avant_garde_under_net_conditions.
eine stürmische ortsbegehung.

"hier könnte ihr zitat stehen."


am anfang steht man immer auf 'nem platz.

fallstudie: praxis group

im walker art center1 sammelten sich dieses jahr die "net attacks", um sich unter dem label "open_source_art_hack" über die positiven aspekte von hacking und open-source zu unterhalten.2 gerade nach dem 11. september würde hacking nur mit cyberterrorismus verbunden, dabei sei hacking lediglich eine extreme künstlerische praxis und sollte daher auch als "vitale gegenstrategie" genutzt werden.3 unterstützt wurde das unternehmen zu großen teilen vom walker art center, einem der größten museen für moderne kunst, situiert in minnesota/us. ich blende um einige jahre zurück: 1998 positionierte sich die praxis group4 im skulpturengarten des walker art centers, rückte stühle, las zeitung, marschierte danach in das museum, platzierte sich in dreiergruppen als pflanzen mit designportfolios, unternahm ein fotoshooting ihrer aktion in räumen, in denen photographieren erlaubt war und arbeitete sich entlang der topographischen grenzen des museums. nach einer halben stunde wurden sie vom sicherheitspersonal des museums verwiesen. das walker art center versteht sich als "katalysator für den kreativen ausdruck von künstlern und für das aktive engagement seines publikums" und als zentrum für avantgardekunst. die praxis group fasst ihre performanceerfahrung zusammen: die praxis group und ihr aktionsradius existiert schlicht nicht in der kognitiven und kulturellen sprache des walker art centers. die gruppe zieht daraus den schluß, dass trotz aller absagen an ein avantgardistisches handeln in der postmoderne es nur eine antwort geben kann: "never be avant-garde enough".

eine pressesprecherin des walker art centers antwortete auf die frage eines journalisten mit einem schlichten institutionellen gemüt: "ich verstehe die frage der freien meinungsäußerung, aber jemand kann nicht einfach in eine öffentliche einrichtung marschieren und eine performance machen". (karen gysin, walker art center)


abb.1: polling auf der webseite
von "open_source_art_hack"5


fallstudie: perspektive

auf schloss solitude sammelten sich 1999 avancierte experimentelle, um dem avantgardethema die leviten zu lesen. es war nicht mehr die frage, ob es avantgarde noch zu geben hat, die dort gestellte frage glich einer müßigen vergangenheitsbewältigung: "auslöschen oder verbessern". abgesehen davon, dass avantgarde nur mit der moderne verknüpft wurde, verfing sich der anspruch des symposiums letztlich in sprachlichen umkonnotierungen und semantischem stückwerk. gruppe perspektive unterlief das symposium, indem sie den institutionellen rahmen mit einer gegenrede unterbrach, das mikrophon mit einer spielzeugpistole kidnappte6 und einen manifestalen gegenentwurf ins publikum rezitierte. "es gilt, den begriff avantgarde von der engführung auf die historische avantgarde zu befreien."7 das sprechen über eine historische avantgarde im institutionellen rahmen eines symposiums mit vertretern avancierter experimenteller literatur ist genau jener rückschluß (um nicht zu sagen: rückschuss) auf das ende der avantgarde, den perspektive seit jahren zu vermeiden sucht. das anklammern am bereits erreichten in abgrenzung zu dem ‚leider‘ nicht erreichten (der historischen avantgarde) belässt die avancierten autoren gegenüber dem avantgardethema in einer ständigen schieflage.

gerade weil in österreich das verständnis avantgardistischen handelns auf das niveau einer lässigen sprachspielerei abgesunken ist8, eine "hegemonie der avantgardeliteratur"9 beschworen wird, die alle ökonomischen strukturen beherrsche und somit keinen rahmen mehr für ‘andere‘ schreibweisen zulasse, operiert perspektive von der kehrseite dieses verständnisses her und identifiziert avantgardepraktiken gerade dort, wo sie keiner mehr vermutet: in einer reflexion über das literarische feld und dessen bedingungen.

