Reinhard Döhl | Collage und Epos
Zur Komposition von "Berlin Alexanderplatz". Collage / Montage | Voraussetzungen | "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der Avantgarden | Der Futurismus | Der Kubismus | Kurt Schwitters | Die Musik | Der Film | Rundfunk | Konsequenzen | Collage und Humor | Anmerkungen Mit den Begriffen Collage und/oder Montage werden heute künstlerische Verfahrensweisen bezeichnet, die zu den ausgeprägtesten Stilmitteln [Zmegac in: Borchmeyer/Zmegac] der modernen Künste, Film und Funk eingerechnet, zählen. Definiert man sie von ihrer Machart her, d.h. als Verfahrensweise, hat man noch wenig Schwierigkeiten. Montiert, d.h. zusammengesetzt werden zum Beispiel die Sequenzen eines Films oder Hörspiels, die dann in ihrer Zusammensetzung, als Ganzes den Film, das Hörspiel ergeben. Collagiert, das heißt zusammengeklebt werden die Elemente eines Bildes; obwohl sich hier bei dem Versuch, Collage und Papier collé zu unterscheiden, bereits Probleme ergeben, desgleichen im Übergang zur Assemblage. Will man Collage und Montage jedoch als Stilmittel, was heißen soll: nicht nur als formale sondern zugleich als intentionale Mittel unterscheiden, und versucht man sich dazu in der Forschung schlau zu machen, erweisen sich die Begriffe als beliebig, austauschbar, oft willkürlich gesetzt. Um mich nicht länger bei der Vorrede aufzuhalten, die nur in eine die Verwirrung mehrende Vorlesung ausarten könnte, verweise ich die Interessierten auf eine pragmatische Begriffstrennung, bei der ich Viktor Zmegac folge, der für den Bereich der Literatur die Montage definiert als ein Verfahren [...], fremde Textsegmente in einen eigenen Text aufzunehmen, sie mit eigenem zu verbinden bzw. zu konfrontieren. C[ollage] wäre dagegen [...] ein Extremfall von M[ontage], als der Text (in Analogie zu den Klebeobjekten mit verschiedenen Gebrauchsmaterialien in der bildenden Kunst) ausschließlich entlehnte, aus verschiedenen Quellen stammende Elemente enthielte. Mit einigem Recht fügt Zmegac hinzu, daß ein weiterer hierher gehörender Begriff, nämlich der des Zitats, für die Fälle vorbehalten bleiben [sollte], wo der fremde Text als solcher ausdrücklich gekennzeichnet ist. Ich befürchte allerdings, daß man auch damit nicht sehr weit kommen wird und wende mich deshalb meinem Gegenstand, Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz. [Der] Geschichte vom Franz Biberkopf" zu, die ich nicht ein weiteres mal interpretieren möchte, die mich vielmehr wegen primär ihrer Komposition interessiert, und dies in zweifacher Hinsicht. 1. im Kontext der anderen Kunstarten, und damit meine ich sowohl die bildende Kunst wie den Film, die Musik wie das Hörspiel. 2. interessiert mich, was diese "Geschichte" für ihre zahlreichen medialen Adaptionen als Fortsetzungsroman der Tageszeitung, als Hörspiel, als Film und schließlich als Fernsehserie so geeignet gemacht hat. Es gehört zum Geschäft der Literaturgeschichtsschreibung, ihre Gegenstände historisch einzuordnen und auf ihre Abhängigkeiten sowohl wie ihre Wirkungen zu untersuchen. Dabei kann es bei ungenauem Hinsehen zu Urteilen kommen, die - selbst wenn sie widerlegt sind - munter weiterkolportiert werden. Das ist im Falle des "Berlin Alexanderplatz" die behauptete Abhängigkeit von John Dos Passos' "Manhattan Transfer", erschienen 1925, deutsche Übersetzung u.d.T. "Manhatten Transfer. Der Roman einer Stadt" 1927, und von James Joyce's "Ulysses", erschienen 1922, deutsche Übersetzung 1927. Einhellig sprachen und sprechen eigentlich bis heute Literaturgeschichten z.B.von Anlehnung an den Stil von John Dos Passos und James Joyce bzw. von der Technik, die [...] Joyce und Dos Passos entwickelt hätten. Nach eigenem Bekunden hat Döblin den "Ulysses" erst kennen gelernt, nachdem er das erste Viertel des Buches geschrieben hatte. Dann allerdings habe ihn das Werk entzückt und sei ein guter Wind in [seinen] Segeln gewesen. In der Tat war Döblin von Joyces Roman so beeindruckt, daß er 1928 - also mitten in seiner Arbeit an "Berlin Alexanderplatz" den "Ulysses" in einer Rezension ein Buch nannte, mit dem sich jeder ernste Schriftsteller [...] zu befassen habe, ein ungewöhnliches und ganz außerordentliches Buch dessen formale Radikalität zeige, daß Kunstformen zusammenhängen mit einer gewissen Denkweise und einem allgemeinen Lebensmilieu. Der traditionelle Roman mit seinem Fabulieren, wie Döblin es nennt, sei nicht mehr zeitgemäß. Denn: In den Rayon der Literatur ist das Kino eingedrungen, die Zeitungen sind groß geworden, sind das wichtigste, verbreitetste Schrifterzeugnis, sind das tägliche Brot aller Menschen. Zum Erlebnisbild der heutigen Menschen gehören ferner die Straßen, die sekündlich wechselnden Szenen auf der Straße, die Firmenschilder, der Wagenverkehr. Das Heroische, überhaupt die Wichtigkeit des Isolierten und der Einzelpersonen ist stark zurückgetreten, überschattet von den Faktoren des Staates, der Parteien, der ökonomischen Gebilde. Manches davon war schon früher, aber jetzt ist wirklich ein Mann nicht größer als die Welle, die ihn trägt. In das Bild von heute gehört die Zusammenhanglosigkeit seines Tuns, des Daseins überhaupt, das Flatternde; Rastlose. Der Fabuliersinn und seine Konstruktionen wirken hier naiv. Dies ist der Kernpunkt der Krisis des heutigen Romans [siehe später Benjamin, R.D.]. Die Mentalität der Autoren hat sich noch nicht an die Zeit angeschlossen. Joyce fühlt die Komik des Fabulierens, sie kommt für ihn nicht in Frage, er ist darauf aus, zu sein, was er ist, undzwar im Buch so wie er zu Hause ist. Wie wird er das machen? Ich vermerke voran polemisch: man muß es nicht so machen, wie Joyce es gemacht hat. Die Bahn ist nicht eingleisig. Dies ist ja auch ein Experimentierwerk [sic, R.D.], weder ein Roman noch eine Dichtung, sondern ein Beklopfen ihrer Grundelemente. Aber es ist gut und von größter Wichtigkeit für Autoren und Publikum, daß von einem einzelnen der Weg, den er begeht, so entschlossen und sicher begangen wird. Mit diesem Buch wird vielen der Star gestochen; sie können nun sehen, was für ein Handwerk sie in ihren trüben Stunden betreiben. Man muß in dieser Rezension die Doppelbezüge sehen, auf den "Ulysses" von Joyce, dem die Rezension gilt, und auf "Berlin Alexanderplatz", das eigene work in progress. Auch "Berlin Alexanderplatz" sollte weder ein Roman noch eine Dichtung sein. Was Döblin hier stattdessen für den modernen Roman zusammenträgt, spricht