avant_garde_under_net_conditions. eine stürmische ortsbegehung. "hier könnte ihr zitat stehen."
fallstudie: praxis group im walker art center1 sammelten sich dieses jahr die "net attacks", um sich unter dem label "open_source_art_hack" über die positiven aspekte von hacking und open-source zu unterhalten.2 gerade nach dem 11. september würde hacking nur mit cyberterrorismus verbunden, dabei sei hacking lediglich eine extreme künstlerische praxis und sollte daher auch als "vitale gegenstrategie" genutzt werden.3 unterstützt wurde das unternehmen zu großen teilen vom walker art center, einem der größten museen für moderne kunst, situiert in minnesota/us. ich blende um einige jahre zurück: 1998 positionierte sich die praxis group4 im skulpturengarten des walker art centers, rückte stühle, las zeitung, marschierte danach in das museum, platzierte sich in dreiergruppen als pflanzen mit designportfolios, unternahm ein fotoshooting ihrer aktion in räumen, in denen photographieren erlaubt war und arbeitete sich entlang der topographischen grenzen des museums. nach einer halben stunde wurden sie vom sicherheitspersonal des museums verwiesen. das walker art center versteht sich als "katalysator für den kreativen ausdruck von künstlern und für das aktive engagement seines publikums" und als zentrum für avantgardekunst. die praxis group fasst ihre performanceerfahrung zusammen: die praxis group und ihr aktionsradius existiert schlicht nicht in der kognitiven und kulturellen sprache des walker art centers. die gruppe zieht daraus den schluß, dass trotz aller absagen an ein avantgardistisches handeln in der postmoderne es nur eine antwort geben kann: "never be avant-garde enough". eine pressesprecherin des walker art centers antwortete auf die frage eines journalisten mit einem schlichten institutionellen gemüt: "ich verstehe die frage der freien meinungsäußerung, aber jemand kann nicht einfach in eine öffentliche einrichtung marschieren und eine performance machen". (karen gysin, walker art center)
auf schloss solitude sammelten sich 1999 avancierte experimentelle, um dem avantgardethema die leviten zu lesen. es war nicht mehr die frage, ob es avantgarde noch zu geben hat, die dort gestellte frage glich einer müßigen vergangenheitsbewältigung: "auslöschen oder verbessern". abgesehen davon, dass avantgarde nur mit der moderne verknüpft wurde, verfing sich der anspruch des symposiums letztlich in sprachlichen umkonnotierungen und semantischem stückwerk. gruppe perspektive unterlief das symposium, indem sie den institutionellen rahmen mit einer gegenrede unterbrach, das mikrophon mit einer spielzeugpistole kidnappte6 und einen manifestalen gegenentwurf ins publikum rezitierte. "es gilt, den begriff avantgarde von der engführung auf die historische avantgarde zu befreien."7 das sprechen über eine historische avantgarde im institutionellen rahmen eines symposiums mit vertretern avancierter experimenteller literatur ist genau jener rückschluß (um nicht zu sagen: rückschuss) auf das ende der avantgarde, den perspektive seit jahren zu vermeiden sucht. das anklammern am bereits erreichten in abgrenzung zu dem leider nicht erreichten (der historischen avantgarde) belässt die avancierten autoren gegenüber dem avantgardethema in einer ständigen schieflage. gerade weil in österreich das verständnis avantgardistischen handelns auf das niveau einer lässigen sprachspielerei abgesunken ist8, eine "hegemonie der avantgardeliteratur"9 beschworen wird, die alle ökonomischen strukturen beherrsche und somit keinen rahmen mehr für andere schreibweisen zulasse, operiert perspektive von der kehrseite dieses verständnisses her und identifiziert avantgardepraktiken gerade dort, wo sie keiner mehr vermutet: in einer reflexion über das literarische feld und dessen bedingungen. was uns mit der praxis group verbindet,ist: dass an den randbereichen des literarischen (experimentellen) feldes die sicherheitskräfte (entsprechende multiplikatoren sind hier einzusetzen) schnell und gewandt zugreifen, sobald die kernfamilie in gefahr gerät, aus dem monetären und/oder symbolischen kapital zu kippen.10
obwohl jede weitere ars electronica den grenzgänger noch hoffähiger machen wird11, folgen wir seinen techniken und machen an den heterotopischen12 grenzen des symbolischen kapitals weiter. perspektive verläßt zur spurensuche das tradierte abgezäunte, gutgekämmte experimentelle schreibwarengelände und macht sich auf die suche nach avantgardepraktiken, die sich einer lässigen, lotternden derivéstruktur des internets bedienen. egal: wir grüßen mit orten!