was uns mit der praxis group verbindet,ist: dass an den randbereichen des literarischen (experimentellen) feldes die sicherheitskräfte (entsprechende multiplikatoren sind hier einzusetzen) schnell und gewandt zugreifen, sobald die ‚kernfamilie‘ in gefahr gerät, aus dem monetären und/oder symbolischen kapital zu kippen.10


summer summarum - grenzgänger

obwohl jede weitere ars electronica den grenzgänger noch hoffähiger machen wird11, folgen wir seinen techniken und machen an den heterotopischen12 grenzen des symbolischen kapitals weiter.

perspektive verläßt zur spurensuche das tradierte abgezäunte, gutgekämmte experimentelle schreibwarengelände und macht sich auf die suche nach avantgardepraktiken, die sich einer ‚lässigen, lotternden‘ derivéstruktur des internets bedienen. egal: wir grüßen mit orten!


das ist ein unmöglicher text!

walter fähnders zieht das literarische avantgardefeld von seinem topographischen risiko her auf, macht es an seinen raumphantasien und internationalen vernetzungsstrukturen fest.13 er weist darauf hin, dass avantgarde immer auch "raumkategorie" ist. der raum der avantgarde sieht zwar immer ein wenig nach guter alter 70er-jahre nischenkultur aus, in ihren raumphantasmen liegen sie aber ganz weit vorn: unterm aeroplan rangiert nur noch die bergspitze und/oder der wolkenkratzer.14 sicherlich haben wir uns nicht von anfang an das ziel gesteckt, den zu dadazeiten nicht vervollständigten "dadaglobe" - eine art internationale dadaanthologie - fertigzustellen, aber im gesamtbild haben wir einen großzügigen raum aufgespannt: eine avantgardetopographie unter dem oberflächenkult des internets. nicht so sehr der anthologische status ist an sich bemerkenswert, interessant ist die konkrete situierung der einzelnen gruppen und ‚taktischen einheiten‘ innerhalb des avantgardediskurses und ihre funktionstüchtigkeit im netz.


abb. 2: trojanmedia produkt: reality drink15

meisthin nehmen sich die projekte als anlagen und anmerkungen zu historischen avantgarden aus, ziehen wie utos (unbekannte theorie objekte, bilwet) durch das literarische und politische feld, der zu aktualisierende wortschatz wird von den historischen avantgardebäumen geholt, je nachdem, was der strategische scanner gerade benötigt.16 wir unterscheiden nicht grundsätzlich zwischen "primären" netzkünstlern, die mit dem netz arbeiten, und "sekundären" künstlern, die sich ‚nur‘ des netzes als plattform bedienen.17 hinsichtlich der anwendbarkeit und rezeption auf/für die experimentelle literatur sind sowohl die dadagruppe RongWrong und ihre netzwerkähnliche virtuelle staatenbildung - sie nutzt das netz nahezu nur als plattform für ihre inhalte - als auch ‚reine‘ codespezialisten wie mez, die eine übercodierung der sprache vorantreiben, jedoch hauptsächlich im netz- und mailingkontext arbeiten, wichtig .18 sicherlich entgehen wir damit nur bedingt einer vorstrukturierung der gruppierungen, hoffen aber trotzdem eine ‚stürmische‘ ortsbegehung der avantgarde im netz vorgenommen zu haben.


