Die Außenwelt der Innenwelt
Zur Auflösung von Texten in Bilder in interaktiver Literatur


von Peter Gendolla und Thomas Kamphusmann



Vorbemerkung

Der Titel unseres kleinen Beitrags ist, wie unschwer erkennbar, ein um die erste 'Innenwelt' verkürzter früher Handke-Titel. Wir habe ihn programmatisch verkürzt, ganz bewußt eine Leerstelle da lassend, wo Handke - der späte auf jeden Fall - durchaus pathetisch von einer Innenwelt redet, und wo wir, vorsichtig und unabgesichert, von einem Zwischen, eventuell einer 'Zwischenwelt' sprechen würden: den literarischen oder ästhetischen Prozessen zwischen Menschen, Medien und Maschinen, Programmen, paradoxen Prozessen, geregelt, unerwartet, unerwartet geregelt. In Handkes Textsammlung von 1969 - dem linguistic turn dieser Zeit gehorchend sollen hier keine Geschichten erzählt werden, höchstens das Entstehen von Geschichten aus "grammatischen Modellen"(1) - findet sich als eine Art short story die Nr. 18 mit der Überschrift Die Buchstabenformen, die metaliterarisch so beginnt:
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Peter Handke soll hier jetzt um Gottes Willen nicht als Urvater interaktiver Literatur vorgestellt werden. Am Ende beharrte Handke ja doch sehr konsequent auf der klassischen Autorposition, und auch in Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt ging es schließlich um pure Imaginationsräume, die von der Materialität der Zeichen, hier also etwa den Buchstabenformen, der sichtbaren Letterngestalt, immer nur angestoßen, ein wenig geöffnet werden können, evtl. produktiv gestört...

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Diese Buchstaben werden im Verlauf des Textes immer größer, aufdringlicher, störender, hindern den Kapitän schließlich an der Lektüre,
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In der Folge hat Handke solche störenden Lettern ebenfalls beiseite gelegt und wieder eindeutig lange oder kurze, jedenfalls ordentliche Bücher geschrieben, Anstöße, Ermöglichungen, Öffnungen von Innenwelten. Handkes "Satzspiele" allerdings sind auch ohne ihn weitergegangen, die Lettern haben sich in gewisser Weise noch selbständiger gemacht, das L etwa - mit dem alle Literatur ja beginnt - hat sich aus dem Buch heraus in ganz andere Medien begeben, etwa zeitgleich mit der Publikation der frühen und wie man sieht bis heute anregenden Handke-Sammlung wie folgt:

"Es war keine leichte Geburt, als am 1. Oktober 1969 erstmals zwei Rechner lernten, miteinander zu kommunizieren.", beginnt ein Bericht über "Die Zukunft des Internets". Der erste Buchstabe dieser Kommunikation scheint ihr jedenfalls direkt entsprungen.

"'Ich tippe jetzt ein > L <!' brüllte Kline in den Hörer. ...Dann drückte er auf seine Tastatur, und per Modem wurde das > L < über eine Standleitung zum Rechner nach Menlo Park geschickt. ...Das >ARPAnet< war geboren, der Vorläufer des Internets."(5)

Krise der Mimesis

1969 markiert in gewissem Sinne eine extreme Krise der Mimesis in der Dichtkunst, versteht man mit Aristoteles, für den sie ja "insgesamt Nachahmungen" praktiziert, darunter eben Nachahmungen
  • "in verschiedenem Material"
  • "oder verschiedenen Gegenständen"
  • "oder auf verschiedene Art und Weise".(6)
Wie man sehen kann treten die Buchstabenformen aus der Erzählung heraus, sie stören die Lektüre. D.h. genauer, sie ahmen mit ihren Formen Raum- oder Körperformen nach, diskrete Zeichenfolgen werden in analoge Elemente übersetzt, in einer dem Referenzobjekt visuell ähnlichen Form präsentiert. So gerät die Literatur, geraten Texte, Buchstaben in eine irritierende Vermischung mit Bildern, Räumen und Handlungen, Text und Kontext experimentieren mit neuen Relationen. Ohne jetzt gleich die damals beginnenden Reden vom "Ende der Schrift", dem "Schluß mit dem Erzählen", dem endgültigen Eintritt des "visuellen Zeitalters" fortzusetzen, oder gar die als Medientheorien daherkommenden voreiligen Behauptungen eines neuen Analphabetismus, sollen folgend zwei Gedanken zu Entstehung und Effekten solcher Text-Bild-Mischungen formuliert werden, zu Ursprung und Tendenzen der angesprochenen Krise der Mimesis.

Der erste wäre in etwa dieser: die genannte Verwirrung tritt ganz unabwendbar im Zuge der Evolution der neuen und neuesten Medien ein. In dem Maße nämlich, wie sich technisch immer perfektere Formen der direkten Aufzeichnung von Materie-Energie-Ereignissen in Materie-Energie-Ereignissen entwickeln, eine Art extremer Mimesis möglich wird, die 1/1-Abbildung etwa von Schall oder Licht auf Schallplatte, Zelluloid, Magnetband etc., die zudem zunehmend über Rechnertechnologien mit ihren digitalen Codierungen gesteuert wird, deren Form wiederum absolut Nichts (0/1) zu tun hat mit den übermittelten, übersetzten oder transportierten Formen, gibt es tatsächlich ein extremes Auseinandertreten der Elemente des semiotischen Prozesses. Digitale Zeichenfolgen steuern Abbildungsvorgänge, bei denen sowohl Kopien entstehen können, die "besser" sind als das Original, in welcher Hinsicht auch immer, genausogut aber auch Dinge, die mit dem Original rein gar nichts mehr zu tun haben. So tritt die Verwirrung also gerade dadurch ein, daß sich soetwas wie ein pures Abbild herausfiltern läßt, das in einem zumindest logischen Gegensatz zu der puren Information steht, die den Abbildungsprozeß steuert. Schließlich ist so ein ganzes Spektrum von 1/1- Abbildungen über wahrscheinliche, ähnliche, in Teilen entsprechende Formen bis zu vollkommen freien, gänzlich unähnlichen Transformationen abschreitbar geworden, von der natura naturans zur natura naturata wird tendenziell jede Version generierbar.

Liest man daraufhin Aristoteles Poetik nochmals, so ist man damit eigentlich endlich bei der Realisierung seines Ideen angelangt, sofern poetische Mimesis ja doch etwas anderes machen soll, als ihr Vorbild "in Wirklichkeit" ist, nämlich "Handlungen erfinden", indem es sie nachahmt.(7)

Hieran anschließend wäre ein zweiter Gedanke formulierbar, der unser eigentliches Titelthema betrifft. Eine in der Evolution, der Ausdifferenzierung der Künste oder des Systems Kunst - zumindest ihrer Geschichtsschreibung und Theoretisierung - als Autonomiesierungsprozeß hinreichend beschriebenene Tendenz zur Abtrennung der "oralen", "gestischen", "audio-visuellen" Anteile von Literatur und Kunst kann unter den skizzierten medientechnischen Bedingungen durchaus neu oder anders systematisiert werden. Der sogenannte Autonomiesierungsprozeß ist ja sehr gut auch als Stillstellungsprozeß der Rezipienten beschreibbar, als Weg von der lauten Aufführung von Literatur zum still-in-sich-versenkten Lesen, ebenso in der Kunst als Schritte von einer magisch-religiös-therapeutischen Praxis mit Bildern zum auratischen, konzentrierten, eben bewegungslosen Bildverstehen. Ein auf diesem Weg verdrängtes, jedenfalls von der Literatur- und Kunstgeschichtsschreibung lange Zeit verdrängtes Wechselspiel von Texten und Bildern in Räumen, eben ein sehr vielfältiges, in seiner Komplexität noch keineswegs überschaubares ästhetisches Handeln läßt sich nun an dem studieren, was wir - zugegebenermaßen mit einem Hilfsbegriff - die Geschichte der interaktiven Literatur nennen. Es handelt sich um ein Projekt, in dem wir, angeregt von aktuellen Formen, die jene obige Vermischung praktizieren, zunächst einmal so etwas wie die Archäologie des Zusammenwirkens und Auseinandertretens von Texten und Bildern über Handlungen, das Interagieren von Menschen über Medien mit ästhetischen Objekten, minimalen Elementen bis ausgeführten Werken betreiben wollen, ihre Geschichte und Systematik zu eruieren und zu beschreiben versuchen.