also auch in eigener Sache. Von einer Abhängigkeit wollte er aber nichts wissen, und so sehr er den "Ulysses" als Experimentierwerk herausstellt, so sehr pointiert er polemisch, daß man es auch anders machen könne, verwahrt er sich gegen das Etikett der Nachfolge von Joyce: Wenn ich durchaus jemandem hörig sein und folgen soll (was ich gar nicht nötig habe, ich finde mich stofflich und stilistisch schon selbst zurecht), also wenn ich schon einem folgen und etwas brauchen soll, warum muß ich zu Joyce gehen, zu dem Irländer, wo ich die Art, die Methode, die er anwendet (famos, von mir bewundert), an der gleichen Stelle kennen gelernt habe, wie er selbst, bei den Expressionisten, Dadaisten undsofort. Der "Alexanderplatz" hat den ihm gemäßen Stil. Döblin hätte sich dabei auch auf Benjamin berufen können, der dem Eindruck, daß die Technik der pausenlosen Monologe, der ununterbrochen assoziierten Bilder und Vorstellungen [...] auf JOYCES "Ulysses", der dauernde Wechsel der Szenerie auf DOS PASSOS' Großstadtroman "Manhattan Transfer" hinweise, entgegengehalten hatte, daß der innere Monolog bei Joyce eine ganz andere Zielsetzung, daß das Stilprinzip der Montage bei Dos Passos seine eigentlichen Wurzeln im Dadaismus habe, zu dessen ältesten und echtesten Vätern eben der Frühexpressionist Döblin gehöre. Es wäre, schreibt Benjamin in seiner "Krise des Romans" überschriebenen Rezension von 1930, nicht einmal nötig gewesen, vom "dialogue intérieur" zu reden oder auf Joyce zu verweisen. In Wirklichkeit handelt es sich um, etwas ganz anderes. Stilprinzip dieses Buches ist die Montage. Kleinbürgerliche Drucksachen, Skandalgeschichten, Unglücksfälle, Sensationen von 28, Volkslieder, Inserate schneien in den Text. Die Montage sprengt den Roman, sprengt ihn im Aufbau wie auch stilistisch, und eröffnet neue, sehr epische Möglichkeiten. Im Formalen vor allem. Das Material der Montage ist ja durchaus kein beliebiges. Echte Montage beruht auf dem Dokument. Der Dadaismus hat sich in seinem fanatischen Kampf gegen das Kunstwerk durch sie das tägliche Leben zum Bundesgenossen gemacht. Er hat zuerst, wenn auch unsicher, die Alleinherrschaft des Authentischen proklamiert. Der Film in seinen besten Augenblicken macht Miene, uns an sie zu gewöhnen. Hier ist sie zum ersten Male für die Epik nutzbar geworden. Die Bibelverse, Statistiken, Schlagertexte sind es, kraft deren Döblin dem epischen Vorgang Autorität verleiht. Sie entsprechen den formelhaften Versen der alten Epik. Diesem Montageduktus entspricht die von Döblin intendierte/proklamierte Mischform des Erzählens. Sie werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, zitiert ihn Walter Benjamin, wenn ich den Autoren rate, in der epischen Arbeit entschlossen lyrisch, dramatisch, ja reflexiv zu sein. Aber ich beharre dabei. Ein Jahr später wird Döblin dem Hörspiel ein vergleichbares Horoskop stellen, wenn er sagt: Es ist mir sicher, daß nur auf ganz freie Weise, unter Benutzung lyrischer und epischer Elemente, auch essayistischer, in Zukunft wirkliche Hörspiele möglich werden, die sich zugleich die anderen Möglichkeiten des Rundfunks, Musik und Geräusche, für ihre Zwecke nutzbar machen. Es ist also keine Frage, daß Döblin während der Niederschrift seines "Berlin Alexanderplatz" die Experimentierwerke von Joyce und Dos Passos zur Kenntnis genommen hat, ja daß sie ihm bei seiner Experimentierlust durchaus anregend willkommen waren. Er beginnt sich erst zu wehren, als die blinden [wie er sagte] Kritiker wie tibetanische Gebetsmühlen Abhängigkeiten behaupteten, statt zu erkennen, daß es sich hier um Gleichzeitigkeiten handelte. Döblin hat sogar erst spät das Wort ergriffen, zum ersten mal in einem auf tschechisch veröffentlichten Interview in der Zeitschrift "Rozpravy Aventina" [Jg 6, 1930-1931, Nr 2, S. 301-302], in der er von der schöpferischen Dialektik von Inhalt und Form spricht, die die Arbeit vorantreibe, denn ein bestimmtes Thema könne nur in einer bestimmten Form erfaßt werden, während diese Form ihrerseits den eigentlichen Inhalt produziere, was auch die zahlreichen Vorstufen mit erkläre. Auf die Frage nach dem Verhältnis zu Joyce antwortet Döblin: Diejenigen, die mein Werk ganz übersehen und Joyce nicht kennen, beobachten bei mir eine gesetzmäßige und ununterbrochene Entwicklung; diejenigen aber, die mein Werk unzureichend kennen und besser mit Joyce vertraut sind, glauben einen Einfluß feststellen zu können. Er lese Joyce sehr gerne, sei sogar stolz auf die angebliche Verwandtschaft. Auf die Behauptung des Interviewers A.H. [= Adolf Hoffmeister, R.D.], daß die Verwandtschaft vornehmlich in der Technik läge, erwidert Döblin, er verwende zwar auch innere Monologe und Symbole, aber im Unterschied zu Joyce erzähle er noch eine handfeste Geschichte. In diesem epischen Grundzug liege ebenfalls der entscheidende Unterschied zu John Dos Passos, den man auch als Vorbild erwähnt habe. Von einer Anverwandlung von Motiven, Stilzügen sollte demnach nicht mehr die Rede sein, allenfalls von Einflüssen im Sinne individueller Rezeptionsvorgänge zum einen, zum anderen [was Döblin selbst wiederholt betont hat] von kollektive[n] Einflüsse der gesamteuropäischen Avantgarde und - wie man bei dem bastelwütigen, technikfreundlichen Döblin hinzufügen muß - der neuen Medien, denn viele Experimente lagen schon seit der Jahrhundertwende in der Luft. Es gilt also den allzu kausalgläubigen Standpunkt mit seiner Überbetonung zweipoliger Beziehungen zugunsten einer umfassenderen Darstellung von Döblins Beziehungen zur Avantgarde, einschließlich des Films, [des Funks, R.D.] und der bildenden Künste zu verlassen. "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der Avantgarden Von Anfang an hatte Döblin enge Kontakte zum Berliner Künstlerkreis des "Sturm" um Herwarth Walden und war auch einer der Hauptmitarbeiter an Waldens gleichnamiger "Wochenschrift für Kultur und Künste", vor allem in den ersten und wichtigsten Jahrgängen. Neben einer Vielzahl Erzählungen, Rezensionen, Berichten, Glossen, zum Teil unter dem kollektiven Pseudonym Trust, erschienen in Fortsetzung die "Gespräche mit Kalypso. Über die Musik" und der in seiner Bedeutung immer noch nicht recht gewürdigte frühe Roman "Der schwarze Vorhang". Selbstverständlich wurden auch die Aktivitäten der "Sturm"-Galerie in dieser "Wochenschrift" publizistisch vorbereitet und begleitet, darunter die den italienischen Futuristen gewidmete 2. große "Sturm"-Ausstellung. Im März 1912 erschien eine Übersetzung von Filippo Tommaso Marinettis erstem "Manifest[s] des Futurismus" aus dem Jahre 1909: 1. Wir wollen die Liebe zur Gefahr singen, die gewohnheitsmäßige
