur die lokale Ansicht der am nächsten gelegenen [...]
und denken heißt, nach dem Weg zu tasten. Das ist der Typ von
Labyrinth, an dem wir interessiert sind. Er stellt ein Modell
für eine Enzyklopädie als regulative semiotische Hypothese dar. (Eco,
Umberto: Im Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen, Leipzig
1990, 106, 107)
(vgl. http://www.rhizome.org und Richard Barbrook: Die heiligen
Narren. Deleuze, Guattari und die High-Tech Geschenkökonomie, http://www.heise.de/tp/deutsch/special/med/6344/1.html)
und Stefan Wray: Rhizomes, Nomads, and Resistant Internet Use:
http://www.nyu.edu/projects/wray/index.html
Schreiben mit der Hand
Während die Typographie im Übergang von der Manuskript- zur Druckkultur
zunächst die skripturalen Gesten der Handschrift zu simulieren versuchte
(In einer Schrift zum `Lob der Schreiber' versucht ein benediktinischer
Abt seine Ordensbrüder von der Notwendigkeit des manuellen Abschreibens
der heiligen Bücher angesichts der heraufkommenden Reproduktionsmöglichkeiten
der Drucktechnologie zu überzeugen: "Wer wüßte nicht, welcher Unterschied
zwischen Handschrift und Druck besteht? Die Schrift, wenn sie auf Pergament
geschrieben wird, vermag tausend Jahre zu überdauernd; wie lang wird
aber der Druck, der ja vom Papier abhängt, Bestand haben; [...] gleichwohl
glauben viele, ihre Texte dem Druck anvertrauen zu müssen. Hierüber
wird die Nachwelt befinden. [...] Selbst wenn alle Werke der ganzen
Welt gedruckt würden, bräuchte ein hingebungsvoller Schreiber von seinem
Eifer keineswegs abzulassen; er müßte vielmehr auch den gedruckten und
nützlichen Büchern Dauer verleihen, indem er sie abschreibt, da sie
ansonsten nicht lange Bestand hätten. Erst seine Leistung erwirbt den
dürftigen Werken Autorität, den wertlosen Größe und den vergänglichen
Langlebigkeit" (Trithemius 1492, S.63 ff.).
lassen sich im Verlaufe der Herausbildung spezifischer Diskurstechniken
der Druckkultur zentrale diskursive Elemente und Funktionen auf der
Oberfläche der Schriftsysteme nieder: alphabetische Verweissysteme,
Indexe oder auch die Fußnoten als ein zentrales Diskurselement der sich
entwicklenden ,kritischen` hermeneutischen Techniken.
Im Übergang zu elektronischen Diskurstechniken werden die zunächst für
die Rezeption wichtigen typographischen Zeichen schließlich zu Interaktions-Elementen,
die eine Schnittstelle von der Schriftoberfläche zu den - jetzt auch
für die Leser sich öffnenden - Programmfunktionen elektronischer Texte
darstellen: Buttons, Bedienelemente, Eingabefenster, Links ...
Schreib/Leser
Schreiben und Lesen im Netz ereignet sich gleichzeitig auf einer Oberfläche,
es gibt keine Hierarchisierung zwischen Primärtexten und Sekundärtexten.
Darüberhinaus verschwinden die Unterschiede zwischen Produktion und
Rezeption - der Leser wird (ähnlich der Praxis und Theorie des Noveau
Romans (lecture/ecriture) oder der Reader-Response Theorien) zu einem
Schreib/Leser: Der Weg durch Informationsmengen schreibt sich als Zusammenhang
auch in das Wissenssystem ein und wird selbst zu einem Informationsparameter.
Als universelles und offenes Informationsmedium steht dem Benutzer ein
Netzwerk von selbst gestaltbaren Ideen- und Daten-Assoziationen zur
Verfügung. Durch Kontextwechsel, durch Hin- und Herschalten zwischen
verschiedenen Texten und Text-Ebenen, durch das Verfolgen von Querverbindungen
wird der Raum zwischen verschiedenen Text-Fragmenten thematisiert ...
Lesen im Netz produziert Intertexte.
Collage: Elemente unterschiedlichster Quellen werden entlang bestimmter
Muster und Figuren organisiert
Eher rhythmisch-athmosphärische Komposition, auch Klang, Oberflächenstruktur,
Farbe, Muster etc. berücksichtigend
Sympoesie und Konversationskultur (16. Und 17.