Seit 1969 haben sich dabei viele Dinge also eher im Sinne jener Buchstabenformen weiterentwickelt, eher im Sinne solcher von Handke damals betriebenen Visualisierung zum Beispiel, als Moment einer "visuellen Zeitenwende", die ja von McLuhan über Flusser bis Bolz von vielen verkündet worden ist. Auch ein Symposion "Krise der Mimesis" läßt sich wohl als eine Art Fortsetzung oder Reaktion auf diese Verkündigungen verstehen, nach den vorschnellen und kurzschlüssigen Reden vom "Ende der Schrift" als Differenzierungen. So hat die Schrift, d.h. die gedruckte Schrift und ihr Reich, die Gutenberg-Galaxis, nicht einfach die Oralität, Gestik, Mimik etc. abgelöst, diesen Nachweis hat neben anderen Horst Wenzel geführt.(8) Ebensowenig wird aktuell die Schrift durch Multimedia, Netze, durchs Reich der sogenannten Turing-Galaxis abgelöst, die reichen Innenwelten durch oberflächliche, platte Außenwelten, durch "Krach mit Bildern", wie es eine meist wenig informierte Kulturkritik gern hätte.

Solche Differenzierung soll hier also ein wenig vorangetrieben werden, und zwar entlang theoretischer wie praktischer Möglichkeiten eines derzeit kurrenten Begriffs, der sogenannten Interaktivität. Sie soll dabei allerdings sehr eingegrenzt werden, eben auf eine der wohl ältesten ästhetischen Tätigkeiten, die Literatur, das Erzählen, Geschichten machen.

Der Mouse-Klick

Die inzwischen ja bereits inflationäre Rede über interaktive Medien wird bezeichnenderweise sehr unscharf, wo sie sich mit literarischen Medien oder Literatur überhaupt verbindet. Was bisher - jedenfalls für ein breiteres Publikum - an sogenannten interaktiven Möglichkeiten zur Verfügung gestellt wird, ist klar definiert und beschränkt sich in der Regel auf einen einfachen Maus-Klick: ja, hiermit bestelle ich Oberhemd-Nr. sowieso vom Otto-Versand; 312 DM umbuchen von Kto. hier auf Kto.da; (eventuell im Jahr ...2006: nein, ich möchte Fischer nicht als Kanzler, Schröder soll bleiben?).

Für Literatur bezöge sich das auf die Distribution, also nichts als Buchbestellung über die elektronischen Netze, vielleicht noch das individuelle Ausdrucken - wohl nicht der Handkeschen Niemandsbucht (1066 Seiten), aber wohl doch des Versuchs über die Müdigkeit (80 Seiten).

Das alles hat mit dem in der Idee der Interaktivität offenbar virulenten Kern wenig zu tun, gehört wohl eher zu jenen Rationalisierungsstrategien, in deren Zuge jeder sein Gemüse jetzt selbst abwiegen darf.

Weit interessanter - aber eben auch ungenauer - wird die Idee, sucht man sie nicht in den neuen Distributionsmöglichkeiten für fertige Dinge, hier etwa Zeitschriften oder Bücher, sondern im Unfertigen, in dem, was während der Distribution mit den Zeichen und Bildern passiert. Scott Lash hat kürzlich die These vertreten, wir gingen in eine 2-Technologien-Kultur: eine monopolistisch organisierte Informations-Technologie, die alle ökonomisch relevanten Kommunikationen nach und nach beherrscht (Stichwort B. Gates Microsoft), und eine dezentrale, regionale...Multimedia-Kultur, in der Teilnehmer nicht hier aktiv schreiben, filmen, musizieren...und dann da passiv lesen, sehen, hören..., vielmehr (als User eines Systems) interaktiv sind: ein verteilter, multisensorieller, die generierenden und die rezipierenden Positionen ständig wechselnder Austausch von Ideen, Konzepten, Stücken, ...auch Werken zwischen Menschen und Medien. Dieser Austausch funktioniere eher nach Regeln des Spiels -Fußball, Schach, Adventure-game... - als nach traditionellen linearen Modellen - etwa dem einer zu lesenden Geschichte mit Anfang, Peripetie, katastrophalem Ende. Wie beim Fußball mit seiner direkten, an momentaner Spannung interessierten Teilnahme, einem eher energetischen Austausch, gehe es hier um blitzschnelle Kombinationsgabe, intellektuelles Kräftemessen statt um distanzierte, reflexive bis meditative Zeichenkommunikation.

Bei allen Zweifeln - an der behaupteten Differenz der zwei Technologien, an der vorschnellen, strikten Opposition von Spiel vs. Narration... - nähern sich diese Überlegungen den aktuellen Tendenzen: der Interaktivität als momentaner, punktueller, am Kick, der plötzlichen, überraschenden Assoziation orientierter Austauschbewegung zwischen Menschen-Medien-Maschinen-Programmen...

Innehalten

Wenn von interaktiver Literatur geredet wird, sollte zunächst einiges auseinandergehalten werden, systematische Unterscheidungen wie historische Entwicklungen. Nicht einfach aus philologischem Ordnungswahn - der ist inzwischen in fleißigen Programmen implementiert, und wir dürfen ihm getrost ein paar begrenzte Aufgaben überlassen - , vielmehr um nicht immer wieder der Illusion aufzusitzen, hier würde das Rad neu erfunden, vor allem um gegenwärtige Mischformen oder Integrationen, um die eigenartigen Hybridisierungen situieren zu können, das ganz Alte und das tatsächlich Neue daran zu erkennen.

Versteht man Literatur systematisch als Reihe von Buchstaben (lat. littera - Buchstabe, Schrift), allgemeiner als Zeichenfolge, mit der eine Geschichte erzählt wird, und zwar nicht willkürlich, sondern nach - von Fall zu Fall auch strengen - Regeln, so gibt es historisch durchaus verschiedene Formen der 'Teilnahme' an dieser Erzählung, d.h. eine Entwicklung von Möglichkeiten, Spielformen der Interaktivität. Sie könnte selbst wieder als Geschichte erzählt werden, deren zentraler Antrieb lautet: Wie gelangt der Leser ins Buch, wie kann er selbst zum Handelnden jener aufregenden Ereignisse werden?

