Screaming Screen und binärer Idealismus
von Johannes Auer
Am 13. Januar 1997 wurde eine Nachricht im Internet verbreitet:
"If you want me clean your screen, scroll up and down".
Darunter war eine Internetadresse angegeben und der Namen der Künstlerin
Olia Lialina. Ruft man die angegebene Internetadresse auf, erscheint eine
geöffnete Hand auf dem Bildschirm [http://www.entropy8zuper.org/possession/olialia/olialia.htm],
und durch die Bewegung über die Scrollbalken erscheint es tatsächlich
so, als ob eine Hand den Bildschirm von innen reinigt.
Natürlich ist an dieser Arbeit der russischen Netzkünstlerin
Olia Lialina wichtig, wie sie sich per E-Mail ankündigt, natürlich
ist wichtig, dass hier der Mouse-Click auf die angegebene Adresse, dass
der Click, der die Arbeit aufruft, vor der visuellen Sensation liegt und
auch die einzige Clickmöglichkeit bleibt.
Darauf will jetzt aber nicht eingehen, ebenso wenig wie darauf, dass bei
der Netzkunst neben dem Optischen, also dem, was wir als ästhetisches
Produkt auf dem Bildschirm zu sehen bekommen und wofür ich im Folgenden
engagieren will, immer zwei weitere Ebenen, eine technische (Programmierung)
und eine soziale (Interaktion der Nutzer) hinzukommen. Diese wichtige
und scharfsinnige Erkenntnis stammt von dem Konstanzer Literaturwissenschaftler
und Netzanthopologen Reinhold Grether, der die 3 Ebenen als Desk, Tech,
Soz unterschieden hat.1
Was ich zunächst hervorheben will, ist, und das macht Olia Lialinas
Hand besonders deutlich, dass bei [Personal]-Computer-Kunst 2 Ebenen zusammenwirken:
die visuelle Fläche auf dem Bildschirm und die Fläche auf der
ich die Mouse bewege, um mit der visuellen Ebene zu interagieren. Ein
weiteres Beispiel
"Kill that Cat" von Mouchette [www.mouchette.org/cat]
Hier muß man mit der Mouse den auf und ab zitternden Button treffen,
der sich vor einem bildschirmfüllenden Bild eines aufgerissenen Katzenrachens
befindet. Eine nicht einfache motorische Koordinationsaufgabe zwischen
Hand und Auge. Gelingt der Click, wird man belohnt durch die Frage: "Why
did you kill my Cat?" Und soll per weiterem Click auf einen Button
versprechen, das nie wieder zu tun ("Never do it again!")
Normalerweise wird als wichtigste Interaktionsmöglichkeit der Mouse-Ebene
mit der Bildschirmfläche der Link angesehen, den Olia Lialia interessanterweise
vor ihr Kunstwerk legt.
Ein Link oder Hyperlink ist ein Wort oder ein Bild in einem sogenannten
Hypertext, durch den ich per Click mit der Mouse auf dem Bildschirm eine
neue Information angezeigt bekomme. Der Hypertext ist die Grundlage des
WorldWideWebs, kurz gesagt einer Methode, sich per Hyperlink im Internet
zu bewegen.
Und der Hyperlink hat am Anfang die Literatur und Kunst im Internet inspiriert
(und fast noch mehr die theoretischen Betrachtungen darüber).
Der Hyperlink schien endlich den Leser oder Betrachter des Kunstwerkes
zum Mitautor und Mitschöpfer zu machen.
Michael Böhler sieht außerdem im notwendigen Zusammenwirken
der beiden Ebenen, Mouse und Screen, eine neue Lektüreweise, eine
Verlagerung der mitgestaltenden Phantasie in die Mouse-Aktionsebene -
kurz eine " Externalisierung des Imaginären".
"Ästhetisch betrachtet ist Hyperfiction weniger eine neue literarische
Textform als eine neue Lektüreweise und ein neues Text-Leser-Verhältnis.
Darin wird der Ort des literarischen "Theaters" aus dem Gehirn-Innenraum
mentaler Prozesse in den äussern Interaktionsraum sensorieller Wahrnehmungs-
und haptischer Selektionshandlungen verlagert."2
In letzter Zeit ist jedoch die "der Link ist alles"-Euphorie
abgeklungen, und seine Bedeutung wird kritisch hinterfragt. Einige Argumente
will ich kurz aufführen.
Bernd Wingert konstatiert eine mögliche Aufmerksamkeitsverschiebung
bei der Hypertext-Lektüre vom Text zum Sprung, die er zurecht als
die "zentrifugalen Kräfte"3
bei der Hypertext-Lektüre charakterisiert . D.h. den Leser interessiert
mehr, wohin die Links hinführen, als das, was er gerade auf dem Bildschirm
sieht. Man könnte mit einigem Recht sozusagen von einer hypertextuellen
Zapmentalität sprechen.
