Welche Software ist nicht sozial, wird nicht aus gesellschaftlichen
und gemeinschaftlichen Produktionszusammenhängen heraus - in zumeinst
geselligen ,Software-Schmieden` zusammengeschrieben - und wirkt dann
wiederum auf die sozialen Interfaces und Interaktionsweisen zurück
...?
Softwareproduktion oszilliert dabei, zumindest was die sozialen Produktionsweisen
betrifft, zwischen Kaderschmiede, schlimmster postfordistischer virtueller
Arbeit und kommunitären Gemeinschaftsprozessen, in denen alles
allen gehört ...
,,Everything is deeply intertwingled" nannte der Hypertext-Pionier
Ted Nelson diesen sozialen und textuellen Netzwerkeffekt ...
In dieser Hinsicht kann die Softwareproduktion als der Prototyp für
einen neuen Typus von virtueller vernetzter Arbeit gesehen werden.
Software ist zwar in irgendeinerweise auch ,Text` und interessiert in
letzter Zeit die Kulturwissenschaftler in steigenden Maße, aber
mit der ,Rezeption` von Software ist es so eine Sache: Software kann,
muß aber nicht unbedingt ,gelesen`, interpretiert oder gar kritisiert
werden. Sie ,läuft` einfach (oder auch nicht), forciert Abstürze,
setzt Viren in die Welt, reproduziert sich selbst ...
"Wie wir alle wissen und nur nicht sagen, schreibt kein Mensch
mehr. [...] Heute läuft menschliches Schreiben durch Inschriften,
die [...] mittels Elektronenlithographie in Silizium eingebrannt [...]
und im Unterschied zu allen Schreibwerkzeugen der Geschichte auch imstande
sind, selber zu lesen und zu schreiben. [...]Schriften und Texte existieren
mithin nicht mehr in wahrnehmbaren Zeiten und Räumen, sondern in
den Transistorzellen von Computern."[1]http://www.uni-jena.de/ms/GRUNDPOS.htm[l]
... wovon die Netzliteraten und net.art-AktivistInnen nur träumen
können: sie müssen - trotz aller Poesie- und Textmaschinen,
trotz aller Kombinatoriken und Cut & Paste-Operationen doch noch
irgendwie schreiben, und auch Netz- und Hypertexte müssen ,gelesen`
werden - wenn auch nicht linear ... und selbst die interessantesten
kollaborativen Netzprojekte funktionieren nicht ,von selbst` im luftleeren
digitalen Raum, sondern brauchen Besucher, Mitspieler, Kollaborateure,
aktive UserInnen ...
Damit sind aber die strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von
Software und Text, genauer von sozialer Software und ,,social Text"
noch keineswegs erschöpft - und in diesem Zwischenraum, in und
mit diesen möglichen Gemeinsamkeiten spielt dieser Text.[2]
error404: das netz ist die botschaft und das
medium
Das Wissen im Netz ist frei zugänglich. Das Netz ist die Fortsetzung
der Bibliotheks- und Enzyklopädie-Phantasien. Jeder kann mitmachen.
Umsonst und draußen.
"Das Netz strukturiert das Wissen, aber dies geschieht weitgehend
ohne erkennbaren Kontext, geordnet nur nach Adressen. In mancher Hinsicht
vollendet sich mit dem Netzarchiv der Traum der Enzyklopädisten.
Doch es entsteht kein universelles Lexikon des Weltwissens, sondern
das Weltwissen selber wird zum Lexikon, vergleichbar einer Landkarte
im Maßstab 1:1. Doch diesem ungeheuren Zuwachs an Details fällt
die Qualität und Struktur der Enzyklopädien und Lexika zum
Opfer. Während es den Enzyklopädisten letztlich um Wissen
gesicherter Güte ging, haben wir es im Netz mit Medienwissen zu
tun, also Wissen, das weder der Wahrheit noch der Erkenntnis oder der
Wissenschaft verpflichtet ist."[3]
Also ist `alles' im Netz - wir können es nur nicht finden? Hier
hilft nur konstruktives Wissensmanagement. Wir alle könnten einen
Job finden als `knowledge navigator' ... Die bevorzugten Plätze
in den Suchmaschinen rücken automatisch in die Aufmerksamkeit.
Wie sollen die Informationen gesucht, angezeigt und referenziert werden?