Energie und die Tollkühnheit. [Was dem deutschen Leser dabei vielleicht undeutlich blieb, verstand der "Figaro"-Leser von 1909 natürlich als ikonoklastischen Ausfall gegen die im Louvre ausgestellte "Nike von Samothrake"]. 11. Wir werden die arbeitsbewegten Mengen, das Vergnügen, die Empörung singen, [...] die breitbrüstigen Lokomotiven, die auf den Schienen stampfen wie riesige, mit langen Röhren gezügelte Stahlrosse, und den gleitenden Flug der Aeroplane, deren Schraube knattert wie eine im Wind wehende Flagge und klatscht wie eine beifallstobende Menge. Daß ein solches "Manifest", dem die Maler Umberto Boccionio, Carlo D. Carrà, Luigi Russolo, Giacomo Balla und Gino Severini mit einem nicht weniger radikalen "Manifest" vorangegangen waren, dem technikbegeisterten Großstadtautor Döblin imponierte, lag auf der Hand. Aber fast mehr noch, als Marinettis Manifest beeindruckten Döblin die Bilder der Futuristen, deren Ausstellung Döblin im "Sturm" als Befreiungsakt lobte. Mit einem Ruck macht sich der Futurist Platz, stößt den
Alp von seiner Brust. Worauf kommt es doch an? Nicht auf die entseelte
blöde Szene, das Objekt, sondern auf - mich, auf mich, auf mich
und nichts weiter. Was sind Wellen, Berge, Gesichter, Farben, Linien
gegen mich! Er [der Künstler, R.D.] ist nicht Nachschöpfer,
sondern Neuschöpfer [vgl. das Genieverständnis des Sturm
und Drang]. Die Beseeltheit ist alles. Und so haben alle alten und
guten Meister gedacht. Wie lächerlich die malerischen Prinzipien,
die formalen Zusammenhänge, wo die Wucht, die Süße,
die Zärtlichkeit und der Jähzorn des Gefühls sprechen
will! [...] Was ist alle Wirklichkeit [...] wo es sich um Kunst handelt,
um eine andere, freiere, stolzere Realität, um die des triumphierenden
Menschen? [...] Besonders hatte, wenn ich der Literatur folge, Severinis Bild "Der Pan-Pan-Tanz im Monoco [der Katalog schreibt in Monico]" Döblin beeindruckt, über das er im Katalog der Ausstellung lesen konnte: Eindruck des Lärms einer Musikkapelle, die champagnertrunkene Menge, der perverse Tanz der Artistin, das Gelächter und der Farbenreichtum in dem berühmten Nachtlokal auf dem Montmartre. Bei zwei weiteren Arbeiten lassen sich Katalogtext und Bildbeschreibung durch Döblin interessant vergleichen. Bei Boccionis "Das Lachen" und Severinis "Ruhelose Tänzerin". Ich zitiere jeweils zunächst die Bildbeschreibung im Katalog und danach Döblins Rezension: "Das Lachen": [Katalog]: Die Szene ist der Tisch eines Restaurants. Man ist sehr lustig, Die Personen sind von allen Seiten aus beobachtet und die Gegenstände im Vordergrund und im Hintergrund entwickeln sich in der Phantasie des Malers so lebhaft, daß das Bild wie mit Roentgenstrahlen aufgenommen wirkt. [Döblin]: Sehen Sie das Bild Boccionis: Das Lachen. Der Maler tanzt wie ein trunkener um den Hut einer Frau; immer wieder kehrt der Hut, gesehen von oben, von rechts, von links, schräg, aufgestellt. Der Maler sieht sich nicht satt an dem spiegelnden Mamortisch, der wie ein Leitmotiv durch alle Elane des Bildes wandert; und immer wieder zünden zwei Hände über einer roten Flamme eine Zigarette an. "Ruhelose Tänzerin": [Katalog]: Gesamteindrücke, vergangene und gegenwärtige, nahe und entfernte, kleine und große einer Tänzerin, so wie sie dem Maler erscheinen, der sie in verschiedenen Perioden seines Lebens studiert hat. [Döblin]: Severini sieht das Gesicht seiner ruhelosen Tänzerin veilchenfarben zweimal über die Fläche gehen; sie dreht sich in Ganzfigur; den Zylinder im Nacken sieht ihr ein Kavalier zu, und aus dem Boden des Bildes stechen zwei schwefelgelbe Katzenaugen. Kein Vordergrund, kein Hintergrund, nicht Zeit, nicht Raum; auf dem Urgrund liegt alles gemächlich, - und so malt man ein Portrait. [Die über die "Sturm"-Galerie vor allem in Deutschland vermittelte Kenntnis futuristischer Kunst ist mehrfach nachzuweisen. Ich zitiere stellvertretend einen hier aufschlußreichen Tagebucheintrag Balls, "Die Flucht aus der Zeit": Dresden war damals überhaupt sehr lebendig. Ich sah dort zur selben Zeit eine Kollektivausstellung Picassos und die ersten Futuristenbilder. Da waren Carrà "Die Beerdigung des Anarchisten Galli"; Russolo "Die Revolution; Severini "Der Pan-Pan-Tanz in Monico" und Boccioni "Die Macht der Straße". Mein begeisterter Bericht darüber muß in Nummer 4 oder 5 [der "Revolution", R.D.] erschienen sein.] Natürlich ist es das Auge eines Schriftstellers, das diese Bilder sieht. Aber sein Auge sticht das Auge des Galeristen aus. Vor allem aber wird vieles von dem, was und wie Döblin hier sieht und beschreibt, in den Stilelementen des "Berlin Alexanderplatz" seine Parallelen finden, so auch, worauf Herman Meyer schon hingewiesen hat, die Aufhebung des festen Standortes in der futuristischen Malerei. [Raumgestaltung und Raumsymbolik in moderner Erzählkunst und Malerei (in: Bildende Kunst und Literatur, hrsg. von W. Rasch, 1970, S. 13 ff.)]. So beeindruckt und auch beeinflußt Döblin von der futuristischen Malerei war, so wenig konnte er sich kurze Zeit später mit der Futuristischen Worttechnik anfreunden, die mit den "parole in libertà" die Sprache von den Fesseln der alten, bis auf Homer zurückreichenden Syntax befreien wollte. Dagegen, nicht gegen die Malerei richtet sich der häufiger zitierte, im "Sturm" März 1913 veröffentlichte offene Brief an Marinetti: Lieber Marinetti, das erste Mal waren Sie im vergangenen Sommer bei uns, zur Ausstellung der futuristischen Bilder. Die Intensität und Ursprünglichkeit, das Kühne und gänzlich Zwanglose schlug bei mir ein. Ich dachte mehrfach und sagte zu Ihnen - bei Dalbelli [ital. Lokal, in dem die Futuristen mit ihren Berliner Gastgebern und Freunden verkehrten, R.D] - "Wenn wir in der Literatur auch so etwas hätten!" Damals schwiegen Sie. Nach einigen Monaten schwirrten die literarischen Manifeste über unsere Häuser. Das Unzulängliche war Ereignis geworden. Es war nicht so gemeint. ich bestreite Ihre Legimitation nicht, uns anzuregen. Sie haben Energie und Härte, Männlichkeit, die einer unter Erotismen, Hypochondrie, Schiefheiten und Quälereien berstenden Literatur mit Vergnügen auf den Pelz gehetzt werden soll. Sie haben in Ihrem "Mafarka" [vgl. dazu auch Hugo Balls Reaktion] einem