Noch gewichtiger ist allerdings ein Einwand von Uwe Wirth, der sagt: dass
in dem Maße, in dem Hypertexte auf eine Struktur, bzw. auf eine
interne Kohärenz verzichten, die von einem Autor/Autorenkollektiv
vorbedacht ist, um sich ganz den clicklustigen Entscheidungen des Lesers
zu öffnen, dass also ohne eine solche vorbedachte Struktur der Text
letztlich beliebig, inhalts- und sinnlos wird.4
D.h. in einem fiktionalen Text muß die Entscheidungsmöglichkeit
des Lesers immer durch Regisseure oder Autoren beschränkt werden.
Und so ist aktuell eine interessante Diskussion zu beobachten. Digitale
Literatur wird gerade zunehmend in der Beziehung von Text und Bild diskutiert.
"Die nächste Generation digitaler Literatur wird in gleichem
Masse vom Design der Bilder, Töne, Animationen wie von jener des
Textes abhängen" 5, sagt Marie-Laure
Ryan.
[An dieser Stelle sollte ein Exkurs über die Todessehnsucht in der
Netzkunst folgen - hat doch alles schon letal begonnen mit dem "Tod
des Autors" durch den Hypertext. Jetzt muß der Hypertext als
ästhetisches Mittel selbst daran glauben (warum eigentlich?) und
mit ihm die ganze Web- und Netzkunst. Wobei wahlweise der Niedergang der
Netzwirtschaft zum Ende der Netzkunst führt (Tilman Baumgärtel)
oder die mangelnde Wirtschaftlichkeit die Netzkunst beendet (Mark Amerika),
wenn sie nicht gleich, wie von der Ars Electronica, rückstandslos
im Business & Entertainment aufgelöst wird. Aber was ist von
einem Medium auch anderes zu erwarten, das seine Erfindung dem Kriegswesen
verdankt und sich auf der 1 und 0 = Sein oder Nichtsein begründet
- wie gesagt an dieser Stelle wollte ich mich dazu äußern,
doch bei 'Sein oder Nichtsein' meldete sich die Literatur zurück
wie Phoenix aus der Asche... ]6
Aber natürlich gibt es auch das andere Lager, das die Netzkunst und
-literatur ganz im Code verortet und das optische Ergebnis auf dem Bildschirm
als nur sekundär abtut. Bezeichnen wir es im folgenden vorläufig
als "binären Idealismus".
Als Beispiel sei das jüngste Jodi-Projekt "WRONG Browser"
genannt [http://www.wrongbrowser.com/],
bei dem es einmal mehr um Dekonstruktion und zum wiederholten Mal um das
Bewußtmachen davon geht, dass hinter dem Computerbild, das man zu
sehen bekommt, etwas ganz anderes steht, nämlich die Programmierung,
der Code. Als Vertreter der "Theorie" nenne ich stellvertretend
Tilmann Baumgärtel, der kittlert, dass die Hacker die eigentlichen
Künstler seien, und ich nenne Florian Cramer, der rundweg verlangt,
dass Netzliteraten mit der Programmiersprache selbst dichten sollen. Nicht
dass das uninteressant oder gar falsch wäre, ein wenig störend
empfinde ich den fast messianische Rigorismus, mit dem hier das "Eigentliche",
der Programmcode, gegen das angeblich bloße Surrogat und Abfallprodukt,
das Bildschirmereignis, in Frontstellung gebracht wird. Ich habe da ein
Déjà-vu. Holen wir doch den guten, alten Plato aus dem analogen
Buchregal und schlagen im "Staat" das 10. Buch (zehn = eins/null
!) auf. Da lesen wir am Beispiel des Bettes, dass die Künstler nur
ein Abbild von einem Abbild produzieren. Während die Tischler immerhin
noch eine nutzbare Bettlade als Kopie der reinen Schlafstätten-Idee
erschaffen, malen die Künstler die vom Tischler verfertigte Reproduktion
ab, produzieren also nur die nutzlose Kopie einer Kopie, pinseln eine
Wirklichkeit 3. Grades.
Ähnlich die Argumentation der "binären Idealisten"
beim Computer: gegeben ist die reine Idee, die 0 und die 1, der binäre
Code. Mit diesem Absoluten des Maschinencodes treten die (Kunst)Handwerker
des Computerzeitalters, die Programmierer in Kontakt. Alles weitere, nämlich
das, was wir auf dem Bildschirm zu sehen bekommen, ist nur die Visualisierung
der Programmierung vom ausgeführten Maschinencode und daher, als
Abklatsch eines Abbildes, minderwertig und überflüssig wie das
ideenlose und verschlafene Kunstwerk in Platons idealem Staat.