Systematische Gliederungen von menschlichen `Content-Managern', von
webcrawlern automatisch generierte Wissenscluster ... oder nach Verweis-
und Zugriffshäufigkeiten sortierte Suchläufe ...? Statt starrer
feststehender Einteilungen bieten selbstregulierende Mechanismen, die
auf den Verarbeitungsweisen und Kommunikationsformen des Netzes aufbauen
und die Stärke von community-basierten Kollaborationsformen einzubinden
verstehen noch am ehesten Möglichkeiten, in den Abgründen
des Netzes etwas zu finden:
"The Republic of the Web
As the Internet grows, so do the number of net-citizens. These citizens
can each organize a small portion of the web and present it back to
the rest of the population, culling out the bad and useless and keeping
only the best content. [...]The Internet Brain
The Open Directory is the most widely distributed data base of Web content
classified by humans. Its editorial standards body of net-citizens
provide the collective brain behind resource discovery on the Web.
[...] You Can Make a Difference
Like any community, you get what you give. The Open Directory provides
the opportunity for everyone to contribute. Signing up is easy:
choose a topic you know something about and join. Editing categories
is a snap. We have a comprehensive set of tools for adding, deleting,
and updating links in seconds. For just a few minutes of your time you
can help make the Web a better place, and be recognized as an expert
on your chosen topic."[4]
Eine solche Herangehensweise schließt unmittelbar an die enzyklopädischen
Utopien eines frei verfügbaren Wissensgutes an und schlägt
den Bogen zu den Wissens-Praktiken der "open content"-Bewegung,
einer Übertragung des Konzeptes der freien Software auf die im
Netz zikulierenden Inhalte:
"Es sind nicht länger die Experten allein, die über das
Entscheidungswissen, die Kompetenz, das Mandat verfügen, um für
andere Wissen zu schaffen. In den Internet-gestützten Austauschpraktiken
der freien Software, der kooperativen Erstellung von Enzyklopädien
oder dem P2P-Journalismus gibt es ein Kontinuum von wenigen, die sehr
viel, vielen, die etwas und sehr vielen, die ein bißchen was beitragen.
Alle sind sie Ko-Produzenten, die allermeisten sind Volunteers, viele
davon Vollprofis. Die Netzwerkgesellschaft wird nicht von einer Experten-Intelligenz
getragen, die für andere denkt, sondern von einer kollektiven Intelligenz,
die die Mittel erhalten hat, sich auszudrücken"[5].
Doch viele der jüngst entstandenen Initiativen offener und freier
Enzyklopädien im Netz kranken noch an der Frage des Interfaces
(der benutzten Software, der Eingabeoberflächen) - vor allem aber
mangelt es noch an Modellen kollaborativer Editionsarbeit:
"Wer legt welche Links? Nach welchen Maßstäben wird
entschieden, welche Verknüpfungen wichtig sind, welche Einheiten
miteinander verbunden werden? Wie kann festgelegt werden, was zu verstehen
ist? Welche Wünsche impliziert die Anmaßung, über den
gesamten Kontext verfügen zu können? Wer kontrolliert die
Adressverwaltung der Hypertexte? Wie läßt sich lesen, was
der Computer lesen kann?"[6]
edit: das Leben zwischen den Texten
Um diese aktiven Prozesse der Generierung von Texten, Querverbindungen,
Text- und Wissensstrukturen auf die Spur zu kommen, macht es Sinn, sich
einmal in einem ganz anderen Bereich der Arbeit im Netz umzuschauen,
den kolloborativen Schreibprojekten. Jegliches Schreiben im Netz setzt
einen der produktivsten Begriffe der Literaturwissenschaft in ein ganz
neues Praxisfeld ein, den der Intertextualität:
,, Seit den siebziger Jahren ist der Begriff der ´Intertextualität´
zu einem zentralen Konzept der Literaturwissenschaft und vor allem der
Erzählforschung (Narratologie) geworden. Grundsätzlich kann
man zwei unterschiedliche Ansätze unterscheiden. Im ersten - eher
theoretisch orientierten - wird ´Intertextualität´
sehr weit gefaßt. Hier steht die Offenheit und der prozessuale
Charakter der Literatur im allgemeinen im Mittelpunkt. Im zweiten Ansatz
geht es eher darum, die Beziehungen zwischen konkreten Texten zu klären
und zu systematisieren. [...] [Es geht um] 'künstlerisch organisierte
Redevielfalt, zuweilen Sprachvielfalt und individuelle Stimmenvielfalt'
(Bachtin, S. 157) [... dabei wird ] jeder Text ein "Mosaik
von Zitaten". Im "Raum eines Textes überlagern
sich mehrere Aussagen, die aus anderen Texten stammen und interferieren"
(Kristeva, S.245).[7]
Nirgends kann man diese äußerst produktiven Text-Mechanismen
besser studieren als in Parodien, Plagiaten und anderen künstlerischen
Entwendungsstrategien, die sich ja auch im Netz einer großen Beliebtheit
erfreuen
fakes & fälschungen
Jeder Text ist Bestandteil verschiedener textproduktiver und -rezeptiver
Prozesse: Sprachspiele, Auf- und Entladungen, Referenzen, die sich aufbauen,
abbrechen, vertiefen und vernetzen ... Differenzen und Wiederholungen
von Lese- und Schreibakten.