abb. 3: trojanmedia logo19

walter fähnders markiert in seinem topographischen ansatz jedoch nicht nur die utopischen orte der avantgarde, sondern auch die "negativen" orte, die der utopie als kehrseite dienen, orte wie museen, akademien, bibliotheken, galerien, die für die avantgarde eindeutige kanonisierungsinstanzen und angriffsflächen waren. auch heute noch sind diese negativen orte aktuell und brisant, allein die gegenüberstellung führt zu immer schwierigeren manövern, um eine entsprechende "operative kapselung" für mögliche aktionen und interpretationen zu erreichen.20 aber im "empire" (negri/hardt) "habe es (...) keinen sinn, so zu tun, als gäbe es ein außerhalb".
letztlich schließt sich an topographische konzepte oder an ein außerhalb immer die frage nach der möglichkeit von subversion: nicht umsonst stellte sich etwa für diedrich diederichsen kürzlich auf einem "thematischen wochenende" die frage, ob verneinungen heute überhaupt noch denkbar sind, ohne nicht automatisch wieder in kleinen abgegrenzten räumen zu enden. denn - so diederichsen - kunst hat heute "mehrheitlich keine probleme mehr damit, wieder zu erbauen und zu dekorieren."21 negation könne nur von "ganz anderer seite" kommen. diese ganz andere seite liegt für diederichsen topographisch im möglichen. auch wenn das "empire" nicht dauerhaft, womöglich nur in momentaufnahmen räumlich an eine grenze zu bringen ist, interessieren uns neben den ganz realen grenzräumen, in denen die avantgardegruppen sich bewegen22, vor allem die fiktiven, möglichen, theoretischen ansätze dazu.

da perspektive sich in einem avantgardistischen kontext situiert, ist unser vorrangiges ziel, programmatiken, kontexte und theoretische ansätze ähnlich strukturierter projekte kennenzulernen und zu ihnen ein netzwerk zu entwickeln. unsere intention ist eine topographische verschiebung unseres avantgardeanspruchs aus dem reinen (experimentellen) literarischen feld zu einer erweiterten experimentellen anordnung, die im institutionell gefestigten, zunehmend konventionellen und avancierten feld freiräume schafft. eine dieser experimentellen anordnungen haben wir versucht, in/mit diesem heft "avantgarde_under_net_conditions" zusammenzubauen: einen kleinen ansatz-baukasten der avantgarde im netz.


abb. 4: trojanmedia produkt:
the political rhetoric doll23


auf der suche nach dem unmöglichen text (mani-fest)

während die avantgarde im netz sich erst allmählich mit den eigenen avancierten kräften auseinanderzusetzen beginnt24, sitzt die experimentelle avantgarde und damit perspektive - schon seit jahren in einem differenzkampf mit den avancierten protagonisten des literarischen feldes. wenn wir bourdieu folgen, grenzt sich das autonome avantgardefeld zwar vorrangig gegen die ökonomische ordnung im literarischen feld ab, muss sich jedoch vor allem gegen die arrivierte avantgarde abgrenzen. 25 sie agiert in diesem differenzkampf mit den mitteln der "verschleierung": zu den merkmalen dieses "wettstreits"26 gehört, dass "der spieleinsatz verschleiert wird und hinsichtlich der grundregeln des spiels bestes einverständnis besteht": d.h., innerhalb des literarischen feldes nicht nach den spielregeln zu fragen, sondern einfach mitzuspielen.27 die rolle der avantgarde ist demnach, das spiel selbst in frage zu stellen und die "einzig unsühnbare grenzverletzung" 28 zu unternehmen: nicht nur nach den spielregeln zu fragen, sie auszuhebeln und dabei etwas zu riskieren.


abb. 5: the blind authority manipulation corporation29

in letzter zeit scheint sich das ‚symbolische‘ risikokapital innerhalb des literarischen feldes zu erhöhen: goubran setzt auf den "pöbelkaiser"30, klaus kastberger31 votiert für den literarischen "eigensinn" als letzte abgrenzung zum markt, franz josef czernin32 setzt dem "diskurs" die poesie entgegen und klaus zeyringer filtert in ersten ansätzen die positionsabhängigkeiten im kritikerfeld auf33. die spieleinsätze haben sich jedoch nur scheinbar erhöht: goubran arbeitet sich an den resten der altavantgarde ab; kastbergers und czernins versuche, die literatur aus dem fahrwasser des marktes zu hieven, bleiben letztlich in raunenden rollenzuweisungen für literatur und poesie stecken, reflektieren nicht auf ihre (eigene) rolle innerhalb des kanonischen feldes. einzig klaus zeyringer setzt sich prekär zwischen stühle, ist jedoch in seinen argumenten nicht stringent.

