Ganz die Alte. Eindrücke vom Ars Electronica Symposium
2009.
Johannes Auer, Linz 06.09.2009
Tag 1: Auf die Katz gekommen.
Vor mir betritt ein Paar den Saal, in dem in wenigen
Minuten das Symposium beginnen wird: Er in flotten Shorts, schwarzem T-Shirt
und keck schrägem Hut. Sie im dunklen Prinzessinnenkleid, ganz Tutu,
und mit prächtigen Turnschuhen wie er. Beide erklimmen etwas mühsam
die Treppe zu ihrem Sitzplatz. In ihren Knochen stecken gut je 70 Jahre.
Die Ars und ihr Publikum sind, trotz der jugendlich-dynamischen Accessoires,
in die Jahre gekommen.
“Human Nature” ist das Thema und Gerfried Stocker gibt, in
gut eingelaufenen Turnschuhen, den Ring frei.
Auch der erste Referent, Friedrich Kittler, ist älter geworden, ja.
Aber die Präsenz ist ganz die alte. In den folgenden 30 Minuten gelingt
ihm ein eindrücklicher Brückenschlag von der Maschine zum den
großen Themen des Allgemein-Menschlichen: Geburt, Liebe und insbesondere
Tod. Er beginnt bei Herr und Knecht. Die antiken Götter symbolisieren
das Herrische, mit Ausnahme des Knechtgottes, des behinderten Hephaistos,
der hinkend die Technik (ge-)braucht und sich bronzene Gehilfinnen schmiedet,
die seine Befehle zu verstehen und auszuführen vermögen. Und,
Kittler setzt ein Ausrufezeichen, es seien weibliche Gehilfinnen! Da diese
erotische Komponente meinst ignoriert würde, müsse er das betonen.
Dann der Golem, der durch das von Rabbi Löw auf die Stirn geschrieben
Wort “Wahrheit” (emeth) lebendig wird und stirbt, als Löw
den ersten Buchstaben löscht und nunmehr “Tod” (meth)
geschrieben steht. Auf eine Erinnerung kommt Kittler zweimal zu sprechen.
Ein Referent habe vor einige Jahren in einem Vortrag auf der Ars Electronica
ausgeführt, dass wir die Computertechnologie immer Top-down konzipieren
würden: dabei käme nur Microsoft heraus. Besser umgekehrt sollten
wir die Computer entwickeln: Bottom-up, als lernendes System. Wie ein
Baby, das wir großziehen und pflegen und dann in die Freiheit entlassen.
Und, so Kittler, der Vortragende habe dazu Ultraschallaufnahmen von einem
Baby im Mutterleib gezeigt. Das habe ihn berührt. Nachdem Kittler
im Weiteren deutlich macht, dass Sprachgebrauch und Sprachverständnis,
die menschlichste Fähigkeit sei, endet er mit Claude E. Shannons
Automat, der, wenn man den mit Start beschrifteten Knopf bedient, eine
mechanische Hand ausfährt und den Stoppknopf drückt. Dieser
Kunstapparat, sagt er lächelnd, habe die Form eines Sargs.
Danach drängt Hiroshi Ishiguro ans Rednerpult, nein er lässt
es links liegen und spricht dynamisch frei zum Publikum. Über seine
Roboter, Androiden, Geminoiden. Ishiguro baut Babys nach, seine Tochter,
sich selbst. Warum? Im Nachbau wolle er erforschen, was den Menschen ausmache.
Und man erfährt von unbewussten menschlichen Bewegungen, die er seien
Geschöpfen einzupflanzen habe, um sie zu vermenschlichen und dass
Kinder nach kurzer Zeit ganz unbefangen und mit mächtig vielen Augenkontakten
auf seine Schöpfungen reagieren würden. Aber so richtig klar
wird trotzdem nicht, was ihn da so enthusiastisch zum Rumgolemen antreibt
(Frage aus dem Publikum: ist ein richtiges Baby nicht vielleicht doch
die nahe liegendere Lösung?). Baut sich dieser hingerissene Pygmalion
womöglich einfach, das haben wir schon gelernt, seine leidenschaftlich
willige bronzene Olimpia? (Oder hat da Kittler nicht beiläufig etwas
von mechanischen Tagundnachtsoldaten erwähnt? Streng geheimer Code
und nicht etwa Open Source ist das alles, wie eine Publikumsfrage klärt).