Jhts /1926)
Nicht in allen historischen Situationen[36] war die Trennung zwischen Autor und Leser so stark herausgebildet
wie in der spätbürgerlichen Kultur der Moderne. Es hat in der Kulturgeschichte
immer wieder produktive Momente gegeben, die von Durchdringungs- und
Aufbruchsbewegungen gekennzeichnet waren, in denen kulturelle Austauschprozesse
zwischen den verschiedenen Segmenten kultureller Produktion und Rezeption
aufbrachen:
So war etwa in den aristrokratischen Salons des 16. Und 17. Jahrhunderts
die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Produzenten und Publikum
noch fließend. Literarische Spiele wurden in dieser noch durch und durch
mündlichen Konversations-Kultur als Gesprächsspiele unternommen nach
dem Prinzip des Reihumerzählens oder Reiumflüsterns.
Romantische Schreibspiele verliessen dann später das Ghetto des elitären
Salonmilieus und machten solche Spielformen öffentlich, z.b. der Kollektivroman
der Varnhagen-Kreises "Versuche und Hindernisse Karls".[37]
"Vielleicht würde eine ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste
beginnen, wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und innig
würde, daß es nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehrere sich gegenseitig
ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten."[38]
Die Surrealisten nehmen solche Programmatik wieder auf und entwickeln
literarische Techniken aus der Salonkultur zur Entindividualisierung
und Automatisierung weiter. Zahllose "Gebrauchsanweisungen" für geselliges
oder automatisches Schreiben sind erhalten:
"Nehm einige Bogen Papier und schreibt drei Tage hintereinander, ohne
Falsch und Heuchelei, alles nieder, was euch durch den Kopf geht. Schreibt,
was ihr denkt von euch selbst, von euren Weibern, von dem Türkenkrieg,
von Goethe, von Fonks Kriminalprozeß, vom jüngsten Gericht, von euren
Vorgesetzten, was ihr für unerhörte Gedanken gehabt, ganz außer euch
zu sein."[39]
Symphilosphie/Sympoesie: das romantische Kunstwerk
als gemeinschafticher Prozeß
Die romantischen Netzwerke generierten zum Ende des 18. Jahrhunderts
ein intensives Feld wechselseitiger Anregungen und geistiger Durchdringungen.
In einer ausgeprägten Salonkultur blühte die Kunst der Konversation
in vielfältigen Gestalten auf und führte zu hybriden ästhetischen Produktionsformen
wie Korrespondenzen und Briefromanen mit teilweise verteilten Autorschaften.
So finden sich etwa in der 1798 herausgegeben Zeitschrift "Athenaeum"
451 Fragmente, die in Kollaboration zwischen dem Herausgeber Friedrich
Schlegel und Friedrich von Hardenberg (Novalis) sowie Friedrich Schleiermacher
entstanden sind und ohne Markierung des Autornamens abgedruckt wurden.
Hinter dieser Praxis stand die Idee des Symphilosophierens:
"Vielleicht würde eine ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste
beginnen, wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und so
innig würde, daß es nichts seltnes mehr wäre, wenn mehrere sich gegenseitig
ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten." (Friedrich Schlegel
in einem Brief an seinen Bruder August Wilhelm, zit. nach: Friedrich
Daniel Ernst Schleiermacher. Schriften auf der Berliner Zeit 1798-1799,
Kritische Gesamtausgabe Bd. 2, Berlin 1984, Historische Einführung des
Herausgebers Hans-Joachim Birkner, S. XXXII)
Diese gemeinschaftliche Praxis wird sicherlich auch von romantischen
Verschmelzungswünschen angetrieben. Im selben Brief schwärmt Schlegel
von einer "Kunst, Individuen zu verschmelzen" und entwirft ein Programm
teilnehmender Kritik, die eben solche "fantastischen Kombinationen"
verschiedener Autoren vornehmen kann (durchgespielt am Beispiel von
Jean Paul und Peter Leberecht). Ganz praktisch leben die Romantiker
aber auch schon frühe Formen von Wohngemeinschaft[40], Frauenenmanzipation, und freier Liebe, was sie in dieser
Hinsicht zu Vorläufern der Studentenbewegung macht.[41]
Die Intention des Symphilosophierens war radikaldemokratisch, die außerakademischen
gemeinschaftlichen literarischen Produktionsformen fanden ihren Ausdruck
in einem kompromißlos freien Ideenaustausch bis hin zu deren Verwertung.[42]
Zentrum der frühromantischen Lebens- und Produktionspraxis wurde ein
auf Autonomie des Einzelnen zielender emanzipatorischer Begriff von
Gesellschaft und Geselligkeit, der die Segmentierung und Partialisierung
der arbeitsteiligen bürgerlichen Lebenszusammenhänge und eine nach Herkunft
selektierende geschlossene Gesellschaftsform zu überwinden trachtete:
Schleiermacher entwickelte in seiner anonym veröffentlichten Abhandlung
"Versuch einer Theorie geselligen Betragens" das Konzept einer freien
produktiven Geselligkeit, in der der Einzelne in einem idealen Netzwerk
von Querbeziehungen mit den Anderen in permanentem Austausch steht und
durch Schnittstellen zu den fremden Spären seinen Horizont und vor allem
seine Perspektive erweitert:
"Alles soll Wechselwirkung seyn [...] Alle sollten zu einem freien Gedankenspiel
angeregt werden."