Eine erste Antwort, die von Literaturwissenschaftlern schon lange gegeben und mit Beispielen von Cervantes bis Pirandello illustriert wird, lautet: Der Leser ist doch längst darin, er selbst ist es ja, dem all die gefährlichen, unwahrscheinlichen, wunderbaren Dinge zustoßen. Die Helden der Bücher sind doch immer schon die Leser! Und zwar ideale Leser, Leseratten, Buchgläubige. Don Quijote hat zuviele Ritterromane gelesen, hält sich selbst für einen Ritter und gerät mit dieser Selbstverwechslung prompt in die verrücktesten Situationen. Emma Bovary liest zuviele Liebesromane - Schund, Schmöker, gefährlichen Kitsch -, hält ihre Liebhaber für direkte Nachkommen der edlen Ritter..., und bringt sich verzeifelt um, als sie ihren Irrtum bemerken muß. Adson, Bruder William... wir alle lesen gebannt in den blutigen Zeichen im "Namen der Rose" und werden zu Experten im Spurenlesen und Täterprofile erstellen, "Zeichen von Zeichen weitergebend" heißt es bei Eco. Indem wir lesen, schreiben wir, assoziieren erst die Geschichten auf unsere Weise zusammen oder zuende, und alle Schreiber waren und sind natürlich excessive Leser. Die Bücher sprechen miteinander, alle Texte sind auf gewisse Weise ineinander verwoben. Von Bachtins Dialogizität über Kristevas Intertextualität zur aktuellen Intermedialität wird dieser Dialog der Zeichen ja seit längerem systematisiert. Aber das ist noch keine Interaktivität, oder nur eine sehr spirituelle. Die körperlichen Positionen und physischen Bewegungen bleiben klar verteilt: Jemand schreibt; über ein Medium - Papier, Buch, Zeitung...- gelangt das in die Hände von jemand, der es liest, eventuell auch selber schreibt, und immer so weiter.

Etwas deutlicher werden die Verhältnisse, wenn man auf die Kunst schaut, die seit der Antike den Buchstaben zum Leben, d.h. zum Handeln, zur actio bringen will, aufs Theater. Aus Zeitgründen muß ich all die Formen, Bewegungen, Initiativen ignorieren, die den Zuschauer, das Volk, die Straße... ins Geschehen einzubeziehen trachteten und trachten, von der commedia del arte zu Fluxus, Happening oder Performance.

Stattdessen beschränke ich mich auf eine Linie, die obiger selbstreflexiver Literatur parallel läuft, vom Hamlet über den Gestiefelten Kater zu Sechs Personen suchen einen Autor. Das Spiel im Spiel, das hier getrieben wird, ist komplex motiviert und zeitigt diverse Effekte, von denen ich auch wieder nur einen benennen will, eine Art Übersprungseffekt. Wenn Hamlets Mutter und Onkel in dem ihnen vorgeführten Stück eine Anspielung auf ihr eigenes verbrecherisches Tun zu erkennen glauben und sich entsprechend als Ertappte verhalten, wenn also Hamlets Vermutung zur Gewißheit wird, ist ja nicht bloß ein kriminalistischer Verdacht mit theatralischen Mitteln abgesichert. Vielmehr führen innere Bewegungen (Gefühle und Gedanken, Ideen, Konzepte...) ganz traditionell zu äußeren (Kopfschütteln, erbost aufstehn, die Vorstellung abbrechen...), und doch ganz anders. Die Worte - "my words fly up, my thoughts remain below", Claudius - , über die hier der Beweis geführt wird, d.h. die plötzlich für beide Paare gelten, für Mutter und Onkel wie für die Verbrecher des Stücks im Stück, verlieren im Moment dieses Identifizierungsakts ihren Status als bloße Umsetzungsmittel, einfache Medien, Transportkanäle zwischen Ideen und Taten. Indem sie das Spiel ins Leben übersetzen sollen, schwer belastend, bedeutend werden, werden sie auch in besonderer Weise ungewiß, etwas eigenes außerhalb der Taten des Lebens wie des Spiels, über das plötzlich beide umgebogen, gelenkt, beherrscht... werden können. Genau dies bewirkt das berüchtigte Innehalten, erregt die sich ausbreitende Pest der Melancholie, macht Hamlet zum ewigen Zauderer... und springt vor allem über auf uns, die Zuschauer, bis heute. Daß das ganze Gequassel eben in dem Augenblick, wo es sich selbst als Theater, gespielt, vorgetäuscht... bezeichnet, als pure leere Hülse, in ein Tun wie von Sinnen umschlagen könnte und -schlägt, läßt unsern Geist bis heute nicht ruhn.

Immer wenn sich wie hier also die Schachtel in der Schachtel nach außen stülpt und wir uns, die Zuschauer, darin sitzen sehen, gibt es besagten Übersprungseffekt. Er zieht exakt die Grenze zwischen all jenen spirituellen Verflechtungen - Dialogen, Intertexten, Interdiskursen - und jenen materiellen Austauschprozessen, die dann als Interaktivität bezeichnet werden.

Lulu

Mit den neuen, jetzt sogenannten interaktiven Medien bleiben wir im Theater- (oder Kino-)sessel, legen allerdings das Buch aus der Hand, nehmen stattdessen Tastatur und Maus, eventuell Kopfhörer mit Mikrophon auf den Kopf, ganz selten gar einen Datenhelm.

Wir könnten dann z.B. ein kleines Mädchen in einem alten englischen Schloßpark sehen, ein Buch auf dem Schoß, in dem es von einem Mädchen in einem alten englischen Schloßpark liest, ein Buch auf dem Schoß... (einspielen: Lulu Sprecher-Eröffnung..., CD-ROM-Beispiele?).

Es handelt sich hier nicht um eine Urenkelin der Wedekindschen Verführerin, von sexuellen Provokationen oder auch nur Anspielungen keine Spur, diese aktuelle Büchse der Pandora entläßt nur unschuldige Worte, Bilder, kleine Quick-time-movies... Eigentlich eine ganz traditionell linear erzählte Geschichte: Das Mädchen trifft einen kleinen Roboter, fliegt mit ihm in den Weltraum, stürzt ab und landet "an der heißesten Stelle des Buchs", d.h. in der Wüste, und erlebt so einige Abenteuer... Ein klassisches Märchen, statt früher mit Illustrationen jetzt multimedial mit Tönen, Musik, Animationen aufgepeppt. Also doch weiterhin ein Buch, sollte man denken, ein elektronisches halt. Tatsächlich bleibt diese Geschichte auf CD-ROM noch sehr nah an obiger Grenze, beschränkt sich die Interaktivität auf den schnellen Wechsel zwischen den Text-Bild-Ton-Bausteinen, auf die freie Wahl, welches Kapitel gelesen wird, ob Lulu zwischendurch einen Walzer oder etwas Rap aufs Parkett legen soll. Dennoch werden Schritte von obiger eher inneren, zur Verinnerlichung treibenden Bewegtheit weg in eine andere Richtung getan. Ein erster sieht der skizzierten Selbstreferentialität des Buchs im Buch, Spiels im Spiel, Films im Film... täuschend ähnlich. Lulu ist eine exzessive Leserin, liest von einer Leserin, und so könnte jener Übersprungseffekt bei den Leserinnen der CD-ROM eintreten: Das bin ja ich, wo wird das hinführen... Aber hier verhindert die Materialität des neuen Mediums das Verschwinden in der unendlichen Spiegelflucht und die damit verbundene Duldungsstarre, das Verharren im mehr oder weniger lustvollen Sich-etwas-erzählen-lassen. Die Tasten müssen gedrückt, die Maus bewegt, die Buttons angeklickt, die Links entdeckt und ausgestöbert werden, um sich die Geschichte nach und nach in allen Verzweigungen zu erschließen. Über das Ansprechen der äußeren Sinne - Gesichts-, Hör-, Tastsinn - hinaus ist es gerade die Unterbrechung von deren bloßer Zuliefererfunktion für den inneren Film der Worte und Bilder hinaus, ihre Stärkung als Eigensinne mit anderen, unerwarteten, visuellen, akustischen, taktilen Assoziationen folgenden Bewegungen, die aus der Leserin eine Art 'Schreiberin', jedenfalls aus dem Betrachter den "bewegten Betrachter" (Hünnekens) machen. Eventuell erhebt sich das Kind, die Schülerin, der Student... (das sog. Zielpublikum dieser CD-ROM ist nicht klar definiert, das macht sie interessant) und sucht im Bücherregal nach Infos über Weltraum, Wüsten, Kamele..., altenglische Gartenarchitektur, oder um eine CD einzulegen und selbst zu tanzen, oder um eine Reise anzutreten... Das alles könnte auch ein Buch auslösen, insofern bleibt diese Realisation einer Erzählung im neuesten Medium noch weitgehend im Rahmen des herkömmlichen.

