Die Vorbemerkung [kommerziell]
E-commerce als Anlass oder Material eines Netzkunstprojektes
hat seinen Produktzyklus seinen Hype meines Erachtens hinter sich, ist
als Thema für ein neues Projekt verbraucht und ausreflektiert. Anders
als vor einem Jahr als die New Economy noch im vollen Glaubenssafte stand,
anders als vor einem Jahr, als noch keine großen Spielzeugkriege
riesige dot-com Konzerne geschleift hatten. Lassen sie sich also von mir
mitnehmen ins goldene Zeitalter des Herbsts 1999, der Geburtsstunde von
"Fabrikverkauf", als Startup noch ein Zauberwort und e-commerce der
Zauberstab waren.
Fabrikverkauf [www.fabrik-ver-kauf.de] nimmt
die Affirmation von "community" und "e-commerce" zum Anlaß einer
vom Nutzer selbst zu gestaltenden Kunstperformance, der [walking exhibition].
Dazu muß der Kunde via Internet im e-shop von "Fabrikverkauf" ein
T-Shirt bestellen, das mit von mir entworfenen Kunstmotiven bedruckt ist.
Mit Lieferung des T-Shits erhält der Käufer gleichzeitig ein
Passwort, mit dem er sich auf der Web-Site von "Fabrikverkauf" einloggen
kann, um dort öffentlich zu machen, wann und wo er das T-Shirt, tragen
wird, wo die von ihm am Leib getragene Kunst, die Ausstellung, die er damit
durchführt, also sein Termin der [walking exhibition] zu besichtigen
ist. Die [walking exhibition] umfasst bisher über 120 Ausstellungstermine
weltweit.
Die Familienbande [historisch]
Wer ist für dieses Projekt mitverantwortlich,
welche Familienbande sichern es historisch ab?
Taufpate ist natürlich Andy Warhol. Verkauf
von seriell gefertigten populären Fertigprodukten wird auf immer mit
seinem Namen verbunden sein. Ich zitiere Beat Wyss aus seinem passend genannten
Buch 'Die Welt als T-Shirt': "Täglich ereignet sich die Epiphanie
von Andys Geist in allen Supermärkten (bitte e-shops gedanklich ergänzen,
J.A.) der Welt: Die mystische Einheit von Ware, Werbung und Kunstform in
Realpräsenz! Die Prophetie der Avantgarde hat sich erfüllt:
Kunst ist lebend geworden und wohnt jetzt mitten unter uns" (WaT, S.117).
Und so ist Fabrikverkauf ein namentlicher Kniefall, na sagen wir Knicks
vor Andys Factory.
Knicks, weil wir in Andys Familiengeschichte
natürlich sofort auf seinen Großonkel, treffen von Beat Wyss,
wie eben zitiert, die "Prophetie der Avantgarde" genannt.
-
Prophet Marcel für Beat
-
Großonkel Duchamp für Andy
-
prophetischer großer Patenonkel Marcel Duchamp
für Fabrikverkauf.
Danke Onkel fürs ready made!
Auch wenn's die Aura verloren hat. Recht hat Großpate
Benjamin: wenns technisch reproduziert wird, geht beim Kunstwerk die Aura
flöten - auch bei einem T-Shirt. Und das ist schlecht fürs Geschäft.
Wer will sich schon ein auraloses Mehrfachkunststück ins Haus holen
und dafür auch noch bezahlen?
Sorry Walter, da müssen wir ein wenig trixen
und an die Aura des T-Shirt Trägers ran. Und da bist du selbst Schuld:
hast du, Walter, nicht gesagt, dass - ich zitiere dich wörtlich -
"jeder heutige Mensch einen Anspruch vorbringen (kann), gefilmt zu werden"
(I, 2, 493), mit anderen Worten das Recht hat, für 15 Minuten ein Star zu sein, wie
es Andy griffiger formulierte? Also: wird nicht durch das Tragen
des T-Shirts die Aura des reproduzierten Kunstwerks wiederbelebt, indem
sie quasi parasitär an der Infusion der temporären Star-Einzigartigkeit
des Trägers hängt, an die dieser natürlich fest glaubt?
Der T-Shirt Träger, das ist der Trick, macht ja erst die Kunst, wenn
er die [art wear], also das T-Shirt, in der [walking exhibition] zur Schau stellt.
Und so ein getragenes T-Shirt, das liegt ja direkt
auf der Haut, streichelt und massiert sie sanft mit jeder Bewegung, gerade
so wie das Stiefonkel Marshall McLuhan gesagt hat: "the medium is the massage".
Wir wissen von dieser genealogischen Beziehung Dank eines Hinweises von
Reinhard Döhl.
Zum familiären Abschluß noch im Vorbeiflug
ein Blitzbesuch bei Lieblingsonkel Beuys. Der macht es uns leicht, dessen
anglisierte Namensanmutung (buys) bindet ihn eh dicht ans Projekt. Außerdem
hat er uns die soziale Plastik geschenkt. Und da wollen wir uns ganz artig
mit der [walking exhibition] bedanken.
Obwohl die Geschichte nun schon fast geklärt
ist und beinahe alles erklärt hat, hat sie uns auch ein gesichertes
Fundament gegossen und auf diesem wollen wir nun den Direktkontakt mit
"Fabrikverkauf" wagen.
"Fabrikverkauf" ist ein hybrides Projekt: findet
als e-shop und Community-Plattform im Internet statt und hat eine starke
real life Komponente in der [walking exhibition]. Die [walking exhibition]
ist sozusagen der traditionelle Ausstellungsarm des Projektes. Und Ausstellungen
werden herkömmlich mit Einladungskarten beworben und mit Reden eröffnet.
Folglich wurde auch für "Fabrikverkauf" ein
Einladungskärtchen entworfen, gedruckt und verschickt. Passend zu
einem e-commerce Vorhaben in Form eines Dollars und natürlich Projekt
entsprechend überarbeitet:
Die Rede zur Ausstellungseröffnung besorgte Reinhard Döhl ohne zu reden,
denn sein Text wurde, wie auf der Einladungskarte angekündigt, Tag
gerecht im Internet veröffentlicht.
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