( Friedrich Schleiermacher, ebd. S. 170)
Da die Beschränkungen der "häuslichen und bürgerlichen Verhältnisse",
die "unzusammnehängende Empirie" von Kunst und Wissenschaft und insbesonders
die überstiegenen Selbstbilder der Künstler solche Praktiken aber behindern,
ist es die Rolle des Kritikers und Theoretiker, fast möchte man sagen
auch des Lesers, die in den vorliegenden Kunstwerken schlummernden Kräfte
zu wecken und wieder in soziale Praxis und gesellige Formen zu übertragen:
"Der Theoretiker ist es, der bei der ganzen Untersuchung auf dem höchsten
Standpunkt steht; er allein sucht den Schlüssel des Räthsels und die
letzten Gründe der Handlungen; er allein will das gesellige Leben als
ein Kunstwerk construieren, das Virtuosen es oft nur als eine schöne
Fantasie betrachten."
( Friedrich Schleiermacher, ebd. S. 167)
Die Frühromantik entwirft hier also schon einen produktiven Kritik-
und Rezeptionsprozeß, in dem die Werke und Texte vollendet werden: den
"abgerissenen Theilen" und fragmentarischen Werken wird ihre "Stelle
im System" zugewiesen und "durch eigene Ergänzungen" daraus ein Ganzes
(re)konsruiert. Die Formen romatischer Geselligkeit mit ihren fein verästelten
Bezugnahmen, Querbezügen und wechelseitigen Kommunikationsprozessen
können beispielgebend für den Entwurf neuer Partizipationsformen sein.
Frontale und unidirektionale ästhetische Kommunikationsformen wie Schauspiel
oder Vorlesung - ohne gleichberechtigten Rückkanal - werden als "gebundene
Geselligkeit" kritisiert. Als Utopie gilt ein freies nicht-hierarchische
Netzwerkmodell:
"Denn das ist der wahre Charakter einer Geselschaft [...], daß sie eine
durch alle Theilhaber sich hindurchschlingende, aber auch durch sie
völlig bestimmente und vollendete Wechselwirkung seyn soll. [...] Es
sol keine bestimmte Handlung gemeinschaftlich verrichtet, kein Werk
vereinigt zu Stande gebracht, keine Einsicht methodisch erworben werden.
Der Zweck der Gesellschaft wird gar nicht als außer ihr liegend gedacht;
die Wirkung eines Jeden soll gehen auf die Thätigkeit der übrigen, und
die Thätigkeit eines Jeden soll seyn eine Einwirkung auf die andern.
Nun aber kann auf ein freies Wesen nicht anders eingewirkt werden, als
dadurch, daß es zur eigenen Thätigkeit aufgeregt, und ihr ein Objekt
dargeboten wird [...]; es kann also auf nichts anders abgesehen seyn,
als auf ein freies Spiel der Gedanken und Empfindungen, wodurch alle
Mitgleider einander gegenseitig aufregen und beleben."
( Friedrich Schleiermacher, ebd. S. 167)
Eine solche nicht-funktionale Thoerie des geselligen Kunstwerks und
der Geselligkeit als ein Kunstwerk gleichermaßen kann durchaus als ein
Prolegomenum zur Netzkunst, als ein früher Aufruf zu einem kollaborativen
Netzprojekt verstanden werden!
Die `freie Geselligkeit der Netzwerke' sei also - frei nach Schleiermacher
- keine Sphäre rein geschäftlicher oder rein künstlerischer Prozesse,
sondern ein Freiraum für Erweiterung und Ergänzung einzelner individueller
Perspektiven durch wechselseitigen Austausch von Gedanken!