Blick zurück nach vorn

Tatsächlich sind in der Geschichte der Literatur schon ewig Dinge konzipiert und praktiziert worden, die heute als unerhörte Neuigkeiten verkauft werden. Eben hier müßte die historische Linie der Print- und anderer Medien entwickelt werden, die aufgrund ihrer Materialität, immanenten Mechanik, konstruktiver Vorgaben bereits das obige physische Engagement während der 'Lektüre' verlangen. Ich möchte sie kurz skizzieren.

Sicher beginnt auch sie in der Antike oder gar im alten Ägypten, wo Jan Assmann ja den Beginn von Literatur angesiedelt hat.(9) Aus Zeit-, vor allem Bildungsgründen kann ich dazu wenig beitragen, selbst die ars magna combinatoria des katalanischen Mönchs, Mystikers, Dichters, Enzyklopädisten... aggressiven Missionars Raimundus Lullus aus dem 13. Jahrhundert muß ich weglassen, und auch noch die sogenannte Metaphernmaschine des Universalgelehrten Athanasius Kircher aus dem 17. Jh.(10), selbst noch den Fünffachen Denckring der Teutschen Sprache des Barockpoeten Georg Philipp Harsdörffer.(11) Alle drei biegen interessanterweise das lineare Lesen oder Sehen in eine Kreisbewegung zurück, der Rezipient muß etwas drehen - bei Lullus drei, bei Harsdörffer fünf konzentrisch angeordnete Scheiben, bei Kircher eine Trommel in einem komplexen Spiegelkasten -, um eine mögliche Kombination von Begriffen und Bildern zu erhalten, an die weitere Spekulationen angeknüpft werden können. 1726 wird Lemuel Gulliver dann in jener eigenartigen Akademie der Projektemacher von Lagado ein Apparat vorgeführt, der seinem Anspruch nach durchaus mit heutigen Hochleistungsrechnern konkurrieren könnte, eine Art Würfelmaschine, auf der "alle Worte der Landessprache" verzeichnet sind.

"Durch eine plötzliche Drehung wurde die ganze Anordnung verändert. ... Die Maschine war aber so eingerichtet, daß die Wörter bei jeder Umdrehung einen neuen Platz einnahmen, sobald sich die Holzwürfel von oben nach unten verschoben. Die Zufallsergebnisse wurden aufgeschrieben und sollten 'der Welt einen vollständigen Inbegriff aller Künste und Wissenschaften geben."(12)
Was bei Swift als Jux oder Satire aufs akademische Palaver daherkommt, wird 1890 im Coup de des Mallarmés hochgradig aufgeladen: der Zufall als das kreative Element der literarischen Produktion, das aber gerade nicht in der bloßen Mechanik des Würfelwurfs aufgeht. Dieser bildet eine mindestens doppelt konnotierte Metapher, meint das ganze Assoziationsfeld zwischen der Materialität der Würfel, Größe, Gewicht, Schwung, Willkürlichkeit des Werfens... und dem Wörterwurf im Kopf, den gewollten, logischen Verknüpfungen, vor allem aber den plötzlichen, intuitiven, den unendlichen Assoziationsmöglichkeiten der Sprache nachgehenden inneren Bewegungen. Sowohl Swifts wie Mallarmés Entwürfe sind ideelle Konstruktionen, Papiervorschläge, bei Mallarmé ein wenig im Druckbild realisiert, auf dem Weg zur visuellen Poesie. Aber gerade mit seiner Idee des produktiven Zufalls wird m.E. bereits die ganze Bandbreite der dann bis in die Gegenwart in immer neuen Formen realisierten literarischen Interaktivität abgesteckt, das Zusammenspiel von Sprache und Phantasie, das über - sehr verschiedene - Medien reguliert wird.

Dabei gehen die literarischen Innovationen einher mit der Evolution dieser Medien, ihrer Ausdifferenzierung und Autonomisierung. Die historische Reihe läßt sich hier durch eine logische systematisieren, als Transformation oder Umgruppierung der Positionen von Autor-Medium-Werk. Zur ersten Frage 'Wie gelangt der Leser ins Buch?' kommt die zweite: 'Was macht er dann da?', und zwar zunächst selbstverständlich '... mit den Wörtern?', aber auch, weit nervenaufreibender: 'Was machen die Wörter mit ihm?' Vielleicht könnte man - wie immer provisorisch - drei Etappen vorschlagen, in denen Personen, Gruppen... mit alten, neuen und neuesten Medien diesen Fragen nachgegangen sind und gehen. Zur ersten gehören vor dem Zweiten Weltkrieg Dada und Surrealismus, danach Happening, Fluxus, Situationisten. An bestimmte Praktiken anknüpfend, aber doch bereits der zweiten Phase zugehörig, wäre die Wiener Gruppe zu zählen, vor allem aber die Gruppe Oulipo. Die dritte Phase ist noch kaum auf Namen einzugrenzen, in der befinden wir uns, sozusagen, im Entwurfsstadium.

Zurück zur Natur

Wieder kann ich unendlich vieles nur anreißen, mich auf ein paar wesentliche Spuren beschränken.(13) Wenn Tristan Tzara 1917 im Cabaret Voltaire in Zürich willkürlich aus der Tasche gezogene Zettelgedichte vorliest, hat er ihre Auswahl der Jackentasche, der Glätte des Papiers, den blinden nervösen Handbewegungen überlassen. Wenn Jean Arp frisch geschriebene Gedichte zerreißt, auf den Boden wirft und in der so gefallenen Anordnung der Wörter eine überraschende Poesie entdeckt, hat er sie dem Zusammenspiel von Luftwiderstand und Gravitation - Widerständen der Natur - übergeben. Beide dadaistischen Aktivitäten realisieren den Würfelwurf, von dem Mallarmé geschrieben hatte, im mechanisch-organischen Medium von Körper und Bühne oder Atelier. Solche Übergabe eines Teils der kreativen Assoziation der Worte vom Kopf ans Medium - hier noch oder wieder ein natürliches Medium im Unterschied zu technisch-konstruierten Medien - wird im Surrealismus ausgeweitet durch ihre Übergabe an einen anderen Kopf, an die Koproduktion der Köpfe. Breton, Eluard, Soupault schreiben Gedichte zusammen, bewegen ihre Texte in "magnetischen Feldern" oder "kommunizierenden Röhren". Nicht bloß Texte. Max Ernst, Arp oder Eluard schreiben und zeichnen gemeinsam Bilder mit Texten. Nach dem Prinzip des "cadavre exquis" werden sie aneinandergesetzt, Frankensteinianische Monster, frühe Opfer des Klonens von Zeichen.