"Die Netzkritik sollte Websites machen, statt zu kritisieren.
Oder aber Netzkritik wie Websites machen. Ihre Staerke, als sie Netzkritik
machten, bestand darin, dass es keine Kritik war. Sie sprachen als Programmierer
ueber die Websites anderer Programmierer"[8]...
sagt Sebatian Luetgert alias Rolux in 'seinem' Text "Einführung
in eine wahre Geschichte des Internet", in dem er den klassischen
Text "Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos"
von Jean-Luc Godard aus dem Jahre 1980 'umschreibt' - größtenteils
mit der Funktion "suchen und ersetzen". Ein paar Worte und
Satzteile werden ausgetauscht - und somit wird der subversive Subtext
vom Kontext "Kino" auf den Kontext "Internet" verschoben.
Diese Technik und Schreibweise ist dem Medium und dem Thema gleichermaßen
angemessen: Eine wahre Geschichte des Kinos bzw. des Internets kann
man nicht schreiben. Das Kino bzw. Internet besteht aus bewegten Bildern,
Tönen, aus Texten, die hin- und hergeschickt werden, die vervielfältigt,
verändert, umkodiert, übersetzt, umgedreht ... werden.
Solche simplen Maskierungen und Verkleidungen, solche Sprachspiele
und generativen Texttransformationen lassen den eigentlichen Ort textschöpferischer
Produktivität leer - eben jene berühmte und berüchtigte
'Leerstelle des Textes`, die in wechselseitigen Text-Rezeptions- und
-Produktions-Prozessen immer wieder neu besetzt wird.
Auch schon in frühen Reflexionen zu Textualität und Autorschaft
klafft diese Lücke, diese Leerstelle, der slash zwischen
Signifikat und Signifikant, den die Moderne/Postmoderne dann so wild
und emphatisch bearbeitet hat, der Zwischenraum zwischen
den Texten.
Wie wird die Autorenschaft in kollaborativen Schreibprojekten kulturell
kodiert? Wie repräsentieren sich kollektive Äußerungsgefüge
und welche Optionen finden sich in den Interfaces, in der Software[9],
in den Netzprotokollen?
Mit Fernbedienung, Internetanschluss, Digitalkamera, Scanner, Texterkennungs-
und Textverarbeitungssoftware ausgestattet, ist heutzutage prinzipiell
jeder User/Empfänger/Leser in der Lage, in diesem Raum zwischen
den Texten zu operieren: abweichende Dekodierungen, Bedeutungs-Umdrehungen
und Neu-Zusammenschnitte an jedwedem Material vorzunehmen - sei es aus
Spaß, aus Verdruss, aus Langeweile, als Bastelei, als ein künstlerischer
oder politischer Akt oder eine Intervention im Sinne einer 'semiologischen
Guerilla':
"mp3 is free - why not txt?" [10]
http://textz .com
"... den fixierten Sinn der Sätze zerschneiden ... gedankenlose
Touristen des Wortes einer Vibrations-Massage unterziehen ... das Medium
ist Massage ... das Wort fällt ... und mit ihm das BILD dessen,
was es bezeichnet, Durchbruch im grauen Raum ..."[11]
http://www.hyperdis.de/cutu[p]
Lesen und Schreiben in kollaborativen Schreibprojekten
Das kollaborative Mitschreibeprojekt Assoziationsblaster[12]
nivelliert durch sein einfaches - ganz auf eine Animation zum Weiterschreiben
aufbauendes - Interface den Unterschied zwischen Lese- und Schreib-Oberfläche:
Die Website ist - vor hellblauem Hintergrund - einerseits horizontal
in ein dunkelblaues Ausgabe-Feld, in dem in gelber Schrift der Text
zu einem Stichwort angezeigt wird, und andererseits in ein blau umrandetes
Eingabe-Feld geteilt, in das die Leserin selbst eine Assoziation zu
dem betreffenden Stichwort `entladen' soll. Das mit der Bezeichnung
"Dein Name" versehene Feld für den Autorennamen erfüllt
nur eine beiläufige diskursive Funktion: dieser frei wählbare
Name des Schreibenden wird zusammen mit Datum und Uhrzeit lediglich
über dem jeweils fett hervorgehoben Stichwort in kleiner Schrift
angezeigt. Als Verknüpfungs- und Referenzkritierium fungieren lediglich
die Stichworte, die nach der Eingabe eines Textes auf der daraufhin
neu erstellten Seite durch eine Fülle von automatisch generierten
Links sofort ins Auge springen, den Vernetzungsgrad des eben geschriebenen
Textausschnittes anzeigen und die multiplen Zusammenhänge der Stichwort-Assoziationen
untereinander organisieren.