massiven, unraffinierten Empfinden öfteren ungebrochenen Ausdruck geliehen. Sie sind rhetorisch, aber Ihre Rhetorik ist keine Lüge. Es ist uns klar, Marinetti, Ihnen wie mir: wir wollen keine Verschönerung, keinen Schmuck, keinen Stil, nichts Äußerliches, sondern Härte, Kälte und Feuer, Weichheit, Transzendentales und Erschütterndes, ohne Packpapier. Die Emballage gehört den Klassikern. Plattfußeinlagen, Gipskorsette und andere Orthopädie verehren wir nebst Sonetten, Weltanschauung höheren Töchtern zum Angebinde. Was nicht direkt, nicht unmittelbar, nicht gesättigt von Sachlichkeit ist, lehnen wir gemeinsam ab; das Traditionelle, Epigonäre bleibt der Hilflosigkeit reserviert. Naturalismus, Naturalismus; wir sind noch lange nicht genug Naturalisten. Bis dahin gehen wir zusammen. [...] Jetzt fängt Ihr Manifest und Ihre Bemühung an, außerordentlich heftige Grimassen zu schneiden und zudringlich zu der dreimal heiligen Sachlichkeit zu werden. [...] Sie meinen doch nicht etwa, es gäbe nur eine einzige Wirklichkeit und identifizieren die Welt ihrer Automobile, Aeroplane und Maschinengewehre mit der Welt? Wir sollen einzig das Meckern, Paffen, Rattern, Heulen, Näseln der irdischen Dinge imitieren, das Tempo der Realität zu erreichen suchen, und dies sollte nicht Phonographie [! R.D.], sondern Kunst, und nicht nur Kunst, sondern Futurismus heißen? Sie sollten ahnungslos diese lütte, lütte Verwechslung: Realität ist Dinglichkeit fertig gebracht haben, Sie, Marinetti? Was Sie wollen, ist klar -, wenn Sie auch das Kind mit dem Bade ausschütten. Das alte Lied: Dichter heran müssen wir an das Leben. [...] Ihre letzte Bemühung wirft sich auf das stählerne Gerüst der Sprache: die Matratze blieb heil: Sie flogen in die Luft. An der Ehrlichkeit Ihrer Bemühungen ist kein Zweifel; aber ich finde es bedauerlich für Sie, daß Sie dauernd Mauern vor sich sehen müssen, daß Sie immer anrennen müssen und Ihnen nicht die Leichtigkeit des reinen untheoretischen Dichters gegeben ist, der die Mauern überfliegt. Vergessen Sie nie, daß es keine Kunst, sondern nur Künstler gibt, daß jeder auf seine Weise wächst, daß einer behutsam mit dem andern umspringen muß. Es gibt keine literarische Massen- und Universalartikel, was man sich nicht selbst erobert, bleibt verloren. Gehen Sie nicht weiter auf Herdenzüchtung aus; es gibt viel Lärm dabei und wenig Wolle. Bringen Sie Ihr Schaf ins Trockene. Pflegen Sie Ihren Futurismus. Ich pflege meinen Döblinismus. [Welche Künstler neben Marinetti Döblin persönlich kennen gelernt und gesprochen hat, müßte noch geprüft werden. Vgl. die Boccioni-Anekdote in den "Autobiographische[n] Schriften", 1977, S. 467]. Vgl. ferner die zweite Futuristen-Ausstellung im August/Oktober 1914 sowie die Einzelausstellungen von Severini, Juni/ August 1913, die 1914 als Wanderausstellung auch in Halle und Hannover gezeigt wurde, und Soffici, Januar/Februar 1913]. Noch im gleichen Monat erreicht Döblin eine bestätigende Postkarte aus Paris: War sehr gut ihr Artikel, ich gratuliere es lebe der Döblinismus von Guilleaume Apollinaire, den Döblin seit Januar 1913 kannte. Apollinaire war damals mit Robert Delaunay zu einer Ausstellung in die "Sturm"-Galerie gekommen und hatte dort seinen schon erwähnten Vortrag gehalten. Über Apollinaires Karte, auf deren Bildseite Sonia und Robert Delaunay ein Souvenir sympathique hinzugefügt hatten, erschließt sich ein bisher weitgehend übersehener Aspekt: Döblins Kenntnis des Kubismus. Persönlich begegnet ist er in Berlin wohl nur Robert Delaunay und Guillaume Apollinaire. Aber wie auch im Falle der Futuristen hat Döblin über die Galerie des "Sturm" hinreichend Gelegenheit, kubistische Kunst in Augenschein zu nehmen. Man kann die Zeit vor dem ersten Weltkrieg als einen komplexen und fruchtbaren Dialog Döblins mit der bildenden Kunst bezeichnen, auch wenn Döblin später gegenüber den von Walden präferierten abstrakten Tendenzen auf Distanz gegangen ist. Wo die bildende Kunst seinen künstlerischen Fragen und seiner Auffassung von Naturalismus und Wirklichkeit entgegen kam, hat er sich mit ihr beschäftigt, auch wenn es in seinem Werk nicht immer einen direkten Niederschlag fand. So im Falle des Kubismus, den er in mehreren Ausstellungen studieren konnte, als Gruppenausstellung im November 1913, als Einzelausstellung Robert Delaunays im Januar/Februar 1913. Arbeiten von Picasso und Braque kannte er aus den Ausstellungen "Französische Graphik" und "Französische Expressionisten" (Mai bzw. August 1912). Ob Döblin bei seinem nachlassenden Interesse an der Kunst im März 1920 noch die Ausstellung Sonia Delaunay-Terks und im Januar 1921 noch die Ausstellung mit Arbeiten von Albert Gleizes, Jaques Villon und Louis Marcoussis gesehen hat, ist dabei nicht ausschlaggebend. Apollainaires Vortrag über moderne Malerei zur Eröffnung der Delaunay-Ausstellung im Januar/Februar 1913 wird er dagegen gehört, zumindest im "Sturm" nachgelesen haben [Jg 3, H. 148/9, S. 272], ebenso wie schon in H. 138/9 den Aufsatz "Réalité peinture pure". Döblin war also auf dem Höhepunkt des Kubismus sowohl mit Arbeiten der Kubisten wie mit Apollinaires Deutung des Kubismus vertraut. Das läßt mit großer Wahrscheinlich schließen, wenn auch nicht schlüssig belegen, daß ihm die Entwicklung der kubistischen Malerei vertraut war. Und die stellt sich in Stichworten so dar. Zunächst [und bereits vor dem eigentlichen Kubismus] ging es darum, das nature-objet in ein peinture-objet zu verwandeln, es zur eigentlichen künstlerischen Wahrheit, zur réalisation zu erheben. Der konsequente Schritt Braques und Picassos ist dann das Ausschalten der Dreidimensionalität, indem sie die Flächen ihrer Kuben wie die Seiten eines Kartons auseinanderfalten, um so zur Mehransichtigkeit des Gegenstandes zu kommen, zur simultanéité. [Das hatte Döblin bei seiner Bildbeschreibung futuristischer Bilder, die ja von den Kubisten beeinflußt waren, durchaus richtig gesehen!]