Tatsächlich kann von Opfern nicht die Rede sein, eher sind die Autoren hier Opfer ihrer Experimente. Z.B. Salvador Dalí und Luis Buñuel, wo sie sich zusammensetzen, um ihre Traumfragmente hintereinanderzuschreiben und dies dann in Filmsequenzen realisieren. Sie überlassen sich gleich mehreren nichtabgestimmten Assoziationsketten, einem wilden Metaphorisieren: denen des inneren Unbewußten, der Kombination zweier traumatisch-lustvoller Imaginationsprozesse mit denen des äußeren Unbewußten, des Filmschnitts, der ja auch die unmöglichsten Bilder zusammenbringt. Daß es sich dabei nicht bloß um individuelle Spielerei, vielmehr um sozial tabuisierte Assoziationen handelte, um virulentes Material, verbotene Natur..., zeigten die Assoziationen des Publikums, und da vor allem die Reaktion der Zensur: die weiteren Schnitte, sprich Verbote, denen "Ein andalusischer Hund" und "Das goldene Zeitalter" (Totalverbot über Jahrzehnte) unterworfen wurden. Während die Surrealisten selbst - Breton etwa - in einem produktiven Mißverständnis der Freudschen Psychoanalyse von einer Befreiung des Unbewußten reden,(14) praktizieren sie etwas anderes: die Kombination oder besser Verkoppelung aller in ihrer Zeit verfügbaren Medien zum Zwecke der Steigerung literarischer Assoziationsmöglichkeiten, insbesondere der Metapher und der Metonymie. Die 'Chemie' der Bilder und Begriffe im Kopf wird mit der Mechanik der Bücher, Plakate, Fotographien, bewegten Filmbilder verkoppelt, diese weiter dem Theater, Kino, der Straße ausgesetzt, die Provokation, den Tabubruch, d.h. den Bruch überhaupt, die unerwartete, erhellende, noch nie passierte Assoziation erhoffend. Die surrealistische Revolution liegt in dieser 'Befreiung' der Medien, sprich in der Verselbständigung ihrer eigenen Mechanik, im Lostreten einer inneren, von keiner bewußten Kontrolle oder sozialen Zensur beherrschbaren Dynamik. Der Surrealismus praktiziert in der Tat eine erste umfassend interaktive Kunst, verstehen wir darunter das 'Zwischenhandeln' von Menschen und Medien. Der Faszination dieser Dynamik folgt die weitere Entwicklung.

Übergangsbücher

Die Konsequenzen, Effekte, zufälligen bis systematischen Resultate dieser Autonomisierung von Mensch-Medien-Kopplungen sind - trotz Deleuze-Guattari oder diverser systemtheoretischer Anstrengungen(15) - längst nicht zuende erforscht. Ich möchte die Aufmerksamkeit nur auf eine darin mitlaufende Linie richten, eben die spezifisch literarische, aus der bereits skizzierten Literatur kommende. Betreiben Dada und Surrealismus exzessiv nicht bloß die Zerlegung tradierter Narrationen, das Zerschneiden der Sätze und Freisetzen der Wörter - parole in libertà -, sondern wie gesagt ihre Recollagierungen, Montagen, Neuassoziationen, so geht es in einer zweiten Phase um die systematische Erforschung der Möglichkeiten solcher Rekombination, klassischer bis unbekannter, willkürlicher Regeln, ihrer Mathematisierbarkeit. Die aus dem Collège de Pataphysique entstandene, 1960 erstmals versammelte Gruppe Oulipo - Ouvroir de Littérature Potentielle, also so ungefähr 'Werkstatt für potentielle Literatur' - betrieb - und betreibt zum Teil bis heute diese Forschungen, darunter so illustre Namen wie Raymond Queneau und Georges Perec, Italo Calvino, als in deutscher Sprache schreibender Autor Oskar Pastior. Am bekanntesten für die oulipistische Literaturpraxis sind wohl Queneaus "Stilübungen" geworden, das Durchspielen eines einzigen 'plots' in allen möglichen Gattungen, Genres, Stimmungen, Lagen... Die Gruppe hat seit 1960 unzählige "Gebrauchsanweisungen" - so einer von Perecs Titeln - für die Herstellung von Literatur vorgeschlagen, "Anstiftung zur Poesie"(16) nach klaren Methoden: so bekannte wie Anagramm, Palindrom, Homophonie u..a. - wie sie etwa Enzensberger in seinen "Wasserzeichen der Poesie" zusammengestellt hatte -, oder so unbekannte wie der 'Methode S+n ("In einem gegebenen Text wird jedes Substantiv (Adjektiv, Verb) durch das in einem beliebigen Wörterbuch an n-ter Stelle folgende Substantiv (Adjektiv, Verb) ersetzt. Dabei ist Mogeln streng verboten."(17) - oder alte aber vergessene wie das Lipogramm, wo ein oder mehrere Buchstaben des Alphabets weggelassen werden müssen - eine beliebte Übung des Barock, etwa Harsdörffers Geschichten ohne l und m. Perec bringt es in "La disparition" auf 380 Seiten ohne e.

Besonderes Interesse zieht die 'Potentialität' der Literatur auf sich, die die Gruppe im Titel führt. In ihren programmatischen Texten findet sich die Forderung nach der "Vereinbarkeit" von Inspiration und Verfahren, von Einfall und strikter Regel. Diesen sogenannten Formzwängen werden selbst literarische Qualitäten zugesprochen. "Jedes literarische Werk entsteht aus einer Inspiration heraus..., die recht und schlecht mit einer Reihe von Formzwängen vereinArial,Helvetica,sans-serif werden muß...' Was Oulipo zu zeigen beabsichtigte, war, daß diese Formzwänge gut, ergiebig und selbst Literatur sind."(18) Wie bei der klassischen Avantgarde wird die Kreativität aus der individuellen in eine äußere Potentialität verschoben, genauer in jene 'Vereinbarung', in die Kooperation oder das Zusammenspiel von 'innerer' Inspiration und 'äußerer' Operation. Allerdings wird der 'wilde' Zufall der Dadaisten und Surrealisten - vom Traum bis zu den Reaktionen des Publikums, der Straße etc. - zum in strikten Verfahren 'gebändigten' Zufall, gerade vom 'Formzwang' werden die überraschendsten Neuigkeiten erwartet. Immer wieder schwärmen die Oulipisten dabei von einer Maschine, die ihnen die Arbeit abnehmen könnte. "Wir bedauern es sehr, keine Maschinen einsetzen zu können; das ist ein ständiges Lamentieren bei unseren Sitzungen." (Boehnke 44), berichtet Queneau in einem Vortrag im Seminar für quantitative Linguistik am 29. Januar 1964. Tatsächlich wird gut zehn Jahre später in Zusammenarbeit von Gruppenmitgliedern und Informatikern (diese z.T. selbst Schriftsteller) das Projekt A.R.T.A. (Atelier de Recherches Avancées du Centre d'Art et de Culture Georges Pompidou) gestartet, das über rechnergestützte Lektüre forscht, das die "Zehntausend Milliarden Gedichte" von Queneau aus der Buchform in eine erste elektronische Form bringt, das Programme für den "computergestützten Schaffensprozess" entwirft.