Transcopyright
Hiermit sind Nelsons schon von Anfang an mitgedachten Ideen zum konsistenten
`Zitieren' anderer Texte im Netzwerk gemeint (http://www.xanadu.com.au/xanadu/transcopy.html):
anstatt Texte, Bilder etc. zu kopieren, wird innerhalb eines Dokuments
das zitierte `Original' direkt aufgerufen. Die technischen Möglichkeiten
und Parameter (Java, Plug-In, CGI ...) werden aufgeführt in: http://xanadu.com.au/xanadu/transclude.html)
Über webbasierte Mikropayment-Systeme kann eine Nutzungsgebühr direkt
an den Publisher abgeführt werden. (Transpayment-Protokolle: z.B. Digi-Cash:
http://www.digicash.com/)
verzweigen
In Erzählweisen moderner Literatur ein oft vollzogener 'Trick', um
den linearen Handlungsablauf zu unterbrechen, die Illusion eines geradlinigen
Geschichtsverlaufs zu unterlaufen und multiple, simultane und chaotische
Strukturen, teilweise mit fiktiven Wahlmöglichkeiten für Leser,
zu produzieren: Gabelungen, Abschweifungen und Umleitungen
der Erzähl-, und Erinnerungsprozesse.
Zettelkästen
Die Organisation von Zettelkästen stellt ein komplettes (mechanisches)
Hypertext-Diskurs-System dar, in dem einzelne Karten Ideen, Zitate,
Fragmente enthalten, die durch Querverweise untereinander vernetzt sind.
Die dynamischen Möglichkeiten der Verknüpfung, Verschachtelung und Verzweigung
(und Überraschung!) ergeben sich gerade aus seiner unsystematischen
Organisationsweise, die auf einer schlichten Codierung mit
fester Stellordnung der einzelnen Zettel beruht:
An den Zettelkasten sind - genauso wie an Hypertext-Systeme - herkömmliche
Diskurstechniken wie Register, bibliographischer Apparat etc.
anschließbar, so daß ein Gesamtenvironment entsteht - ein Speicher-,
Schreib- und Kommunikationssystem mit internem und externem Verweisungsnetz,
das strukturell eher wie das Gedächtnis - mit seinen neuronalen Netzwerken
- funktioniert und mit mehr - von seinem Autor unabhängigem - 'Eigenleben'
ausgestattet ist wie ein Buch.
Zitate
Die literarische und wissenschaftliche Prosa der Antike verzichtet
auf genaue Quellenangaben aus Gründen ihrer eigentümlichen Produktionsweise:
die Universalgelehrten zitieren - gespeist noch aus vorschriftlichen
Diskurstechniken - aus dem Gedächtnis und nicht auf der Basis vorliegender
Texte. Ähnlich der mündlichen Überlieferung hat diese Methode den Vorteil
einer unmittelbaren Aktualisierung. Die zitierten Textstellen werden
keinesfalls ,wörtlich` weitergereicht, sondern erfahren unmittelbare
leichte oder stärkere Veränderungen entsprechend dem neuen Kontext.
Sich in der Folge als Diskurstechnik herausschälende sehr genaue und
detaillierte Verweistechniken auf die zitierten (antiken) Textstellen
sind Ursprünge hermeneutischer Rekonstruktionen eben der oft in weitreichenden
,Auszügen` zitierten verlorengegangenen Werke. Im Mittelalter wird dann
die ,hohe Schule exakten Zitierens` mit kurzen eindeutigen Kodierungen
zur Quellenidentifizierung zum gefragten Stilmittel:
"Die Ränder von Manuskripten und frühen gedruckten theologischen, juristischen
und medizinischen Texten wimmeln von Glossen, die, wie die Anmerkung
des Historikers, den Leser instandsetzen, sich vom polierten Argument
zu denjenigen Texten zurückzuarbeiten, aus denen es entwickelt wurde
und worauf es beruht. Petrus Lombardus [...] führte in Randglossen ganz
systematisch seine Quellen auf und schuf damit , [...] ,den Vorläufer
des wissenschaftlichen Anmerkungsapparats` [...]. Petrus Lombardus ist
gewiß eine typisch moderne Eigentümlichkeit zugute zu halten: Er beschwor
die erste Kontroverse über einen falschen Verweis in einer Anmerkung
herauf" (Grafton, Anthony 1995: Die tragischen Ursprünge der deutschen
Fußnote, Berlin, S. 41-42).
[1] Neumeister 1990, S. 62
[2] Komplexe Texte und Textsammlungen sind in der Regel gespickt
mit einer ganz besonderen `Textauszeichnungsart', die zumindest einige
dialogische Elemente aus des Diskurszusammenhängen der oralen Kultur
in die Schriftkultur gerettet hat: dem Kommentar. In den sogenannten
Büchern der Bücher, wie dem Koran oder der Bibel, finden sich verschiedenste
Schichten von Kommentaren und Auslegungen, die sich schon im Verlaufe
handschriftlicher Reproduktionen von Schreibern, Kopisten und Lesern
um den feststehenden Haupttext in breiten Bändern herumlegen und so
Spalte um Spalte hinzufügen. Literarische wie wissenschaftliche Texte
antizipierten oft diese Form der Textverarbeitung, indem sie durch umfangreiche
`gelehrte' Kommentare zum poetischen oder sachlichen `Haupttext' weitreichende
Erklärungen, historische oder biographische Anspielungen für die zukünftigen
Leser mit einflechten (etwa bei Dante, Petrarca, Keppler).