. Nicht so wichtig für meine Skizze ist, daß um/nach 1909 nun auch andere Maler den kubistischen Aspekt übernehmen, aber eine neue Farbigkeit ins Bild bringen. Wichtig dagegen wird, daß die zu Bildbausteinen reduzierten Naturdinge ein Eigenleben bekommen, sich aus den natürlichen Sinnzusammenhängen zu lösen beginnen und als Motive, als musikalische Themen [s.o.] und Floskeln in neue Bildwirklichkeiten hineinkomponieren. Ich habe an anderer Stelle dargestellt, wie Braque und Picasso in ihrem Dialog mit gemalten Buchstaben, Zeitungsfetzen und - Braque - mit faux bois komponierten, wobei der entscheidende Schritt war, die gemalten Dingfragmente wirklich zu machen und damit zu Collagen zu montieren. Die gemalte Bildoberfläche bekommt durch die eingeklebten Papier-, Stoff-, Tapetenmusterstreifen, durch der Farbe beigemischtes Sägemehl und andere Materialien neue Reize. Diese Zusammenschau von Fragmenten der Wirklichkeit zu neuen Dingkombinationen im Bild, zu einer ästhetischen Welt des Bildes, losgelöst vom Zwang einer totalen Naturansicht, geht als synthetischer Kubismus in die Kunstgeschichte ein und zeitigt seine größten umstürzlerischen Folgen in der modernen Plakatkunst [vgl. auch die Décollagen], die sich solcher assoziativen Montagen bedient Als Döblin in den Ausstellungen des "Sturm" und durch Apollinaire den Kubismus kennen lernte, war diese Entwicklung weitgehend abgeschlossen, so daß es kaum überrascht, wenn sich später in "Berlin Alexanderplatz" analytische und synthetische Montageverfahren deutlich beschreiben lassen. Einen Künstler, den Döblin über die Galerie des "Sturm" noch einflußreich kennen gelernt haben könnte, ist Kurt Schwitters, der dort 1918, 1919, 1920 ausstellte und mit seiner MERZkunst Turbulenzen auslöste, die sich auch in der Zeitschrift des "Sturm" niederschlugen. Mit Recht hat Albrecht Schöne darauf hingewiesen, daß die Materialcollagen von Kurt Schwitters [einschließlich ihres sprachlichen Materials] durch ein ähnliches Kompositionsprinzip ausgezeichnet sind wie später Döblins "Berlin Alexanderplatz". Doch fehlt bis heute der Beleg, der aus der Annahme dieser Ähnlichkeit eine sichere Kenntnis machen würde. Für den Epiker hatte Döblin 1928 empfohlen, bei seiner Arbeit entschlossen lyrisch, dramatisch, ja reflexiv zu sein; und er hatte für das Hörspiel ein Jahr später ergänzt, daß er sich sicher sei, daß nur auf ganz freie Weise, unter Benutzung lyrischer und epischer Elemente, auch essayistischer, in Zukunft wirkliche Hörspiele möglich werden, die sich zugleich die anderen Möglichkeiten der Rundfunks, Musik und Geräusche, für ihre Zwecke nutzbar machen. Wiederum ein Jahr später überschreibt Döblin einen Aufsatz für die Zeitschrift "Musikpflege" mit "Nutzen der Musik für die Literatur" und weist dort der Musik für die Literatur Modellcharakter zu, vor allem in der Möglichkeit der Simultaneitat, da in ihr das gegliederte Hintereinander ja stattfinde mit einer Gleichzeitigkeit in der Tiefe. Was Döblin an der Musik als vorbildlich reizte, war die im Grunde abstrakte Natur des Tones und des Rhythmus, die den Komponisten befähige, ein dichtes, vielschichtiges und beziehungsreiches Netz von Zusammenhängen zu knüpfen, wobei er schon 1910 in den "Gespräche[n] mit Kalypso über die Liebe und die Musik" [Sturm, Jg 1, Nr 5-10] im Prinzip der Wiederholung, genauer der permanent variierten Wiederholung die Grundform des Zusammenhangs gegeben sah, die Möglichkeit, ein Schema unseres Lebens zu geben, das Zueinander der Dinge hörbar zu machen. [Döblins Interesse an der Simultaneität in der Musik, die ja eine Zeitkunst ist, wie die Literatur, aber dem linear-sukzessiven Ablauf polyphon und/oder kontrapunktisch/antithetisch strukturieren kann, also eine sowohl horizontale wie vertikale Dimension hat auf der einen Seite, entspricht auf der anderen Seite das Ziel der Simultaneität in der kubistischen und futuristischen 'bewegungslosen' Kunst [und Literatur]: und es ist zugleich ein eigenes Interesse Döblins, der in "Berlin Alexanderplatz" der Simultaneität des Lebens eine eigene epische Form zu geben versucht.] Mit dieser Hochschätzung der Musik stand Döblin nicht alleine, wie ein Blick auf die Autoren Hans Henny Jahnn, Hermann Broch, Robert Musil und Thomas Mann und viele andere schnell einsichtig macht. Wie Thomas Mann [aber auch Friedrich Nietzsche] war der junge Döblin Wagnerverehrer so sehr, daß er - nach einem Bericht Robert Minders - die Partitur des "Tristan" fast auswendig kannte und noch in späteren Jahren Isoldes Liebestod auf dem Klavier spielen konnte. Die Forschung hat daraus folgern wollen, daß Döblin von Wagner Entscheidendes gelernt und vor allem die Leitmotivtechnik für "Berlin Alexanderplatz" übernommen habe. Doch ist hier Vorsicht geboten. Denn so, wie Döblin den Begriff Leitmotiv in seiner Beschreibung des Bildes "Das Lachen" von Boccioni überträgt, hat dies nurmehr wenig mit Wagners Verständnis gemeinsam. Außerdem lernte Döblin sehr bald auch andere Musik kennen, und das Prinzip permanent variierter Wiederholung ist kein Privileg Wagners. Stattdessen schreibt Döblin im gleichen Jahrgang des "Sturm", in dem er über die Futuristen schrieb, von deren bruitistischen Vorstellungen und Geräuschmusik er sicherlich Kenntnis hatte, wobei er dem Hörspiel aus den Möglichkeiten des Rundfunks auch Musik und Geräusche empfiehlt, - Stattdessen schreibt Döblin 1912 im "Sturm" einen Aufsatz über "Arnold Schönberg", oder zusammen mit dem Komponisten Ernst Toch 1930 als Auftragsarbeit für die Tage für neue Musik in Berlin die Komposition "Das Wasser". Sein Diktum, In Tönen denkt die Welt, verrät den Einfluß altchinesischer Musikphilosophie [vgl. auch den Schönberg-Schüler John Cage]. Und weit entfernt von den sonst üblichen Geburtstagsmusiken werden 1943 bei der Feier seines 65. Geburtstages im El Pablo Rey Playhouse in Santa Monica Musiken von Hans Eisler, Arnold Schönberg und Ernst Toch gespielt. Das Kapitel Alfred Döblin und die Musik muß also eigentlich erst geschrieben werden. Und in ihm wird auch gefragt werden müssen, wie weit Döblin bei seinem großen Interesse am Rundfunk nicht auch gelesen hatte, was Kurt Weill 1925 in "Der deutsche Rundfunk" über "Möglichkeiten absoluter Radiokunst" spekuliert hatte: Nun können wir uns sehr gut vorstellen, daß zu den Tönen und Rhythmen der Musik neue Klänge hinzutreten [...]: Rufe menschlicher und tierischer Stimmen, Naturstimmen, Rauschen von Winden, Wasser und Bäumen und dann ein Heer neuer unerhörter Geräusche, die das Mikrophon auf künstlichem Wege erzeugen könnte, wenn Klangwellen übereinander geschichtet oder ineinanderverwoben, verweht oder neu geboren werden würden. Es ist dies eine Spekulation, die man in der Erinnerung haben sollte, wenn man im letzten Kapitel des siebten Buches von "Berlin Alexanderplatz" liest: Im Walde aber gingen da allein Mieze und Reinhold, ein paar Vöglein
zirpten und piepsten leise. Oben die Bäume fingen zu singen an.
