Fünf Tage war der Blaster krank


Von Oliver Gassner


Zwischen einem Stuttgarter Künstlerduo und einer Firma in München kam es zu einem virtuellen Schlagabtausch. Die Drohung mit einer Schadenersatzklage zwang das Kunstprojekt "Assoziationsblaster" vorübergehend zur Schließung ihrer Online-Installation. Erst nach massiven Protesten aus dem Netz lenkten die Münchner ein.

 

Das Stuttgarter Kunstprojekt "Assoziationsblaster" ist eine Schreibumgebung, bei der Nutzer passend zu Begriffen eigene Texte eingeben können. Durch eine Link-Automatik entsteht ein klickbarer Assoziationsraum besonderer Art. Der "Assoziationsblaster" wurde 1999 mit einem Netzliteraturpreis der Stadt Ettlingen und der Firma EnBW ausgezeichnet. Das Projekt ist auf einem von Studierenden verwalteten Computer der Merz Akademie, einer privaten Kunst-Fachhochschule, abgelegt.
Was war passiert? In der Datenbank des Projekts tauchten unter verschiedenen Stichworten mehrere Dutzend gleichlautende Werbetexte für den Münchner Internet-Dienstleister "3points" auf, die als Assoziations-Reaktionen zum Teil wüste Beschimpfungen anderer Nutzer nach sich zogen.
Nach einer Kontaktaufnahme der Münchner mit der Merz Akademie wies diese nach einer juristischen Prüfung die beiden jungen Künstler, Dragan Espenschied und Alvar Freude, an, die beleidigenden Einträge zu entfernen oder das System abzuschalten. Andernfalls müsse man den Studenten-Server vom Netz nehmen.
Markus Merz, der Geschäftsführer und Direktor der Merz Akademie, sah sich nach eigenen Angaben vor allem aus sachlichen Gründen gezwungen, dem Druck von "3points" nachzugeben. Man stehe zwar grundsätzlich hinter dem Kunstprojekt und hinter der Selbstverwaltung des Servers durch die Studierenden und wolle damit ähnlich innovative avancierte Projekte fördern, dennoch müsse man abwägen, ob der finanzielle Aufwand eines Rechtsstreits gerechtfertigt sei, oder ob man das selbe Geld nicht lieber in ähnliche Projekte investiere wie den "Blaster".
Die Reaktion der beiden war die Offensive: Der ‚Blaster' wurde abgestellt, durch eine Dokumentation des Vorfalls ersetzt und mit einem Diskussionsforum versehen. In verschiedenen Online-Foren von Netzkünstlern und Internet-Freiberuflern erschienen Aufrufe den Geschäftsführer von 3points per E-Mail zum Einlenken zu bewegen. Jura-Foren im Netz wurden bemüht, um sich über die Rechtslage klar zu werden. 3points hatte sich nicht mit zwei weltfremden Netzkünstlern angelegt. Freude und Espenschied hatten unter anderem eine Software zur Ermöglichung von "virtuellen Sitzblockaden" nicht nur erstellt sondern auch gleich am Server des Justizministeriums ausprobiert und hatten in ihrer Diplomarbeit zu Zensur und Datenschutz im Internet durch kreative Hack-Eingriffe in das interne Netz der Merz-Akademie unter anderem Studien zu Nutzerreaktionen auf Verletzungen der Privatsphäre angestellt. (Die Stuttgarter Zeitung berichtete.)
Die Lage spitzte sich zu: Der Geschäftsführer der Münchner Firma erhielt teils sachliche teils weniger sachliche Zuschriften per E-Mail, im Diskussionsforum des "Blaster" gingen die emotionalen Wellen hoch: Von Zensur war die Rede.
"Die Leute vom Blaster sind absolut kompromisslos", so Oliver Kostinek, der Geschäftsführer von 3points. "Ja, die Schleichwerbung wurde offenbar von einem unserer Mitarbeiter bereits im März 2000 in das System eingegeben. Die harschen Reaktionen stören uns auch gar nicht, so lange sie nur im Assoziationsblaster zu finden sind." Man wolle lediglich sicherstellen, dass bei der Eingabe des Firmennamens in Suchmaschinen nicht die herabsetzenden Äußerungen der Blaster-Nutzer angezeigt würden.
Dann wurde offenbar versucht mit Hacker-Werkzeugen den -Blaster-Server lahm zu legen, Schwachstellen des Systems mit sogenannten Portscans auskundschaftet wurden und Versuche unternommen wurden Zugang erlangen. Zwei Fachleute der Stuttgarter Computer-Sicherheitsfirma DELOS haben den Hack-Versuch analysiert und kamen zu dem Schluss: "Der Hack hatte seine Quelle mit hoher Wahrscheinlichkeit im Firmennetz von 3points. Der Hack wurde allerdings so dilettantisch durchgeführt, dass keinerlei Erfolgschance bestand. Es wurde beispielsweise versucht, mit einem Hack-Tool für Windows-Server einem Unix-Server zu schaden."
Bei 3points ist man sich nicht sicher, ob und wann gehackt wurde. Mal gibt man einen Portscan zu oder weiß man vom Einsatz eines Hacker-Werkzeugs, dann war man es wieder nicht.
Nach fünf Tagen Gegenwind aus dem Netz lenkte 3points schließlich ein: Man verzichte auf juristische Schritte, der Blaster könne wieder online gehen. Man bitte lediglich um Vorkehrungen, damit der Firmenname von 3points nicht mehr via Suchmaschinen gefunden werden könne.
Warum haben Dragan Espenschied und Alvar Freude nicht gleich am Anfang die Einträge aus der Datenbank entfernt? Alvar Freude dazu: "Es wäre gegen das Konzept des vorliegenden Kunstwerks, dessen Motto ein Zitat des Hackers TRON ist : ‚Die Entscheidung liegt bei uns, den Usern.' Das heißt: Streng genommen haben Dragan und ich als Administratoren gar nicht das Recht, die Texte der Nutzer zu löschen. Eine Redaktion findet durch die Vergabe von Punkten durch die Schreibenden selbst statt."
Und abschließend Dragan Espenschied zu den Konsequenzen, die aus diesem Zwischenfall folgen: "Hoffentlich trägt dieser Fall dazu bei, dass nichtkommerzielle Projekte im Netz sich nicht weiterhin automatisch wirtschaftlichen Interessen zu unterwerfen haben. Schon zu oft haben bloße Drohungen viele Site-Betreiber zum Aufgeben veranlasst. Doch auch die ursprünglichen Werte des Netzes haben eine Lobby."
Oder, um es mit den Worten Wilhelm Buschs und deren Abwandlung durch einen Schreiber im Blaster-Forum zu sagen: "Fünf Tage war der Blaster krank, jetzt blast' er wieder. Gott sei Dank."


Links:

http://www.assoziations-blaster.de
http://www.online-demonstration.org/insert_coin/
http://literaturwettbewerb.de
http://www.3points.de
http://www.delos.de