[3] Kurze Sachartikel in großen Lettern stehen einer enormen Masse
an Anmerkungs-Materialien gegenüber, die von Buchstaben, Ziffern, Zeichen,
Abkürzungen und Randbemerkungen durchsetzt sind. Im Artikel über Epikur,
der nach Diogenes Laertius über 300 Bücher ohne fremdes Gedankengut
geschrieben haben soll, stehen beispielsweise 93% eng gedruckte doppelspaltige
Anmerkungen den nur 7% des Buchumfangs füllenden Artikeln gegenüber.
[4] "... denn jede frei umherschweifenden Reden, bei denen sich sich
die Zusammenhänge wie in einer Konversation rein zufällig ergeben, sind
für irgendein galantes Werkchen gut, das eher zu gefallen als zu nützen
bestimmt ist, doch sind sie nicht gut zur Aufklärung der Sachverhalte,
bei denen oft schon die gute Anordnung den Kommentar ersetzt und Wort
sparen hilft." (Leibniz, Gottfried Wilhelm 1885: Die philosophischen
Schriften. Hrsg. von Carl Immanuel Gerhard. Bd. 6, Berlin Reprint Hildesheim
1961, S. 16-20)
[5] Neumeister führt auch ein Fülle von Anekdoten und prominente
Leseszenen (z.B. bei Goethe) an.
[6] So die Begrüßungsseite des Blasters: http://www.assoziations-blaster.de/
[7] Am 14.09. 2000 waren 61968 Texte zu 5026 Stichwörtern eingegeben
worden, innerhalb eines Tages kommen bis zu 300 Texte und 25 neue Stichwörter
dazu. Details zur Statistik (Suchmaschinenauswertungen, wenig und häufig
gesuchte Stichworte) sind abrufbar unter: http://www.assoziations-blaster.de/statistik/.
[8] Mit diesem Begriff kritisierte Hartmut Winkler eine ausschweifende,
in die Breite gehende Tendenz zur Beliebigkeit in Texten aus kollaborativen
Schreibprojekten auf dem Workshop: Odysseen des Wissens, Weimar, 2.-3.3
2000. Vgl. Winkler, Hartmut: "Kollaborative Schreibprojekte im Netz.
Über Komplexität und einige mediengeschichtliche Versuche sie wieder
in den Griff zu bekommen" unter: http://www.uni-paderborn.de/~winkler/,
sowie das Kapitel "Verdichtung" in: ders. Docuverse, Berlin 1997.
[9] Man lese nur den Anfang von Bretons Nadja (http://www.hyperdis.de/txt/nadja)
[10] Kristeva, Julia: Die Revolution der poetischen Sprache, Frankfurt
am Main 1978, OT: La révolution du langage poétique, Paris 1978
[11] Tristan Tzara, zit. n. Mon, Franz, "collage in der literatur",
in: prinzip collage, hg. v. Franz Mon; Heinz Neidel, Neuwied u. Berlin
1968, S. S. 50-62
[12] Georg Christoph Lichtenberg, zit. n. Riha, Karl: Cross-Reading
und Cross-Talking. Zitat-Collagen als poetische und satirische Technik,
Stuttgart 1971, S. 7.
[13] Bezogen auf die Eigentumsverhältnisse in und an Texten stellt
sich sogar die strafrechtlich relevante Frage, ob überhaupt private
Kopien von Texten angefertigt werden dürfen. Die Copyright-Vermerke
von Büchern, CD-Roms, Software sprechen in dieser Hinsicht eine sehr
deutliche Sprache.
[14] Hier aus einer anderen Übersetzung entnommen: Tristan Tzara,
zit. n. Riha, Karl, Cross-Reading und Cross-Talking. Zitat-Collagen
als poetische und satirische Technik, Stuttgart 1971, S. 39.
[15] Vgl. Wescher, Herta: Die Collage, Geschichte eines künstlerischen
Ausdrucksmittels, Köln 1968, S. 134.
[16] Tristan Tzara, zit. n. Riha, Karl, Cross-Reading und Cross-Talking.
Zitat-Collagen als poetische und satirische Technik, Stuttgart 1971,
S. 40.
[17] Barthes, Roland: "Der Tod des Autors", in: Texte zur Theorie
der Autorschaft, hg. v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez,
Simone Winko, Stuttgart 2000, S. 185-193, hier S. 190 f.