der risikoball bleibt also im spiel, und wir wissen längst um den vorteil der autonomie innerhalb des (experimentellen) literarischen feldes: auf der suche nach dem unmöglichen ‚subtext', nach den spielregeln des feldes, nutzen wir gerade die grenzverletzung, um einen piratentext aus dem feld zu extrahieren.34 nicht nur dass dieser piratentext ein eigenes theoretisches terrain markiert, er arbeitet otos(obsoleten theorieobjekten) weiter und setzt damit dem schwall der nicht-worte einen permanenten diskurs der utos entgegen. denn nicht, wie manche annehmen, ist es das ziel, durch die produktion von symbolischem kapital macht zu gewinnen, sondern die (macht-)positionen im feld in bewegung zu bringen/zu halten und als flagge den piratentext zu hissen. 35

machtbewegungen im literarischen feld orientieren sich an den strukturellen lücken im bestehenden feld: perspektive spannt sich darin auf - von der autonomen "war-machine" bis zur inhärenten polysemie. im hypertext sei jeglicher grenzposten ermordet worden und das feld des wissens gleiche einer freihandelszone.36 im literarischen feld scheinen wir nur auf grenzposten zu treffen und sehen die war-machine in der arbeitskleidung der "mutant machine" auftreten: zu einer war-machine reicht es im literarischen feld nicht, denn wir bedienen uns auch im piratentext der kommunikativen ordnungssysteme; eine mutant-machine erscheint uns vertraut: sie operiert innerhalb der kommunikativen ordnung, ist militant und ständig in einen prozeß der reflexsiven kritik involviert.


abb. 6: trojanmedia produkt: cereal37

perspektive agiert an den autonomen grenzen des literarischen feldes und außerhalb der repräsentationsfähigkeit des avancierten.
perspektive funktioniert deren scheuklappen zu augenklappen um und spielt sogar einäugig mit der nintendo-erziehung (bilwet). denn draußen ist womöglich nur das informelle, der unfall oder der pure zufall38, draußen ist aber auch: perspektive.


der unmögliche raum - nomadentrendy && irgendwie unbequem

aus dem avantgarde-netz-baukausten "avantgarde_under_net_conditions" kann etliches heterotopisches material geborgen werden:

besuchen wir zusammen das "netland" der mailart: dort finden wir "bananaland"39 (anna banana) oder "blahzone"40 (blahism) als enklaven eigenverantwortlicher staaten innerhalb des mailartnetzwerkes.41 während sich die meisten virtuellen staaten der mailart mehr oder weniger auf die eigenen staatlichen insignien konzentrieren, findet man bei "blahzone" einen deutlichen, wenn auch ironischen bezug zur fluxus zone west von beuys/friedman und zu aktuellen konzepten um luther blissett.

netzkünstler bewegen sich argumentativ nicht in abgetrennten enklaven: brian kim stefans42 bezweifelt, dass eine oppositionelle haltung im web möglich ist, weil das web kein außen habe, sieht jedoch eine "parasitäre" haltung innerhalb des kommerziellen feldes als unumgänglich. auch young-hae chang heavy industries sieht als hauptaufgabe die transformation des gegebenen netzraumes. mark amerika - stärker theoretisch von deleuze' rhizomen affiziert - orientiert sich an einer alternativen "life / style / praxis", die ein nomadisches narrativ und somit eine bewegung im aktuellen (macht-)feld erzeugt. das nomadische narrativ bewegt sich jedoch stets innerhalb des feldes und kennt kein außen.