walter fähnders zieht das literarische avantgardefeld von seinem topographischen risiko her auf, macht es an seinen raumphantasien und internationalen vernetzungsstrukturen fest.13 er weist darauf hin, dass avantgarde immer auch "raumkategorie" ist. der raum der avantgarde sieht zwar immer ein wenig nach guter alter 70er-jahre nischenkultur aus, in ihren raumphantasmen liegen sie aber ganz weit vorn: unterm aeroplan rangiert nur noch die bergspitze und/oder der wolkenkratzer.14 sicherlich haben wir uns nicht von anfang an das ziel gesteckt, den zu dadazeiten nicht vervollständigten "dadaglobe" - eine art internationale dadaanthologie - fertigzustellen, aber im gesamtbild haben wir einen großzügigen raum aufgespannt: eine avantgardetopographie unter dem oberflächenkult des internets. nicht so sehr der anthologische status ist an sich bemerkenswert, interessant ist die konkrete situierung der einzelnen gruppen und taktischen einheiten innerhalb des avantgardediskurses und ihre funktionstüchtigkeit im netz.
meisthin nehmen sich die projekte als anlagen und anmerkungen
zu historischen avantgarden aus, ziehen wie utos (unbekannte theorie objekte,
bilwet) durch das literarische und politische feld, der zu aktualisierende
wortschatz wird von den historischen avantgardebäumen geholt, je
nachdem, was der strategische scanner gerade benötigt.16 wir unterscheiden
nicht grundsätzlich zwischen "primären" netzkünstlern,
die mit dem netz arbeiten, und "sekundären" künstlern,
die sich nur des netzes als plattform bedienen.17 hinsichtlich
der anwendbarkeit und rezeption auf/für die experimentelle literatur
sind sowohl die dadagruppe RongWrong und ihre netzwerkähnliche virtuelle
staatenbildung - sie nutzt das netz nahezu nur als plattform für
ihre inhalte - als auch reine codespezialisten wie mez, die
eine übercodierung der sprache vorantreiben, jedoch hauptsächlich
im netz- und mailingkontext arbeiten, wichtig .18 sicherlich entgehen
wir damit nur bedingt einer vorstrukturierung der gruppierungen, hoffen
aber trotzdem eine stürmische ortsbegehung der avantgarde
im netz vorgenommen zu haben. walter fähnders markiert in seinem topographischen
ansatz jedoch nicht nur die utopischen orte der avantgarde, sondern auch
die "negativen" orte, die der utopie als kehrseite dienen, orte
wie museen, akademien, bibliotheken, galerien, die für die avantgarde
eindeutige kanonisierungsinstanzen und angriffsflächen waren. auch
heute noch sind diese negativen orte aktuell und brisant, allein die gegenüberstellung
führt zu immer schwierigeren manövern, um eine entsprechende
"operative kapselung" für mögliche aktionen und interpretationen
zu erreichen.20 aber im "empire" (negri/hardt) "habe es
(...) keinen sinn, so zu tun, als gäbe es ein außerhalb". da perspektive sich in einem avantgardistischen kontext situiert, ist unser vorrangiges ziel, programmatiken, kontexte und theoretische ansätze ähnlich strukturierter projekte kennenzulernen und zu ihnen ein netzwerk zu entwickeln. unsere intention ist eine topographische verschiebung unseres avantgardeanspruchs aus dem reinen (experimentellen) literarischen feld zu einer erweiterten experimentellen anordnung, die im institutionell gefestigten, zunehmend konventionellen und avancierten feld freiräume schafft. eine dieser experimentellen anordnungen haben wir versucht, in/mit diesem heft "avantgarde_under_net_conditions" zusammenzubauen: einen kleinen ansatz-baukasten der avantgarde im netz.