[18] Ausführlicher lediglich in Youngblood, Gene: Der virtuelle
Raum. Die elektronischen Umfelder von Mobile Image, in: Ars Electronica.
Festival für Kunst und Gesellschaft, Linz 1986, S. 289-302. Der Text
entstand 2 Monate vor der Projekt-Realisierung aus konzeptuellen Entwürfen
der Künstler für einen Katalog, der allerdings nie erschienen ist.
[19] Auf der Hardware-Ebene besticht das Elektronische Café durch
eine Systemintegration aller verfügbaren Medien - auf der Software-Ebene
fungiert eine Art simples Mail-Box-Programm als gemeinschaftliche Datenbasis
für die ,Community memory`: "Jeder Nutzer hat uneingeschränkten interaktiven
Zugang zu den Datenbasen und kann gleichberechtigt Beiträge einbringen.
Jedermann kann jederzeit Botschaften senden, Akten anlegen, andere Mitteilungen
lesen und Kommentare und Anregungen durch öffentlich zugängliche Terminals
in Bibliotheken, Lebensmittelgeschäften, Kaffeehäusern und Gemeinschaftszentren
vorbringen. Es gibt keine Zensur und keine persönlichen Akten, doch
können Botschaften oder Akten nur von ihren Autoren verändert werden
[...] ein Instrument für kollektives Denken, Planen, Organisieren, Entscheiden
[...]" Ebd., S. 300.
[20] Youngblood, Gene: Metadesign, in: Kunstforum, Bd. 98,
2/1989, S. 76-84, hier: S. 80.
[21] Peter Glaser in einer Einladungsmail vom 11.1.1993 20:53:33.
Vgl. auch das Kapitel "Leben im Netz - Geschichten" aus der Diplomarbeit
von Rena Tangens: Das Leben im Netz. Die Bürgernetze Z-NETZ, CL und
ZaMir und ihre Geschichten, Bielefeld 1996, S. 55-87. Jetzt ist es noch
als Archiv erreichbar unter der newsgroup: t-netz/alt/tagebuch oder
im Archiv des Zerberus-Netzes: http://www.zerberus.de/texte/wam_kat/.
[22] "Das Imaginäre konstituiert sich nicht mehr im Gegensatz zum
Realen [...] es dehnt sich von Buch zu Buch zwischen den Schriftzeichen
aus, im Spielraum des Nocheinmal-Gesagten und der Kommentare; es entsteht
und bildet sich heraus im Zwischenraum der Texte. Es ist ein Bibliotheksphänomen."
(Foucault, Michel: Die Phantasmen der Bibliothek, in: ders.: Botschaften
der Macht. Der Foucault-Reader Diskurs und Medien, hrsg. von Jan Engelmann,
Stuttgart 1999, S. 85-91, hier: S. 87)
[23] Das Intro zur "Imaginären Bibliothek", die auf der Ars Electronica
1990 in Linz als eine interaktive Installation gezeigt
wurde. Impulse für die Arbeit lieferten Autoren wie Jorge Luis Borges,
Umberto Eco und Foucault mit ihren Ideen nach einer "offenen Bibliothek",
in der Texte, losgelöst von Autor und Entstehungskontext, frei zirkulieren
können und beliebig miteinander assoziierbar und vernetzbar sind. Die
"imaginäre Bibliothek" vereinigt elektronische Texte, Bilder und Grafiken.
Im Rahmen des ARS ELECTRONICA war die "imaginäre Bibliothek" auf zwei
Computern installiert, plaziert innerhalb eines Rundbaus inmitten von
präsentierten Büchern und Buch-Objekten, wobei zwei Drucker im Hintergrund
permanent die Lese-Touren der Benutzer ausdruckten. Diese Endlos-Ausdrucke
wUrden zu Buch-Rollen gewickelt, die auf diese Weise den Bestand der
imaginären Bibliothek sichtlich durch die unentwegte Produktion der
Leser vergrößern.
Erst 1995 entstand die im Netz zugängliche Hypertext-Version der "imaginären
Bibliothek" Die Texte bilden dabei eine komplexe Matrix, durch die der
Leser sich horizontal oder vertikal fortbewegen kann. "Das Ziel der
Anwendung ist es, durch verzweigtes assoziatives Lesen und Navigieren
den Benutzer in ein Netzwerk aus Texten zu verstricken und somit eine
Beteiligung des Lesers an dem Imaginationraum Bibliothek zu simulieren.