die fraktion der "code-poetry" bewegt sich stark am rand des netzkunstfeldes, bis hin zur ausgrenzung. nn (netochka nezvanova) etwa hat den finger immer genau dort am abzug, wo die spielregeln der netzkunst nicht hinterfragt werden. entsprechend ausgrenzend fallen die argumente der etablierten aus43. ähnlichen widerständen war mez ausgesetzt, sie hat jedoch mittlerweile eine gewisse akzeptanz und institutionelle anerkennung erhalten. talan memmott sieht "code poetry" als enklavenbildung innerhalb der herkömmlichen netzkunst. leider wird diese einkapselung nicht im kontext einer zunehmenden etablierung der net.art diskutiert.

ein weiterer interessanter besuch steht uns mit den dadaistischen zonen ins haus: rongwrong beschreibt sich als grenzenlos und setzt auf die expansion von "puppet states", die die landnahme von realen staaten persiflieren.44 die marionetten staaten bilden eine "literarische schattenwirtschaft" mit weltweiten protektoraten. lanny quarles weiht uns in die ziele der geheimen "xocfish" gesellschaft ein, die alle bestehenden regierungsformen zerstören und durch einen kinetischen expressionismus ersetzen will. 391.org kämpft mit dadaistischen techniken in den leerstellen der virtuellen welt, begreift aber das gesamte netz als dadazone. ganz ähnlich argumentiert wwdada, der sich im verbund mit microdada (microsoft) und macrodada (macromedia) auf einer dadaistischen www-plattform situiert sieht und das ganze netz als dadaistisch begreift.

aus dem baukasten ziehen wir eine menge overalls45, experimentelle praktiken46, wenige camps47, etliche torten und programme, halten uns fast an die banderole von peter lunenfeld auf der tirana biennale 2001: wir brauchen kein manifest für das 21. jahrhundert, wir gebrauchen es als werkzeug. wofür? da halten wir uns ganz blissethaft verdeckt: was zählt, ist der schaden auf dem feld des symbolischen. oder wir fassen das ganze mal ganz jugendlich: was geht?

btw:
insofern wünschen wir allen "cool personalities”48 in unserer ‚lacking future‘ einen gewissen ausnahmezustand49 und füllen das symbolische kapital des autonomen perspektive feldes voll auf im web:

http://avantgarde.perspektive.at


abb. 7: polling-ergebnis auf der webseite von "open_source_art_hack"50

___________________________
1 http://www.walkerart.org/
2 http://www.netartcommons.net/
3 aus dem einleitungstext zum performativen treffen. eingeladen waren die bekannten protagonisten: u.a. critical art ensemble und knobotic research.
4 http://www.waste.org/praxis/index.html
5 http://www.netartcommons.net/
6 die performance ist unter dem titel "aktion solitude" in perspektive heft 37 dokumentiert. das artefakt spielzeugpistole wurde im weiteren rezeptionsverlauf zum ‘ding an sich‘, das die teilnehmenden wohl am meisten aus der sprichwörtlichen institutionellen fassung gebracht hat: die spielzeugwaffe sei einer realen waffe derart ähnlich gewesen, dass man sich einem anschlag ausgesetzt sah. perspektive besteht jedoch auf den manifestalen schnitt dieser aktion: selbst bunuel war drei tage schlecht, während er für seinen film "der andalusische hund" das kalbsauge durchtrennte.
7 handout aktion solitude, perspektive 37, 1999
8 in der auf nachfrage als notlösung gehandelten umfrage "avantgarde heute" des bandes "schluß mit dem abendland. der lange atem der österreichischen avantgarde" (paul zsolnay verlag 2000) spricht kurt palm genau dieses unbehagen in österreich an: "viel mehr richtet sich mein unbehagen gegen die dem begriff inhärenten verharmlosung, mit welcher der literaturbetrieb >>avantgarde<< zu einer bloßen sprachspielerei abschleifen, zum einem geschnupften vorsprung verkommen lassen hat".
9 thomas glavinic in der umfrage "avantgarde heute", s. fußnote 8.
10 wir beziehen uns großräumig auf die studie von pierre bourdieu zum literarischen feld "die regeln der kunst" (suhrkamp 1999), die die "verschaltungen" der symbolischen und realen kapitalanlagen im literarischen feld sehr genau analysiert.
11 dieses jahr steht die ars electronica unter dem motto "unplugged" und appelliert an die "gerissenen fäden", die "brüche in der kontinuität" und die "abgründe entlang der pfade der fortschrittskarawanen" (gerfried stocker in seiner einleitung). interessanterweise widmet sich das festival auch den weltkarten unter dem motto "change the map" (vgl. avantgarde als raumkategorie im weiteren verlauf). http://www.aec.at/festival2002/
12 heterotopie ist eines jener Konzepte, die foucault ("of other spaces", 1967) im anschluß an bachtin als utopische oder andere räume innerhalb der herkömmlichen gesellschaftlichen, öffentlichen räume situiert: neben friedhöfen, gefängnissen und psychiatrien lassen sich auch subversive, temporäre räume als abweichung und grenzverschiebung interpretieren. hakim beys TAZ(temporäre autonome zonen)-konzept wäre hier in analogie zu setzen.
13 walter fähnders: “>>hier wird, auf einem kap, extremes geformt<<. zur topographie der europäischen avantgarde”. in: StadtLandFluß. urbanität in der moderne. ahasvera verlag 2002
14 sicherlich nicht nur nach dem 11. september wird die ausrichtung der avantgarde auf das vertikale dem horizontalen weichen müssen (vgl. rhizomatische struktur des netzes).
15 http://www.trojanmedia.org
16 seit bilwet mit seinem "medienarchiv" die UTOs in die allgemeine rezeptionshaltung eingebracht hat, ist an eine ruhige theoretische kugel nicht mehr zu denken.
17 isabelle graw unterscheidet - wie so viele andere netzpuristen zwischen diesen beiden netzpraktiken. in ihrem aufsatz "man sieht, was man sieht. anmerkungen zur netzkunst" (texte zur kunst, heft 32 1999 ) geht sie genau in jene falle, die der netzkunst ohnehin in herkömmlichen argumentationsstrukturen gestellt wird: ist sie zu sehr an netzexterne strukturen gebunden, ist sie zuwenig netzkunst, ist sie nur ans netz gebunden, ist sie zu wenig kunst. da die bindungen an technik und netzplattform mittlerweile eine frage der jeweiligen anwendung sind, macht unserer ansicht nach die neueröffnung des spiels ‚hohe‘ versus ‚niedrige‘ kunst nicht wirklich sinn.