während die avantgarde im netz sich erst allmählich mit den eigenen avancierten kräften auseinanderzusetzen beginnt24, sitzt die experimentelle avantgarde und damit perspektive - schon seit jahren in einem differenzkampf mit den avancierten protagonisten des literarischen feldes. wenn wir bourdieu folgen, grenzt sich das autonome avantgardefeld zwar vorrangig gegen die ökonomische ordnung im literarischen feld ab, muss sich jedoch vor allem gegen die arrivierte avantgarde abgrenzen. 25 sie agiert in diesem differenzkampf mit den mitteln der "verschleierung": zu den merkmalen dieses "wettstreits"26 gehört, dass "der spieleinsatz verschleiert wird und hinsichtlich der grundregeln des spiels bestes einverständnis besteht": d.h., innerhalb des literarischen feldes nicht nach den spielregeln zu fragen, sondern einfach mitzuspielen.27 die rolle der avantgarde ist demnach, das spiel selbst in frage zu stellen und die "einzig unsühnbare grenzverletzung" 28 zu unternehmen: nicht nur nach den spielregeln zu fragen, sie auszuhebeln und dabei etwas zu riskieren.
in letzter zeit scheint sich das symbolische risikokapital innerhalb des literarischen feldes zu erhöhen: goubran setzt auf den "pöbelkaiser"30, klaus kastberger31 votiert für den literarischen "eigensinn" als letzte abgrenzung zum markt, franz josef czernin32 setzt dem "diskurs" die poesie entgegen und klaus zeyringer filtert in ersten ansätzen die positionsabhängigkeiten im kritikerfeld auf33. die spieleinsätze haben sich jedoch nur scheinbar erhöht: goubran arbeitet sich an den resten der altavantgarde ab; kastbergers und czernins versuche, die literatur aus dem fahrwasser des marktes zu hieven, bleiben letztlich in raunenden rollenzuweisungen für literatur und poesie stecken, reflektieren nicht auf ihre (eigene) rolle innerhalb des kanonischen feldes. einzig klaus zeyringer setzt sich prekär zwischen stühle, ist jedoch in seinen argumenten nicht stringent. der risikoball bleibt also im spiel, und wir wissen längst um den vorteil der autonomie innerhalb des (experimentellen) literarischen feldes: auf der suche nach dem unmöglichen subtext', nach den spielregeln des feldes, nutzen wir gerade die grenzverletzung, um einen piratentext aus dem feld zu extrahieren.34 nicht nur dass dieser piratentext ein eigenes theoretisches terrain markiert, er arbeitet otos(obsoleten theorieobjekten) weiter und setzt damit dem schwall der nicht-worte einen permanenten diskurs der utos entgegen. denn nicht, wie manche annehmen, ist es das ziel, durch die produktion von symbolischem kapital macht zu gewinnen, sondern die (macht-)positionen im feld in bewegung zu bringen/zu halten und als flagge den piratentext zu hissen. 35 machtbewegungen im literarischen feld orientieren sich an den strukturellen lücken im bestehenden feld: perspektive spannt sich darin auf - von der autonomen "war-machine" bis zur inhärenten polysemie. im hypertext sei jeglicher grenzposten ermordet worden und das feld des wissens gleiche einer freihandelszone.36 im literarischen feld scheinen wir nur auf grenzposten zu treffen und sehen die war-machine in der arbeitskleidung der "mutant machine" auftreten: zu einer war-machine reicht es im literarischen feld nicht, denn wir bedienen uns auch im piratentext der kommunikativen ordnungssysteme; eine mutant-machine erscheint uns vertraut: sie operiert innerhalb der kommunikativen ordnung, ist militant und ständig in einen prozeß der reflexsiven kritik involviert.