Die "Imaginäre Bibliothek" könnte auf spielerische, ironische Art und
Weise in die neuen Kulturtechniken, die neuen Formen des Lesens und
Schreibens im digitalen Umgebungen, einführen und dazu anstiften, literarische
Modelle und Verfahrensweisen auf Hypertext-Produktion und Rezeption
zu übertragen." (Diese Beschreibung ist zusammengestellt von Torsten
Liesegang aus verschiedenen Konzepttexten von PooL-Processing)
Archiv PooL-Processing(1988-1994): http://www.hyperdis.de/pool/
(Imaginäre Bibliothek, UserInnen Inputs, Fotos & Texte)
[24] Eine Dokumentation dieser frühen Mitschreibe-Experimente sowie
den Gesamtbestand der Imaginären Bibliothek findet sich unter http://www.hyperdis.de/pool/
[25] "Welttexte" hieß ein heftig umstrittener Beitrag auf der Mailingliste
"Netzliteratur", den Reinhold Grether dort am 7. Januar 1999 veröffentlichte.
"Literatur, auf der Höhe unserer Zeit", so der Schlußsatz, "muß ,Welttexte`
schaffen, auf Basis der Konnektivität (Technologien, Materialien, Multipersonalität)
der Netze." Wie das globale Imaginäre sich in 24 Netzprojekten zeigt
und konzeptualisiert, untersucht Reinhold Grether in "Versuch über Welttexte",
in: Hyperfiction. Zum digitalen Diskurs über Internet und Literatur,
hg. v. Beat Suter u. Michael Böhler, Frankfurt am Main und Basel, 1999,
S. 85-100. Vgl. auch seine Artikel in telepolis (http.//www.heise.de/tp)
und das Projekt "Netzliteratur, Netzkunst und Netzwissenschaft" unter:
http://www.netzwissenschaft.de/.
[26] "THE WORLD'S FIRST WHAT? YOU ASK. DON'T WORRY. SOON YOU'LL
KNOW. BUT FIRST LET ME ASK SOMETHING FAR MORE IMPORTANT: The temporary
author-artist of these lines and this work is Douglas Davis. In face
he (cf. me) is facing you at this moment, from a moment in 1973 when
he, that is, me, tried to focus the lens of his video camera directly
on you, the viewer on the other side of the then-imperial TV screen.
Well, we have broken that screen down many times then--,we` being the
early video artists determined to destruct the big lie that TV was a
,mass` one-way medium, you, impatient viewer who lusted for something
better (and finally got it, in lots of ways), and the inexorable roll
of technological innovation, moving us finally into the digital era
and THIS MEDIUM, the InterNet/Web, where you take over from me....
But not yet, please. Wait just a few pages....hold out your hand there...yes,
I think I got it...your fingers...hand in hand let's look through....
ALL THE GOOD DIGITAL BITS YOU CAN RETRIEVE FROM US ALONG THE WAY [...]"
http://ca80.lehman.cuny.edu/davis/.
[27] Die ja nach Platos Fundamentalopposition zur Schrift bekanntlich
im Gegensatz zur mündlichen Kultur ohne Beisein ihres Autors zirkulieren
- und eben nicht antworten können
[28] Mon, Franz: herzzero, Neuwied 1968, S. 5.
[29] Illich, Ivan: Im Weinberg des Textes. Als das moderne Schriftbild
entstand. Ein Kommentar zu Hugos "Didascalicion", Frankfurt am Main
1991, OT: L'Ere du livre, Paris 1990, S. 112
[30] http://hyperfiction.de/enzyklopaedie/
[31] Ein Blick etwa in physikalische Forschungsliteratur zeigt Teams
von mehr als 2000 WissenschaftlerInnen, die über Jahrzehnte zusammenarbeiten.
Selbst bei einer Dissertation in einem solchen Arbeitskontext tauchen
dann etwa die Namen von über 500 ,Mitautoren` (in alphabetischer Reihenfolge)
auf, so dass - trotz der restriktiven Regeln des zunftartig organisierten
Wissenschaftsbetriebs - der einzelne Forscher ganz deutlich als Knoten
in einem Geflecht von Querbeziehungen positioniert wird. Der Konzeption
des WWW-Standards am CERN lag u.a. der Wunsch und die Notwendigkeit
der Entwicklung eines einfachen Austauschformats für wissenschaftliche
Texte im Netz zugrunde.
http://hoshi.cic.sfu.ca/~guay/Paradigm/History.html gibt einen
sehr fundierten Überblick über die historischen Entwicklungen des Web-Konzepts
aus den verschiedensten Quellen - (Bush, Nelson, Engelbart, CERN) nebst
medientheoretischen Hintergrund (Mc Luhan, Landow).