Kurt Weills Aufsatz über "Absolute Radiokunst" bringt mich auch zu den nächsten Stichworten, wenn er parallel zu einer absoluten Radiokunst von einer Filmkunst (ohne) Handlung, Thema oder auch nur inneren Zusammenhang schreibt: der absolute Film sei eine 'melodische' Kunst, die nach musikalischen Gesetzen erarbeitet sei, die absolute Radiokunst dagegen eine Erweiterung der Musik. Döblins Interesse am Film, die Nähe seines "Berlin Alexanderplatz" zum Film ist relativ früh entdeckt und inzwischen so umfassend dargestellt worden, daß ich mich hier auf Hinweise beschränken darf. So auf Fritz Martini, der in "Das Wagnis der Sprache" von einer Nähe zur filmischen Komposition spricht, auf Vincent William Benét, der "Berlin Alexanderplatz" a valuable experiment in a real cinematographic technique nennt, oder auf Ekkehard Kaemmerling, der "Am Beispiel Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz" "Die filmische Schreibweise" erörtert und in seiner sehr differenzierten Darstellung im Kapitel "Montage" zwischen Kontrast-, Parallel-, symbolisierender und Synchronmontage unterscheidet, um schließlich mit Hinweis auf die "Szenenanmerkungen", den "Filmdialog" und die realistische Schreibweise ["Realistisches Schreiben"] den ganzen "Roman als Drehbuch" zu lesen. Daß Döblin sich genaue Vorstellungen von den Möglichkeiten und Wirkungen des Films gemacht hat, zeigt sich schon daran, daß er seine Romangestalten häufig und in entscheidenden Situationen ins Kino gehen läßt. Wenn Döblin in seiner Joyce-Rezension wie zitiert feststellt: In den Rayon der Literatur ist das Kino eingedrungen, bedeutet das für Döblin nicht, daß nun die Literatur an den Eindringling Forderungen zu stellen habe, sondern im Gegenteil: Man muß sich klarmachen, [...] was der Film vom Autor verlangen muß. [...] Mir sind ganz neue Begriffe klar geworden - der Film ist eben eine ungeheure Realität. Und wie Jannings [der ursprünglich in der Verfilmung die Rolle des Biberkopf verkörpern sollte, die dann Heinrich George spielte] - Und wie Jannings mir von der Masse sprach, von den Wiederholungen eines Films an tausend Stätten, da wußte ich auf einmal, daß alles, was wir gelernt haben, hier nicht gilt, daß man umlernen muß. [...] Der Film kennt keine Begrenzung. Es muß dem Autor zumute sein, wie einem Menschen, der plötzlich aus einer Stube in eine große freie Landschaft tritt oder in eine große Versammlung. [...] Es ist schwer zu sagen, ob die guten bekannten Autoren da mitkönnen, denn unsere Literatur ist im allgemeinen nicht auf die Massen eingestellt, es ist eine Literatur der begüterten und höheren Kreise. Kulturgüter können nicht einfach übernommen werden. [...] Der Autor muß mitarbeiten und dabei jemand haben, der ihm neue Vorhänge aufreißt. [...] Nur der veränderte Autor kann den Film verändern. "Nur der veränderte Autor kann den Film verändern" war auch das Interview überschrieben, das 1930 im "Film-Kurier" erschienen war, aus dem ich zitiert habe. Nehme ich Döblin hier beim Wort und frage, wer ihm die neuen Vorhänge aufgerissen und ihn als Autor verändert hat, muß ich zunächst die großen russischen Dokumentarfilme von Wsewolod Pudowkin und Sergei Eisenstein nennen, dessen Schlachthof-Sequenz in "Streik" Döblin wahrscheinlich zu seiner großen Schlachthof-Einblendung angeregt hat, wobei sich die Idee dann mit der Berliner Realität dokumentarisch verband. [Vgl. das Protokoll der Schlachthof-Sequenz des Eisenstein-Films in Joachim Paech (Hrsg.): Film- und Fernsehsprache I. Frankfurt/M. 1975]. Dann aber ist und vor allem Walter Ruttmann zu nennen, der von der Malerei herkommend, zunächst mit abstrakten Filmen Erfolg hatte, 1930 aber auch mit seiner Hörmontage "Weekend" der Hörspielgeschichte ein frühes Meisterwerk eingeschrieben hatte. Gleichsam als Beleg dessen, was Kurt Weill für den absoluten Film festgehalten hatte, daß er eine 'melodische' Kunst sei, die nach musikalischen Gesetzen erarbeitet werde, nannte Ruttmann 1925 seinen ersten absoluten Film "Opus 1 - eine visuelle Symphonie" und numerierte die folgenden Filme als "Opus 2 [3, 4]" weiter, um 1927 mit "Berlin - Symphonie einer Großstadt" das - in Siegfried Kracauers Worten - Ur- und Vorbild aller eigentlichen deutschen Querschnittfilme zu schaffen. Er war gewissermaßen die Nutzanwendung der ursprünglichen Impulse [des absoluten Films, R.D.], begleitet von der richtigen Erkenntnis, daß man dem großen Publikum nicht eine der Mehrheit unverständliche Abstraktion vom Gegenständlichen bieten konnte. Hier war zwar auch eine 'Abstraktion', aber es war doch eine wahrhaft 'filmische' Gestaltung der Weltstadt. "Der mächtige Rhythmus der Arbeit, so lese ich in dem fast dreißig Jahre alten Programmheft, der rauschende Hymnus des Vergnügens, der Verzweiflungsschrei des Elends und das Donnern der steinernen Straßen... wurde vereinigt zur Symphonie der Großstadt". Das trifft den Kern der Dinge, eben die Tatsache, daß ein Film ohne Spielhandlung und ohne Liebesgeschichte das Publikum zu packen wußte. Ein Film, dessen Held nichts anderes war als der Rhythmus der Weltstadt. Es war eine große Leistung des Kameramannes Karl Freund, aber es war eine Leistung, die der Regisseur Walter Ruttmann kaum hätte bewältigen können, wenn er nicht vorher durch die strenge Schule des "absoluten Films" gegangen wäre. [Zit. nach Heinrich Fraenkel: Unsterblicher Film. München: Kindler 1956, S. 125]. Spuren dieses Filmes sind noch in der Verfilmung 1931 von "Berlin Alexanderplatz" durch Phil Jutzi deutlich zu sehen, in den Kameraeinstellungen und -fahrten vor allem, mit der Einschränkung, daß jetzt "Die Geschichte des Franz Biberkopf" in dieser Großstadtkulisse spielt, mit Änderungen und der Verkürzung zu einer Filmstory, die gegenüber der Buchfassung und dem Hörspiel deutlich abfällt. Recht deutlich wird Siegfried Krakauer denn auch in seiner "Literarische