Und doch haben die "binären Idealisten" schon verloren,
will man Flussers Oberflächen-Lob nicht gänzlich vergessen:
Wenn man mit der Programmiersprache dichten kann, so ist wohl erwiesen,
dass Programmiersprache nicht nur "formal" und damit reinstes
Mittel des "kalkulatorischen Bewußtseins" ist, sondern
dass Programmieren als Sprache zumindest und kräftig mit Elementen
der "linearen Schriftlichkeit" kontaminiert ist. Damit wären
Programm"Texte" auch Ausdruck des "prozessuralen, logischen
Bewußtseins" und somit herkömmlicher Text, von dem Flusser
sagt, dass es eine Tatsache sei, dass Bilder ihm gegenüber existenziell
stärker seien.7 Kurz, was auf dem
Screen erscheint, beeindruckt immer stärker als der zugegeben ursächliche
Code.
Oder um alles etwas einfacher, besser und flusserfrei auf den Punkt zu
bringen: "Medienkunst ist immer an der Oberfläche. Man muß
die Leute so schnell wie möglich erwischen"8,
so und radikal Dirk Paesmans von Jodi.
Aber droht sogesehen nicht das, was Virilio als "Tyrannei der Bilder"9
oder Robert Coover als "Image-Surfing"10
bezeichnet, als Reduzierung der "Substanz eines Werkes" auf
bloße Oberfläche, bloßes "Spektakel"?
Müssen wir, wie Virilio, als letzte Rettung nach der Schrift rufen,
die "gegenüber dem Fernsehschirm Stellung nimmt" , sollten
wir also, am besten mit gespitztem Federkiel, gegen die "Macht der
Bilder"11 auf dem Screen anschreiben?
Ich mag diese Weltuntergangsstimmungen, sie sind kraftvoll und deutlich
und ... nicht sehr hilfreich. Auch wenn für mich ebenfalls für
die Schrift, den Text und das Konzept als notwendiges Korrektiv gegen
reine Bildlichkeit ausspreche, die nur zu leicht zum Design verkommt.
Ich möchte dabei an Marcel Duchamp erinnern.12
Duchamp hat immer das nur "retinale", wie er es nannte, also
das einzig dem visuellen verpflichtete Kunstwerk abgelehnt und verlangt,
dass das Bild auf ein Konzept, eine Idee verweisen muss. Zentrale Möglichkeit
die reine Bildlichkeit zu sprengen ist ihm dabei der literarische Bildtitel.
Schon vor den Ready-mades hat Marcel Duchamp dem Bildtitel eine wichtige,
mitgestaltende Aufgabe zuerkannt und ihn direkt auf die Leinwand geschrieben.
Kurz: bei Duchamp bildet Wort und Bild eine Einheit, die jedoch, über
sich hinausweisen, auf ein künstlerisches Konzept deuten muß.
Wenn wir also an eine fruchtbare Screen-Symbiose von Wort und Bild glauben,
so bietet das darüber hinausführende Konzept die Möglichkeit
der allgemeinen Versöhnung. Das "Konzept" hat ein weites
Herz und schließt sämtliche Entlarvungen in sich ein - auch
Grundlehrsames wie, dass hinter jedem Ereignis auf dem Bildschirm immer
Programmcode steht - oder...?
1)
http://www.netzwissenschaft.de/docs/thesen.htm
http://www.netzwissenschaft.de/lists/nl07.htm
http://iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/netzkun.htm#Boehler
2)
Bernd Wingert: "Kann man Hypertexte lesen?" In: Literatur im
Informationszeitalter, hrsg. von Dirk Matejovski und Friedrich Kittler,
Frankfurt/Main u.a. 1996, S. 202
3)
http://www.rz.uni-frankfurt.de/~wirth/texte/litim.htm
4)
http://www.dichtung-digital.de/Interviews/Ryan-29-Maerz-00/
5)
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/4936/1.html
http://www.heise.de/tp/deutsch/kolumnen/ame/4474/1.html
http://www.aec.at/festival2001/takeover/theme.html
to be continued...
6)
Vilém Flusser: Lob der Oberflächlichkeit, Schriften Band 1,
Mannheim 1995, S. 240
7)
Tilman Baumgärtel: net.art - Materialien zur Netzkunst, Nürnberg
1999, S. 109
8)
Gespräch mit Paul Virilio. In: Michael Jakob: Aussichten des Denkens,
München 1994, S. 129.
9)
Robert Coover: Literarischer Hypertext Abschied vom Goldenen Zeitalter.
http://www.dichtung-digital.de/2001/Coover-01-Feb
10)
Gespräch mit Paul Virilio, S. 125
11)
Ausführlich s.: Johannes Auer: Text im Bild // Marcel Duchamp, http://www.s.netic.de/auer/solothurn/solothurn.html#duchamp
Frieder Rusmann: Ein Dada ohne Hoffnung oder wer sind die Daddies des
DEUTSCHEN HANDWERKs,
http://www.s.netic.de/auer/dada.htm
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