18 viele avantgardegruppen, die das netz ‚nur‘ als mittel zum zweck nutzen, sind weit weniger in der öffentlichkeit rezipiert worden als im gegenzug protagonisten der ‚wilden‘, reinen netzkunst. MEZ etwa wird seit geraumer zeit in vielen netzexternen kontexten als meinungsbildend und als kuratorin eingesetzt. meisthin lassen sich nahezu immer die gleichen netzkünstler in externen symposien, ausstellungen und webpräsentationen auffinden. im gegensatz zum literarischen feld, in dem über die allmähliche kommerzialisierung von subversiven praktiken ungern öffentlich diskutiert wird, wird in der netzkunst via mailinglisten wie "nettime" oder "rhizome" sehr wohl über tendenzen und folgen der kommerzialisierung debattiert.
19 logo von trojanmedia, http://www.trojanmedia.org
20 hannes böhringer forderte noch in den 80ern eine art "elfenbeinturm" für die avantgarde, um ihr einen ausschluss von der "geschlossenheit des systems" zu ermöglichen. diese autonome kapsel glich jedoch eher einer raumstation, in der die avantgarde teststarts unternehmen sollte: "damit drinnen sich aus gerede und betrieb sprache und arbeit, arbeit an der sprache, an der artikulation wiederherstellen und erneuern können. [...] die kapsel [...] sorgt innen für stille." (hannes böhringer: attention im clair-obscur: die avantgarde, in: begriffsfelder, merve, 1985)
21 für diederichsen haben sowohl die aggressiven, destruktiven modelle der avantgarde als auch die streng formalistische, jede anschlussfähigkeit ausschließende richtung adornos ausgedient. (einleitung zum thematischen wochenende "die kraft der negation") http://www.theaterderwelt.de/deutsch/buehne2/wochenende/einfuehrung.htm
22 die meisten netzaktivisten haben einen starken politischen bezug. (vgl. critical art ensemble, rtmark, association of autonomous astronauts, no border camps, das gesamte luther blissett- oder wu ming-projekt)
23 http://www.trojanmedia.org
24 so ist die ‚erste garde‘ der net.artisten wie heath bunting und olalia längst ins fahrwasser der ökonomie geraten; in mailinglisten wie nettime oder rhizome wird jedoch mehr oder minder offen über die zunehmende kommerzialisierung der net.art diskutiert.
25 für bourdieu bildet dieser wettstreit, der kampf zwischen beiden avantgardepositionen, die geschichte des literarischen feldes ab. (bourdieu: die regeln der kunst. suhrkamp 1999, s 253).
26 bourdieus feldtheorie imaginiert ähnlich wie hardt/negris empire eine art losen spieltrieb, der die macht dazu veranlaßt, je nach kräfteverhältnis die positionen innerhalb der macht neu zu verteilen.
27 bourdieu: die regeln der kunst. suhrkamp 1999, s 270
28 bourdieu: die regeln der kunst. suhrkamp 1999, s 274
29 ein weiteres avantgardeprodukt der neoismus/blissett-fraktion: http://blindauthority.issexy.com/
30 alfred goubran: Der Pöbelkaiser oder Mit den 68ern "Heim ins Reich". residenz verlag 2002
31 kastberger: prügel für jelinek. literaturkritik als rabaukenstück, kolik 18, 2002
32 franz josef czernin: hansjörg zauners gedichtband luft verkehrt stock papier und die lage literarischer dinge, kolik 18, 2002. czernin weist zauners poesie jenen ort zu, "wo es sonst an worten fehlt" und setzt dem diskurs, den czernin an das "gerede" der medien bindet, die poesie entgegen. auch wenn der begriff ‚diskurs‘ mittlerweile einer inflationären verwendung ausgeliefert scheint, sollte man doch eine grundsätzliche theoretische anbindung des begriffes nicht aus den augen verlieren.
33 klaus zeyringer: zunehmende festmasse. http://www.unplugged.at/z02/bei/bei06.htm
34 die piraten-metapher verbindet bourdieus charakterisierung der avantgarde mit hakim beys "TAZ"-konzept. beide wählen den piraten als bild für ein eigenständiges kommunikationsterrain.