In dem Tree-Fiction Interface des Gvoon-Servers[13
] dagegen erfüllt der Autorname dagegen wichtige diskursive
und kommunikative Funktionen: Es ist eine Perspektive auf den Text-Baum
nach Autorennamen spezifiziert möglich[14],
und durch eine optionale Eingabe einer email-Adresse sind die AutorInnen
auch direkt adressierbar.
nic-las stellt im Netz eine frei konfigurierbare Informationslandschaft
zur Verfügung, die sich zudem nicht nur - neben vielen Kommunikations-
und Recherche-Tools - als ein persönlicher Zettelkasten zur Organisation
und Verknüpfung von Materialien eignet, sondern hervorragend auf
die Bedürfnisse kollaborativer Arbeitszusammenhänge, Forschergruppen
und Wissens-Communities zugeschnitten ist. Die Benutzermetapher und
das Interface zum Arbeiten sind nicht rein desktop- oder editor-orientiert[15],
sondern beruhen - als Grundoperation auf allen Arbeitsebenen - auf der
ebenso einfachen wie in höchstem Maße adaptiven grundlegendsten
systemtheoretischen Operation: eine "Unterscheidung"
anzulegen.
Verschiedene AutorInnen schreiben nicht nur zeitversetzt an demselben
Dokument, tauschen nicht nur ihre Zettelkästen[16],
Zitatdatenbanken oder Referenzen aus oder annotieren, kommentieren und
ergänzen feststehende Texteinheiten, sondern entwerfen verschiedene
Perspektiven, konstruieren Ein-, Aus- und Übergänge zwischen
allen möglichen Arten von Dokumenten (Texten, Bildern, Sounds,
Websites, emails, Links ...) und re- und dekontextualisieren ihre Eingaben
dabei permanent: Der Text wird zu einer Oberfläche, zu einer
Schnittstelle für die Begegnung von Leser und Schreiber,
Anbieter und Nutzer, Sender und Empfänger.