siehe auch: Tim Berners-Lee (Ted Nelson and Xanadu), http://www.w3.org/pub/WWW/Xanadu.html
[32] Vgl. Kittler, Friedrich: Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft,
München, 2000
[33] Alle Dokumente und Materialien des Projekts (Universität Hildesheim
1998-2000) sind archiviert unter: http://www.hyperdis.de/netkult/
[34] Die Entwickler Rene Bauer und Joachim Maier bezeichnen nic-las
als ,autopoetische Informationslandschaft`: Das Akronym nic-las steht
für nowledge integrating communication-based labelling and access system.
http://www.nic-las.com/enzyklopaedie/
[35] Diese Unterscheidungen strukturieren schon während der Texteingabe
den Datenbestand dynamisch und schreiben somit jede Veränderung in einem
kleinen Detail in den Gesamtkontext ein und diferrenzieren so die Wissensstrukturen
immer weiter aus. Personen-, Themen- und Zeitreferenzen vernetzen jede
Texteinheit innerhalb verschiedener Kontexte.
[36] "Andererseits gilt die Funktion Autor nicht übertall und nicht
ständig für Diskurse. In unserer Kultur haben nicht immer die gleichen
Texte einer Zuschreibung bedurft. Es gab eine Zeit, in der die Texte,
die wir heute ,literarisch` nennen (Berichte, Erzählungen, Epen, Tragödien,
Komödien) aufgenommen, verbreitet und gewertet wurden, ohne daß sich
die Autorfrage stellte [...]. Im Gegensatz dazu wurden die Texte, die
wir heute wissenschaftlich nennen, über die Kosmologie und den Himmel,
die Medizin und die Krankheiten, die Naturwissenschaften oder die Geographie
im Mittelalter nur akzeptiert und hatten nur dann einen Wahrheitswert,
wenn sie durch den Namen des Autors gekennzeichnet waren" (Foucault,
Michel: Schriften zur Literatur, Frankfurt am Main 1979, S. 19).
[37] Dieses romantische Schreibspiel - geplant als Satire auf akademischen
Bilddungsbetrieb und klassizistische Literaturkritik - ist wohl mehr
zu einer glossenhaft-parodistischen Selbstanalyse der beteiligten Mitschreiber
mit einer Fülle literarische Anspielungen geworden und stellt etwa mit
Bettina von Arnims zu Briefromanen montierten Korrespondenzen Materialien
für eine kollektive Selbstanalyse zur Verfügung. Solche Konversationstechniken
verweisen gleichzeitig auf kulturrevolutionäre Utopien, die eine Aufhebung
von Spezialistentum und entfremdete Arbeitsteilung in kultureller Produktion
in Aussicht stellen.
[38] Schlegel, Friedrich: Athenäums Fragmente, in: Kritische Schriften,
München 1970; Materialien zu diesen kollektiven Schreibprojekten finden
sich in Rogge, Hellmuth: Der Doppelroman der Berliner Romantik, Leipzig
1926.
[39] Börne, Ludwig: Die Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller
zu werden, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, 1862
[40] Etwa von Schleiermacher und Schlegel, die ein intensives häusliches
Zusammenleben und - arbeiten pflegen: während der gemeinsamen Malzeiten
wird diskutiert, vorgelesen, über Formulierungen beraten .. die die
aus diesem Zusammenleben erwachsende gemeinschaftliche literarische
Produktion wird dann später wiederum zum Gegenstand und zum Stimulans
weiterer geselliger Zusammenkünfte. Vgl. Hoffmann-Axthelm, Inge: "Geisterfamilie".
Studien zur Geselligkeit der Frühromantik, Frankfurt am Main 1979, die
Geselligkeit als "jede Art von Berührung, Relation, Kontakt, Zusammenhang,
und, darüber hinaus, Vermischung zwischen den von ihm abgelehnten Extremen
der totalen Vereinzelung und des strengens Systems (S. 155)" geradezu
als Leitbegriff für Schleichermachers Denken herausarbeitet.
[41] vgl. Gisela Dischners vorzügliche Zusammenstellung historischer
Dokumente in: Dischner, Gisela: Friedrich Schlegels Lucinde und Materialien
zu einer Theorie des Müßiggangs, Hildesheim 1980.
[42] So ist etwa die Teilnahme von Schlegels Freunden an der Entstehung
der "Lucinde" nicht zu unterschätzen: Streichungs- und Änderungsvorschläge
wurden aufgenommen und geplant war eine Fortsetzung des Romans auf der
Basis von Briefen ... Eine "Mischung von Autoren" und ein prinzipiel
offener und unendlicher poetischer Produktions- und Reproduktionsprozeß.
In den romantischen Zirkeln fungiertenen die Texte als Vorlage und Vorschlag
zur weiteren Bearbeitung. Gemeinsames Vorlesen wurde begriffen als eine
produktive sympoetische Begegnung zwischen Autor, Vorleser und Zuhörern.