Filme" überschriebenen Kritik in "Die neue Rundschau" [Jg 42, H. 12, 1931]: Obwohl Döblin an ihm mitgearbeitet und Phil Jutzi die Regie geführt hat, ist er doch ein Kompromiß geworden: Ein Kompromiß zwischen den filmischen Möglichkeiten des Romans und den Forderungen der Branche oder des vermeintlichen Publikumsgeschmacks. Der Fall ist umso lehrreicher, als Döblins Buch die Chance bot, einen Film zu schaffen, der Zustände episch vermittelt. Man hat diese Gelegenheit versäumt, und das lockere Assoziationsgewebe des Romans [...] zu einer geschlossenen Unterweltsfabel verengt, wie sie nun einmal üblich ist. Ich erinnere an die Schlachthausszene des Romans, an die vielen Stellen in ihm, die scheinbar die Handlung nicht befördern, aber in Wirklichkeit selber Handlung sind. Sie alle fallen unter den Tisch, obwohl doch gerade aus ihnen der Film hätte zusammengestiftet werden sollen. [...] Da das Publikum die erkorenen Stars sehen will, steht in seiner Mitte Heinrich George und nicht das menschliche Miteinander am Alexanderplatz. Kurzum, eine Reihe von Zugeständnissen verdirbt hier das Konzept, und rein durch die Macht der Verhältnisse wird aus einer Dichtung, die sich dem Film zuneigt, ein Film, der sich von ihr abwendet, ohne sich selber damit zu nützen. Bliebe schließlich noch, als das jüngere elektronische Medium, der Rundfunk zu bedenken, für den sich Döblin in den 20er Jahren so sehr interessiert hat. Undzwar nicht nur, indem er Vorschläge für eine rundfunkgemäße Literatur und das Hörspiel machte, sondern auch, indem er sich von den technischen Bedingungen und denn Möglichkeiten des Programms anregen ließ. Dabei findet sich für den Versuch, "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der Avantgarden darzustellen, eine letzte, bisher übersehene Anregung. Es ist keine Frage, daß der Radiobastler und -hörer Döblin Kenntnis hatte von Hörspielexperimenten, die in Analogie zum Film, auf dem man sich in der Frühgeschichte des Hörspiels immer wieder bezog, und dies sowohl theoretisch als auch praktisch, - Es ist keine Frage, daß Döblin Kenntnis hatte von Experimenten der Jahre 1926/1927, die "Akustische Filme" genannt wurden. Ein Vortrag eines der hier maßgeblichen Regisseure, Alfred Braun, der ursprünglich auch bei der Hörspielfassung von "Berlin Alexanderplatz" die Regie führen sollte, ist eine der wenigen Quellen für diese Hörspielexperimente. Akustischer Film - erinnert sich Braun in diesem Vortrag - nannten wir in Berlin in einer Zeit, in der ein Funkregisseur nicht nur das Regiebuch zu besorgen hatte, sondern sich auch seine Manuskripte mehr schlecht als recht schreiben mußte, ein Funkspiel, das in schnellster Folge traummäßig bunt und schnell vorübergleitender und springender Bilder, in Verkürzungen, in Überschneidungen - im Tempo - im Wechsel von Großaufnahmen und Gesamtbild mit Aufblendungen, Abblendungen, Überblendungen bewußt die Technik des Films auf den Funk übertrug. Jedes der kurzen Bilder stand auf einer besonderen akustischen Fläche, in einer besonderen akustischen Dekoration, zwischen besonderen akustischen Kulissen, wie man damals so gern sagte. Und Braun beschreibt die Inhalte solcher "Akustischen Filme" als eine primär akustische Sequenzen-Montage, die man ohne weiteres ins Vorfeld von "Berlin Alexanderplatz" rechnen darf. Eine Minute Straße mit der ganz lauten Musik des Leipziger
Platzes, 1 Minute Demonstrationszug, eine Minute Börse am schwarzen
Tag, 1 Minute Maschinensymphonie, 1 Minute Sportplatz, 1 Minute Bahnhofshalle,
1 Minute Zug in Fahrt usw. Auf die dem Film entlehnte Technik gründet sich seit unserem ersten Versuch mit dem "akustischen Film" die größere Zahl aller bisher dagewesenen Hörspielversuche [Hervorhebung von mir, R.D.]: keine Szene breit ausspielen; sowie der Fortgang der Handlung erfaßt ist: fertig abblenden, keine Pause, kein Zwischenspiel; sowie die neue Situation genügend bezeichnet ist: fertig, überblenden! Welche Ausdrucksmöglichkeiten bieten sich einem dramatischen Dichter in einem solchen Spiel! Die der größten Unbegrenztheit, wie sie nicht einmal der Film hat; Zeit und Raum sind aufgehoben. Döblins "Berlin Alexanderplatz" dürfte auch hieraus geschöpft haben, wie aus all den anderen Quellen, die ich im Laufe der letzten Stunde zu benennen versucht habe. Und er hat diese Anregungen sich anverwandelt zu einem Großtext, der aus den unterschiedlichsten Elementen gefügt ist, aus realem und fiktivem Personal, aus Bruchstücken der Großstadt, ihrer Plakate, Fotos, Statistiken. Er zitiert die Presse ebenso wie die Reklame, den Wetterbericht ebenso wie die Krankengeschichte wie die wissenschaftliche Publikation, Lieder und Schlager, und er zitiert die Tradition der großen Epen, Ilias und Odyssee, gelegentlich versteckt, aber auch offen wie (vor allem) das Alte Testament. Die Hioblegende ist der Geschichte des Franz Biberkopf kontrapunktiert, auch noch in der Hörspielfassung, wenn sie in der Realisation dann auch gestrichen wurde. Und es sind diese literarischen und religiösen Zitate, ihr göttliches Personal, das den "Berlin Alexanderplatz" in die Tradition der großen Epen rückt, allerdings nicht als ein gefabeltes Epos, sondern als eine epische Montage. Die russischen Filmemacher Eisenstein und Pudowkin hatten es Döblin vorgemacht, wie man zeitlich und räumlich getrennte Wirklichkeitsausschnitte in schneller Abfolge so neben- und ineinanderfügt, daß der Eindruck des Simultanen entsteht. Döblin hatte aber diese Möglichkeit ebenfalls in der Musik gesehen, kannte die Tendenz zur Simultaneität auch aus der bildenden Kunst, im Übergang von der analytischen zur synthetischen Collage. Und Döblin nutzte für "Berlin Alexanderplatz" beides: die analytische Collagetechnik, akustisch, optisch und gemischt. Das ganze ist ein Teppich, der aus vielen einzelnen Fetzen besteht, umschreibt er es selber. Und er nutzte, im Einbau konkreter