Der "nouveau roman" der N. Sarraute, M. Butor, A. Robbe-Grillet, in dem serielle "Modifikationen" ausprobiert wurden, aber sozusagen noch von Hand der AutorInnen, wird in eine regelgeleitete Kombination von Autor+Maschine umgesetzt. "Italo Calvino legt der Maschine Verzeichnisse der Personen, Beschränkungen und Ereignisse vor und läßt sie in einem mehrstufigen Ausscheidungsverfahren festlegen, wer letzten Endes was hat tun können."(19) Calvino ist es dann auch, der in "Kybernetik und Gespenster" die Avantgarde dem "literarischen Roboter" überlässt, der damit einem "zutiefst menschlichen Bedürfnisses dient: der Herstellung von Unordnung. Die wirkliche literarische Maschine wird selbst das Bedürfnis verspüren, Unordnung herzustellen... Das wird die Literatur sein, die vollkommen einer theoretischen Hypothese entspricht, d.h. endlich die Literatur."(20)

"Es gibt kein Abbild vom Reiher"

Weder Oulipo noch Surrealismus oder Dada sprechen von Medien - die Surrealisten höchstens in bezug auf ihre Trance-Sitzungen im Sinne des Mesmerismus -, geschweige von interaktiven Medien. Calvino verschiebt in bedenkenswerter Inkonsequenz obige Inspiration oder Kreativität - die "Gespenster" hinter der "Kybernetik" - aufs Publikum, die Leser, die Rezeption... also wieder retour in die Köpfe, denen sie gerade mal entsprungen war. Aber was dort als Zusammenspiel oder 'Vereinbarung' von Einfall und Formzwang gedacht und praktiziert wird, für das dann Implementierungen erfunden werden - von mechanischen Würfelmaschinen bis zu elektronischen Rechnern -, würden wir heute eben systematisch als Medien fassen: technische Anordnungen, die Außenwelt und Innenwelt vermitteln. Wo Oulipo von der Potentialiät der Literatur spricht, die durch Anwendung der Formzwänge freigesetzt werden soll, ist eben jener am Ende unkalkulierbare Bereich zwischen den Positionen Autor-Medium-Leser perspektiviert, den die Rede von der Interaktivität zu formulieren sucht. Daß ein Werk nicht in einem Kopf entsteht, SchreiberIn und LeserIn gar nicht so schön auseinanderzuhalten sind, hat bereits die Romantik gewußt und in diversen Kooperationen - in Salons, in einer hochentwickelten Briefkultur - realisiert. Daß es kein Ganzes, sondern aus Fragmenten zusammengesetzt ist, hat seitdem keine Literatur mehr ignoriert, die eine euphorisch (Döblin z.B.), die andere eher melancholisch (Th. Mann z.B.). Daß der Materialität der literarischen Zeichen eine eigene Qualität über den Transport der narrativen Ideen hinaus zukommt, haben konkrete und visuelle Poesie, Lettrismus oder Lautgedicht sicht- und/oder hörbar gemacht. Daß Literatur insgesamt ein eminent paradoxer, d.h. abgeschlossene, definierte Verfahren mit vollkommen unabgeschlossenen, zufälligen Assoziationen 'vereinbarender' Prozeß ist, der Regeln bricht, um neue aufzubauen - "Was es sich vornahm, war, neue Formzwänge zu entdecken, die als Strukturen bezeichnet werden können"(21), heißt es an der bereits zitierten Stelle bei Oulipo weiter -, wird erst neuerlich mit der Debatte um interaktive Medien deutlicher. Im Anhang zu Klepper/Mayer/Schnecks Hyperkultur findet sich folgende Definition:
"Zentrales Prinzip in der Hyperkultur ist die Einbeziehung bzw. Mitwirkung der Rezipienten am Kunstwerk. Diese Mitwirkung geht von einfachen Entscheidungen mittels eines Maus-Klicks, wo im Hypertext weitergelesen werden soll, bis hin zur Vision eines umfassenden Cyberspace-Erlebnisses mit Datenhelm und Datenhandschuh. Die Kunst der Hyperkultur ist in der Regel keine 'Zuschauer'- oder 'Leser'-Kunst, sondern ein Erlebnis, bei dem sich Kunstwerk und Teilnehmer (User) gegenseitig beeinflussen, d. h. interagieren."(22)
Tzara oder Arp ließen die willkürliche Geste oder den Wind ihre Gedichte herstellen; Oulipo begriff die Formzwänge selbst als Literatur; jetzt wird dem Kunstwerk eine eigene Aktivität zugesprochen, und Autor und Leser sind verschwunden oder zumindest weit in den Hintergrund gerückt, alles passiert zwischen Kunstwerk und Teilnehmer. Wie gesagt bleibt diese Rede noch sehr undeutlich - was ist das 'Werk', wenn es durch 'User' verändert werden kann, welche Möglichkeiten hat dieser, wenn ihm das Kunstwerk die Flötentöne beibringt? -, und nochmals: das halte ich eben für den Grund der Faszination, es ist "work in progress", die Positionen sind (noch?) nicht eindeutig definiert. Tatsächlich werden m.E. alle skizzierten Möglichkeiten des Wechselspiels von Wörtern und Menschen mit Maschinen aktuell auf erweitertem Niveau durchgespielt, von der Umsetzung des klassischen (Buch-)Romans in einen multimedialen (Lulu) oder experimenteller Sonette auf zerschnittenen Papierstreifen in elektronisch kombinierbare Zeilen (Cent Mille milliards de poèmes) bis zu Programmen, die mehr oder weniger selbständig Literatur generieren.

Beispiele

An drei Beispielen soll verdeutlicht werden, mit welchen Phänomenen Versuche konfrontiert werden, die versuchen, beide Seiten der Medaille "Interaktive Literatur" in einer hinsichtlich ihres Gegenstandsbereichs erweiterten Literatur- oder Medienwissenschaft in den Blick zu bekommen. Alle drei Beispiele stammen aus dem inzwischen weit gewordenen Feld computergestützter Literatur, dem Bereich, der den Anstoß zu dem geplanten Projekt gab.

Als medientechnisches Korrelat, wenn nicht sogar als Voraussetzung für den skizzierten Stillstellungsprozeß bei der Lektüre gedruckter Literatur kann eine spezifische mediale Form von Literatur genannt werden: gedruckt und im Buch gebunden, idealiter in solchen Büchern, die nur ein Minimum an körperlicher Aktivität erfordern. (23) Daß die so eingeübten "typischen" Interaktionsformen durchaus nicht die einzigen sind, daß sie keine "natürliche" Begrenzung darstellen, zeigt eine Vielzahl von Arbeiten, die genau diese Interaktionsformen thematisieren und Problematisieren. (24) Doch beinahe alle diese Arbeiten bleiben im Raum stillgestellten Rezipierens, sofern nicht im privaten Lesesessel, dann in den öffentlicheren Räumen von Museen, Kinos oder Konzertsälen mit den entsprechenden, "adäquaten" Rezeptionsformen.