Von den Optionen dieser Differenzierungsmöglichkeiten ist eine
Indexierung nach Personen- bzw. Autornamen nur eine unter einer Fülle
von Selektionsmöglichkeiten, kooperative und webbasierte Operationen
stehen im Vordergrund des nic-las-Interfaces:
"im gegensatz zu anderen kollaborativen netzliteratur-projekten,
und anders als in vielen kollaborativen schreibumgebungen, ist in nic-las
das heraufladen, löschen, verändern und manipulieren von eigenen
und fremden daten in form von text, bild, film etc. möglich. nic-las
thematisiert das manipulieren, speichern und löschen ganz explizit,
indem gelöschte daten aus einem unterbewussten auf einmal wieder
auftauchen und die jüngst gelöschten objekte in den news sichtbar
werden können. man darf sich auch als reaktionen auf diese (anregenden)
verunsicherungen eingeladen fühlen, weitere differenzen [ new diff
] und objekte [ new object ] einzubringen. [...] basierend auf der systemtheorie
von Niklas Luhmann liegen die basisoperationen in vielfältigen
nicht-linearen verknüpfungsmöglichkeiten von textstellen und
zitaten (automatische verknüpfungen nach keywords ebenso wie ein
differenziertes meta-auszeichnungssystem etwa für personen- und
sachregister oder zuordnungen und zugriffsrechte für verschiedene
autorinnen) und in dynamischen diskursiven und kommunikativen operationen
(wie intuitive und assoziative annotationen und kommentierungen). gerade
diese verbindung von hierarchischen und rhizomatisch-unkontrollierten
organisationsoptionen ermöglicht eine intertextuelle praxis des
schreibens mit konstruktiven verunsicherungseffekten zwischen lesen
und schreiben."[17]
Die hier skizzierten hypertextuellen Schreib- und Diskursformen zeigen
nicht allein mögliche Optionen virtueller Texte, die mit dem Label
"Netzliteratur" vollkommen falsch ausgezeichnet wären,
sondern es scheinen hier Aspekte und Operationen einer medienübergreifenden
Kulturtechnik auf: hybride Operationen des Schreibens und Lesens, aktive
Rezeptions- und Aneignunsprozesse, die die von der Kulturwissenschaft
und jetzt vielleicht von der Netzkritik schon immer aufgeworfenen Fragen
nach Form und Inhalt, Text und Kontext, Produktion und Rezeption, Programmierer
und Anwender sowie nach den diskursiven Machtverhältnissen, nach
dem Copyright sowie der Vergesellschaftung von Wissen und der Virtualisierung
und Globalisierung von Arbeit unter den Bedingungen der Netzwerke radikal
neu stellen.
Immaterielle Arbeit: Netzwerke neuer Produktionsweisen
Nirgends treten die hybriden Widersprüche der postindustriellen
Gesellschaft deutlicher zutage als in der sehr ambivalenten Figur des
immateriellen Arbeiters: Ein Ensemble von Tätigkeitsmerkmalen,
die in der Moderne dem Autor, dem Künstler oder dem Intellektuellen
zugedacht waren, vollzieht sich jetzt über die ,Schnittstelle`
des immateriellen Arbeiters, der von dem absurd anmutenden Verhältnis
bestimmt wird, gleichzeitig Produzent und Konsument, Autor und Leser,
Kapitalist und Arbeiter, Subjekt und Objekt zu sein. Dieses Ineinanderfallen
und Überlagern der Produktionsprozesse (von Wissen, Gedanken, Bildern,
Tönen, Sprache, Programmen und Organisationsweisen) und deren Kommunikation,
Verbreitung, Verwertung und Konsumption schließt materielle und
ästhetisch-wissenschaftliche Produktionsweisen kurz: Die klassischen
Autorfunktionen werden industriell-organisierten Produktionsprozessen
unterworfen, während die Rezipienten, Konsumenten und Adressaten
durch produktive Rezeption zum aktiven Bestandteil des Verwertungs-
und Reproduktionskreislaufes werden. Genau an dieser Schnittstelle,
dieser kreativen Austauschbeziehung liegen die entscheidenden Möglichkeiten
der neuen Produktionsverhältnisse:
"Diese immaterielle Arbeit konstituiert sich unmittelbar kollektiv,
ja man könnte sogar davon sprechen, dass sie nicht anders als in
Form von Netzwerken und Strömen existiert."[18]
Genau auf der Basis solcher virtueller, vernetzter Arbeits- und Lebenszusammenhänge
vollziehen sich die neuere Operationsweisen digitaler Autor- und Leserschaft:
Information, Kommunikation und Wissen fungieren als die grundlegenden
Produktionsparameter, wobei die gesellschaftlichen Verhältnisse,
die Kooperationsformen und Gruppenprozesse selbst zu maßgeblichen
Produktionsfaktoren werden. Lesen und Schreiben werden gleichermaßen
zu Produktionsformen, die nicht mehr als gegensätzliche, funktional
getrennte Kulturtechniken praktiziert werden, sondern vielmehr ein Ensemble
bilden, eine Kooperation, ein Netzwerk. Hier kündigt sich ein grundlegender
Paradigmenwechsel des gesamten Wissenssystems an - ein Prozeß,
in dem immer wieder ein wunder Punkt umkreist wird: Die Interaktionsprozesse,
die im Kopf der Leserin bzw. auf dem Bildschirm des Users mittels der
aufgenommenen Strukturen der Texte angeregt werden, und mittels derer
erst die Sinnstrukturen rekonstruiert und zum Leben erweckt werden.