Nicht vergessen wollen wir, dass diese Robots in der Altenpflege wohl
irgendwann unschätzbare Dienste zu leisten vermögen und damit
vielleicht auch als künftige Premiumhostessen auf der Ars Electronica.
Dann lässt die Ars die Katze aus dem Sack. Diesjähriger Preisträger
der goldenen Nica ist Eduardo Kac. Das passt. Und schon steht er da, lässig
in Hemd, Anzugshose und in wundervollen Turnschuhen. Kac, bitte, bevor
mir die Methapernblüten in die Binsen gehen, gesprochen wie Katz
und nicht anders.
Kac steht da und schnurrt von seinen Projekten. Schon vor gefühlten
hundert Jahren hat er an dieser Stelle seine transgene “Kunst”
vorgestellt. Ewige Kunst. Bedeutend. Und er lässt nichts aus. Jede
transgene Luminei wird längs und breits getreten. Da leuchten wieder
die bekannten grünen Hasen in der Dunkelheit, die Genesis wird kurzer
Hand um einen Tag verlängert und Blüten zeigen preiswürdig
und arterisch ihre implementierten Kac-Gene. Blutrot! Keine noch so kleine
Bedeutungsmetapher wird übersehen. Kunst aus dem Bedeutsamkeitsbauskasten
mit Ausrufezeichen. Und völlig affirmativ.
Die Luft raus zum Durchatmen lässt der nächste Sprecher, der
Molekularbiologe Josef Penninger. Während das transgene Häschenklein
noch nachluminisziert, erwähnt Penninger beiläufig die 20 000
Chimären, die sein Institut schon hervorgebracht habe. Und übermächtig
steht plötzlich die alte Frage im Raum, ob Künstler die technischen
Entwicklungen nur noch irgendwie, – bestenfalls ironisch oder nur
mehr bedeutungsgeschwurbelt – nachvollziehen können oder ob
sie doch noch substantiell etwas beizutragen haben. Diese Frage stellt
sich in diesem Moment auch für den Ansatz der Ars, Kunst und Wissenschaft
ins Gespräch zu bringen. Wenn die großen transgenen Mäuse
auf voller Forschungsfahrt voraus- und vorbeidampfen und das artig sinkende
Schifflein kaum von Ferne grüßen, wo kann dann die kunstsinnige
Katz noch glaubhaft und magenfüllend mausen? Gerne hätte man
sich an dieser Stelle einen Heath Bunting mit seinem low-tech genetisch
erzeugtem Kampfgras herbei gewünscht, der die blutigen Kunstblüten
mit seinem produktiven Unkraut erstickt und fraglos elegant detournementiert.
Tag 2: Déjà-vu Wölkchen
Wenn man in Österreich etwas mehr Kaffee möchte,
bestellt man sich einen Verlängerten, einen Kaffee mit mehr Wasser.
Und wenn man vom Web 2.0 Hype nicht genug bekommen kann, lässt man
den Dampf rein und eine schöne Wolke entsteht. Déjà-vu.
Der zweite Tag beginnt im Dunkeln. David Sasaki hat das
Licht löschen lassen und raunt, dass die Menschheit 99% ihrer Zeit
so gelebt habe. Erst die Elektrizität hätte die Erleuchtung
gebracht. Nach Aufflammen des Saallichts skizziert Sasaki die elektrische
Revolution vom lokalen Kleinkraftwerk zum umfassenden Stromnetz, das dezentral
mit Großkraftwerken den Energiehunger stillt. Das Gleiche zeichne
sich nunmehr für den kraftstrotzenden Heim-PC und das firmeneigene
Rechenzentrum ab, der/das abgelöst würde durch die Cloud, die
die Rechenleistung irgendwo bereitstelle. Déjà-vu: warum
kommt mir das nur bis ins kleinste bekannt vor? Natürlich! “The
Big Switch” von Nicholas Carr. Wohl nicht nötig von Sasaki
ihn zu erwähnen. Es geht ja um Schwarmintelligenz - sorry - Cloud
Intelligence und in die ist Carr wohl schon kollektiv eingecloudet.