Demgegenüber läßt sich ein inzwischen sowohl technisch wie formal ausdifferenzierter Bereich computergestützter Literatur abgrenzen, dessen Gemeinsamkeit es ist, sich dem still-versenkenden Lesen zu entziehen und andere Formen der Interaktion zu erfordern, als dies von allen theoretischen Bemühungen um "implizite" ebenso wie "empirische" Leser vorgesehen war. Zwischen den Beispielen, auf die ich im folgenden näher eingehen werde, liegen dabei nicht nur technisch, formal und hinsichtlich des adäquaten Umgangs, sondern auch in der entsprechenden Chronologie der Computer- und Softwaregenerationen Epochen.

Adventure

Adventure, von dem der Screenshot der Eingangsseite einer neueren Version zu sehen ist, wurde ursprünglich von Will Crowther 1968-72 geschrieben, von Don Woods 1976 erweitert und gilt als das erste seines Genres, das eine kurze, aber heftige Blüte in den 70er Jahren hatte.(25). Vgl. als eine der umfangreichen Linksammlungen zu diesem Bereich computergestützter Literatur auch die Interactive Fiction Homepage.

Selbst wenn Sie stundenlang vor einem Rechner verharren würden, auf dem Adventure "läuft", (26) würde sich nichts weiter tun. Das abschließende Fragezeichen beendet hier nämlich keine Frage im Text, die der Leser interpretierend beantworten muß, sondern ist Aufforderung zu Schreiben, erst schreibend und nicht lesend entwickelt sich die Geschichte. Auch wenn vieles dafür spricht, soll hier als vorläufig unerheblich angesehen werden, ob diese sich dann entwickelnde Geschichte Literatur ist. (27) Die Möglichkeit solcher "text adventures" oder "interactive fiction" gründet sich natürlich auf der Berechnungs- und Übertragungsfunktion von Maschinen, die erst mit Computern hinreichende Universalität und Geschwindigkeit erreicht haben. Im Kontrast zum Buch, das unter diesem Aspekt als reines Speichermedium erscheint, ist damit von einem "aktiven" Medium auszugehen. Damit ist die Zuschreibung von Aktivität lediglich auf die menschlichen Pole "Autor" und "Leser" die vermittels eines passiven Buches "in Kommunikation" treten, (spätestens hier) unzureichend. Von hier ab wird mit einer Widerständigkeit oder Kooperation von Textstrategien (28) zu rechnen sein, die über die passive starren Papiers oder gute Typographie und entsprechender Einbände weit hinausgeht (29) und alle medientechnischen Möglichkeiten der sich immer noch rasch entwickelten Computer-Interfaces nutzen wird. Die hiermit angedeuteten Fragestellungen und vorläufigen Skizzen der Felder möglicher Antworten sollten eine systematische Orientierung vorbereiten, um die Fragen nach Quantitäten und Qualitäten literarischer Aktivität von Medien, Maschinen und Menschen zu beantworten.

Hegirascope

Die Antworten werden dabei nicht umhin können, sich auf die traditionell informatische Trichotomie von Speicherung, Übertragung und Berechnung einzulassen.

Eine der dominanten Möglichkeiten von Aktivität seitens Leser von elektronisch basierter Literatur ist das Klicken, die Verfolgung von "Hyperlinks". Doch nicht nur auf Seiten potentieller Leser ist von Aktivität im Zusammenhang mit Stuart Moulthrops Hegirascope zu sprechen, sondern unter der angesprochenen Trichotomie auch auf Seiten Hegirascopes. Vor allem dann, wenn in der Lektüre eben keine Benutzeraktionen stattfinden. Die HTTP-basierte Arbeit, die aus ca. 200 Knoten und ca. 1000 Links besteht, implementiert nämlich einen eigenen Rhythmus, der auf dem <META REFRESH...>-Tag basiert und darüber eine Folge von Textfragmenten im Stil einer Slideshow präsentiert. Während also Adventure als textgenerierendes Programm deutlich zum berechnenden Pol tendiert und eine starke und für Leser ungewohnte Aktivität, nämlich Schreiben, abfordert, kann Hegirascope als Beispiel für einen anderen Pol gelten. Hier steht die Funktion des Übertragens im Vordergrund, da alle Textteile gespeichert sind und lediglich in dem angedeuteten Selbstläufermodus zeitgesteuert, in einem "klickerarischen" Modus durch den Leser angefordert, präsentiert werden. Diese Zeitsteuerung verunmöglicht dabei eine kontemplative Lektüre, deren Zeitlichkeit eben die der Lektüre und nicht die des Mediums ist - ein Eingriff in die traditionellen Lesesituationen, der allein schon rechtfertigen würde, von neuen Formen der Aktivität auf Seiten des (nun auch nicht mehr ausschließlich menschlichen) Produzenten und neuen Interaktionsformen auf Seiten potentieller Leser zu sprechen.

Schon diese beiden Beispiele deuten die, selbst bei einer noch lange nicht in größeren Auflagen verfügbaren Interfaceausstattung für synästhetische Erlebnisse, sich auftuenden Bereiche neuer Literaturformen an, die nicht nur die schon auf der Folie des gedruckten Buchs thematisierten Grenzen zu bildender und darstellender Kunst sowie Musik thematisiert und (bei Jeffrey Shaws Legible City im wörtlichen Sinne) eine andere Erfahrung von Texten ermöglicht, sondern insbesondere die Grenze zu Formen des Spiels öffnet.

Ottos Mops trotzt

Eins der in diesem Bereich populärsten Beispiele der jüngeren Zeit ist zweifelsohne Ottos Mops trotzt, in dem vom Spieler / Leser die Beherrschung einer großen Anzahl unterschiedlicher Aktionsweisen und zudem eine ordentliche Feinmotorik gefordert sind. Eine auch nur annähernde Darstellung ist hier - und das heißt sowohl in einer gedruckten als auch in einer elektronisch distribuierten Version - unmöglich. Als Hinweise für diejenigen, die das Spiel kennen, soll hier nur auf die unterschiedlichen explorativen und zugehörigen motorischen Strategien, die in den unterschiedlichen Spielabschnitten nötig sind, ebenso verwiesen werden, wie auf die unterschiedlichen Rezeptonsstrategien, die in den eher kontemplativen Passagen eingesetzt werden müssen. (Den anderen sei es ans Herz gelegt.)

  


Anmerkungen

(1) "Die Texte dieses Bandes haben in der Regel gemeinsam, daß sie ein grammatisches Modell benutzen und dieses mit Sätzen, die nach dem Modell formuliert sind, verwirklichen. Die Sätze sind jeweils Beispiele, Satzspiele." Handke, Peter: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Frankfurt/M.1969, Klappentext

(2) Handke, a.a.O., S. 60

(3) ebd.

(4) Handke, a.a.O., S. 62

(5) Schmundt, Hilmar: Die Zukunft des Internets. In: konr@d 10/11.98, S. 134

(6) Aristoteles: Poetik. Übers., eing. u.mit Anmerkungen v. O.Gigon. Stuttgart 1961, S.23

(7) Aristoteles, a.a.O., S.36f.