Wirklichkeitsfragmente möglichst unveränderter Provenienz, zugleich die synthetische Collagetechnik, wobei ihrem Einsatz oft, wie übrigens schon in früheren Romanen, genaue Beobachtungen realer Einzeldinge vorausgingen. Ein abschließender Blick in das im Schillernationalmuseum in Marbach in fünf Mappen aufbewahrte Konvolut der ersten zusammenhängenden Niederschrift zeigt im Grunde genommen sogar eine synthetische Collage, womit ich wieder bei meinem Ausgangspunkt wäre. In schwer leserlicher Handschrift beschrieben, enthalten die [in der Regel] Oktavbogen des Manuskripts zahlreiche eingeklebte oder mit Büroklammern befestigte Supplementzettel, eine eingeklebte Ansichtskarte des Weltreisenden Johann Kirbach (eine reale Kontrastfigur zu dem ausschließlich um den Alexanderplatz kreisenden fiktiven Franz Biberkopf). Sie enthalten einen Patientenbrief, ein Mädchentagebuch, Ausschnitte von Wetterberichten, Zeitungsausschnitte u.a. über den Berliner Fremdenverkehr, politische Zeitungskommentare, Ausschnitte aus einem Berliner Amtsblatt, einem Lesbierinnen-Roman, der Gärtnerecke einer Zeitung und vieles andere mehr, eine Welt also in heterogenen Fragmenten, die der Autor zu einer neuen, ästhetischen Welt zusammengefügt hat, angesichts derer es Aufgabe des Lesers ist, das Nacheinander dieser Elemente im Akt des Lesens sich nebeneinander und ineinander zu fügen zu einem vielschichtig polyphonen und polyperspektivischen Ganzen. Notabene: Die heute in der Germanistik aktuelle Frage, ob es auf den Autor überhaupt noch ankomme, da ja der Leser den Roman konstituiere, hat Döblin für den Autor längst beantwortet, als er angesichts der Fülle seines Materials, seiner Dokumente unverfälschten Lebens anmerkte: das sei alles so herrlich und [in] seine[r] Mitteilung so episch, daß er selbst gänzlich überflüssig dabei sei. Nach Lesings in "Laokoon oder Über die Grenzen der Mahlerey und Poesie" getroffener, berühmter Unterscheidung waren die Zeichen der bildenden Künste Farben und Formen im Raum, ihr Bereich daher das Nebeneinander von Körpern; die Poesie dagegen benutze artikulierte Töne in der Zeit, die ein Nacheinander von Handlungen fordern. Zwar gebe es Grenzüberschreitungen, doch seien sie bei jeder der beiden Kunstarten durch ihre Mittel nur andeutungsweise möglich. Hatte Lessing damit die altehrwüdige Formel ut pictura poesis erit außer Kraft gesetzt, setzt die Collage des 20. Jahrhunderts mit ihren Grenzüberschreitungen jetzt Lessings Außerkraftsetzung außer Kraft, restituiert sie erneut - wenn auch unter anderen Konditionen - ein ut pictura poesis. Wobei die Komposition Döblins bezeichnender Weise futuristischer und kubistischer Kunst, moderner Musik, dem russischen Dokumentarfilm, der frühen Hörspielform des "Akustischen Films" wie, nach eigenem Bekunden, insgesamt und vor allem dem Prinzip der Simultaneität verpflichtet ist. Ich komme damit noch einmal zur Bildcollage [vgl. "Collage und Realität"] zurück, die ich als eine wechselseitige Verfremdung, ein wechselseitiges Fremdmachen der Elemente verstand, einen Prozeß, der zugleich die Realität, die sie ja, jedes für sich, behaupten, in Frage stellt, was der Mehrdeutigkeit des Materials entsprechen würde. Das Material, hatte ich gesagt, stelle der Künstler zusammen, die sich in seiner Komposition ergebenden Widersprüche aber müsse der Betrachter auflösen, der sich damit in einer dem Leser von "Berlin Alexanderplatz" durchaus vergleichbaren Position befindet. Wobei er es hier wie dort, etwa bei Schwitters' Collagen, häufig mit Elementen zu tun bekommt, die in ihrer Kombination unsinnig werden. Da für die Collage als Material praktisch alles zugelassen ist, vorausgesetzt, es wird gegeneinander gewertet und entformelt, kann auf ihr Gewichtiges neben Triviales treten, kann sich beides wechselseitig bedingen, können das Banale erhöht, das Erhabene erniedrigt werden. Das aber rückt die Collage schließlich noch in die Nähe eine Definition, die Jean Paul dem Humor gegeben hat, einem Humor, der anders als in seiner umgangssprachlichen Vorstellung, eine durchaus eigene Tradition ausgebildet hat, von dem Wechselspiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit in Miguel de Cervantes "El ingenioso Hidalgo Don Quixote de la Mancha", von Francois Rabelais' monströsem "Gargantua et Pantagruel" bzw. Johann Fischarts "Affenteurlich Naupengeheurliche[r] Geschichtsklitterung [...]" über Laurence Sternes "The Life and Opinions of Tristram Shandy gentleman" und Jean Pauls Wuz-Fixlein-Katzenberger-Fibel-Galerie zu Wilhelm Raabe und schließlich zu André Bretons "Anthologie des Schwarzen Humors". Humor in diesem Sinne ist eine literarische Verfahrensweise und Weltsicht, die in ihren Hervorbringungen ein Netzwerk des Disparaten spinnt, Phantasiewelten entwirft, in denen fast alles möglich scheint und doch ganz anders ist, in der Anspruchsvolles sich mit Trivialem mischt, Banales plötzlich überraschendes Gewicht bekommt und Erhabenes gar nicht mehr so erhaben ist. Humor, sagt es Jean Paul in seiner "Vorschule der Ästhetik", füge das Erhabene und das Niedere so zusammen, daß sich beides gegenseitig aufhebe, ja gleichsam vernichte. Wilhelm Raabe war solche ein literarischer Humorist mit einem Lebenwerk, bei dem das Erzählen des Erzählens schließlich wichtiger wurde als die oft trivialen Inhalte. Kurt Schwitters war, wage ich jetzt die Übertragung, solch ein humoristischer Künstler, dem das Zusammenfügen heterogenster Bruchstücke des Realen, das Collagieren des Collagierens wichtiger wurde als eine doch nur banale Idealität des Bildes. Alfred Döblins collagiertes Epos "Berlin Alexanderplatz", ich meine damit nicht nur das Konvolut der ersten zusammenhängenden Niederschrift, scheint mir in dieser Konstellation eine Zwischenstellung einzunehmen. Anmerkungen werden nachgestellt
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