Dieser Akt des Lesens hat Ereignischarakter - ebenso wie der oberflächliche
Schreibakt der ,Schreiber' im Netz: ein Prozeß des sinnlichen
Anschließens und Kurzschließens zwischen Text- und Leserkörper,
während die Schreibenden auf vielerlei Art und Weise mit dieser
Lust am (Hyper-)Text als Animationstechnik für die Leser spielen.
"Solche Rekontextualisierung funktioniert nur im Medienverbund
und bedeutet eine neue Art von Diskursverflechtung jenseits des Monographien
produzierenden wissenschaftlichen Autors. Ende des achtzehnten Jahrhunderts,
als die Aufklärer die Vermittlungsformen der Öffentlichkeit
zu reflektieren begannen [...] keimten Zweifel an der Tragfähigkeit
der als Effekt einer spezifischen Buchkultur durchschaubaren Autorenrolle
auf.
'Journale sind eigentlich schon gemeinschaftliche Bücher', heißt
es in einem Text des Novalis von 1798, und weiter: 'Das Schreiben
in Gesellschaft ist ein interessantes Symptom - das noch eine große
Ausbildung der Schriftstellrey ahnden läßt. Man wird vielleicht
einmal in Masse schreiben, denken und handeln [...]' "[19]
Im Netz sind also die Wissensformen selbst systemisch ausgerichtet,
sozialisiert, kollektiviert. Es geht gar nicht mehr darum, einzelne
isolierte Wissens- und Texteinheiten, Singularitäten zu produzieren
oder zu rezipieren, sondern gerade die Zusammenhänge, die Anschlüsse,
die Referenzen sind der entscheidende Produktionsfaktor: Also genau
das, was zwischen den Texten, Wissenssystemen und Diskurseinheiten passiert:
das intertextuelle Weiter- und Umschreiben, das Wiederverwenden, De-
und Rekontextualisieren und Transformieren von Texten ...
Autoren und Leser eine Kampffront: Anfänge
offener Texte (open content)
Wohin führen nun diese Schreib-Spiele, das Engagement der zahllosen
open-source und open-content-Aktivistinnen, die Interventionen der net.art
und der Softwarekünstler? Die kulturellen Brüche, die sich
angesichts digitaler Interaktionsformen mit Texten, Bildern und Tönen
in den kulturellen Wissenssystemen vollzieht, liegen weniger in diesen
Interaktionsformen als solchen begründet -- denn Texte wurden und
werden schon immer mittels der jeweiligen medialen Aufschreibsysteme
traktiert, umgeschrieben, zerschnitten und wieder neu zusammengeklebt[20]
--, als vielmehr in den konkreten Ausformungen der Interaktionsformen.
D. h. die Art und Weise wie sich diese Interaktionen im Netzwerk digitaler
Diskurse vollziehen, ihre freie Gestalt- und Verfügbarkeit ist
der springende Punkt:
"All jene, die das demokratische Potential der neuen Medien loben,
heben in der Regel genau diese Merkmale hervor: daß der Cyberspace
für eine große Mehrheit der Menschen die Möglichkeit
eröffnet, aus der Rolle der passiven Beobachter auszubrechen [...].Ist
aber die andere Seite dieser Interaktivität nicht die Interpassivität?