(8) s. neben seinem Beitrag für dieses Symposion: Wenzel, Horst: Hören und Sehen - Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995

(9) s. Assmann, Jan: Schrift, Tod und Identität. In: Assmann, Aleida/Jan-Hardmeier, Christof (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation I. München 1983

(10) f. erste Informationen - wenn auch in einer etwas verwirrenden Theorie und Geschichte des Manierismus integriert - zu beiden Autoren bei Hocke, Gustav René: Die Welt als Labyrinth. Manierismus in der europäischen Kunst und Literatur. Reinbek 1987 (zuerst in zwei Bdn. 1957, 1959), S. 319f. (Lullus), S. 150ff.

(11) in: Harsdörffer, Georg Philipp: Der mathematischen und philosophischen Erquickstunden zweyter Theil. Nürnberg 1651 (Reprint Ffm. 1990) S. 516f.

(12) Jonathan Swift: Gullivers Reisen. Dt. F. Kottenkamp. Berlin 1981, S. 201f.

(13) s. aber die - bes. zu Dada u. Surrealismus - inzwischen doch umfangreiche Literatur. Zu Oulipo vgl. Kuhne/Boehnke: Anstiftung zur Poesie. Oulipo - Theorie und Praxis der Werkstatt für potentielle Literatur. Bremen 1993. 

(14) Differenz -Unterbewußtsein bei Freud/ +Unterbewußtsein bei Breton, also ES zu ICH/vs. ICH zu ES

(15) Systemtheorie wie Konstruktivismus sind erst vergleichsweise spät auf die Medien im obigen Sinne gestoßen, und weiterhin bleiben es von System/Umwelt-Differenzen oder der Autopoiesis von Systemen abgeleitete Begriffe. Die wesentliche Tendenz interaktiver Medien, die paradoxe Herstellung von Zusammenhang durch Unterbrechung, erscheint erst am Horizont dieser Theorien.

(16) So der Titel der ersten umfassenden Darstellung der Gruppe für den deutschen Sprachraum: Boehnke/Kuhn, a.a.O., S.96

(17) Boehnke/Kuhn, a.a.O., S. 96

(18) Boehnke/Kuhn, a.a.O., S. 33

(19) Boehnke/Kuhn, a.a.O., S. 70

(20) Calvino, Italo: Kybernetik und Gespenster. Dt. S. Schoop. München/Wien 1984. S. 14f.

(21) Boehnke/Kuhn, a.a.O., S.33

(22) Klepper, Martin/Mayer, Ruth/Schneck, Ernst-Peter (Hg.): Hyperkultur. Zur Fiktion des Computerzeitalters. Berlin-N.Y. 1996. S.277

(23) Gemeint ist bei dieser Stillstellung in erster Linie die körperliche, nicht die geistige, wie die Theoriebildungen um Leseraktivitäten belegen. Vgl. hierzu die einschlägigen Arbeiten zu Rezeptionsforschung von Iser bis zu Winograd und Flores. Insbesondere Typographie und Bucheinbände sollen dazu beitragen, diese Stillstellung zu erreichen. Vgl. hierzu beispielsweise Karl Klaus Walther, Hg., Lexikon der Buchkunst und Bibliophilie. Leipzig (Bibliographisches Institut) 1987, Sw. Einband und Typographie.

(24) Zu erwähnen ist hier beispielsweise Raymond Queneaus Cent Mille milliards de poèmes ebenso wie der in die bildende Kunst weisende Bereich der Buch- und Textobjekte (vgl. z. B. die Kataloge der Sammlung Cremer, Museum am Ostwall, Dortmund, 3 Bde. 1991 - 1994 und Axel Marquardt et al., Hg.: Sprachen jenseits von Dichtung, Westfälischer Kunstverein, Münster, 1979, aber auch viele Arbeiten der Konkreten Poesie etc.

(25) Eine umfängliche Sammlung von Programmen, Spielen und Entwicklungsumgebungen dieser interactive fiction findet sich im IF-Archive der GMD.

(26) Ihnen als Leser bleibt ohnehin nichts anderes übrig. In dem ursprünglichen Kontext eines Vortrags mit Demonstration der laufenden Programme hätte die Möglichkeit bestanden, dieses Programm nicht zu lesen, sondern zu spielen. Angesichts der Ähnlichkeit einer Vortragssituation mit den adäquaten Rezeptionsmechanismen in den oben erwähnten "heiligen Hallen" wurde diese Möglichkeit allerdings nicht genutzt.

(27) Im Kern der Ablehnung stehen oft stilistische Gründe, so auch z. B. in den frequently asked questions von Storysprawl, einem Server, der kooperativ entstehende Literatur beheimatet: "Present-tense second person ('You are in a maze of twisty passages, all alike) is intriguing for a short while, but is limited in terms of narrative uses and character development. It's fun for solving puzzles and playing games, but that isn't the purpose of this site." Curt Siffert, StorySprawl FAQ. So zutreffend dieser Einwand ist, so einfach wäre er durch die Ersetzung des Präsens durch narratives Perfekt und der zweiten durch die dritte Person zu umgehen. Die so entstehenden Geschichten erhalten dadurch zwar keine komplexere narrative Struktur, sind aber kaum von den "einfach gestrickten" traditionell auktorialen zu unterscheiden, wie eine Übertragung eines typischen Anfangs von Adventure belegt:

"Er stand mitten im Wald am Ende einer Straße vor einem kleinen Steinhaus. Ein Bach ergoß sich aus dem Brunnenhaus und floß eine Rinne entlang. Im Haus fand er einige Gegenstände, eine Taschenlampe, ein Schlüsselbund, eine leere Flasche und etwas Essen. Er nam alles an sich, füllte die Flasche aus der Quelle, die in dem Haus sprudelte und verließ es, Richtung Süden, den Bach entlang. Der Bach versickerte nach wenigen Metern in einer Felsspalte. Weiter im nun trockenen Bachbett gehend gelangte er in eine Senke voller Unrat, in der ein Gitter einbetoniert war. Er öffnete das Gitter mit einem der Schlüssel, schlüpfte durch die Öffnung in die sich auftuende Höhle und fand sich in einem engen Gang. Auf den Kieseln robbte er vorwärts, nahm, ohne genau zu wissen, warum, den Weidenkorb, der sich dort fand, arbeitete sich vor, bis ihn undurchdringliche Dunkelheit umgab."
(29) Vgl. zu dieser kriegerischen, ins spielerische gewendeten Metapher vgl. Umberto Eco, Lector in Fabula, München 1994, S. 67: "Der Vergleich [des Verhältnisses von Napoleon und Wellington an der Front bei Waterloo mit dem von Autor und Leseran der Textfront] kann nur dadurch etwas entkräftet werden, daß in einem Text der Autor gewöhnlich den Gegner gewinnen statt verlieren lassen will. Doch auch das ist nicht gesagt."

(30) Daß auch solche Bücher immer noch produziert werden können, zeigt, selbst bei wissenschaftlicher Literatur, mit guter Regelmäßigkeit die Büchergilde Gutenberg. Vgl. auch unter diesem Gesichtspunkt z. B. Siegfried Giedion, Die Herrschaft der Mechanisierung. Frankfurt/M., Büchergilde Gutenberg, 1994.
 

© Peter Gendolla und Thomas Kamphusmann
Tue Jun 8 12:57:26 MEST 1999