35 die theorie der "minoritären" medien von bilwet oder nettime arbeitet bereits an dieser schnittstelle, wenn auf dem weiterarbeiten an projekten, inhalten beharrt wird: "es ist keine kunst, überall im netz rhizome, deterritorialisierungen, körperlose transformationen, organlose körper, konsistenzebenen, fluchtlinien, falten, abstrakte maschinen, resonanzen und rosarote panther zu finden, es ist viel mehr die frage, wie sich an bestimmten projekten weiterarbeiten lässt, ohne dass man diese zu einer liste von 'passwords' zusammenkocht und damit in ihren anschlußmöglichkeiten abtötet." (lovink/schultz: anmerkungen zur netzkritik, http://www.thing.desk.nl/bilwet/TXT/NK2.txt)
36 taylor/saarinen: imagologies, mediaphilosophy routledge 1994
37 http://www.trojanmedia.org
38 agentur bilwet: elektronische einsamkeit. supposé 1997
39 anna banana hat deutliche historische verbindungen zum us-dadarevival in den 70ern und entsprechend dadaistisch ist ihr bananaland angelegt.
40 joe descie und jack dada (blahism) gleichen ihr blahismus logo an das von beuys fluxus zone an.
41 vittore baroni weist "netland", dem mailart netzwerk, ein terrain außerhalb des ökonomischen zusammenhanges zu, und steht mit der feststellung, dass netland permanent unsichtbar bleibt, in verbindung zu den konzepten u.a. von hakim bey (TAZ), taktischen medien (lovink/garcia) oder wu mings revolutionskonzept ("the revolution is faceless"). baroni betont, dass hakim beys konzept von fluxus und mailart weitaus früher praktiziert worden ist. (vgl. baroni im interview in diesem heft). eine eindeutige zeitliche und inhaltliche zuordnung dieser taktischen Konzepte ist schwierig, weil die protagonisten oftmals mehreren szenen gleichzeitig angehör(t)en.
42 als beispiel für anleihen bei der historischen avantgarde kann brian kim stefans stehen: obwohl er seine arbeiten unter das label "reptilian neolettrist graphics" stellt, sieht er keine wirkliche verbindung zu den lettristen oder guy debord außer einer "irgendwie" angeeigneten". der bezug zur historischen avantgarde wird von vielen gruppen - o-ton der interviews – als gering eingeschätzt, auch wenn sie in ihren texten und arbeiten ganz explizit auf diese zurückgreifen.
43 so wird sie von salon.com als "most feared woman of the internet" bezeichnet. http://www.salon.com/tech/feature/2002/03/01/netochka/index.htm. cornelia sollfrank meinte erst kürzlich, dass sie ein interview mit nn mache und diese damit "killen” wolle: " Ich will sie killen, indem ich ein Interview mache, in dem sie ihre ganzen Strategien preisgibt - was sie natürlich nie machen würde." http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/writings/art/interview_cornelia_sollfrank/sollfrank_interview_de_kurz.txt. alle argumentationen für oder gegen nn kreisen um topographische festlegungen: wer und wo ist nn.
44 während des afghanistankriegs spielte RongWrong gefakte presseinformationen über landnahme und kriegerische auseinandersetzungen in den "puppet states" an die öffentlichkeit.
45 die weißen overalls der "tute bianche" sind auch ein symbol für deren unsichtbarkeit und unterrepräsentation im ökonomisch-politischen feld.
46 wu ming als "labor für die gestaltung von literatur in verschiedenen medien" spricht sich für erzählungen ohne experimente aus. insofern ist der konzeptionelle ansatz des kollektivs interessant, bleibt aber literarisch beim alten. http://www.wumingfoundation.com
47 das konzept der TAZ-zonen wird mittlerweile fast polittouristisch gehandhabt: was haben sie diesen sommer vor? sie können von einem taz camp zum anderen pilgern...
48 mcluhan bezeichnet als "cool personalities" jene protagonisten des fernsehzeitalters, die sich im "bunkerstaat" (kroker/weinstein) ein- und alles fremde ausschließen. (mcluhan nach kroker/weinstein: datenmüll. passagen verlag 1997)
49 enzensberger weiß, dass der ausnahmezustand nicht lange durchzuhalten ist (enzensberger: baukausten zu einer theorie der medien, 1970); eric kluitenberg propagiert aber gerade diesen temporären ausnahmezustand für die aktuelle avantgarde praxis (eric kluitenberg: smash the surface, http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/nettime-l-0006/msg00132.html); an dieser theoretischen und praktischen inkongruenz bleibt weiterzuarbeiten.
50 http://www.netartcommons.net/


Sylvia Egger, 2002