perspektive agiert an den autonomen grenzen des literarischen
feldes und außerhalb der repräsentationsfähigkeit des
avancierten.
aus dem avantgarde-netz-baukausten "avantgarde_under_net_conditions" kann etliches heterotopisches material geborgen werden: besuchen wir zusammen das "netland" der mailart: dort finden wir "bananaland"39 (anna banana) oder "blahzone"40 (blahism) als enklaven eigenverantwortlicher staaten innerhalb des mailartnetzwerkes.41 während sich die meisten virtuellen staaten der mailart mehr oder weniger auf die eigenen staatlichen insignien konzentrieren, findet man bei "blahzone" einen deutlichen, wenn auch ironischen bezug zur fluxus zone west von beuys/friedman und zu aktuellen konzepten um luther blissett. netzkünstler bewegen sich argumentativ nicht in abgetrennten enklaven: brian kim stefans42 bezweifelt, dass eine oppositionelle haltung im web möglich ist, weil das web kein außen habe, sieht jedoch eine "parasitäre" haltung innerhalb des kommerziellen feldes als unumgänglich. auch young-hae chang heavy industries sieht als hauptaufgabe die transformation des gegebenen netzraumes. mark amerika - stärker theoretisch von deleuze' rhizomen affiziert - orientiert sich an einer alternativen "life / style / praxis", die ein nomadisches narrativ und somit eine bewegung im aktuellen (macht-)feld erzeugt. das nomadische narrativ bewegt sich jedoch stets innerhalb des feldes und kennt kein außen. die fraktion der "code-poetry" bewegt sich stark am rand des netzkunstfeldes, bis hin zur ausgrenzung. nn (netochka nezvanova) etwa hat den finger immer genau dort am abzug, wo die spielregeln der netzkunst nicht hinterfragt werden. entsprechend ausgrenzend fallen die argumente der etablierten aus43. ähnlichen widerständen war mez ausgesetzt, sie hat jedoch mittlerweile eine gewisse akzeptanz und institutionelle anerkennung erhalten. talan memmott sieht "code poetry" als enklavenbildung innerhalb der herkömmlichen netzkunst. leider wird diese einkapselung nicht im kontext einer zunehmenden etablierung der net.art diskutiert. ein weiterer interessanter besuch steht uns mit den dadaistischen zonen ins haus: rongwrong beschreibt sich als grenzenlos und setzt auf die expansion von "puppet states", die die landnahme von realen staaten persiflieren.44 die marionetten staaten bilden eine "literarische schattenwirtschaft" mit weltweiten protektoraten. lanny quarles weiht uns in die ziele der geheimen "xocfish" gesellschaft ein, die alle bestehenden regierungsformen zerstören und durch einen kinetischen expressionismus ersetzen will. 391.org kämpft mit dadaistischen techniken in den leerstellen der virtuellen welt, begreift aber das gesamte netz als dadazone. ganz ähnlich argumentiert wwdada, der sich im verbund mit microdada (microsoft) und macrodada (macromedia) auf einer dadaistischen www-plattform situiert sieht und das ganze netz als dadaistisch begreift. aus dem baukasten ziehen wir eine menge overalls45, experimentelle praktiken46, wenige camps47, etliche torten und programme, halten uns fast an die banderole von peter lunenfeld auf der tirana biennale 2001: wir brauchen kein manifest für das 21. jahrhundert, wir gebrauchen es als werkzeug. wofür? da halten wir uns ganz blissethaft verdeckt: was zählt, ist der schaden auf dem feld des symbolischen. oder wir fassen das ganze mal ganz jugendlich: was geht? btw: http://avantgarde.perspektive.at
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