Unterbrechung für die Statistik: 82% der Referenten
an diesem Tag tragen Lederschuhe.
Während dann Stephen Downes eloquent und profund
argumentiert, dass Cloud Intelligence das Individuum voraussetze und nicht
auslösche und einen “neuen Sozialismus” skizziert, basierend
auf Autonomie, Chancengleichheit, Vielfalt und Interdependenz, gibt Ethan
Zuckerman den advocatus diaboli und spricht von einer imaginären
Globalisierung, da die Nutzung von Netzwerken meist lokal und begrenzt,
sozusagen tribalistisch sei. Man möge nur die eigene Browser-History
anschauen, das meiste bezöge sich auf eigene Interessen, Obsessionen
und Vorlieben, natürlich in der eigenen Sprache. Und ich erlaube
mir ergänzend hinzuzufügen, dass genau dazu ein ausgezeichnetes
Kapitel in Nicholas Carrs Buch zu finden ist.
Anders Sandberg spricht über “distributed superintelligence”
und führt an, dass Google auf dem Weg zur Superintelligenz sei, aber
außer dem unverbindlichen Firmenmotto “Don't be evil”
als Superhirn keine Werte habe. Er lässt damit ein Thema anklingen,
das an diesem Tag immer wieder aufkommt - meist durch Publikumsfragen
befeuert - ohne wirklich erörtert zu werden. Cloud Intelligence,
so eine der besseren Definitionen an diesem Tag, ist Web 2.0 + Data Mining
("Google Flu Trends"). Obwohl das im wortwörtlichen Sinne,
"Datenschürfen", auch als Tautologie gesehen werden kann.
Kommerzielle Basis des Web 2.0 ist ja, neben der personalisierten Werbung,
der Verkauf von Nutzerdaten. Und genau das zeigt die Interessenlage. “Facebook
wurde zur Unterhaltung und nicht für den Netzaktivismus erfunden!”,
ruft ein Referent. Falsch, auch die Unterhaltung ist das Deckmäntelchen
und das Datensammeln zur kommerzielle Verwertung des Pudels Kern. Das
Unbehagen an der zentralisierten, privatwirtschaftlichen Datenmacht, ist
präsent, verläppert sich dann aber letztlich in dem schönen
Vorschlag eines Referenten, man möge doch einfach seinen eigenen
kleinen Server betreiben, um von dort ein dezentrales Wölkchen aufsteigen
zu lassen. Eine Vitalinfusion für den herzstarken Heim-PC, der ja
eigentlich schon verwolkte?
Wer sich ergänzend über die problematischen
Nebenwirkungen der Cloud informieren möchte, dem sei - schon erwähnt?
- das Buch “The Big Switch” von Nicholas Carr empfohlen.
Und während die nachmittäglichen Beiträge
im eingespielten Ars Projektstakkato mit engagiertem “Cloudia der
Lenz ist da!” nahtlos und teilweise mit dem selben Personal an das
letztjährige Symposium anschlossen - ob nun Web 2.0, New Cultural
Economy oder Cloud..., Schwarm drüber! - möchte ich diesen Teil
beenden mit Evgeny Morozov, der remote aus Washington erklärte, dass
eine Kommaberichtigung in der Wikipedia vielleicht hilfreich sei, aber
wirkungsvoller Cloud Aktivismus wohl mehr Engagement verlange. Als Slacktivisten
bezeichnet er die Minderengagierten, die nur zu einem angesagten Projekt
auf Facebook beitreten, ohne es aktiv voranzubringen. Ja, so Morozov,
wahrscheinlich könnte ein einzelner ernsthafter Aktivist mehr bewegen
als eine ganze pseudoaktivistische Cloud. Tosender Applaus des Publikums.
Cloud Intelligence?
Und dann war da noch der 3. Tag (wird nachgereicht, wenn
Interesse und Zeit) Nur soviel vorab: da erklärt der Evolutionspsychologe
kurzerhand die ganze menschlich Kunstproduktion zum Balzverhalten. So
einfach ist das. Olimpia lächelt sexy und schließt den Kreis.
Show off - Show aus.
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