Besteht nicht die notwendige Kehrseite meines Interagierens mit dem
Objekt [...] darin, daß mir das Objekt meine eigene passive Befriedigungsreaktion
(Trauer oder Lachen) nimmt, mir vorenthält, so daß es das
Objekt selbst ist, das an meiner Stelle `die Show geniest' [...]."[21]
Die Unterscheidung zwischen Schreiben und Lesen, genauer gesagt zwischen
den Akten des Schreibens und Lesens ist in digitalen Umgebungen zunächst
einmal medial verschoben: Wir können im Netz direkt auf jede Seite
schreiben, ohne noch irgendwelche Werkzeuge wie Schere, Bleistift, Druckerpresse
hinzuziehen zu müssen, weil eben genau diese Schreib-Werkzeuge
als Tools und Programme, als Client Plug-Ins, Server-Programme in derselben
Medienkonfiguration ausführbar sind, die auch schon für das
Anzeigen der Seite verantwortlich sind. Der vom Dekonstruktivismus endlos
durchkonjugierte Bruch, dass alle Texte aus anderen Texten zusammengeschnitten
sind, dass in jedem Buch ein weiteres steckt, das heraus will, dass
die Texte nicht bei den Lesern ankommen, sondern sich als aktive Rezeptionsprozesse
genau um die Leerstellen der Texte, Bücher und Diskurse herum neu
konstituieren, ist jetzt in den digitalen Diskursen in den Code selbst
eingeschrieben: Die Texte, Strukturen, Index-Systeme, Meta-Informationen,
Verknüpfungsstrukturen zwischen den Texten ebenso wie ein Großteil
der 'sozialen Software`liegen als 'open source` im Netz bereit: und
warten darauf, gelesen, kritisiert, weitergeschrieben, angewendet, übertragen
... zu werden. Sicherlich wäre es verfehlt, diese Gebrauchsweisen
von Texten als Interface für kulturelle, soziale und ökonomische
Datenströme, Austauschprozesse und Kommunikationsweisen schon selbst
für eine utopische Verwirklichung der Träume und Konzepte
von offenen Kunstwerken, für eine 'Verwirklichung` ästhetischer
Utopien zu halten - aber sie stellen sicherlich Momente der Öffnung
dar, durch die hindurch Textrevolutionen und Utopien der verschiedensten
künstlerischen und sozialen Bewegungen neue Antriebe und Anwendungsfelder
bekommen - und vor allem neue Modelle und Strukturen außerhalb
rein ästhetischer oder literarischer Kontexte praktiziert werden
können. Durch solche Synergieeffekte nehmen Prozesse, die vielleicht
als Text-Kollaboration im Netz beginnen, wiederum Einfluß auf
die 'Gestaltung' gesellschaftlicher Felder (virtuelle Arbeit, virtuelles
Geld, virtuelle Wissenschaft, direkte Demokratie, soziale Software ...).
So ist es auch kein Zufall, daß gerade die Macher des Assoziationsblasters
sich engagieren für die "Freiheit von Links" im Netz
und zur gemeinschaftlichen Durchsetzung ihrer Forderungen Instrumente
für "online Demonstrationen"[22]
entwickelt haben. Zahlreiche Projekte und Initiativen aus den Bereichen
"freie Software und "open content" führen ästhetisch-künstlerische
und netzpolitische Ansätze (wieder) zusammen.[23]
Welches Wissen ist nicht sozial, wird nicht aus gesellschaftlichen
und gemeinschaftlichen Produktionszusammenhängen heraus - in zumeinst
geselligen ,Wissens-Schmieden` zusammengeschrieben - und wirkt dann
wiederum auf die sozialen Interfaces und Interaktionsweisen zurück
...?
... die Texte im Netz sind niemals geschlossen, finden kein definitives
Ende, keinen Schlusspunkt wie dieser Text ...[24]
Heiko Idensen (hei+Co@hyperdis.de)
1956, Hannover
Literatur- und Hypertextforscher, seit 1988 gemeinschaftliche Schreibprojekte
im Netz, ,,Die imaginäre Bibliothek" (http://www.hyperdis.de/pool)
,,Odysseen im Netzraum. Open Science Fiction": http://www.hyperfiction.de,
,,Odysseen des Wissens": http://www.hyperdis.de/
[1] Kittler, Friedrich: Es gibt keine
Software. In: Draculas Vermächtnis, 225-242, s.225-226, Leipzig:
Reclam, 1993; vgl. Markus Krajewski: http://www.culture.hu-berlin.de/verstaerker/vs001/raum/RaumGewinn.html,
sowie Hartmut Winkler: http://www.uni-paderborn.de
/~winkler/flogging.html und Mike Sandbothe: [
2] Eine web-extension, auch mit weiteren
Verweisen, die im Druck keinen Platz finden konnten, findet sich unter:http://www.hyperdis.de/socialsoft/.
[3] Wolfgang Coy: Das Web als Enzyklopädie:
http://www.unizh.ch/~elwyss/News_Coy.html
[4] Open Directory Project: http://dmoz.org/about.html;
Vgl. auch Projekte, die auf der Basis von weblogs realiert werden, die
sich hervorragend für kollaboratives Editieren eignen: Wikipedia:
http://de.wikipedia.com/
oder eine web-extension zu einem "Netzkunst-Wörterbuch"
(hg. von Kurd Alsleben, Antje Eske): http://www.hfbk.uni-hamburg.de/netz/kunst.html
[5] Volker Grassmuck : Von Fischteichen,
WG-Kühlschränken und freier Software, für Linux-Magazin,
6/01: http://www.mikro.org/Events/OS/text/wg-kuehlschraenke.html
[6] Eckhard Schumacher: Hyper/Text/Theorie:
Die Bestimmung der Lesbarkeit, in: Andiopoulos, Stefan; Schabacher,
Gabriele; Schumacher, Eckhard (Hg.): Die Adresse des Mediums, 121-135,
129)
[7] Intertextualität (nach Julia
Kristeva ): http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/epik/intertext.htm
Referenzen: Michail Bachtin: Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt
am Main 1979: Julia Kristeva: Probleme der Textstrukturation, Köln
1972.
[8] http://www.rolux.org/starship
[9] Alternative Lizenzmodelle von Software
greifen auch auf historische soziale Praktiken des Allgemeinguts zurück
(,,Wissensallmende") Vgl.
http://waste.informatik.hu-berlin.de/Grassmuck/texts.html
[10]
[11] Burroughs William S.: Nova Express.
Frankfurt a.M. 1987, S. 636; vgl. auch: H.I.: copy/paste, sample/cut-up.
Verweise und Anspielungen zur Interaktion mit Texten: [/
12] http://www.assoziations-blaster.de/
[13] Der Gvoon-Server (http://www.gvoon.de)
beinhaltet verschiedenste kollaborative Kunst-Projekte - u.a. einen
,,Hypertext-Tree" mit verzweigten Geschichten, die an jedem beliebigen
Zweig von den Lesern erweitert werden kann.
[14] z.B. zum kollaborativen Science-Fiction
,,Odysseen im Netzraum".
Thematische Einstiegspunkte und Verknüpfungen: http://www.hyperfiction.de/gvoon/
Vgl. H.I.: Odysseen im Schreibraum. Utopien, Abgründe und Möglichkeiten
des Schreibens im Netz. ... aus der Werkstatt zweier kollaborativer
Schreibprojekte:
http://www.dichtung-digital.de/Forum-Kassel-Okt-00/Idensen
[15] ... mit den Standard-Operationen:
copy/paste/link herstellen ...
[16] Vgl. auch Markus Krajewski zu
den Luhmannschen Zettelkästen: http://infosoc.uni-koeln.de/synapsen/MnemoNet/MnemoNet.htm.
[17] Ein kollaboratives Text-Konglomerat,
in das mehrere AutorInnen eingegriffen haben.
Automatische Verlinkungsoperationen, tracing-Funktionen und zahlreiches
Features zum Kommentieren von websites erweitern die dynamischen Schreiboperationen
von nic-las: http://www.nic-las.com/enzyklopaedie/
[18] Lazzarato, Maurizio, "Immaterielle
Arbeit. Gesellschaftliche Tätigkeit unter den Bedingungen des Postfordismus",
in: Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion,
hg. v. Toni Negri, Maurizio Lazzazato, Paolo Virno, Berlin 1998, S.
39-52, hier: S. 46-47; 61); vgl. IO_Lavoro Immateriale
von Knowbotic Research: http://io.khm.de/ und Andreas Broeckmann:
http://www.kulturprozent.ch/brainstorming/referenten/willhelm/knowbot.htm
[19] Novalis: Schriften II, 645, das
gesamte Zitat findet sich in: Frank Hartmann: Medienphilosophie, Wien
2000, 27, 28
[20] Die Imaginäre Bibliothek
zeigt einer Palette solcher Prozesse aus den Bereichen antike Philosophie,
visuelle Poesie, experimentelle Literatur, Science Fiction:
http://www.hyperdis.de/pool/
[21] Zizek, Slavoj: Die Substitution
zwischen Interaktivität und Interpassivität, in: Robert Pfaller
(Hg.): Interpassivität. Studien über delegiertes Genießen,
Wien 2000, 13-32, 21. Um diesen ironisch-interventionistischen Begriff
der Interpassivität haben sich auf der Transmediale lebhafteste
Diskussionen entzündet. Eine Entzauberung des Interaktions-Paradigmas:
http://www.hyperdis.de/interaktion/
[22] http://www.online-demonstration.org/
[23] http://www.opentheory.org/,
http://opencontent.org,
http://textz.com. Vgl.
Florian Cramer: Anti-Copyright in künstlerischen Subkulturen::
http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/writings/anticopyright//anticopyright.html
[24] ... der im Netz kritisiert, ergänzt,
weitergeführt, kommentiert ... werden kann unter: http://www.hyperdis.de/socialsoft/.